07.03.2009

Garvelmanns offener Angriff auf die Anthroposophie

Auf seiner Webseite „Egoisten.de“ hat Michael Eggert einen offenen Brief von Wolfgang Garvelmann an Sergej O. Prokofieff veröffentlicht, der einmal mehr offenbart, wie der Kampf um die „Anerkennung“ Judith von Halles mit einer ungeheuren Unwahrhaftigkeit und einer völligen Blindheit gegenüber dem Wesen der Anthroposophie einhergeht.


Inhalt
Originaltext (Wolfgang Garvelmann)
Von Schubladen und dem Wesen der Geisteswissenschaft
Irrtümer über den Auferstehungsleib
Irrtümer über die Stigmata
Irrtümer über die sinnlichen Schauungen
Der Tod der Geisteswissenschaft


Originaltext (Wolfgang Garvelmann)

Garvelmann schreibt an Prokofieff in Bezug auf dessen Buch „Das Mysterium der Auferstehung...“:

Ich muss den thematisch schildernden Teil des Buches aus ganzem Herzen und mit viel Bewunderung anerkennen – er eröffnet ungeahnte Tiefenblicke und bewegende Seelenregungen, zumal, wenn man aus der Kenntnis der Anthroposophie heraus die Quellen, aus denen Sie schöpfen, kennt und versteht. Gerade dadurch aber wird verhindert der Einblick in die eigenen Erkenntnisse und spirituellen Erfahrungen des Verfassers. Sie werden mit Recht sagen, dass es darauf ja keinesfalls ankomme – aber unsere langen Erfahrungen mit Sekundärliteratur haben gezeigt, dass ständige Hinweise auf Rudolf Steiner und Zitate seiner Erkenntnisse eine lähmende Wirkung haben und eher geeignet sind, Menschen abzuschrecken; während ein grosses Bedürfnis besteht nach Literatur und Vorträgen aufgrund von Eigenerfahrungen, auch wenn deren Niveau deutlich niedriger sein sollte. So bewundere ich Ihr Buch auch als Meisterwerk der modernen anthroposophischen Schriftgelehrsamkeit, bei der dem Leser nur noch übrig bleibt, zu untersuchen, ob er die Rückschlüsse und Deutungen des Autors bestätigen kann. Das dringende Interesse des heutigen Geistesschülers besteht darin: Wie weit sind meine Kollegen, die „Mitschüler“, auf Ihrem Wege zum Geist gekommen – was darf ich also vielleicht noch erhoffen? – Ich komme später noch einmal darauf zurück.

Im „Anhange“ dieses Buches aber versuchen Sie eine Abrechnung mit Judith von Halle hinter einer Betrachtung über Katharina Emmerich. Das geht auch mich an, da ich ja eine „Konkordanz“ über die Erfahrungen der Katharina Emmerich, Theresa Neumann und Judith von Halle geschrieben und Ihnen sofort nach Erscheinen zugeschickt habe. Dass es dabei um J.v.H. geht, ergibt sich schon allein durch den Gebrauch des Begriffes „Zeitreise“, der nur bei J.v.H. vorkommt – solange, bis sie keinen besseren findet. Warum aber wird das nicht expressis verbis genannt? [...] Dazu kommt, dass Katharina Emmerich vor etwa 200 Jahren gelebt hat, in einer Zeit völlig anderer Seelenverfassung als Kind armer Leute, mit vier Monaten Schulbildung, in der entscheidenden Lebenszeit ans Bett gefesselt, bildungsmässig der Kirchenfrömmigkeit ausgeliefert – und noch nicht Rudolf Steiner kannte. [...] Judith von Halle ist Akademikerin, steht intellektuell auf der Höhe unseren Bewusstseinsseelenzeitalters, schreibt ihre Bücher selbst, hält lebendige vielbesuchte Vorträge [...] und kennt und verehrt Rudolf Steiner – wobei gesagt werden darf, dass sie ihn noch nicht allzulange kennt und ihn vor allem als den Bestätiger eigener bereits kindlicher spiritueller Erfahrungen anerkennt. Ihre Schriften bestätigen Rudolf Steiner, aber deren Inhalte fußen auf eigenen Erfahrungen. Ihr Erkenntnisleben als „somnambul“ zu bezeichnen, ist völlig unsachlich. Ich bin auf dieses Problem in meinem Buch ausführlicher eingegangen. Es ist einfach unfair, Katharina Emmerich und J.v.H. in die somnambule Schublade zu stecken – und sogar noch in die gleiche Schublade. Dazu noch ein kurzer Seitensprung: Eine solche spirituelle Tatsache wie die nachtodlichen Mitteilungen Sigwarts aus der „Brücke über den Strom“ (Oratio-Verlag) hätten Sie, lieber Herr Prokofieff, aufgrund der vorliegenden Steinerangaben natürlich auch einer ahrimanischen Einflüsterung zuschreiben müssen. Aber der Doktor selbst hat sie freudig als richtig, wenn auch selten, qualifiziert. Die Wirklichkeit ist eben immer anders. Auch der Mediziner, der die methodischen Darstellungen Steiners kennt, staunt oft, dass er bei seinen Ratschlägen im konkreten Fall etwas überraschend Anderes vorgeschlagen hat.

