27.10.2008

Anthroposophie – jenseits von Wesenheiten-Leugnern und GA-Virtuosen

In meinem Bemühen um eine Verständigung mit einem Redakteuer des „Goetheanums“ schrieb ich ihm am 28.10.2008 das folgende.


Ja, auch mir ist bei einem Austausch natürlich ein Ziel wichtig. Konkret geht es mir um die Frage: Was ist Anthroposophie?
Was verstehst Du darunter? Verstehst Du, was ich darunter verstehe? Und in zweiter Linie dann auch: Wie stellt man sich zueinander? Überzeugen kann man den anderen ohnehin nur, wenn er „mitmacht“, das gilt in beide Richtungen. Aber es gibt trotzdem die Wahrheitsfrage, die Erkenntnisfrage – die Frage: Was vertritt da jeder einzelne eigentlich wirklich, aus der Überschau gesehen (die vielleicht die wenigsten haben, die geistige Welt aber in jedem Falle sehr wohl).

Ich erkenne zum Beispiel in der Anthroposophie als wesentlichen Grundsatz eine strikte Aufdeckung und Zurückweisung von Halb-Wahrheiten, weil sie die volle Wahrheit verdunkeln. Insofern kann ein Mensch [wie Sebastian Gronbach] noch immer ein kluger Kopf sein, der Relevantes zu sagen hat, es ist aber keine Anthroposophie, und das hat er an anderer Stelle bewiesen. Zumal Anthroposophie ganz wesentlich auch mit „Stil“ zu tun hat! Sie ist doch ein Entwicklungsweg, und wie weit jemand einen inneren Weg bereits gehen konnte, offenbart sich doch in „Stil“ und Inhalt gleichermaßen.

Man kann auch sehr viel mit dem Inhalt der Gesamtausgabe „anfangen“ und wird dann zu erstaunlichen „Erkenntnissen“ kommen, die dann für die heutige Welt auch durchaus „relevant“ sind – trotzdem haben sie nichts mit Anthroposophie zu tun. Warum nicht? Weil alles, was nicht auf einer wahren Läuterung der Seele (schon das Wort Läuterung stößt ja viele ab!) beruht und dann ganz durch eine solche Seele hindurchgegangen ist, nicht Anthroposophie ist, sondern Esoterik-Spielen. Das mag immer noch wohltuend und auf kurze Sicht fruchtbar usw. sein, aber Anthroposophie ist es nicht. Nur weil das, was sich „Anthroposophie“ nennt, heute fast überall so furchtbar verflacht ist, bemerkt man dies nicht einmal.

Man kann immer respektieren: Ok, der andere geht seinen Weg. Aber man darf die verschiedenen Wege nicht alle gleich benennen. Deswegen eben die Frage: Was ist für Dich Anthroposophie?

Ja, mir geht es auch darum, selbst Sichtweisen, die noch so krass und verzerrt „rüberkommen“, zu verstehen – ich will verstehen, woher die Verzerrung kommt. Die Verzerrung zeigt mir, dass es keine Anthroposophie ist, aber woher kommt sie? Fast immer aber ist auch sehr deutlich wahrzunehmen, woher die Verzerrung kommt – denn es ist fast immer eine, die aus einer unverwandelten Seele hervorgeht. Sei es ein narzisstischer Hochmut, der mal eben die Hierarchien abschaffen will [Gronbach]. Seien es sogar irgendwelche Schauungen, die aber sehr sinnlich sind, jedenfalls nicht aus einer vollkommen klaren, bewussten, geistigen Aktivität hervorgehen, die man erst Geisteswissenschaft nennen könnte [Judith von Halle]. Oder sei es ein immer wiederkehrendes „esoterisches“ Reden von Michael, Christus, Wesenheiten, Wesensgliedern, wo der Sprecher glaubt, schon alles verstanden zu haben, also mit der Gesamtausgabe „hantiert“, ohne in seinem tiefsten Inneren überhaupt noch zu bemerken, dass er sich diesen Wesen und diesen Wahrheiten überhaupt nicht entgegenarbeitet. Denn dies würde bedeuten, den inneren Übungsweg wirklich täglich zu gehen und das Denken zu einem reinen Denken zu machen und dieses wiederum zu einem Organ für die geistige Welt. Es ist soviel einfacher, über Anthroposophie zu reden (wodurch es im selben Augenblick keine Anthroposophie mehr ist), als Anthroposophie innerlich zu verwirklichen. Dann würde man nach und nach „Anthroposophie tun“, man würde aus der Anthroposophie sprechen.

