23.02.2008

Judith von Halle – eine Stilfrage?

Meine Korrespondenz mit einem Goetheanum-Redakteur nach dessen Ablehnung meiner >> Buchbesprechung von „Stigmata und Geist-Erkenntnis. Judith von Halle versus Rudolf Steiner“. [Überschriften eingefügt].


21.02.08 schrieb er: 

[...] In Ihrem Engagement für die Sache ist der Stil des Textes zu einem Aufruf (um nicht zu sagen Pamphlet) gegen Judith von Halle geraten. Und es ist doch klar, dass wir allein deshalb aus stilistischen (und damit auch redaktionellen) das nicht bringen wollen und können.

Aber: Woran wir sehr wohl interessiert sind, ist eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Und da haben Sie einige Punkte angesprochen, die ja durchaus noch Aufklärungs- und Forschungsbedarf zeigen mögen. Und wenn Sie da mithelfen möchten, daran zu arbeiten, da zu einer sachlich geführten, inhaltlichen Diskussion beizutragen (deren Ergebnis aber noch offen ist), so sind wir dafür durchaus offen.

In der Hoffnung auf Ihr Verständnis und mit bestem Grusse

23.02.08 antwortete ich:

Rückzug in den Intellekt?

Ja, da sind wir wieder bei der alten Frage, die Ihren Kollegen und mich schon jahrelang beschäftigt: Welchen Stil darf ein Beitrag haben und welchen nicht? Ich verstehe den Standpunkt Ihrer Einwände, bin aber nach wie vor überzeugt, dass ein aus der Anthroposophie heraus geschriebener Beitrag einen ganz anderen Stil haben muss, als es die journalistische Schule vorschreibt. Vielleicht sollte ich wirklich einmal versuchen, diese „Meta-Frage“ in einem eigenen Aufsatz zu behandeln. Ich bin wirklich der Überzeugung, dass Anthroposophie in manchen Fragen nicht sachlich im herkömmlichen Sprachgebrauch sein kann, denn es geht immer um den ganzen Menschen, Sachlichkeit hat aber immer eine stark antipathische Gebärde. Sie wird dann eine reine Sache des Intellekts und darf nicht mit Objektivität verwechselt werden.

Meiner Ansicht nach hat Mieke Mosmuller in ihrem Buch die sich gegenüber Judith von Halle ergebenden Fragen („Aufklärungsbedarf“) aufgeworfen und auch sehr detailliert beantwortet. Wenn aber die Dinge nicht so klar gesagt werden dürfen, dann ziehe ich mich also in den kalten Intellekt zurück, verberge so gut es geht das, was ich selbst anhand der Studie von Mieke Mosmuller erleben konnte, und stelle eine sehr sachliche Rezension in den Raum – vorschriftsmäßig mit sachlichem Stil, Konjunktiven und so weiter.

Das Ergebnis der „inhaltlichen Diskussion“ ist für mich dadurch keineswegs verändert. Auf der anderen Seite verstehe ich nicht, wieso das „Ergebnis der Diskussion“ durch meinen ursprünglichen Beitrag nicht mehr offen gewesen sein sollte – wenn darauf eine Erwiderung möglich gewesen wäre, hätte sie ebenso abgedruckt werden können. Man hätte dann eben mit geistig „schärferen (geschärften) Waffen“ agiert. So bleibt man einfach „politisch korrekt“, Ansichten gehen hin und her, schön brav gesittet-sachlich formuliert, man weiß ja, was sich gehört. In dieser intellektuellen Sprache kann man übrigens wunderbar alles beweisen. Am Ende hat jeder ganz wie im Parlament (natürlich noch sachlicher) etwas gesagt, doch wo die Wahrheit liegt, weiß man dann immer noch nicht. Und selbst wenn man es ahnt – sie ist ja erfolgreich abgetötet worden. Oder hatten Sie an einem intellektuellen (d.h. sachlichen) Text schon einmal ein ganz-menschliches Erleben?

