11.01.2009

Der deutsche Geist

Buchbesprechung: Mieke Mosmuller: Der deutsche Geist. Occident, 2000 (296 S., 22€). o


Mieke Mosmullers Bücher sind reine Anthroposophie. Nie schreibt sie abstrakt über Anthroposophie, in ihren Worten lebt ihr reales Mysterium. In ihren Romanen finden Menschen das Geheimnis des Menschen, das Geheimnis der Entwicklung. Den Weg weisen kann ihnen ein Mensch, der dieses Geheimnis tief erkannt und verwirklicht hat, der in seinem ganzen Wesen das Menschsein, die Entwicklung vorlebt.

Das lebendige Wesen der Anthroposophie spürt man daran, dass jeder dieser Romane auch in der eigenen Seele eine reine Sehnsucht, eine reine Liebe nach dem Wahren und Guten, nach der eigenen Verwandlung und Entwicklung wachruft.

„Der deutsche Geist“ zeichnet zugleich die Tragik der Menschheit heute – einer Menschheit, die den lebendigen Geist nicht erkennt, die ihn zurückweist, leugnet, bekämpft. In Deutschland vor allem hätte dieser lebendige Geist zuerst errungen werden sollen – doch die Morgenröte des deutschen Idealismus versank wieder in Finsternis, im Nationalismus und Materialismus...

Paul Hartmann ist Direktor eines großen Verlagshauses – ein Mensch mit großer Intelligenz, einem starken Willen, aber der Welt und seiner Mitmenschen tief überdrüssig. In einer Wohnung unterhält er eine junge Studentin, Helena, die ihm nach der Arbeit zu willen sein muss und an der er Lust und Ärger auslebt. Als sie schwanger wird, will er nichts mehr von ihr wissen, doch dann erhält er die Geburtsanzeige, und die Verwandlung beginnt...

Die menschlichen Verhältnisse sind fast immer kompliziert, und Mieke Mosmuller schildert sie so komplex, wie sie sind. Jede Verwandlung, so gewollt sie auch ist, stößt auf Hindernisse, schon allein deshalb, weil die Mächte dieser Welt – die auch in der eigenen Seele wirksam waren und sind – eine solche Verwandlung verhindern wollen...

Der erste Keim zu Paul Hartmanns Verwandlung war das Manuskript, durch das er auf Helena überhaupt aufmerksam wurde – ein idealistisches, poetisches Werk, das ihn wehmütig an die deutschen Idealisten erinnert, über die er selbst einst eine Doktorarbeit schrieb. In den Hartmann Verlag passt es jedoch keinesfalls... Doch nachdem auch ein passenderer Verlag das Werk ablehnt und Hartmann immer tiefere Reue fühlt, wenn er Helena geschlagen hat, reift in ihm der Entschluss, das Buch doch herauszugeben – wofür er große Opfer bringt. Durch diesen Entschluss muss er sich auch mit der „öffentlichen Meinung“ auseinandersetzen, die er nun zum Gegner hat...

Mieke Mosmuller schildert all dies in meisterhaft schlichten, aber tiefen Dialogen und Worten.

Die eigentliche Wandlung wird aber erst möglich, als Paul und Helena jenem Amsterdamer Arzt Johannes Leven begegnen, der ein leuchtendes Vorbild entwickelter Menschlichkeit ist. Die Bekanntschaft mit ihm gibt den beiden die reale Kraft und auch die Richtung, ihr Leben zu ändern – und immer mehr zu dem Menschen zu werden, den sie von Anfang an im Anderen geahnt und geliebt hatten.

Johannes Leven ist ein wahrer Geisteswissenschaftler – ein Mensch, der (in Nachfolge des Meisters des Abendlandes) das Wesen des Geistes erkennt und in sich verwirklicht. Seine Bücher, die Helena übersetzen und Paul herausgeben will, sind das lebendige Zeugnis des auferstandenen deutschen Geistes. Das deutsche Volk war wie kein anderes berufen – durch seine Geistesgeschichte und seine Sprache –, das Selbstbewusstsein des Geistes zu verwirklichen, die Geisteswissenschaft lebendig zu machen. Nun ist es ein Holländer, der den Deutschen „ihren“ Geist zurückbringen muss...

So ist dieser Roman auch ein Wahrbild für die heutige Geistlosigkeit insbesondere der deutschen „Kultur“, aber darüber hinaus auch für das Schicksal der Anthroposophie nach Rudolf Steiners Tod. Mit ihm starb der „deutsche Geist“ erneut, es gab seitdem wiederum keine lebendige Geisteswissenschaft in Deutschland oder anderswo.

Wollte man dies bestreiten, so muss man nur diesen oder einen anderen Roman von Mieke Mosmuller wahrhaftig lesen und sich von dem Wesen dieses Johannes Leven berühren lassen – und man wird erleben: Das ist etwas ganz anderes als alles, was heute üblicherweise als „Anthroposophie“ bezeichnet wird. In den Büchern einer Holländerin lebt erst die wahre Anthroposophie...