22.01.2009

Die tote Anthroposophie – Erwiderung auf Sæther

Erwiderung auf Jostein Sæthers Aufsatz „Wie man in den Wald hineinruft / Zum Internetauftritt von Holger Niederhausen“ vom 20.1.2009.


Inhalt
Frusterlebnisse oder Wahrheitsfrage? / Über die Furcht vor der Wahrheit
Die Urteilsfähigkeit und das Ich / Denken – und Denken
Reines Streben – oder Illusion und Schwächen / Das Tote und sein „lebendiger“ Schein
Was ist das reine Denken?
Sæther und Mieke Mosmuller
Epilog 


In einem langen Beitrag auf seinem Blog geht Jostein Sæther ausführlich auf meine Homepage ein. Zu Beginn stellt er ein Zitat von Knigg

„Enthülle nie auf unedle Art die Schwächen Deiner Nebenmenschen, um Dich zu erheben! Ziehe nicht ihre Fehler und Verirrungen an das Tageslicht, um auf ihre Unkosten zu schimmern!“

...und zieht zum Ende seines Beitrages das Fazit: „So kann Niederhausen nicht damit rechnen, ernst genommen zu werden, zumal auch viele seiner Thesen anstoßen und neuen Ärger hervorbringen.“

Was liegt dazwischen?

Zunächst erwähnt Sæther kurz die „vielen, oft sehr aufschlussreichen Aufsätze zu Themen wie Waldorfpädagogik, Anthroposophie, soziale Fragen und das Weltgeschehen“ und dann auch meine Veröffentlichung gewisser Korrespondenzen mit den Redaktionen von „Info3“ und „Das Goetheanum“, die laut Sæther durch meine Kommentierung „wie durch eine Zeitlupe Kunde gibt in interessante und manchmal brisante Geschehnisse der anthroposophischen Szene bis in deren Kulissen.“

Frusterlebnisse oder Wahrheitsfrage?

In der Folge zitiert Sæther kurze Absätze, in denen ich über „Das Goetheanum“ z.B. schreibe: „Was sich hier ereignet, ist die Bekämpfung der Anthroposophie, und man kann dies nur entsetzt miterleben. Die Verantwortlichen merken es nicht einmal, aber im Ergebnis ihres Tuns geschieht es: Das Wesen der Anthroposophie wird bekämpft, vernichtet, zugemauert, begraben und paralysiert. Woche für Woche.“

Solche Absätze schockieren einen Leser natürlich – deswegen müsste man eigentlich immer den ganzen Zusammenhang aufsuchen, in dem sie geschrieben wurden. Nur dann wird man sich ein Urteil darüber bilden können.

Sæther selbst erwähnt dann kurz eigene Erfahrungen mit Redaktionen, die in eine verwandte Richtung gehen. Daher könne er „den Frust von Niederhausen nachvollziehen“. Er fährt fort: „Wegen vieler solcher Rückschläge lernte ich, wie ich mich anders oder neu formulieren konnte, um eventuell angenommen zu werden, ohne deswegen das Gefühl zu haben, dass ich mich einem mir fremden Willen unterwerfe oder sogar die Wahrheit vertusche, um nur publiziert zu werden. Manchmal war ja die Kritik eines Redakteurs sehr berechtigt, und ich war sehr froh, seine Kommentare und Änderungsvorschläge zu bekommen. Diese dynamische und in positivem Sinne kämpferische Auseinandersetzung zwischen Autor und Redaktion respektive Verleger ist in anthroposophischen Zusammenhängen kaum geschildert und erforscht.“

Diese Bemerkungen sind in mehrerer Hinsicht interessant. Zum einen empfinde ich „Frust“ als einen Ausdruck für ein sehr subjektives Empfinden. Darum kann es überhaupt nicht gehen. Entweder geht es um Wahrheitsfragen oder um persönliche „Frusterlebnisse“. Wenn es einem um die Wahrheit geht, muss man über subjektive Empfindungen der letzteren Art hinausgewachsen sein.

Sæther gibt zu, dass die Kommentare, die er erhielt, sehr berechtigt waren und er sie froh aufnahm und lernte, sich anders zu formulieren, um so eventuell „angenommen“ zu werden. Der positive Kampf zwischen Autor und Redaktion diente hier also offenbar ganz der Sache...

Sicher kann man vieles so oder so formulieren. Es geht bei vielem aber um die Wahrheit, die einfach nicht gewollt wird. Es wird dann gefordert, man solle ein Urteil schwächer formulieren, man solle es als Möglichkeit formulieren, man solle „sachlich“ bleiben, man solle „Fakten“ und „eigene Meinung“ trennen usw. – letztlich soll man eigentlich überhaupt kein Urteil haben. Meine Buchbesprechung zu „Stigmata und Geist-Erkenntnis“ ist eben abgelehnt worden, weil ich in Bezug auf Judith von Halle zu dem gleichen eindeutigen Urteil wie Mieke Mosmuller kam und es wagte, dies auszusprechen.