Ich verstehe natürlich die Furcht oder auch die innerliche Weigerung, einen „Aufruf gegen Judith von Halle“ zu drucken. Man will ja niemandem zu nahe treten – und gerade in „unseren Kreisen“ ist das „Immer nett zueinander zu sein“ ja überhaupt oft ein Zeichen dafür, ob jemand das innere Seelengleichgewicht hat oder nicht... Schnell ist dann selbst die Frage nach der Wahrheit weniger wichtig... Denn: Was wäre, wenn es hier tatsächlich um die Frage geht, ob nicht ein ganz zentraler Widerspruch zwischen dem Wesen der Anthroposophie und den Darstellungen Judith von Halles existiert? Sie wünschen sich nun eine „sachliche Diskussion“. In deren Verlauf könnte sich dann ergeben, dass es da tatsächlich Merkwürdigkeiten gibt. Man würde auf ganz „korrektem“ Wege dazu kommen, dass beides offenbar wohl nicht 100%ig miteinander vereinbar ist. Man hätte in der sachlichen Diskussion dann festgestellt, dass zentrale Dinge in den Büchern Judith von Halles durchaus fragwürdig sind – aber vielleicht doch nicht, denn die andere Seite hat ja vielleicht auch schöne sachliche Argumente gehabt... Man kann doch wohl jeden respektieren...? Wie auch immer diese sachliche Diskussion ausgeht: Was man auf jeden Fall verloren hat, ist die Anthroposophie. Schon in dem ersten Moment, wo es sachlich bleibt.

Plausibilität als Wahrheitsersatz?

Wenn man „journalistisch“ sachlich, abwägend, konjunktivisch bleibt, ist das ein Eingeständnis, dass die Wahrheit ohnehin nicht zu finden ist – jedenfalls nicht „für mich“. Man kann sich dann nur im Rahmen eines Diskurses bewegen, wo vielleicht gewisse Argumentationsführungen mehr Plausibilität haben als andere – aber vielleicht liegt das nur daran, dass der eine besser schreiben kann...? Oder soll der Leser anhand der einzelnen „Argumente“ wirklich zu einem Erleben der Wahrheit kommen? Wenn das Ihr Anspruch wäre, warum dürfen die Beiträge dann nicht aus dem Wahrheitserleben heraus geschrieben sein? Man kommt aber durch sachlichen Stil überhaupt nie zur Wahrheit – allenfalls zu einem abstrakten Plausibilitäts-Erlebnis. Mit Anthroposophie hat das nichts mehr zu tun. Das ist die Tragik „anthroposophischer“ Journalistik – man betreibt wenn überhaupt nur Anthroposopho-logie. Der Theologe mag innerlich vielleicht noch etwas religiös sein, sein Beruf hat mit Religion nichts zu tun, nur mit ihrer Abtötung. Auch da kann man wunderbar über Religion sprechen, diskutieren, Fragen ergründen und meinen, man wäre mittendrin – aber wer da meint, ist eben wiederum nur der Intellekt, der gar nicht merkt, dass der ganze Mensch völlig fehlt.

So kann ich nur hoffen, dass möglichst einige Menschen das reale Buch von Mieke Mosmuller in die Hand nehmen und über das Sachliche hinweg zum Objektiven und real geistig Erlebbaren fortschreiten.

