02.10.2004

„Anything but Bush“

Der Wahlkampf in den USA kommt in die entscheidende Phase


„Ich wache jeden Morgen mit dem Gedanken auf, wie Amerika am besten geschützt werden kann.“ „Wir haben den riesigen Berg erklommen. Ich sehe das Tal unten, und es ist ein Tal des Friedens“: Mit solchen auf die Emotionen zielenden Aussagen präsentierte sich US-Präsident Bush am 30. September im ersten „Fernseh-Duell“ gegen seinen Herausforderer Kerry als „sicherer Führer“, während er dessen Kritik am Irakkrieg stereotyp als Schwäche im „Kampf gegen den Terror“ darstellte. Kerrys Hinweisen, daß Irak überhaupt nicht im Zentrum des Problems stand und alle Behauptungen der Bush-Regierung sich als falsch herausgestellt hatten, konnte Bush wenig entgegensetzen. Bezeichnend ist sein Versprecher: „Natürlich sind wir hinter Saddam Hussein, ich meine bin Laden, her.“ [1]

Für die meisten der über 60 Millionen Zuschauer hat Kerry diese Debatte eindeutig „gewonnen“. Ob dies einen Einfluß auf die Wahl am 2. November haben wird, bleibt abzuwarten. Zuletzt hatte Kerry in Umfragen über fünf Prozentpunkte hinter Bush gelegen. Noch Anfang August war das Verhältnis zeitweise umgekehrt – und eine globale Wahl würde Bush ohnehin haushoch verlieren, wie eine Umfage in 35 Staaten ergab.[2]

Kerry hat es jedoch in den ganzen letzten Monaten versäumt, seine Positionen klar darzustellen, und weder die Außen- noch die Innenpolitik zum zentralen Wahlkampf-Thema gemacht. Stattdessen bauschten die Demokraten seinen viermonatigen Einsatz im Vietnamkrieg vor 35 Jahren auf, um dies gegen den „Drückeberger“ Bush auszuspielen. Ein Großteil der Amerikaner weiß nach wie vor nicht, „wofür Kerry steht“. Erst am 21. September formulierte er einen eindeutigen Standpunkt zum mittlerweile 200 Milliarden Dollar teuren Irakkrieg (nachdem UN-Generalsekretär Annan ihn eine Woche zuvor offen als „illegal“ bezeichnet hatte): Die Bush vom Senat erteilte Kriegsvollmacht sei richtig gewesen, um Hussein drohen zu können, was Bush aber mißbraucht habe; er selbst wäre bei heutigem Wissensstand zu irakischen Massenvernichtungswaffen nicht in den Krieg gezogen.

Anhänger, Gegner und die Spitze des Eisberges

Bush hat die USA gespalten wie kein anderer Präsident vor ihm. Noch nie wünschten so viele einen Wechsel, nahmen auch zahllose Schauspieler, Sänger und andere Prominente so eindeutig Partei. Es gibt eine ganze Bewegung „Anything but Bush“. Ende August protestierten vor dem Parteitag der Republikaner in New York über 100.000 Menschen gegen Bush. Warum führte er dann aber bisher in den Umfragen? Wegen der unkar bleibenden Alternative. Bush kann sich auf eine seltsame Mischung aus Patriotismus, naivem Vertrauen, oberflächlichen Gefühlsurteilen und echter „Terror“-Angst verlassen. Eine deutliche Mehrheit insbesondere der protestantischen „Christen“ steht aufgrund seiner religiösen Rhetorik und seiner Ablehnung von Abtreibung, „Homo-Ehe“ oder Stammzell-Forschung hinter Bush. Und vor allem genießt er im Vergleich zu Kerry ein deutlich größeres Vertrauen im „Kampf gegen den Terror“, der den Wahlkampf bisher eindeutig bestimmte.

Vor diesem Hintergrund hatten die vielen Skandale, die Bush schwer belasten, erstaunlich geringe Auswirkungen: Die Folterpraktiken gegenüber irakischen Gefangenen, Michael Moores Erfolgsfilm „Fahrenheit 9/11“, die offene Kritik des langjährigen Terrorismus-Beraters Richard Clarke und die offizielle Untersuchungskommission in bezug auf die Versäumnisse vor und nach dem 11. September, inzwischen über 1.000 tote US-Soldaten seit „Ende“ des Irakkrieges, eine Million verlorene Arbeitsplätze in den letzten vier Jahren, ein Haushaltsdefizit von über 400 Milliarden Dollar allein in diesem Jahr, nicht zuletzt auch das extrem undemokratische und lügenhafte Verhalten der Bush-Regierung.

Gerade dieser letzte Punkt dürfte der Öffentlichkeit nur ansatzweise bekannt sein. Die Lügen, die zum Irakkrieg führten, werden zwar seit dem Frühjahr auch von der New York Times und der Washington Post thematisiert, die mit ihrer erstaunlich unkritischen und patriotischen Berichterstattung diesen Krieg zunächst erst ermöglichten (Bush und Cheney stützten sich sogar auf Artikel von Judith Miller in der „Times“, die wiederum kritiklos deren Behauptungen referierte). Kaum jemand weiß jedoch, wie Bush, Vizepräsident Cheney und ihr engster Umkreis systematisch und mit allen Mitteln die Maximierung von Macht und Einfluß verfolgen.

Die Schilderungen der Hintergründe durch den erfahrenen Publizisten John Dean[3] lesen sich wie ein Kriminalroman – was der Wahrheit offenbar durchaus nahe kommt. Die bekannteren Skandale erscheinen plötzlich als Spitze eines Eisber­ges. Für Dean war die geradezu schi­zophrene Geheimpolitik Nixons in jeder Hinsicht harmloser als die Amts­füh­rung der Bush-Regierung. Wiederholt hat diese bisher öffentlich zugängliche Informationen für „geheim“ erklärt, hat sogar dem Kongreß oder dem Bundesrechnunshof Informationen verweigert, Untersuchungsausschüsse wie den zum 11. September zu verhindern versucht und danach auf verschiedenstem Wege behindert bzw. beeinflußt – und vieles mehr. Der Herausgeber der Wochenzeitschrift „The Nation“, David Corn, hat die grandiosen Lügen Bushs – auch im Hinblick etwa auf seine Steuer-, Umwelt- oder Bildungspolitik – in einem weiteren Buch dokumentiert.[4] Man sollte sich gegenüber der gegenwärtigen US-Regierung keinen Illusionen hingeben.

Fußnoten


[1] Das vollständige Gespräch findet sich unter www.nytimes.com/2004/10/01/politics/campaign/01dtext.html

 

[2] Siehe www.pipa.org. Eine Ausnahme unter den 35 Staaten machen nur Polen, die Philippinen und Nigeria.

 

[3] John Dean: Das Ende der Demokratie. Die Geheimpolitik des George W. Bush. – 2004, Propyläen.

 

[4] David Corn: Die Lügen des George W. Bush. – aktualisierte deutsche Auflage 2004, Heyne. Täglich aktuell: www.bushlies.com.