Man will in dieser Hinsicht keine Urteile, man wagt es in dieser Hinsicht nicht, die Wahrheitsfrage ernsthaft zu stellen, allenfalls in Frage käme ein „sittsam-zahnloser, akademischer Diskurs“, der niemandem wehtut, weil er völlig abstrakt bleibt. Dies würde man dann als „Ringen um die Wahrheit“ verkaufen. Nur: Es darf niemand er selbst sein, es muss sich jeder an die Regeln der Abstraktion halten usw. ... Das Ideal der Unvoreingenommenheit wird ins Feld geführt, um jedes Urteil als „zu scharf“ zu bekämpfen. Das Ideal der Positivität wird ins Feld geführt, um nur ja nie der Wahrheit ins Auge blicken zu müssen. Anthroposophie als Lüge...

Über die Furcht vor der Wahrheit

Ich habe mich in meinen Aufsätzen des letzten Jahres mit dieser Furcht vor dem Urteil, vor der Wahrheit und überhaupt vor jedem wirklichen Geisteskampf immer wieder beschäftigt und versucht, den Kern dieser Fragen herauszuarbeiten (siehe etwa: „Anthroposophie und journalistische Standards?“, „Das Goetheanum – die zensierte Wochenschrift“, „Was ist Wahrheit – was ist Anthroposophie“).

Ein einfaches Beispiel in Bezug auf die Wahrheitsfrage ist „Info3“ und das, was der Kreis um Gronbach und Heisterkamp in die Welt setzt. Hier wird das, was Ken Wilber verkündet, plötzlich als „ursprüngliche Anthroposophie“ dargestellt. Gronbach beschreibt in seinem Buch „Missionen“, wie er vor dem PC an Wilbers Homepage ein Erleuchtungserlebnis hatte und nur auf diese Weise die Anthroposophie wiederfand... Nun verstand er Steiner „erst wirklich“. Nun „erkannte“ er, dass alles, was Steiner später über das Christus-Wesen gesagt hat, eigentlich nur in mythologische Gewänder gekleidete Wahrheiten waren, die die Leute ohne diese „traditionelle Tingierung“ einfach nicht verstanden hätten. – Das zentrale Wesen der Weltentwicklung und der Anthroposophie wird hier als Mythos hingestellt, Rudolf Steiner als Märchenonkel...! (Siehe meine Aufsätze „Mission Irreführung“, „Gronbach – ein Gegner der Anthroposophie“, „Gronbachs Christus-Leere“ usw.)

Zum Glück empfinden und erkennen immer mehr Menschen, dass „Info3“ die Anthroposophie völlig pervertiert und das Eigentliche vernichtet, um etwas sehr Schlimmes an dessen Stelle zu setzen. Genau hier offenbart sich auch, wie sehr man für die Wahrheit eintreten kann – wie sehr man dazu fähig oder auch willens ist. Die Redaktion der „anthroposophischen“ Wochenschrift „Das Goetheanum“ ist offenbar weder fähig noch willens, denn wenn einen enge strukturelle und persönliche Bande mit den Redakteuren von „Info3“ verbinden, was soll man tun? Man ist vielleicht nicht in allem „einer Meinung“, aber zu dem Urteil, dass hier der Boden der Anthroposophie längst verlassen ist (weil an der Vernebelung und Vernichtung ihres wahren Kerns gearbeitet wird), wird man niemals kommen...

Dies ist ein klares Beispiel dafür, dass man angesichts persönlicher Beziehungen und falsch verstandener „Unbefangenheit“ und „Positivität“ bei der Wahrheitsfrage zwei Augen zudrückt, weil man die eigene Urteilsfähigkeit und das eigene Wahrheitsempfinden hoffnungslos korrumpiert hat.

Und so geht es weiter. Andere Wahrheitsfragen sind ja bei weitem nicht so klar zutage liegend wie diese. Man muss sich ein tiefes und immer tieferes Wahrheitsempfinden erringen, um dann auch in anderen Fragen die Wahrheit immer mehr empfinden und erkennen zu können. Das wäre die Aufgabe jener Anthroposophen, die wirklich die Wahrheit lieben.

Aber in der Regel glaubt man ja, die Wahrheit immer schon zu haben („Dein Urteil ist zu scharf und zu einseitig...“) – und andererseits glaubt man implizit, sie überhaupt nicht haben zu können („immer nett und sachlich bleiben, es sind immer die verschiedensten Sichtweisen möglich und berechtigt...“).

Was liegt damit aber vor? Einerseits hält man sich selbst für ohne weiteres urteilsfähig (nämlich darin, dem anderen abzusprechen, dass sein „scharfes“ Urteil wahr ist), und zwar paradoxerweise aus Furcht vor dem Urteil! Andererseits hält man sich und andere für urteilsunfähig in Bezug auf die eigentliche Wahrheit („im Grunde haben alle irgendwo Recht“), und zwar paradoxerweise durch das eine, zum felsenfesten Dogma gewordene Urteil, dass man die Wahrheit letztlich nicht beurteilen könne.

