05.03.2008

Mission Irreführung

Buchkritik: Sebastian Gronbach: Missionen. Freies Geistesleben, 2008.

Diese Buchbesprechung wurde zugunsten einer anderen Rezension vom „Goetheanum“ abgelehnt. Daraufhin schrieb ich einen >> Leserbrief.


„Missionen“ – ein Buch von Info3-Redakteur Sebastian Gronbach. Was erwartet man da als Leser, was darf man erwarten? Gronbach spielt in den ersten Absätzen selbst mit seinem Ruf: „Vielleicht ist es die Erwar­tung der Bestätigung, dass der Gronbach wirklich so flach, frisch, eingebildet oder unterhaltsam ist.“

Um es vorwegzunehmen: Gronbachs Buch erscheint an manchen Stellen auf den ersten Blick tatsächlich „mutig“ und „authentisch“, bei genauerem Lesen jedoch auch hier hoch-mütig und narzistisch. Schon der Klappentext ist peinlich: „Wir haben uns daran gewöhnt, dass Spiritualität sanft, ganzheitlich und tolerant ist. Sebastian Gronbach tritt anders auf. Direkt, manchmal auch einseitig und verletzend. Er hat gute Gründe für seine Provokationen und stellt sich als Anthroposoph mitten in die Zeit und verkündet fröhlich und authentisch ein anderes Verhältnis zur Spiritualität. [...] und erzählt von seinen Schatten, seinem Leuchten und: von seiner Mission – weil er will, dass auch die Leserinnen und Leser zu ihrer Misson finden. Weil er sich danach sehnt, dass sich Missionen vereinen.“

Zu Beginn gesteht Gronbach scheinbar demütig seine in bezug auf das entstehende Buch „existenzielle Unsicherheit, die damit zu tun hat, dass ich mich nicht sehen kann, wenn andere mich nicht spiegeln.“ Gleich darauf erwähnt er seine „sehnsuchtsvolle Hoffnung auf Ruhm und Geld“ und die „Hoffnung, Ihnen etwas geben zu könen, was Sie nur von mir bekommen können“. Zeile für Zeile atmet einen Selbstgenuss, den man auch durch die Lackschicht der „Authentizität“ hindurch erleben kann.

Gronbach schreibt über dunkle Seiten und Schatten, auch seine eigenen – über seine Geltungssucht oder sein „Gefühl, alle Welt müsse mir, allein für meine unendliche Liebe, ewig dank­bar sein“. Bei seiner ständigen Betonung von Authentizität und Glaubwürdigkeit übersieht er ganz, dass Authentizität nichts mit Wahrheit zu tun hat. Immerhin gibt er zu: „Wir begehen nicht nur Irrtümer, wir erkennen im Moment der klarsten Selbsterkenntnis, dass unser Ego, dass wir der Irrtum sind.“ Doch in seiner folgenden Unterscheidung zwischen Grundlegendem (Leib, Instinkte, Emotionen etc.) und Bedeutsamem (die spirituelle Ebene) setzt er ersteres im Grunde gleich mit dem Ego und übersieht völlig, wie sehr dieses Ego in die spirituelle Ebene mitgenommen werden kann und von ihm durch das ganze Buch mitgenommen wird!

Um das Ego zu überwinden, muss man bereits seine leiblichen Wurzeln verwandeln, doch darum geht es Gronbach gerade nicht: „Der Geistschüler hat kei­ne Angst vor animalischem Sex, er meidet ihn nicht furchtsam, er überhöht ihn nicht, sondern er hat ihn einfach ‑ das war‘s.“ Seine Begründung liefert er gleich hinterher: „Weil ich Anthroposoph bin, will ich ‚Ja‘ zum puren Le­ben sagen [...]; wenn ich auf­höre, mit aller Kraft auf meinem Ego zu surfen, dann gehe ich im Ego unter.“

Man reibt sich die Augen, doch es kommt noch schlimmer. Gronbach nennt sich nicht nur Anthroposoph und „ein Fan von Rudolf Steiner“ (den er jovial auch einfach Rudolf nennt), sondern stellt sich gar als einen der wenigen dar, die Rudolf Steiner wirklich verstanden hätten!

Geschickt vertritt er die vom Info3-Kreis gepflegte und verbreitete Vorstellung, die Anthroposophie führe zum All-Eins-Erleben eines kosmischen Bewusstseins, und Michael, Christus und andere Wesen seien heute unbrauchbare Symbole, die Steiner seinerzeit benutzt habe, um Menschen zu diesem Erleben zu führen: „Steiners geniale und poetische Beschrei­bungen spezifischer Formen und Zustände der menschlichen Innenwelt [...] um komplizierte menschliche Ideen in eine populäre Form zu gießen.“ Jedoch: „Die ideelle Software hat sich in den Jahrzehnten immer wie­der upgedatet, ist von verschiedensten Menschen in ihren Syste­men verwendet worden, aber die Hardware kommt immer noch in einer Gestalt daher, die außerhalb einer anthroposophischen Hardcore‑Szene keinerlei Marktchancen hat.“