Das tut fast überhaupt niemand. Es gibt allerdings viele „Anthroposophen“, die ihre Kenntnisse der GA so virtuos handhaben, dass man „ihnen doch nun wirklich glauben muss, dass sie in der Anthroposophie drinstehen“. So ist es aber nicht. Sie stehen in der GA drin. Wenn dies ein normales Studium wäre, wäre man in dem Fall tatsächlich ein Fachmann, der „in der Materie drinsteht“. In der Anthroposophie ist aber diese ganze GA eine Fülle von Offenbarungen, für die man nicht „Fachmann“ werden soll, sondern man soll durch diese Fülle enthusiastisch für den eigentlichen Entwicklungsweg werden. Wenn man ihn wirklich gehen würde, würde man anders sprechen als selbst die „führenden Anthroposophen“, sofern ich das in Wort und Schrift bisher durchgängig wahrnehmen konnte. Während man bei Gronbach schon im Stil die vollkommen unverwandelte Seele erlebt, klingt das bei den eben Erwähnten natürlich ganz anders, es geht ins andere Extrem, es klingt furchtbar esoterisch und erhaben oder auch scheinbar schlicht und warmherzig, aber man merkt: Es ist nicht wahrhaftig, es wird etwas dargestellt, was nicht da ist.

Man kann es auch im Bild sagen: Rudolf Steiner hat große Scheunen hinterlassen, aus denen 80 Jahre lang Brote gebacken wurden, die zunächst unglaublich nahrhaft waren – später dann immer weniger nahrhaft, aber durchaus noch am Leben erhaltend, zuletzt dann allerdings immer mehr nur noch äußerlich... Wo aber wurde auch nur ein einziges Korn in gute Erde gelegt, damit es irgendwo neue, eigene, reiche Frucht trägt?

Am wahrhaftigsten sind noch die „Stillen im Lande“, die meist älteren Anthroposophen, die sich dann in Leserbriefen äußern und bei denen man merkt: Auch sie empfinden, worum es eigentlich geht, gehen müsste. Man müsste zunächst erkennen, dass man der Anthroposophie nicht gerecht wird, weil man noch immer ganz am Anfang steht, nein noch vor dem Anfang, weil man sich inzwischen sogar in die falsche Richtung bewegt hat... Zu einer solchen Erkenntnis gehört natürlich eine fast übermenschliche Selbstlosigkeit. Nein eigentlich auch wieder nicht. Nur der echte Wille – der Wille, Hochmut, Intellekt und bisheriges „Verständnis“ von Anthroposophie nicht über die Anthroposophie selbst zu stellen. Der Wille, anzuerkennen, dass Anthroposophie nicht Esoterik-Spielen, „Reden über“, „verantwortungsvolle Verwaltung und Vertretung gegenüber der Außenwelt“ und anderes bedeutet, sondern wirklich ein Übungsweg zur Läuterung der Seele und zu einer völligen Verwandlung des Denkens ist, wodurch das Geistige als Realität erlebt und innerlich geschaut wird. Erst aus dieser Quelle heraus kann Anthroposophie auch wieder äußere Gestaltungen annehmen.

Das also ist meine Erkenntnis von Anthroposophie. Aus dieser heraus habe ich auch die letzten „infoseiten“ gelesen und wiederum kommentiert. Auch diesen Text schicke ich Dir anbei.