Die Urteilsunfähigkeit ist zum Dogma geworden – und verschleiert nur den eigenen Unwillen zu urteilen, die Furcht vor der Wahrheit. Unter dem Zeichen dieses Dogmas schwingt man sich dann zu dem eigenen Urteil auf, das Urteil des anderen kurzerhand für unwahr und einseitig zu erklären. Eine Begründung dafür ist auch gar nicht mehr nötig, denn das Dogma enthält sie ja bereits: „Alle haben irgendwo Recht“, was nichts anderes heißt, als: „Alles ist wahr“. – Die Kapitulation eines angepassten „Denkens“, das die von Rudolf Steiner oft betonte Vielgestaltigkeit der Wahrheit als Totschlagargument missbraucht, um ... die Unwahrheit zu schützen!

Wo die Liebe zur Wahrheit nicht lebt, wächst und erblüht, da kann die wahre, wirkliche Anthroposophie nicht einmal keimen...

Die Urteilsfähigkeit und das Ich

Eine ganz deutliche Offenbarung der Tatsache, dass die wesenhafte Anthroposophie heute tot ist, ist eben gerade der Umstand, dass die Wahrheit selbst in solchen sehr klaren Fällen wie „Info3“ nicht erkannt wird. Selbst da, wo sie undeutlich oder deutlicher empfunden wird, schreckt man vor ihr zurück – denn man hat Angst vor der Wahrheit, Angst vor dem Konflikt, Angst vor dem eigenen Urteil, Angst davor, jemandem die Anthroposophie absprechen zu müssen.

Selbst da, wo man nicht von der Sehnsucht getrieben ist, alle „Anthroposophen“ einig bzw. wieder vereint zu sehen (was bei vielen ein wichtiges Motiv ist), schreckt man ganz stark davor zurück, jemanden tatsächlich „auszugrenzen“, sich zu dem Urteil durchzuringen: Das ist keine Anthroposophie! Nun – solange man noch irgendeine Furcht hat, über diese Frage zu urteilen, kann man die Wahrheit eben nicht lieben! Die Furcht überwiegt. Das Nicht-wirklich-Urteilen ist einem wichtiger als das Urteilen – und damit wichtiger als die Wahrheit.

„Wer den Vater und die Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. ... Und wer nicht bereit ist, sein Kreuz zu tragen und mir nachzufolgen, der ist nicht würdig meines Ichs.“ (Mt 10,37, übersetzt von Emil Bock). Diese Worte des Christus sollte man einmal tief besinnen und dabei bedenken, dass Er selbst von sich sagte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Wenn wir dann an die Stelle von Vater und Mutter „nur“ einen Menschen setzen, der Fragwürdiges in die Welt setzt, wird ganz deutlich: Es geht um die Frage, was einem wichtiger ist – die Wahrheit oder das Nicht-Urteilen über (mögliche oder offensichtliche) Unwahrheiten irgendeines anderen Menschen, der sich vielleicht „Anthroposoph“ nennt...?

In der Übersetzung von Emil Bock klingt auch an, wie sehr das Urteilen eine Ich-Fähigkeit ist. Und ganz besonders die Frage, ob man ein Urteil in sich zuzulassen kann, wenn im Grunde alle Voraussetzungen für ein solches Urteil errungen sind, ist eigentlich eine Frage, wie sehr man dieses Ich in sich überhaupt zulassen kann, wie sehr man in diesem Ich leben kann und will.

Natürlich wird jeder sofort behaupten, dass er ganz und gar in seinem Ich lebt – aber was ich hier meine, ist ein anderes Ich, jenes Ich, das erst entwickelt werden muss, das erst aufwacht, wenn man mit dem Ringen um das Geist-Erleben ernst macht. Wenn es einem wirklich um die Anthroposophie geht, muss man eine große Sehnsucht danach haben, immer tiefer und tiefer zu verstehen und zu erleben, was Anthroposophie eigentlich ist. Dann aber kann in einem nur die Fähigkeit wachsen, auch immer mehr zu erkennen, was keine Anthroposophie ist – und in demselben Maße wird die Pflicht wachsen, „die Geister zu scheiden“ und für die Wahrheit und die wahre Anthroposophie einzutreten.

Man sollte sich in diesem Zusammenhang einmal gründlich mit der Urteilsunwilligkeit und Urteilsunfähigkeit der „Anthroposophen“ auseinandersetzen (siehe hierzu nochmals z.B. „Gronbach – ein Gegner der Anthroposophie“). Selbstverständlich wird man nicht sofort zu allem die Urteilsgrundlagen haben. Aber wenn es einem wirklich um die Wahrheit geht und man um die Wahrheit ringt, werden die Urteilsgrundlagen wachsen – und man wird urteilsfähig werden. Die Furcht vor dem Urteil, das letztlich ehrfürchtige, autoritätsgläubige Hinblicken auf den ungeheuer aktiven und bekannten Gronbach oder auf die ehrwürdige Dornacher Wochenschrift „Das Goetheanum“ oder auf die „großen“ Vorstände und anderen „Vertreter“ der Anthroposophie ist eigentlich das größte Hindernis für die eigene Urteilsfähigkeit.

