27.02.2003

Die Diktatur des Profits und die Zerrüttung der Gesellschaft

Veröffentlicht im „Goetheanum“ vom 6.6.2003 (Nr. 23).

Es gibt Menschen, die haben eine Begabung, aus tief wahrhaftiger Betroffenheit gewisse Dinge klar zu erkennen und sie ebenso klar aussprechen zu können. Die Französin Viviane Forrester, geboren 1927, Autorin preisgekrönter Romane und Essays,  gehört sicherlich dazu. Der folgende Beitrag faßt Wesentliches aus ihrem gleichnamigen Buch[1] zusammen.


Seit Jahren breitet sich eine Ideologie aus, deren ureigenstes Interesse es ist, daß sie mit der „Globalisierung“ – dem objektiven Phänomen einer zusammenwachsenden Welt(wirtschaft) – verwechselt und in eins gesetzt wird. Diese Ideologie kann als Ultraliberalismus oder Marktfundamentalismus bezeichnet werden. Ihr eigentliches Ziel ist die Beseitigung aller Hindernisse des - Profits. Insofern diese Ideologie nicht angetastet oder auch nur erkannt wird, kann sie alle Kritiker als Gegner der im Grunde (ohne sie!) positiven Globalisierung hinstellen. Der Ultraliberalismus präsentiert sich als Verteidiger oder sogar als Wesen der Globalisierung – und ist es selbst, der sie in eine Hölle verwandelt. 

Die Ideologie des Global Players

Die Ideologie im Dienste des Profit stellt sich durch perfekt inszenierten Mißbrauch von Sprache und Denken geradezu als Retterin aus den Gefahren dar, die sie selbst hervorruft. Ihre Opfer werden nicht totgeschwiegen, sondern noch instrumentalisiert. Streng „logisch“ wird argumentiert: „Die Beschäftigung ist abhängig vom Wachstum; das Wachstum von der Wettbewerbsfähigkeit; die Wettbewerbsfähigkeit von Rationalisierungen. - also: Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gibt es kein besseres Mittel als Entlassungen!“

Wie eine fürsorgliche Mutter, die einem Kind die Angst vor einem schweren Schritt nehmen will, wiederholt die Ideologie wieder und wieder, daß die „Anpassung an die Globalisierung“ und der „Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit“ einige Maßnahmen erfordere, die zunächst durchgestanden werden müssen, um dadurch den Wohlstand auf neue Höhen zu führen. Die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur, die Abschaffung sozialer Errungenschaften, Produktionsverlagerungen, Fusionen und Spekulation würden die Konjunktur wieder anheizen und die Arbeitslosigkeit beseitigen.

Um auch alle Kritik und alle Zweifler zu ersticken, stellt sich die Ideologie aber nicht nur als Retterin aus der irgendwie – jedenfalls ohne sie, ja vor ihr – entstandenen Krise dar. Zur Sicherheit gibt es daneben eine polare Methode: Dieselben Arbeitslosen, als deren Retterin die Ideologie sich eben noch gezeigt hatte, werden als arbeitsfaule, undankbare Parasiten dargestellt. Es gelte, endlich die „sozialen Hängematten“ abzuschaffen, damit die satte, zufriedene Bevölkerung sich nicht länger auf ihrer Sozialhilfe, ihrem Arbeitslosengeld, ihren Niedriglöhnen ausruht, während die „mutigen“, „dynamischen“ Unternehmer verzweifelt um den Erhalt des Wohlstandes für die Allgemeinheit kämpfen (und wie - indem sie weitere Massenentlassungen durchsetzen).

Die Ideologie hat es geschafft, daß das Wort „Wettbewerbsfähigkeit“ einen bedingten Reflex auslöst, der dankbar zu allem Ja und Amen sagt. „Die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit erfordert...“ – zum Beispiel, daß „verschlankt“ wird, daß auch einmal Standorte „verlagert“ werden (während hier kontinuierlich entlassen wird, läßt man in anderen Teilen der Welt aus lauter Barmherzigkeit Millionen von Kindern arbeiten). – Was aber ist der Wettbewerb? Das abgekarterte Spiel der Global Player, die abwechselnd versichern, „der Wettbewerb“ werde ihnen von den jeweils anderen aufgezwungen? Den Konzernen kann gar nichts besseres passieren, als daß dieser „Wettbewerb“ weiter geht, denn Schritt für Schritt fallen weitere Hindernisse für den Profit. Es geht nicht darum, daß man sich bisweilen gegenseitig den Profit streitig macht, es geht darum, überhaupt immer besser „Geschäfte“ machen zu können. Sollte einmal ein „Player“ auf der Strecke bleiben, haben auch hier die Beteiligten dank Millionenabfindungen ausgesorgt – auf der Straße landen andere...

Das Denken für den Menschen

Das Elend besteht im Abbau aller sozialen Rechte – jene Ideologie stellt diesen Abbau als Rettung hin. Unerkannt und ungenannt wird das Recht des Stärkeren eingeführt. Wenn alle sozialen Rechte beseitigt sind, dann werden die Menschen wieder Arbeit haben – so ertönt es in Staaten, die zu den reichsten der Welt gehören! Um welche Arbeit geht es? Allein in den USA leben 12 Millionen „working poor“ – Menschen, die trotz Vollzeitjob in Armut leben.

Das Wichtigste ist nicht, „den Menschen Arbeit zu verschaffen“, das Wichtigste sind die Menschen. Wenn allein die Zahl der Arbeitsplätze den Wert einer Gesellschaft bezeichnen soll, während diese Arbeitsplätze ebenfalls Armut, Erniedrigung und Verachtung bedeuten – dann ist die Zerrüttung einer „Gesellschaft“ weit fortge­schritten.

Was liegt vor? Es ist tatsächlich die Diktatur des Profits. Die Produktivität steigt weltweit ständig, gerade bei internationaler Arbeitsteilung müßte der allgemeine Wohlstand um so schneller wachsen. Das Ganze ist aber eine Ver­tei­lungsfrage: Entlassene Menschen werden von der Produktivitätssteigerung ausgeschlossen. Am Ende wird ein kleiner Teil der Menschheit unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen alle Waren produzieren - und ein wenig bessere Löhne haben als die vom Staat (vielleicht noch) alimentierten „Arbeitslosen“, und eine kleine Minderheit wird die weltweiten Vermögen auf sich vereint haben.

Viviane Forrester fühlt brennend die „soziale Frage“ und findet klare Worte. Man kann die Alternative erleben, die schon Steiner voraussah: Dreigliederung oder Barbarei („Bolschewismus“). Obwohl dies explizit nicht ausgesprochen wird, steht man am Ende vor der Erkenntnis: In einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft – und jeder Mensch hat das Recht, in diese eingebunden zu bleiben – ist es eine Rechtsfrage, welchen Anteil an der gemeinsamen Wertschöpfung jeder erhalten soll.

Fußnoten

 


[1] Viviane Forrester: Die Diktatur des Profits. - dtv Verlag, 2002