16.03.2003

Antworten auf die Globalisierung

Diktatur des Profits oder richtige Begriffe

Es ist auffällig, wie heute, wo die Arbeitslosigkeit als Problem gilt, obwohl sie die notwendige und im Grunde begrüßenswerte Folge von Produktivitätsanstiegen ist, zunehmend in den Arbeitslosen selbst das Problem gesehen wird. Diese Logik wirkt auf eine Gesellschaft vergiftend. Und alle „Lösungsansätze“ haben die Prämisse, daß die „Unternehmer“ im Prinzip Arbeitsplätze schaffen wollen. Die fortwährende Senkung der Reallöhne und der Abbau sozialer Rechte erfolgt in der Hoffnung, daß auch jene beschäftigt werden mögen, die eigentlich „überflüssig“ sind. Naiv glaubt man, die „Wirtschaft“ hätte wenigstens dann ein Interesse an der Schaffung von Arbeitsplätzen, wenn diese nur billig und schnell kündbar seien.

Der Mensch als Objekt

Nach dem neoliberalen Dogma müssen die „Unternehmer“ begünstigt werden. In einer Art „Trickle-Down-Effekt“ steigt dann auch wieder die Beschäftigung, die Massenkaufkraft, der allgemeine Wohlstand. Daß dieser Effekt in der Entwicklungshilfe nicht eingetreten ist, sei nur nebenbei bemerkt. Wenn es einem tatsächlich auf den allgemeinen Wohlstand ankommt, warum stärkt man nicht direkt die Massenkaufkraft, deren positiver Effekt auf die Unternehmer viel sicherer ist?

Der zentrale Irrtum liegt darin, daß man die menschliche Arbeitskraft nach wie vor als Ware betrachtet, die am Arbeits­markt gehandelt wird. Schon die reine Logik spräche dagegen: Der Produzent einer Ware wird auf eine verschwindende Nachfrage immer mehr oder weniger mit einer Umstellung reagieren können. Der „Ar­beitnehmer“ dagegen hat eben nur seine Arbeitskraft, die er zu Markte tragen muß. Wenn eine „sinkende Nachfrage“ den Preis dieser Ware gegen Null drückt, was kann er tun?[1]

Die Behandlung des Menschen als „Produktionsmittel“ (Arbeitnehmer) und Kostenfaktor wird sich weiter verstärken, denn diese Begriffe sind nun einmal dem Wirtschaftsleben entsprechend. Wie kann man verhindern, daß Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen und ihnen Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen aufgezwungen werden – von anderen Menschen, die dieselben nicht einmal im Traum ertragen wollten? Dazu gehört die Frage, wie sachgemäß über die Begriffe „Eigentum“, „Gewinn“ und „Anspruch“ an demselben gedacht werden muß. In dem Maße, in dem Fragen, die als solche nicht ins Wirtschaftsleben gehören, in die Rechtssphäre zurückgeholt würden, würde ein gerechteres Wirtschafts­leben möglich, das überhaupt erst einen realen Ausgangspunkt für den weit in die Zukunft reichenden Weg in eine brüderlicher handelnde Menschheit bedeuten würde.

Vom Profit ...[2]

Warum wird ununterbrochenes Wirtschaftswachstum gefordert? Weil sich stetig ein Teil des Geldvermögens dort staut, wo „Profit“ entsteht, der nicht wieder produktiv verwendet wird. Die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums geschieht durch ungleiche Marktmacht (Realwirtschaft), das Börsengeschehen und den Zins. Insbesondere infolge des Zinses haben Vermögen und Leistung immer weniger miteinander zu tun, da sich das Vermögen weniger auf Kosten aller anderen von selbst vermehrt. Jenen fällt zu Unrecht ein stetig wachsendes Stück vom Kuchen zu. Die Wirtschaft muß schon deshalb wachsen, damit der übrige Anteil gleich bleibt.[3]

Dazu kommt der Produktivitätsanstieg: Wenn immer weniger Menschen gebraucht werden, muß die Wirtschaft wachsen, damit die „Überflüssigen“ anderes produzieren können. Die Frage, ob und wie die Arbeitszeit für alle abnehmen oder aber in Bereiche fließen könnte, die nicht „vermarktbar“ sind, bleibt bei dieser Logik völlig unbeachtet. Dabei ist es einfach zu durchdenken: Entweder macht der Unternehmer Profit auf Kosten anderer (was zu verhindern wäre) oder legt die gesunkenen Stückkosten auf die Preise um – dann hat jeder einzelne mehr „in der Tasche“ und könnte bzw. müßte abgeben (z.B. über Steuern), damit den vom „Arbeitsmarkt“ Verdrängten eine neue Arbeit möglich ist.