Wenn man beginnt, die Wahrheit wirklich eigenständig und selbst zu suchen, kann einen eigentlich nur noch das Dogma von der „harmonischen Einheit“ unter den Anthroposophen blind gegen das heranwachsende Urteil machen. Doch die schlimmen Zerwürfnisse unter Anthroposophen nach Rudolf Steiners Tod und die Sehnsucht nach einer bedeutsamen Wirksamkeit der Anthroposophie in der Gegenwart dürfen einen nicht von der Tatsache ablenken, dass selbst Rudolf Steiner oft und wiederholt scharfe Worte dafür fand, dass das Wesen der Anthroposophie sogar unter den Anthroposophen immer wieder nicht erkannt, nicht verwirklicht wurde.

Denken - und Denken

Wie aber kann man die Wahrheit erkennen? Wie kann man sein Empfinden für die Wahrheit vertiefen? – Es muss das Denken entwickelt und gereinigt werden. Das Denken muss zu einem wirklichen Denken werden, zu einer echten Realität und dann noch zu einer reinen Realität. Dann wird es zu einem Sinn für die Wahrheit.

Diese „einfache“ Wahrheit der Anthroposophie ist vielleicht eine der am schwierigsten zu fassenden. Denn natürlich erlebt jeder sein Denken, und natürlich hat jeder zu allem seine Meinung, sein Urteil. Darauf hat Rudolf Steiner immer wieder hingewiesen, dass die Leute das natürlich alle selbstverständlich glauben...

Wenn man diese Hinweise Rudolf Steiners ernst nimmt, wird man sich auf die Suche nach dem eigentlichen Denken machen... Es muss ein Denken sein, was mit dem, was man normalerweise „Denken“ nennt, eigentlich nichts zu tun hat. Wenn man sich selbst beobachtet, wird man bemerken, dass man eigentlich wie von selbst denkt. Es ist fast so, wie es Rudolf Steiner bezüglich des Willens beschreibt: Man tut etwas, aber man weiß eigentlich überhaupt nicht, wie man es tut. Versucht man dann einmal, sich auf einen einfachen Gedanken zu konzentrieren und ihn selbst zu denken und zu erleben, wie man ihn denkt, wie er im Denken entsteht, wie man ihn hervorbringt, so bemerkt man, wie unmöglich dies zuerst eigentlich ist. Es ist, wie wenn man völlig gelähmt wäre. Man kann kaum den einfachsten Gedanken selbst hervorbringen – und seine eigene Tätigkeit dann noch erleben!

Natürlich, man kann jederzeit wunderbar in das gewohnte Alltagsdenken zurückfallen, wo die Gedanken sich wie von selbst denken, wo man wie beim Autofahren nicht überlegen muss, wie man es macht, wo es „automatisch geht“. Dieses Denken ist aber ein totes Denken. Es ist ein Gedankenhaben. „Das Ich lebt von des Denkens Gnaden“. „Ich“ spüre, wie ich im Kopf Gedanken denke und habe dadurch mein Bewusstsein – und weiß nicht im geringsten, wie ich diese Gedanken eigentlich hervorbringe. Worum es aber geht, ist, dass ich den einzelnen Gedanken wirklich ganz und gar bewusst forme, dass ich mich so sehr auf die Denktätigkeit konzentriere, dass ich wirklich erlebe, wie ich diesen einen Gedanken bilde. Ich erlebe, wie er meine „Schöpfung“ ist, wie ich ihn hervorbringe. Auf diese Weise wird das Denken langsam, langsam, langsam lebendig. Es wird erst wirklich Denken. Es wird vom Willen durchdrungen, und ein höherer Mensch beginnt aufzuerstehen.

Das Denken muss aber nicht nur lebendig werden, es muss auch rein werden. Es muss sich von allen Vorurteilen, Vorstellungen, Sympathien und Antipathien reinigen. Jeder, der sich selbst beobachtet, weiß, dass mit diesen wenigen Worten ein weiterer ungeheurer Übungsweg angedeutet ist – die moralische Schulung.

Reines Streben – oder Illusion und Schwächen

Und so wie man klar erkennen kann, wie es um das Wahrheitsempfinden steht, wenn man gegenüber der Christusleugnung und der Ken-Wilber-isierung der Anthroposophie durch Info3 nicht zu einem ganz deutlichen Urteil kommt – so kann man ebenso klar oder noch klarer erkennen, wie es um das reine Denken steht, wenn man sieht, wie viele Vorurteile, Antipathien, Unwahrhaftigkeiten, wieviel Hochmut, Machttrieb, Abstraktion und anderes selbst (und gerade) unter „führenden Anthroposophen“ zu finden ist. Die wenigen, denen ich hiermit ganz und gar Unrecht tue, werden es mir verzeihen, denn sie werden selbst wissen, wovon ich spreche.