P.S.: Noch von einem anderen Aspekt zur Wahrheits- und Stilfrage gesagt: Ich bin von der Wahrheit dessen überzeugt, was ich in meinem ursprünglichen Aufsatz geschrieben habe. Ich verlange nicht, dass andere dies genauso sehen, sie sollen vielmehr diese Fragen selbst erlebend prüfen. Was ich mir aber wünschte, wäre, dass ein jeder aus seinem Wahrheitserleben heraus schreiben dürfte – und sich nicht verleugnen müsste, um „sachlich“ zu bleiben und vielleicht auch andere nicht durch seinen Stil zu beeinflussen. Was ist das für ein Menschenbild, wenn man Angst haben muss, dass etwas aus einem wirklichen Erleben heraus Geschriebenes den Leser in seiner Wahrheitssuche unzulässig hindern könnte? Selbst ein „Pamphlet“ gegen Judith von Halle würde sie oder ihre Anhänger oder wen auch immer nicht daran hindern, darauf zu erwidern! Dann hätte man einen wirklichen Geisteskampf, in dem die Wahrheit vielleicht aufscheinen könnte. Wenn ich allerdings als Leser schön sachlich geführte Dispute lese, kann ich mir nur sagen: Von der Wahrheit haben alle beide keine Ahnung! Man glaubt, um die Wahrheit zu ringen (eben in „politisch korrekter“ Weise) – und Ahriman triumphiert. Denn die Wahrheit kann nicht nach Plausibilitätsgefühl (wer hat die besten Argumente) bewiesen werden, sondern sie muss in vollem Erkennen erlebt werden. Etwas Sachliches aber kann nicht erlebt werden – höchstens sein totes Wesen. Wer wirklich um die Anthroposophie ringt, weiß das – und wendet sich ab. Man wird nun anhand der sachlichen Rezension glauben, das Buch von Mieke Mosmuller sei ebenso tot. Ich kann nur hoffen, dass einige Leser ahnen werden, dass dieser Stil allein den journalistischen Auflagen zu „danken“ ist und mit dem Buch nichts zu tun hat...

31.03.08 fragte ich nach: 

Nachdem Sie meine erste Rezension über das Buch über Judith von Halle und Rudolf Steiner kritisiert bzw. zensiert haben, hatte ich Ihnen am 23.2. eine ausführliche Antwort und eine zweite Version geschickt. Gerne hätte ich nun nach fünf Wochen Ihre Antwort auf beides.

31.03.08 bekam ich Antwort:

1. Von Zensur kann keine Rede sein.

2. Die ausführliche Antwort habe ich zur Kenntnis genommen.

3. Leider habe ich den Anhang Ihrer neuen Version tatsächlich übersehen und erst gegen Ende der vergangenen Woche zur Kenntnis genommen, wofür ich aufrichtig um Entschuldigung bitte. Diesen Text finde ich viel besser. Da ist Ihnen ein beachtenswerter Schritt gelungen! Vielen Dank dafür!

4. Wir haben selbstständig einen Rezensenten angefragt. Wir wollen diese Rezension noch abwarten ... Vielleicht bringen wir dieselbe dann zusammen mit der Ihrigen ...

31.03.08 ... und schrieb zurück:

Vielen Dank für Ihre Antwort. Es war mir klar, dass Sie den zweiten Text viel besser finden. Allerdings gehört meine ausführliche Antwort ja dazu und beinhaltet die Frage an Sie, wie Sie zu dem darin Gesagten Stellung nehmen. Auf diese Antwort von Ihnen warte ich also noch. Es sind hier zentrale Fragen berührt, denn nach meiner Überzeugung - und das werden Sie meiner Antwort ja entnommen haben - ist meine zweite Version nicht mehr anthroposophisch! In meiner Antwort war die Frage aufgeworfen, was anthroposophisches Schreiben ausmacht und welche Kriterien Sie dem zugrunde legen. Erst wenn diese Fragen wirklich geklärt werden könnten, wäre auch die Zensurfrage beantwortet...

10.04.08 fragte ich nach: 

Heute möchte ich gerne noch einmal nachfragen, wann ich mit Ihrer Antwort rechnen darf?

11.04.08 ... und bekam die Antwort:

Haben Sie Dank für die Erinnerung ... und wie sie eben an meiner bislang ausgebliebenen Antwort gemerkt haben: ich komme zurzeit einfach nicht dazu, mich Ihrem Anliegen zu widmen ... aber ein Vorschlag: Wenn Sie mal wieder in Dornach sind, dann sollten wir uns zu einem Kaffee und Gipfel verabreden und dann von Mensch zu Mensch darüber reden ... würde mich freuen, wenn so was klappen würde ... Was meinen Sie?

13.04.08 schrieb ich: 

Zweierlei Maß?