Die seit Jahren dominierende Ideologie – man kann von einem Ultraliberalismus oder Marktfundamentalismus sprechen – begünstigt jedoch nicht gerechte Verhältnisse, sondern den Profit. Diese Ideologie profitiert selbst davon, daß sie mit dem objektiven Phänomen der „Globalisierung“ – der zusammenwachsenden Welt(wirtschaft) – gleichgesetzt wird. Dadurch kann sie alle Kritiker als Gegner der Globalisierung hinstellen. Der Ultraliberalismus präsentiert sich als Verteidiger oder sogar als Wesen der Globalisierung – und ist es selbst, der sie erst in eine Hölle verwandelt.

... und seiner (Un-)Logik

Streng logisch wird argumentiert: Die Beschäftigung ist abhängig vom Wachstum; das Wachstum von der Wettbewerbsfähigkeit; die Wettbewerbsfähigkeit von Rationalisierungen. Also: Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gibt es kein besseres Mittel als Entlassungen! Auch die weiteren Maßnahmen zum „Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit“ (Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur, Abschaffung sozialer Errungenschaften, Produktionsverlagerungen, Fusionen, Spekulation...) dienen angeblich alle letztlich einem neuen „Wirtschaftsaufschwung“, der dann auch die Arbeitslosigkeit wieder beseitigt. Zur Sicherheit kann die Ideologie dieselben Arbeitslosen, als deren Retterin sie sich eben noch gezeigt hatte, aber auch als arbeitsfaule, undankbare Parasiten darstellen (siehe oben).

Die Ideologie hat es geschafft, daß das Wort „Wettbewerbsfähigkeit“ einen bedingten Reflex auslöst, der dankbar zu allem Ja und Amen sagt. Was aber ist der Wettbewerb? Das abgekarterte Spiel der Global Player, die abwechselnd versichern, „der Wettbewerb“ werde ihnen von den jeweils anderen aufgezwungen? Den Konzernen kann gar nichts besseres passieren, als daß dieser „Wettbewerb“ weiter geht, denn Schritt für Schritt fallen weitere Hindernisse für den Profit. Sollte einmal ein „Player“ auf der Strecke bleiben, haben auch hier die Beteiligten dank Millionenabfindungen ausgesorgt – auf der Straße landen andere...

Das Elend besteht im Abbau aller sozialen Rechte, die Ideologie stellt diesen Abbau als Rettung hin. Wenn alle sozialen Rechte beseitigt sind, dann werden die Menschen wieder Arbeit haben – so ertönt es in Staaten, die zu den reichsten der Welt gehören! Um welche Arbeit geht es? Allein in den USA leben 12 Millionen „working poor“ – Menschen, die trotz Vollzeitjob in Armut leben. Wenn allein die Zahl der Arbeitsplätze den Wert einer Gesellschaft bezeichnen soll, während diese Arbeitsplätze ebenfalls Armut, Erniedrigung und Verachtung bedeuten – dann ist die Zerrüttung einer „Gesellschaft“ weit fortge­schritten.

Die Produktivität steigt ständig, gerade bei internationaler Arbeitsteilung müßte der allgemeine Wohlstand um so schneller wachsen. Das Ganze ist aber eine Ver­tei­lungsfrage: Entlassene Menschen dürfen an der Produktivitätssteigerung nicht teilhaben. Am Ende wird ein kleiner Teil der Menschheit unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen alle Waren produzieren - und ein wenig bessere Löhne haben als die vom Staat (vielleicht noch) alimentierten „Arbeitslosen“. Eine kleine Minderheit wird die weltweiten Vermögen auf sich vereint haben. – Möglich ist dies durch völlig unsachgemäße Begriffsbildungen, die weder sachlich, noch menschlich, sozial oder irgendwie anders legitimiert sind. Man wird sich einst fragen, ob die heutigen Menschen nicht denken konnten, oder ob sie bewußt nicht-men­schlich gedacht und agiert haben.