Vor der Wahrheit kann nur bestehen, was rein ist. Erkennen kann man die Wahrheit ebenfalls nur in dem Maße, wie man sein eigenes Denken gereinigt hat. Das eigene Denken kann nur so rein sein wie die eigene Seele überhaupt. Und selbst wenn diese moralische Schulung wirklich tief ernst genommen wird, ist nur eine Voraussetzung für das reine, lebendige Denken erfüllt. Die andere ist die Erkraftung, Auferweckung des Denkens selbst.

Wenn ich sage, die Anthroposophie heute ist tot, dann gründet sich dies in dem Umstand, dass ich nirgendwo sehe, dass Anthroposophen um eine reine, ja heilige Seele und um die Auferweckung des Denkens ringen. Dies aber, ein reines, lebendiges Denken, ist die Voraussetzung für Anthroposophie. Alles andere – alles, was nicht in einem reinen, lebendigen Denken gründet, ist nicht Anthroposophie.

Man kann sehr tiefgreifende Vorträge halten, man kann wiedergeben, was Rudolf Steiner gesagt hat, durchaus auch in eigener, origineller Zusammenstellung, Querbezüge entdeckend, sogar manches Neue kombinierend und erschließend usw. – es erscheint nur wie Anthroposophie. Man hat das Gefühl, dass man „die Anthroposophie pflegt“ und sogar bescheiden weiterentwickelt, aber tatsächlich bewegt man sich in einem Schattenreich, kommt nicht los von der Abstraktion und dem irdischen Verstand. Der Verstand kann sich ja wunderbar anpassen, er kann vieles „verstehen“, kann die Wahrheiten der Anthroposophie wunderbar verarbeiten, zusammendenken, fortspinnen...

Man kann also ganz und gar das Erlebnis haben, dass man mitten in der Anthroposophie drinsteht und sie in allem, was man tut, „vertritt“ und „pflegt“ und „weiterentwickelt“ – und doch immer wieder oder ganz und gar das vernachlässigen (bzw. nicht einmal erfassen), worum es eigentlich geht: Das Ergreifen der eigenen, wirklichen Geisttätigkeit – zunächst in ihrer ersten Gestalt der wirklichen Denktätigkeit. Dazu reicht es nicht, Gedanken zu haben, dazu muss man das Gedachte sein. Der Denkende, die Denkaktivität lebt ganz in dem, ergießt sich ganz in das, was gedacht wird.

Das Tote und sein „lebendiger“ Schein

Solange man nicht einsieht, dass das Wesen der Anthroposophie erst an diesem Punkt beginnt, so lange bleibt alles, was man als „Anthroposophie“ bezeichnet, ein „Reden über“. Man gibt „Wissen“ wieder, man bleibt in Abstraktionen, in Vorstellungen, in toten Gedanken. Dann erzeugt und pflegt man noch ein bisschen eine ehrfürchtige Stimmung, ein „Verantwortungsgefühl“, ein Gefühl des Ernstes, und schon ist die Illusion oder sogar Lüge perfekt.

Bei den „einfachen Anthroposophen“ wird die Ehrfurcht, wo sie vorhanden ist, meist sogar echt sein. Dann aber käme es darauf an, die Aufgabe der Übung des reinen Denkens wirklich zu ergreifen. Bei den „führenden Anthroposophen“ ist Ehrfurcht meist nicht zu erleben, oder aber sie wird aufgesetzt, ist künstlich und unwahrhaftig. Wenn eine wahrhaftige, reale Ehrfurcht da wäre, dann müsste die Notwendigkeit eines solchen reinen, heiligen, lebendigen Denkens ganz klar erkannt worden sein und geübt werden. Dann aber wären die „führenden Anthroposophen“ ganz andere Menschen – und würden auf diese Notwendigkeit des reinen Denkens immer wieder hinweisen.

Stattdessen werden Vorträge zu „tiefen Themen“ gehalten, werden Michaeli- und diverse andere Tagungen veranstaltet, die Mysterienspiele neu inszeniert usw. Es ersteht ein ungeheuer beeindruckender Schein – aber es ist ein Schein, ein totes Gebilde, dessen lebendiger Kern und Lebensquell fehlt.

Gerade die aktuelle Premiere der neu inszenierten Aufführung der „Pforte der Einweihung“ zeigt dies beispielhaft. Im „Goetheanum“ vom 16.1.2009 schreibt C. Richter dazu:

„Auf der einen Seite sieht man ein seltsam kühles, abgeklärtes Schauspiel [...] ist von inneren Dramen wenig sichtbar. [...] Diesem schmalbrüstigen, unsicher scheinenden Bühnengeschehen gibt ein abstraktes Bühnenbild viel leeren Raum. [...] Nun die andere Seite: Die Eurythmie ‚glänzt‘, wo sie auch auftritt [...] in einem glamourösen Zusammenspiel mit dem Licht-Gaze-Bühnenbild und den Kostümen. Sie ist da, ist zu Hause – etabliert und selbstsicher. So kommt es, dass sie präsenter, fast irdischer wirkt als mancher Darsteller [...] (Deren) Tun und Lassen gründet leider nicht in ihrem Erleben [...] Diese Eindrücke zusammengenommen, erlebt man eine Welt, die nicht ist, was sie meint. Überall wird bedeutet, benannt, verwiesen auf etwas, das nicht erscheint. Eine Welt voller Symbole und ohne eigene Kraft, ohne eigenes Leben. [...] Catherine Ann Schmid als Maria gelingt es wohl am ehesten zu zeigen, dass da ein Weg sein kann, Eurythmie als die vom ätherischen Umkreis gegriffene und Schauspiel als die vom Innerlich-Seelischen impulsierte Bewegung zu verschwistern [...]“