Dann kommt er auf die „wirkliche Spiritualität“ zu sprechen. Auf Seite 180 schildert er seine „Erleuchtung“ beim Lesen eines Textes von Ken Wilber am Computer-Bildschirm. Es gehe um das Erleben des EINEN, das Aufgehen seiner selbst im SELBST. Dort sei man miteinander verbunden: „In diesem MAN‑BEWUSSTSEIN sehen wir uns als das EINE gegenseitig beim Schreiben und Lesen zu.“ Und natürlich ist am Ende alles ganz einfach: „Erleuchtung ist ein kosmisches Aha‑Erlebnis, und es ist wie bei jedem Aha‑Erlebnis: Man fragt sich danach, warum man nicht gleich darauf gekommen ist.“

Und nun erzählt Gronbach, wie das angesammelte tote Holz anthroposophischer Begriffe in ihm verbrannt sei: „‚Der Christus‘ verbrannte und es blieb: ‚Ich bin‘ [...], das einzige und ein­fachste Gefühl, was ich jemals gefühlt hatte.“ In Wirklichkeit sei Jesus einfach der erste Mensch, der „sein Ego zu 100 Prozent durch das ewige und authen­tische Selbst ausgetauscht“ hatte und „in dem und durch den die IDEE auf der Erde präsent wird.“. Gronbach wettert gegen das faule, kleinmütige Ego, das ‚den Christus‘ wie ein goldenes Kalb umtanzt, aber er merkt nicht, dass sein Ego sich heimlich zum „SELBST“ vergöttert hat.

Am Ende steht dann der folgende Ausblick: „Das höhere Selbst der Menschen schafft an der goldenen Sonne, am Mega‑SELBST der MENSCHHEIT und je mächtiger dieses Mega‑SELBST wird, desto größer wird seine positiv‑inspi­rierende Wirkung auf das Einzel‑Selbst des Menschen.“ Im Grunde ist die „Menschheit“ hier eine Art Gruppenseele – eine bizarre, suggestive Vorstellung bzw. (beim Namen genannt) eine ahrimanische Einweihung: „Es ist der eine GEIST, der sich im Menschen in milliardenfacher Form individuell inkarniert, und dieser GEIST hat die Erfahrungen, Errungenschaften und Erkenntnisse aller vorhe­rigen inkarnierten Individuen in sein Bewusstsein integriert. Es ist darum keinesfalls seltsam, wenn sich Menschen an andere und an viele andere Leben erinnern, denn sie alle sind Ausstül­pungen des einen integralen Bewusstsein und haben so als Teil­system den Zugriff auf den Hauptrechner.“

Deutlicher kann man die dem individuell Geistigen feindliche Vorstellung, die sich im heutigen New-Age-Arabismus rasant ausbreitet, nicht formulieren. Trotz aller großgeschriebenen „Geist“-Worte: Geist wird hier nicht (individuell) erlebt, er wird geleugnet. Anthroposophie ist etwas grundlegend anderes als eine All-Eins-Super-Maximal-Bewusstseins-Erleuchtung vor dem Bildschirm. Gronbachs Mission ist höchst bedeutsam – sie bedeutet den Untergang der Anthroposophie. Dass deren wahres Wesen heute immer weniger verstanden wird, macht die wirkliche Tragik aus und lässt um die wahre Entwicklung des Menschen bangen.

Leserbrief zur Rezension des Buches „Missionen“ im Goetheanum Nr. 24, veröffentlicht im „Goetheanum“ vom 20.6.2008 (Nr. 25).


Frau Dehmelt fragt Sebastian Gronbach, ob er wirklich meint, dass es alles, was „ein Anthroposoph für Wesen hält“, gar nicht gebe. „Ja, das meinst du wohl“. Es ist bezeichnend, dass man fast nicht glauben kann, dass Gronbach das tatsächlich meint und behauptet – aber so ist es. Insofern ist es nur folgerichtig, wenn sie später klar darauf hinweist, dass Gronbach die absolute Natur des Denkens völlig aus dem Auge verliert und eine „eingedampfte Neo-Anthroposophie“ vertritt, bei der der eigentliche Gehalt („das Mysterium“) „zwischen den Fingern zerronnen“ ist.

Wie aber kann sie dann noch behaupten, dass von der Lektüre des Buches „ein gewaltiger Modernisierungsschub“ ausgeht? Es mag sein, dass die meisten „Anthroposophen“ sich mit der Vorstellung von „Michael“, „Christus“ usw. begnügen, ohne sich jemals durch einen fortwährenden inneren Schulungsweg den realen Wesenheiten zu nähern. Solche „Anthroposophen“ werden aber auch durch einen Gronbach nicht aufwachen.

Wer jedoch nicht so naiv ist, Bild und Wesen gleichzusetzen, kann auch erkennen, was Gronbachs von „authentischer“ Nabelschau geprägte „Entmythologisierung“ der Anthroposophie wirklich ist: Er setzt an deren Stelle – ganz im Sinne von Ken Wilber – eine Art ahrimanische Erleuchtung: Der Mensch als Ausstülpung eines gruppenseelenhaften Einheits-Geistes. Das ist purer New-Age-Arabismus und reinste Anti-Anthroposophie.