20.06.2008

„Das Goetheanum“ – die zensierte Wochenschrift

oder: Vom erfolgreichen Abtöten der realen Anthroposophie

„Das Goetheanum“ – eine anthroposophische Wochenschrift? Eher das Gegenteil. Unter dem Hinweis auf die „Stilfrage“ werden Beiträge zensiert oder zurückgewiesen, die sich gerade mit den wesentlichsten Fragen der Anthroposophie beschäftigen. Ein Erlebnisbericht.


Kürzlich schrieb ich drei Aufsätze, die ich an „Das Goetheanum“ schickte. Ein Aufsatz behandelte das Buch einer niederländischen Anthroposophin, die sich mit den Werken von Judith von Halle auseinandersetzte und deren Unvereinbarkeit mit der Anthroposophie eindeutig nachwies. Nachdem dieser Aufsatz als „Pamphlet“ hingestellt und abgelehnt worden war, schrieb ich einen grundlegenden Aufsatz zur Frage „Journalismus und Anthroposophie“, der ebenfalls abgelehnt wurde. Ein dritter Aufsatz, der sich in aller Deutlichkeit gegen die „infoseiten anthroposophie“ wandte, in der der Nicht-Anthroposoph und Filmemacher Herr Sünner lang und breit seine Sicht auf die Anthroposophie äußerte, wurde gleichermaßen zurückgewiesen. 

„Zu scharf, ganz einfach“

Der betreffende „Goetheanum“-Redakteur schrieb mir in diesem Zusammenhang:

„[...] Deine derzeitigen Texte sind für das "Goetheanum" zu scharf, ganz einfach. Sie lesen sich wie Kampfschriften, unversöhnlich, hart und – eben – scharf. Dogmatisch kommt mir noch. [...] Das ist nicht unser Stil, das passt nicht ins "Goetheanum". [...] Was nicht heißt, dass wir die Fragen, die Dich bewegen, nicht ernst nehmen. Aber wie Du sie aufwirfst, wie Du sie anderen Leserinnen und Lesern hinwerfen willst – das ist für uns der Punkt, der "Vorwurf". [...]

Deinen Text zum anthroposophischen Journalismus wollen wir, Dein Anliegen in allen Ehren, so nicht bringen (für die Gründe siehe oben). Und Dein Text zu den Infoseiten: Auch ihn werden wir so nicht bringen. Wir nehmen aber ihn und noch ein paar andere Zuschriften zu diesem "Politikum" zum Anlass, in einer der nächsten Nummern eine Redaktionsspalte dazu zu bringen [...]“

Ich muss gestehen, dass es mich irgendwie schmerzt, dass wir nach fünf Jahren immer noch an Punkten solcher Art herumdoktern. Ich hatte gedacht, gehofft, das sei passé. [...]“

 

Ich antwortete ihm darauf:


[...] Nun, dazu kann ich dann nicht mehr viel weiter sagen. Ich habe allerdings die Frage, ob und wie Du mein Anliegen verstanden hast. [...] Hatte ich bei den mehr sachlichen, politisch-sozialen Aufsätzen Deinen Standpunkt lange Zeit noch in gewisser Hinsicht nachvollziehen können, dass es zum Teil auch gut ist, wenn „Fakten“ und „Meinung“ („äußere“ Realitäten und meine Überzeugungen) getrennt werden, so habe ich immer mehr gemerkt, dass es nicht wahr ist, um so mehr, je mehr man sich der eigentlichen Anthroposophie nähert. [...] 

Es klingt so, als könntest Du, könntet „Ihr“ die Stilfrage geradezu losgelöst von der Frage nach der Anthroposophie behandeln. [...] Und wo bleibt für Dich die Anthroposophie? Meine Aufsätze sind gerade deshalb so scharf, weil es mir gerade um diese Frage geht.

Ich habe jetzt den deutlichen Eindruck gewonnen, als verdecke diese Vorstellung von journalistischen Standards den Blick auf das Wesen der Anthroposophie. Schon immer. Das heißt: Ihr kommt aus dem Journalismus und habt die dort gewonnenen Vorstellungen verabsolutiert.