Man kann sich nur wundern, dass solche Worte überhaupt gedruckt werden durften! Die Beschreibung zeigt eigentlich ohne jede Verhüllung den katastrophal geistlosen Zustand selbst da, wo es um Höhepunkte des anthroposophischen Lebens gehen sollte!

Direkt davor ist die Besprechung eines Goetheanum-Redakteurs abgedruckt. Diese überhöht auch diese Aufführung mühsam mit anthroposophischen Formulierungen, die einen furchtbar täuschen, weil sie natürlich kaum durchschaubar sind, wenn man die Aufführung nicht selbst erlebt hat. Die Dinge werden eigentlich überhaupt nur dann evident, wenn eine solche andere Schilderung dagegensteht, die ganz genau zeigt, dass das, was der Redakteur beschreibt, eben gerade nicht da war. – Was er beschreibt, mag er selbst so erlebt haben, aber wenn man sich jahrelang in den Schein der Anthroposophie verstrickt hat und ihn für die Realität hält, dann sind furchtbar leicht Illusionen, Interpretationen und natürlich auch ganz reale Erlebnisse möglich, die den Schein wie das Eigentliche erscheinen lassen. Der Schein kann ungeheuer real sein, sogar in der geistigen Welt selbst gibt es ungeheure Illusionen, wie Rudolf Steiner immer wieder betont hat. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass etwas geradezu wie sein Gegenteil erscheinen kann. Es kommt also nicht nur darauf an, was man erlebt, sondern viel mehr noch darauf, ob das Erlebte einem etwas von der Wahrheit zeigt und ob man es beurteilen kann.

Was ist das reine Denken?

Ehrfurcht, Wahrheitsliebe und das entschlossene Üben eines reinen Denkens – das ist es, woraus es ankommt und was ich in der „anthroposophischen Bewegung“ eigentlich nirgendwo entdecke. Vielleicht das eine oder das andere einmal in Anfängen, aber nie die Vereinigung dieser Kräfte. Insbesondere das Verständnis dessen, was das reine Denken eigentlich erst ist, fehlt doch bereits fast durchgehend! In diesem Zusammenhang zitiert Sæther eine wunderbare Stelle:

„Man lebt in einem Wesen, nicht bloß in dem gewöhnlichen Denken, das ja nur abbildet, sondern man lebt in einer Realität, in einem seelischen Tastorgan, zu dem man selber als Mensch ganz geworden ist. Das, was durch Aktivität des Denkens entwickelt wird, ist das erste übersinnliche Glied des Menschen. Diesem übersinnlichen Tasten wird der Ätherleib des Menschen erfaßbar, erschaubar im höheren Sinne.“ (GA 227, S. 35f).

Ist dies irgendwo realisiert? Ich meine nicht, dass jeder Anthroposoph dies realisiert haben muss – ich habe es auch noch nicht. Aber dann muss man doch zumindest auf die Notwendigkeit hinweisen, dies zu üben – und auf die Tatsache, dass alles, was vor dieser Stufe liegt, noch überhaupt nicht Anthroposophie genannt werden kann. Rudolf Steiner hat den Entwicklungsweg zu diesem Denken gegeben und gehofft, dass auch andere Menschen sich auf diesen Schulungsweg begeben und zumindest anfänglich selbst die reale Anthroposophie verwirklichen.

Dieses reine Denken ist ja wiederum nur die erste Stufe vor dem Eintritt in die geistige Welt, aber eben als erste Stufe zentral, wie die folgende, von Sæther zur Hälfte zitierte Stelle zeigt:

„Man lebt mit dem reinen Denken im Übersinnlichen; aber man erlebt nur dieses auf eine übersinnliche Art; man erlebt noch nichts anderes Übersinnliches. Und das übersinnliche Erleben muß sein eine Fortsetzung desjenigen Seelen-Erlebens, das schon im Vereinigen mit dem reinen Denken erreicht werden kann. Deshalb ist es so bedeutungsvoll, diese Vereinigung richtig erfahren zu können. Denn von dem Verständnisse dieser Vereinigung aus leuchtet das Licht, das auch rechte Einsicht in das Wesen der übersinnlichen Erkenntnis bringen kann. (GA 10, S. 220, kursiv H.N.).


Wo also ist dieses reine Denken verwirklicht? Wenn es einzelne Menschen geben sollte, die zumindest diese Stufe der geistigen Entwicklung verwirklichen, so ist die Anthroposophie in diesen einzelnen Menschen lebendig. Und an ihren Früchten wird man sie erkennen...

