01.07.2006

Bilder aus vergangenen Leben

Buchbesprechung: Otto Jachmann: Wer träumt von Alkibiades. Bilder aus vergangenen Leben. Möllmann, 2006.

Im Verlag Ch. Möllmann erschien kürzlich nicht nur der „Reinkarnationsroman“ „Die Seerose erblüht“ (siehe Besprechung im „Goetheanum“ Nr. 35/2006), sondern auch ein eindrucksvolles Dokument über die Realität vergangener Erdenleben: Tagebuch-Aufzeichnungen aus dem Nachlaß eines Anthroposophen.


Ein Leben lang hatte er regelmäßig meditiert. Nun war er über 70 Jahre alt. Da wies ihn ein anderer darauf hin, wie er die Aufmerksamkeit auf jene innere Wahrnehmungsebene richten könne, in der auch Erinnerungen auftreten, wobei diese vollkommen hintan­zustellen sind. Und plötzlich standen Bilder vor dem inneren Auge. 

Nach seiner regelmäßigen Morgenmeditation, die mit einer Hinwendung zum Christuswesen endet, öffnet sich der Mann dem, was kommen mag. Und es kommen detailreiche Bilder über das Leben von Menschen in verschiedenen Zeiten. Manche ganz gewöhnlich, andere voller Dramatik, verbunden mit einem Wissen um die Gedanken und Gefühle der Personen. In schlichter Genauigkeit hält der Mann alles im Tagebuch fest.

Zunächst bleibt die Bedeutung der Erlebnisse unverständlich: Ein Leuchtturmwärter. Eine Krypta mit etwa 15 Skulpturen menschlicher Portraits, deutlich „erkennbar“ nur ein antik behelmter Männerkopf und zwei andere. Dann – Monate später – Eindrücke aus dem Leben eines Hirtenjungen, der Arzt wird und am sehr begrenzten Wissen seiner Zeit leiden muß. Am nächsten Tag in einem uralten Tempel vor einem Sarkophag eine Frau, deren Profil den Mann tief bewegt. Zweieinhalb Wochen später ein Kampf zweier Heere, wobei ein Anführer in Gefangenschaft gerät.

Schließlich folgen zum ersten Mal Bilder, die etwas bereits Erlebtes fortführen. Die Frau im Tempel liegt offenbar in tiefem Einweihungsschlaf, wird aber nicht wieder aufwachen. Dann folgen andere Bilder über die verfeindeten Heerführer. Bilder weiterer Leben kommen hinzu. Doch immer mehr Mosaiksteine fügen sich zusammen. Immer klarer wird: Der Mann erlebt sich nicht nur in gewissen handelnden Personen, die Schicksale haben zutiefst mit ihm zu tun und hängen miteinander zusammen.

Die Frau im Einweihungsschlaf starb, weil ein Priester den Schlaftrunk zu stark machte – aus Haß auf einen anderen Priester, dessen Schülerin die Frau war. Dieser andere hatte uneingestanden eine zu große Zuneigung zu seiner Schülerin. Durch ein weiteres Erlebnis muß der Mann diese mit einer Schulkameradin identifizieren, zu der er eine große Zuneigung empfunden hatte.

Schrittweise zeigt sich, daß er nicht nur sich selbst in jenem Priester erkennen muß, sondern auch seine Frau in jenem anderen Priester. Im folgenden Leben entsprechen sich dann die verfeindeten Heerführer. Welch ein Schicksalsknoten! Bald darauf erlebt er die Gegner als Sphärenmenschen zwischen Tod und neuer Geburt. Sie fühlen einander durchdringend und zugleich doch den Gegensatz erlebend. Der „Sieger“ empfindet etwas wie Schuld und den Antrieb, dem anderen künftig Gutes zu bringen, der andere schwankt zwischen Feindseligkeit und einer heimlichen Anerkennung. Es entsteht der Eindruck, daß dieser sich als Frau reinkarnieren und jenem in einer Art Hass-Liebe begegnen wird.

Nach über einem Jahr tritt wieder jener behelmte Männerkopf ins Bewusstsein, dessen Skulptur der Mann ganz zu Beginn wahrgenommen hatte, nun aber zugleich mit dem Namen Alkibiades! Dann folgen Bilder aus dessen Jugendzeit. Eine Woche später steht der „innere Beobachter“ auf einer steilen Anhöhe mit Blick auf eine geschwungene Küstenlinie, hinter sich weiß er hohe Gebäude aus Stein. Völlig ungeplant ergibt sich dem Mann dann eine Reise nach Griechenland, und als er vor dem Parthenon auf der Akropolis steht – bis auf das moderne Häusermeer genau die gleiche Aussicht! Alkibiades aber hatte eine Sklavin aus Melos, der er sehr zugetan war und die ihm aus manchen Gründen in Hass-Liebe verbunden war...

Auf nur 193 Seiten vereinigt das Buch über 60 Innenerlebnisse, die sich größtenteils auf die Spanne etwa eines Jahres konzentrieren. Sie betreffen rund 20 verschiedene Inkarnationen, zuletzt auch eine zukünftige. Sieben Lebensschicksale werden durch vier oder mehr Eindrücke erhellt. Zu Bildern aus frühen bis sehr frühen Zeiten gehören das übersinnliche Erleben eines ägyptischen Priesters vor dem Standbild des Falkengottes Horus oder das eines „Neandertaler“-Priesters beim Schafsopfer an einem Dolmentor: „Es ist, wie wenn aus dem Blut ein Ätherschein aufsteigt und von den Sonnenstrahlen wie aufgesogen wird. Dies beobachten die Männer schweigend und mit vollständiger Andacht und Hingabe.“

Den Abschluß des Buches bilden Imaginationen, die der Mann zu den Zeiten von Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt und Michaeli hatte. Hier bestätigt sich eindrücklich, daß er dem Christus-Impuls zutiefst verbunden war. Allein schon über die bewegende Imagination der Michaeli-Zeit kann viel nachgedacht und meditiert werden.

Am Rande einer Tagebuchseite notierte der Mann: „Warum nicht die Sammlung unter dem Titel ‚Wer träumt von Alkibiades?‘ herausgeben?“ Dies geschah nun nach seinem Tode. Der Titel jedoch ist irreführend. Denn die Erlebnisse sind einem wachen Bewusstsein und meditativ gesteigerter Konzentration zu verdanken.