Es ist offenbar ein unfass-barer Gedanke, dass diese Standards für die Anthroposophie gar nicht gelten können, gelten dürfen. Genau dies habe ich in meinem Aufsatz so klar wie möglich auszudrücken versucht. Die Schärfe kommt daher, dass das nicht erkannt wird. Dass Aufsätze abgelehnt werden, weil man nicht auf die Wahrheit schaut, sondern auf den Stil, über dessen Wie-er-zu-sein-hat man sich feste Urteile gebildet hat. Und nun werden selbst Aufsätze abgelehnt, die dies einmal grundsätzlich hinterfragen – dann selbstverständlich in einem Stil, der mit „Konsensbildung“ und „Versöhnlichkeit“ nichts zu tun hat, denn es geht um die wirklich entscheidende Frage nach dem Wesen der Anthroposophie. Wenn man sich auch da aller Schärfe enthalten soll, dann fehlen mir die Worte. –

Journalismus statt Anthroposophie

– Nun, es sieht tatsächlich so aus, als seid „Ihr“ „das Goetheanum“, bestimmt jedenfalls, was gedruckt wird, wie der Stil zu sein hat und so weiter – im Endeffekt auch, was Anthroposophie ist. Denn sehr viele Menschen glauben tatsächlich noch, dass das, was im „Goetheanum“ veröffentlicht wird, ein gewichtiger Spiegel der Anthroposophie und der anthroposophischen Bewegung ist. Es gibt aber immer mehr Menschen, die über den Verlust des realen anthroposophischen Wesens im „Goetheanum“ entsetzt sind und nur noch ein müdes Lächeln übrig haben, wenn es um die jeweils neueste Ausgabe geht. [...] Also das „Goetheanum“ ist leider längst nicht mehr ein Organ der lebendigen Anthroposophie. Dazu müssten die Menschen, die es machen, selbst tief in der Anthroposophie drinnenstehen. Das tun sie nicht. Sie stehen im Journalismus drin. Der ist aber der Feind des anthroposophischen Denkens, Empfindens, Erlebens und Schreibens.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich auch wieder an Worte von Dir zu Deinem Verhältnis zu Rudolf Steiner. Du sagtest, Du hättest Schwierigkeiten mit „autoritären“ Behauptungen nach dem Motto „so ist es“. Das heißt, Steiner hätte wohl schweigen sollen oder behaupten sollen, das alles sei seine subjektive Schauung gewesen, oder was hätte er tun sollen? Ich bin wirklich ratlos. Steiner hat unzählige Male den Erkenntnisweg der Anthroposophie geschildert und unendliche Schilderungen von den Erkenntnissen gegeben, die man letztlich auf diesem Wege gewinnt. Wenn man damit „Schwierigkeiten“ hat, dann ist man doch kein Anthroposoph? Wie kann man dann aber Redakteur einer Wochenschrift für Anthroposophie sein?

Wem es mit der Anthroposophie ernst ist, wer also nicht nur von der durch sie möglichen Weltanschauung bereichert wird, sondern auch ihr selbst gegenüber eine Verantwortung empfindet, der wendet sich ab von einem Blatt, wo die Anthroposophie in ihrer Realität nicht zu finden ist.

Das Ganze hat wirklich ganz den Charakter der Theologie oder auch der heutigen „Philosophie“ angenommen. Man redet über etwas, aber dieses Etwas ist gar nicht mehr da. Man benutzt die ganze Terminologie, hat vielleicht sogar noch gewisse Anklänge scheinbar heiliger Gefühle, aber es ist nur eine Hülle, eine Schale, eine Illusion, eine Lüge.