Alles andere ist ein beeindruckender Schein, ist ein beeindruckendes „Pflegen“ von Formen, Traditionen, abstrakten Inhalten usw. – Es ist tote Anthroposophie. Dieses Tote hat ein Gutes – es ist zumindest als Totes sichtbar. So wie die Kirche jahrhundertelang die christlichen Traditionen und Verrichtungen gepflegt hat, obwohl sie tot waren, hat sie dem Einzelnen ermöglicht, an dem Toten das Lebende wiederzufinden – indem man in sich selbst zum Eigentlichen vordrang. Ebenso zeigen einem Vorträge, Mysteriendramen, Eurythmieaufführungen usw. den toten Inhalt und die toten Formen der Anthroposophie – und sind Hinweise auf das, was sein könnte, wenn dieses Tote nicht tot wäre, sondern wenn all dies Leben hätte, so wie es Leben hatte, als Rudolf Steiner es aus dem lebendigen Quell des realen Geistes in die Erdenwelt hereinholte.

Die heutige „Anthroposophie“ ist tot – sie ist ein Wegweiser aus totem Holz. Sie weist einen Irrweg, wenn sie sich selbst als lebendig darstellt. Der Wegweiser muss wissen, dass er nur den Weg weist, er darf sich nicht selbst als das Ziel darstellen. Wem es um die Anthroposophie geht, der müsste vor allem in diesem Punkt ganz und gar wahrhaftig sein. Er müsste sagen: Ja, ich weiß ein wenig vom Wesen der Anthroposophie, aber ich kann Dir nur den Weg zeigen. Und wenn er die Anthroposophie liebt, dann wird es sicher wahr sein, wenn er sagt: Ich bin auch auf dem Weg, ganz am Anfang...

Wenn dies geschähe, dann wäre die Anthroposophie noch immer tot, aber es lebte darin zumindest die Wahrhaftigkeit...

Sæther und Mieke Mosmuller

Ich will mich also nicht, wie Sæther schreibt, „von jeder anthroposophischen Bemühung, die seit Rudolf Steiners Tod 1925 existiert haben möge“ absondern, sondern nur auf das hinweisen, worauf es wirklich ankäme – und was Mieke Mosmuller lebendig beschreibt. Es gibt mit Sicherheit einzelne Menschen, die entschlossen in der richtigen Richtung streben. Inwieweit sie das, worauf hier als „das reine Denken“ gedeutet ist, auch erreichen, ist eine ganz andere Frage. Aber davon unabhängig sage ich, dass die heutige anthroposophische Bewegung durch und durch tot ist, weil hier eben nichts in dieser Richtung verwirklicht ist.

Die weiteren Ausführungen von Sæther in Bezug auf Mieke Mosmuller führen nicht weiter. Er verweist auf seine Besprechung ihres Buches „Der lebendige Rudolf Steiner“ und bemerkt, dass sie eine Auffassung vertrete, die viele vor ihr hatten, nämlich dass die Weihnachtstagung nach Steiners Tod missglückt sei. Er bemerkt allerdings nicht den Unterschied zwischen Auffassung und Erkenntnis. Er bemerkt auch nicht, dass die Geschichte der A.A.G. von diesem Scheitern der Weihnachtstagung zeugt.

In seiner o.g. Besprechung schreibt er: „Das ist ja gerade das Krux, dass trotz so viel Liebe, Ehrlichkeit und positivem Bemühen von Zehntausenden Anthroposophen, gleichlaufend so viele soziale und menschliche Tragödien entstanden sind, die sich dermaßen mit der Geschichte der Anthroposophie zusammen gewunden haben.“ (Weitere konkrete „Niedergangssymptome“ zitiert er ganz richtig aus meinem Aufsatz). Dies ist genau der Punkt, wo man erkennen müsste, dass „positives Bemühen“ allein nicht ausreicht, sondern nur ein entschlossenes Streben in der richtigen Richtung. Dann hätte es diese Tragödien nicht gegeben, dann hätte man sich nicht über die Anthroposophie zerstritten, weil man sie selbst anfänglich verwirklicht hätte.

Statt zu dem richtigen Schluss zu kommen, wirft er Mieke Mosmuller vor, sie hätte bei ihren Urteilen die von Steiner angekündigte „Kulmination“ der Anthroposophie am Ende des 20. Jahrhunderts übersehen. Nun – wenn man nicht einmal zugestehen kann, dass von einer Kulmination nichts zu sehen war (und dass Mieke Mosmuller in ihrem Buch das Gegenteil, nämlich die Dissoziation der Gesellschaft, ausdrücklich erwähnt), dann ist einem die Illusion eben wichtiger als die Wahrheit.