Die wahre Leistungsgesellschaft – einige Begriffsklärungen

Innovationen und Ansprüche

Daß eine Produktion stattfinden kann, ist der Zusammenarbeit aller mit ihr Beschäftigten zu verdanken. Wenn ein „Unternehmer“, der die Produktion durch unternehmerische Entscheidungen steigert, den höheren Erlös egoistisch für sich beansprucht, so soll er das tun. Wenn jedoch ein anderer seine Stelle einnimmt, kann der seine Ansprüche nur von eigenen Innovationen herleiten - an der Idee des Ersten hat er ebensowenig Anteil wie der einfache Arbeiter. Also würde der Erlösanteil, der der Idee des Ersten zu verdanken ist, fortan auf alle verteilt werden.[4]

Nun haben auch andere Unternehmen Ideen, und der jeweilige Erlös richtet sich nach der infolge aller Innovationen erreichten Gesamtproduktion (diese stößt auf die reale Nachfrage, was eben heute den Preis bestimmt). Wenn die Produktivität überall angestiegen ist, ist der Erlös meist wieder der alte. In dieser Situation leistet der Unternehmer in erfinderischer Hinsicht nichts mehr, die gesamte Leistung geht von den Arbeitenden aus, die die (überall!) effektiver gewordene Produktion aufrecht erhalten. Der Produktivitäts-Anstieg vermittelt keine Ansprüche - sonst müßten alle Unternehmer noch heute an Menschen wie Leibniz zahlen, ohne dessen Differentialrechnung industrielle Produktion gar nicht möglich wäre.

Im übrigen trifft der Unternehmer natürlich ständig „normale“ unternehmerische Entscheidungen. Aber welchen Anteil will er daraus beanspruchen? Bloß weil jemand die unternehmerischen Entscheidungen trifft, hat er nicht das Recht auf die Verteilung des Erlöses. Oder aber er betrachtet sich deswegen völlig unsachgemäß als Eigentümer des Unternehmens.[5]

Heute gelten die Kapitalgeber bzw. Aktionäre als Eigentümer. Sie sind aber sachgemäß nichts anderes als andere Kreditgeber auch. Wer Kapital einbringt, hat doch wohl keinesfalls den automatischen Anspruch auf „Mehr“, sondern – für einige Zeit – auf einen Anteil am Erlös (der natürlich zu erwarten ist). Irgendwann erlischt aber auch dieser Anspruch, denn ein Anteil steht nur dem zu, der wirklich arbeitet. Zunächst wird real mit dem ursprünglich gegebenen Kapital gearbeitet - bald aber hat sich dieses völlig ausgetauscht, und das Unternehmen arbeitet längst mit seinem eigenen Kapital. Nur durch tote Begriffe kann man glauben, dies wäre noch immer das Geld des ursprünglichen Kapitalgebers. Die Kapitalsubstanz eines Unternehmens kann sich nur aus sich selbst heraus immer erneuern oder gar nicht. – Wer „Betrieb“ gleichsetzt mit Unternehmer oder Kapitalgeber, dem geht es nicht um das Wirtschaften, sondern um nackte Macht - um den Anspruch auf Geldwerte, die in keinem Verhältnis zu dem stehen, was er real geleistet hat.