Dann sind natürlich auch die neuesten „infoseiten“ nur ein „Politikum“, man versteht eigentlich gar nicht, worüber sich einige Leute so aufregen, aber die Gemüter werden sich sicher auch schon wieder beruhigen. Ja, das werden sie in gewisser Hinsicht. Die einen werden sich an das Lügengebilde gewöhnen, was immer mehr unter dem Namen „Anthroposophie“ verkauft wird, die anderen werden immer stärker erkennen, dass hier nichts mehr zu retten ist... [...]“

Qualitätsstandards statt Wahrhaftigkeit

Auch andere Autoren können von zurückgewiesenen Beiträgen, unabgesprochenen Streichungen oder ganz ausbleibenden Reaktionen seitens der „Goetheanum“-Redaktion berichten. Wenn man sich in die konkreten Tatsachen hineinerlebt, kann man nur sagen: Das ist eine Zensur, deren Wesen sich die Redakteure offenbar nicht mal bewusst sind. Sie merken nicht, was sie damit real tun!

Erst nachträglich stieß ich nun auf die „Grundsätze“ der Redaktion. Auf der Homepage www.dasgoetheanum.ch ist unter „Über uns“ unter „Qualitätskonzept“ wortwörtlich vom „gesichtswahrenden Stil bei Auseinandersetzungen“ zu lesen... Nun steht es da also schwarz auf weiß, dass das Subjektiv-Persönliche wichtiger ist als die Frage nach der Wahrheit. Jeder darf in wohltönenden, schein-anthroposophischen Aufsätzen Abstraktheiten, Halbheiten oder gar Lügen in die Welt setzen – aber wer widersprechen will, darf allenfalls in wohlgesetzten Worten nett und freundlich „sein Eigenes danebensetzen“. Scharfe Kritik? Abgelehnt, siehe Paragraf 4... Dass es im Geistesleben zunächst um nichts als die Wahrheit geht und dass da wahre Geisteskämpfe auszutragen sind, das wusste Rudolf Steiner sehr genau – die „Goetheanum“-Redaktion weiß es besser...

Und das ist der eigentliche Punkt: Das Verständnis ist einfach nicht da. Zwei Haupt-Redakteure zum Beispiel kommen aus dem Journalismus und sind im Grunde dort geblieben. Einer von ihnen sagte mir wie erwähnt persönlich, dass er mit Rudolf Steiners Art Schwierigkeiten hat!


Mit solch einer Einstellung und solchen „Qualitätsgrundsätzen“ ist es natürlich nicht verwunderlich, dass ein scharfer Aufsatz kurzerhand zum „Pamphlet“ erklärt und aufgrund dessen zurückgewiesen wird. Man spricht dann auch von Polemik oder vielleicht sogar Dogmatismus. Dabei geht es um etwas ganz anderes. Man kann es mit Wahrhaftigkeit und Enthusiasmus bezeichnen, und genau das hat Rudolf Steiner immer wieder als zentrale Voraussetzungen betont, um wirklich zur realen Anthroposophie zu kommen und nicht nur zu ihrem intellektuellen Schatten. Man erlebe zum Beispiel einmal folgende zwei Zitate Rudolf Steiners innerlich mit:

„Denn je weniger wir uns den Illusionen hingeben, desto mehr wird der Elan in uns Platz greifen, [...] aufzuwachen gegenüber dem Schlafzustand, der die heutigen Menschen so tief befangen hat. Und da kann nichts anderes helfen, als die Möglichkeit, die energischeren Gedanken, die eindringlicheren Gedanken zu fassen, die in der Geisteswissenschaft gegeben sind gegenüber den schwachen, lässigen, gelähmten Gedanken, die heute in der offiziellen Wissenschaft, im offiziellen Wissenschaftsbetrieb vorhanden sind.“ (GA 189, S. 72).

„[Der] ‚gute Wille‘ ist eben nicht die geistige Kraft des Willens, sondern die Vorstellung (Illusion), daß man den Willen habe. Diese Persönlichkeiten [in Stuttgart] haben die großen Fähigkeiten – das zeigt sich zum Beispiel bei den Waldorflehrern; sie sind sogar in vieler Beziehung genial –; aber vom Willen doch nur die ‚Vorstellung vom Willen‘. Und so sagen sie sich: wir haben den ‚guten Willen‘. Aber wir verstehen nicht, was wir sollen. Die Wahrheit aber ist, daß sie sich sagen sollten: Wir verstehen so gut als nur möglich, was wir sollen; aber wir wollen nicht.
Ja, die Wahrheit ist eben erst hinter der Illusion.“ (GA 263/1, S. 158, Brief an Edith Mayron).