Wie es um die Wahrhaftigkeit Sæthers steht, zeigen auch seine Worte angesichts der hier berührten, tief ernsten Frage. Er bezweifelt, dass Rudolf Steiner bei seiner Reinkarnation selbst unter anderen Bedingungen die Führung einer anthroposophischen Gesellschaft wieder übernehmen würde, und fügt hinzu, ein „solches Hervortreten, wenn und falls es kommt, müsste überhaupt nicht sozial ‚umwerfend‘ sein, da es ja nur unter ‚alten‘ Freunden stattfinden würde [...] auch der Meister des Abendlandes möchte sehr gern unter Freunden einen seiner neuen Witze vortragen und nicht nur neue Weisheiten verteilen.“ Angesichts solcher Gedanken müsste sich eigentlich das Wahrheitsempfinden jedes wahrhaftigen Lesers heftig regen...

Natürlich macht sich Sæther auch über Mieke Mosmuller lustig. Anhand meines Zitates „Mieke Mosmullers Bücher sind reine Anthroposophie. Nie schreibt sie abstrakt über Anthroposophie, in ihren Worten lebt ihr reales Mysterium.“ schreibt er, ich trete für „diese Epoche machende ‚Erlöserin der Anthroposophie‘ ein“. Sæther hat also bereits ein Urteil über Mieke Mosmuller, obwohl er ihr Buch „Der Heilige Gral“ nicht gelesen hat, in dem sie detailliert beschreibt, was sie auf ihrem jahrelangen Schulungsweg errungen hat. Es ist das, was Anthroposophie heute sein könnte. Dann hätte es eine Kulmination der Anthroposophie am Ende des 20. Jahrhunderts gegeben...

Stattdessen schreibt Sæther über mich: „Es ist in Ordnung, dass er versucht, eine Outsiderautorin wie Mieke Mosmuller zu berücksichtigen, aber wenn er es macht, indem er andere Autoren einseitig oder ungenügend behandelt oder sogar Anthroposophen außer Acht lässt, die vielleicht mit dem reinen Denken etwas erreicht haben, als würden sie nicht existieren, ist es nicht nur traurig, sondern peinlich.“ – Ich würde dann von Sæther gerne einmal eine Handvoll Namen genannt bekommen, die das verwirklicht haben, was Rudolf Steiner in den oben angeführten Zitaten, in denen er das reine Denken beschreibt, verwirklicht haben!

Epilog

Sæther schließt dann: „Kommend aus der Frustration der eigenen Schicksalsschläge [...] wird Holger Niederhausen schnell seine Zuhörer loswerden, falls er nicht schafft, seinen Lautsprecher herunterzudrehen, - falls er nicht schafft, den ‚anthroposophischen Wald‘ mit ihren Vielfalt der Bäume und Blumen neu zu definieren, weil er scheinbar in einem Kulissezierbaum hochgeklettert ist - sitzend mit der Säge auf einem dünnen, ausgetrockneten, blattlosen, ‚reinen‘ Ast.“

Sæther mag noch so sehr ein psychologisches Motiv suchen – die Schicksalsschläge (die vielleicht noch kommen) und die „Frustration“ sind eine reine, unwahre Unterstellung. Die „Lautsprecher“ und überhaupt der ganze Satz zeigen eher Sæthers eigene Frustration über meine Aufsätze. Ob ich „Zuhörer loswerde“ oder nicht, darum geht es mir gar nicht (Sæther dagegen scheint dieses Loswerden mit seinem „Fazit“ fast schon herbeireden zu wollen). Mir geht es um die Wahrheit, und jeder ist in jedem Moment frei, sich zu dem, was ich schreibe, zu stellen, wie er mag – oder wie sein eigenes Wahrheitsempfinden es ihm sagt. Der „anthroposophische Wald“ ist wie gesagt in welcher Vielfalt auch immer tot – und so kann mich auch das Bild von dem dünnen Ast und der Säge nicht treffen. Worum es geht, ist einzig und allein, auf das hinzuweisen, was tatsächlich neues Leben bringen kann. Man wird es weiterhin zurückweisen oder hören...

Und so ist auf das Knigge-Zitat („Enthülle nie auf unedle Art die Schwächen Deiner Nebenmenschen, um Dich zu erheben! Ziehe nicht ihre Fehler und Verirrungen an das Tageslicht, um auf ihre Unkosten zu schimmern!“) zu sagen: Ich will mich nicht erheben, und ich will nicht schimmern. Sich aus Liebe zur Wahrheit in gewisser Weise gegen die gesamte „anthroposophische Bewegung“ stellen zu müssen, hat mit Sicherheit nichts mit persönlichen Motiven zu tun – und sich erheben und schimmern kann man innerhalb der etablierten „Anthroposophie“ sicher viel besser. Wenn ich die Schwächen, Fehler und Verirrungen der „Nebenmenschen“ (eigentlich der Bewegung insgesamt) enthülle, dann nur deshalb, weil sie das Wesen der Anthroposophie verhüllen und weil es mir darum geht, auf dieses Wesen hinzuweisen.

Wäre man sich darin einig, dann wären die Schwächen und Verirrungen kein Problem, denn man würde sich im Streben immer wieder finden. Heute aber werden die Fehler und Verirrungen als lebendige oder gar vielfältige Anthroposophie hingestellt. Auf diese Unwahrheit will ich hinweisen – nicht mehr ... und nicht weniger.