Das Recht der Gemeinschaft

Produktivitätsanstieg bedeutet Produktionssteigerung oder Entlassungen - zumeist letzteres, da die Nachfrage irgendwann gesättigt ist. Das Unternehmen beansprucht den vollen Erlös und überläßt es der Gemeinschaft, die Arbeitslosen zu tragen. In der Tat hat die Gemeinschaft diese Aufgabe, aber in demselben Maße hat sie Anspruch auf den die Arbeitslosigkeit verursachenden Produktivitätsanstieg, nämlich auf den Pro-Kopf-Erlös, der auf die Entlassenen entfallen wäre. Jede Erlössteigerung geht mit der Zeit wieder verloren (siehe oben), jeder Anstieg aber, der auf Entlassungen zurückgeht, steht dem Unternehmer überhaupt zu keinem Zeitpunkt zu. Die Gesellschaft muß die Mittel haben, um den „überflüssig“ Gewordenen ein gerechtes Einkommen zu zahlen, wenn sie sich alternative Tätigkeiten suchen, z.B. im sozialen, pädagogischen oder im Umweltbereich. – Dann aber werden die Menschen sich überlegen, ob sie gewisse Arbeitsplätze überhaupt wollen, und es werden Regelungen kommen, die die existierende Arbeit wieder sinnvoll verteilen, nämlich weniger Arbeit für alle ermöglichen.

In bezug auf die Einkommen fordert „die Unternehmerseite“ stets die Senkung der „Lohnnebenkosten“. Tatsächlich könnten diese abgeschafft werden. Wenn sich das gesamte Steueraufkommen aus einer Art Mehrwertsteuer ergäbe, würde sich die Belastung nur nach dem individuellen Konsum richten. Voraussetzung für dieses gerechte System ist aber zunächst die wirkliche Durchsetzung des Leistungsprinzips. Ein Einkommen muß dem wirklichen „Verdienst“ entsprechen (in dem Wort liegt das Dienen). Es ist aber unmöglich, daß ein Mensch mehr „verdient“ als ein Einkommen, das er auch wieder ausgeben kann. Die Gesellschaft kann einem Menschen für herausragende Innovationen ja nicht mehr danken, als durch einen Anteil des Sozialproduktes, der ihm unbegrenzten Konsum erlaubt. Jeder darüber hinausgehende Erlös kann ohnehin nur durch Arbeitsteilung zustande gekommen sein.

Weiterhin ist ein „Eigentum“ an ungenutztem Vermögen überhaupt unzulässig, da Geld keine Ware, sondern ein Tauschmittel ist. Wenn ich durch innovative Produktion und Absatz von Waren ein Vermögen erwerbe, bin ich gesellschaftlich verpflichtet, auch wieder andere Waren dafür zu kaufen. Die eine Seite der Gesellschaft wird genau dadurch in die Verschuldung getrieben, daß das gesamte Vermögen auf der anderen Seite sich bei einigen Wenigen sammelt. Leistungsloses Einkommen (Zins!) ist ohnehin unzulässig, ebenso aber jedes Vermögen, das ich nicht nutzen kann. Dies wurde Menschen entzogen, die dadurch weniger bekommen, als sie leisten.

Arbeitslosigkeit und Leistungslosigkeit sind zwei Seiten derselben Medaille. Die soziale Frage stellt sich zwangsläufig überall da, wo es leistungslose Einkommen gibt. Die wahre Leistungsgesellschaft unterscheidet sich weniger vom Ideal der Brüderlichkeit als von ihrem heutigen Lügenbild.

Fußnoten


[1] Aus diesem Grund ist eben der sogenannte Flächentarif durchaus nicht veraltet. Ein Zulieferer erkundigt sich auch nicht nach der Leistungs­fä­higkeit eines Unternehmens und senkt dann eventuell seine Preise. Doch der Arbeitnehmer soll nicht nach dem Wert seiner Arbeit fragen, sondern auf die Wirtschaftslage Rücksicht nehmen und den von Markt und Nachfrage bestimmten Preis seiner Arbeitskraft akzeptieren?

 

[2] Dieser Abschnitt basiert auf Viviane Forrester: Die Diktatur des Profits. - dtv Verlag, 2002

 

[3] Die Arbeitslosen können übrigens schon deshalb keine Schmarotzer sein, weil sie ja vom Backen ausgeschlossen wurden.

 

[4] Oder aber der Erste hätte ein „Patent“ auf seine Idee und selbst bei Ausscheiden aus der Firma ein ewiges Recht auf jenen Erlösanteil.

 

[5] Wenn er „Löhne“ festsetzt und den Rest für sich beansprucht, müßte er auch das Risiko tragen und die „Löhne“ eben konstant zahlen, auch wenn für ihn einmal weniger übrigbleiben sollte, als für den einfachen Arbeiter!