Furcht vor dem Geist

Schon Rudolf Steiner musste die Waldorflehrerschaft (die doch damals wirklich eine auserlesene Gruppe fähigster Menschen war) scharf kritisieren, sah die „führenden“ Anthroposophen auf „kurulischen Stühlen“ – alles Menschen, die doch Rudolf Steiner noch selbst erleben durften! Heute arbeiten in der „Goetheanum“-Redaktion Menschen, die sich auf die Anthroposophie erst recht nicht tiefer einlassen, als ihre Vorstellung von journalistischen Standards, Diskursethik und dem üblichen „Bitte-alle-nett-zueinander“ reicht. Wo hat die Wahrheit da noch einen Platz? Nur da, wo sie sich in dieses Prokrustesbett äußerer Vorgaben fügt und zur Halbwahrheit wird... Das aber ist dann bereits der Tod der Anthroposophie gewesen.

Rudolf Steiner hätte doch keine Minute gezögert, um die heutigen Redakteure aus ihren Stellungen hinwegzufegen! Das Heute ist doch schlimmer, als jede „innere Opposition“, die er damals schon mehrfach scharf verurteilen musste. Man denke einmal, Rudolf Steiner würde heute eine scharfe Kritik schreiben! Kann man sich seinen Stil nicht ganz genau vorstellen? Wäre er heute im „Goetheanum“ gedruckt worden? Niemals! Er hätte keine „Gesichter gewahrt“! Und so wäre er bei den „verantwortungsvollen“ Redakteuren mit ihren ganzen „Qualitätsstandards“ kalt abgeblitzt!

Diese Redakteure wären für das Leben der Anthroposophie verantwortlich – und sind es real für ihren Tod! Und warum? Weil sie aus gutmenschentümlicher Angst vor irgendeinem Zu-nahe-Treten (begründet mit dem überwältigenden Konsens der political correctness) eben diese furchtbare Konfliktscheu kultivieren, die eben nichts anderes ist als Angst vor der Wahrheit, Angst vor Geisteskämpfen, Furcht vor dem Geist. Auch diese Worte kommen einem doch durch Rudolf Steiner bekannt vor? Furcht vor dem Geist haben auch alle Anthroposophen, die die Anthroposophie fein säuberlich auf Armeslänge von sich weg halten, weil sie sich nicht erlebend auf sie einlassen können, auch nicht auf ihre Konsequenzen, die eben sein können, dass man die Worte und Werke eines anderen Menschen scharf verurteilen muss.

Man sieht ja nicht einmal mehr den Unterschied zwischen dem Menschen und seinen Worten! Wenn die Worte eines anderen scharf kritisiert werden, ist das angeblich „gesichtsschädigend“! (Es ist übrigens interessant, dass hier weniger auf angebliche „Beleidigungen“, als vielmehr auf eine potentielle Urteils-Unfähigkeit des Lesers hingedeutet wird). Und so wird unter dem Vorwand, den anderen Menschen (sein Gesicht?) zu schützen, eine bequeme, nicht sofort sichtbare Zensur eingeführt und praktiziert. Anthroposophie wird definiert: Es ist alles Mögliche, aber bitte niemals scharf...

Es passt offenbar nicht einmal ins Konzept, einen „scharfen“ Beitrag zusammen mit einer Gegenposition abzudrucken. Die Schärfe selbst ist bereits nicht gewollt. Es wird vorgefiltert. Diskussionen sind nur Schein-Diskussionen, die in wesentlichen Punkten schon „auf Linie“ sind – nämlich auf der Linie der Abstraktheit, der weichgespülten Unverbindlichkeit, auch wenn hier und da ein bisschen „Würze“ noch sein darf.

Was sich hier ereignet, ist die Bekämpfung der Anthroposophie, und man kann dies nur entsetzt miterleben. Die Verantwortlichen merken es nicht einmal, aber im Ergebnis ihres Tuns geschieht es: Das Wesen der Anthroposophie wird bekämpft, vernichtet, zugemauert, begraben und paralysiert. Woche für Woche.