Danke für Ihre Antwort. Sicher ist es gut, wenn wir uns irgendwann auch einmal persönlich begegnen und über diese Frage sprechen. Ich bin mir aber gar nicht sicher, ob dadurch irgendetwas geklärt werden kann. Auf jeden Fall bedarf dies eines Vorlaufes. Sie werden gemerkt haben, dass ich die Fragen, die Sie als „mein“ Anliegen bezeichnen, für ganz entscheidend halte, wenn man überhaupt den Anspruch hat, anthroposophisch zu schreiben. Selbst wenn Sie in dieser Frage andere Ansichten haben, handelt es sich also nicht um irgendeine Frage und auch nicht allein um meine Frage. Ich erwarte schon, dass Sie angesichts meiner Kritik irgendwann im April, Mai die Zeit finden, darauf einzugehen – so dass für mich Ihr Standpunkt, Ihr Verständnis dieser Frage usw. ebenfalls verständlich wird.

Um die Frage noch einmal auf den Punkt zu bringen: Warum darf Judith von Halle schreiben, was Sie will (und offenbar erlebt), und zwar nicht nur in ihren eigenen Büchern, sondern auch im Goetheanum (z.B. den Epiphanias-Artikel, der ganz im Offenbarungsstil daher kommt, an den ich aber viele Fragen habe) – und warum darf ich als Autor nicht schreiben, was ich klar und eindeutig erlebt habe? Warum enthalten Sie sich im einen Fall des Urteils und fällen im anderen das Urteil: „unzulässig“? Welches Kriterium haben Sie an meinen Beitrag angelegt, wenn Sie zu dem Urteil „Pamphlet“ kommen? Halten Sie das dort Gesagte für eine subjektive Meinung? Oder darf in einem „öffentlichen Organ“ überhaupt nicht klar und scharf gesprochen werden, wenn es sich gegen eine andere Person bzw. ihre Bücher richtet?

Warum darf erst der Leser ganzmenschlich sein Urteil bilden, aber der Autor nicht ganzmenschlich schreiben? Warum muss er sein Urteil zurückhalten (Konjunktive, „sachlich“ usw.), als ob er gar kein wirkliches Urteil hätte, höchstens Tendenzen? Sind wir im „Diskurs“ angekommen? Und was hieße das? Jeder darf alles sagen, aber sobald es öffentlich wird, im Grunde doch nur mit Maulkorb, blutleer, abwägend, „offen lassend“ – um nur ja nicht ... ja, was eigentlich? Den Leser zu beeinflussen? Jemandem zu nahe zu treten? Oder was genau? Wo bleibt das freie Geistesleben? Ich meine keinesfalls subjektive Empfindungen, sondern klare, durch bewusstes Durchleben erlangte Überzeugungen – eben durchaus einen Geisteskampf, in dem es um Wahrheit geht. Und zwar nicht nur für den Leser, der sich unter den brav „diskursierten“, entschärften, sachlichen Darstellungen eine aussuchen darf, sondern auch für den Autor. Der Autor muss wahrhaftig sein dürfen!

Was ist Anthroposophie? Das Erleben des Geistes, und zwar konkret. Wenn es für mich evident geworden ist, wie die Schilderungen Judith von Halles zu beurteilen sind, dann ist es eine Lüge und Unwahrhaftigkeit, „sachlich“, „offen lassend“ und „abwägend“ zu schreiben. Wie können Sie einen solchen „Stil“ dann zur verlangten Norm machen?

10.06.08 schrieb ich:

Ich muss ja nun leider davon ausgehen, dass Sie für eine Antwort auf meine Frage tatsächlich keine Zeit finden wollen. Dennoch möchte ich nachfragen, wie es um die zweite Version meiner Rezension des Buches über Judith von Halle steht, die ich im Februar schickte. Im März schrieben Sie, sie hätten sich noch um einen zweiten Rezensenten gekümmert und würden dann vielleicht beide Rezensionen drucken. Gibt es hier irgendeine Entwicklung?

21.07.08 fragte ich nochmals nach – das Ganze blieb ohne Antwort.