Wir Anthroposophen begreifen Rudolf Steiner immer noch viel zu wenig und viel zu klein. Er stand ständig vor der Aufgabe, unsinnlich Geistiges zu versinnlichen, die Sprache der Geister zu übersetzen in Menschensprache. [...] Diese seine Übersetzungen lesen wir in den Zyklen – und bleiben im Allgemeinen dabei stehen, diese Zyklen zu erarbeiten, aus der klein gewordenen Menschensprache heraus. Die Aufgabe des Schülers besteht aber auch darin, die Geistes-Göttersprache zu erlernen, um den esoterischen Sinn der Anthroposophie erfassen zu können – kommt er nicht so weit, wird er ein Ideologe und nicht ein Erfasser der göttlichen Ideen.

So ist es auch mit der Erfahrung des Christus. Über das „Phantom“ hat Rudolf Steiner schon 1911 gesprochen („Von Jesus zu Christus“) Dieses Thema ist durch Judith von Halle in den letzten Jahren deutlich wichtiger geworden. Nun ist aber dieser Auferstehungsleib seinem Wesen nach nur von demjenigen voll zu verstehen, der ihn selbst erfahren hat – und damit auch das eigentliche Wesen des Christus erkannt hat. Alles rein literarische Schreiben über das Phantom bleibt darum letztlich nur eine Sprachattrappe. Man darf wohl sagen, die „Verleihung“ des Auferstehungsleibes ist eine Einweihung in das Mysterium der Christusexistenz. Er wird verliehen als ein reines Gnadengeschenk. Ich bin der Überzeugung, dass ihn der Mensch nicht selbst erarbeiten kann, wie oftmals geglaubt wird – allerdings muss der Mensch durch seine eigene Arbeit die Voraussetzung schaffen, dass er verliehen werden kann. In meinem ersten Buch „Ich bin bei euch“ wird in dem Kapitel über die esoterische Schulung ein Fall einer solchen Verleihung geschildert – allerdings hat niemand jemals danach gefragt – ist es überhaupt gelesen worden? Aus dieser Kenntnis heraus spreche ich in dem Konkordanzbuch auch das Problem der inneren und der äußeren Stigmatisation an – und darum erscheint mir Judith von Halle auch als authentisch.

Sie besprechen die sogen. Blutproben, die Steiner beschrieben hat, sehr ausführlich und stellen sie in den Gegensatz zu den bleibenden Stigmata. Nun sind diese willkürlich zu erzeugenden Erscheinungen gleichzustellen den Fähigkeiten gut geschulter Yoghis, die sonst unbewusste Leibesfunktionen durch eine gewisse Beherrschung des Ätherleibes aktivieren können. Sie haben also nur physiologischen, nicht religiösen der gar spezifisch christlichen Charakter. Das dürfte sie deutlich unterscheiden von den bleibenden Stigmata, die stets verbunden sind mit einer starken vollbewussten Liebe zu Christus. – Auch um die Willensfreiheit braucht man sich nicht zu sorgen: Entweder fragt die geistige Welt vorher an, ob der Kandidat – die Kandidatin – damit einverstanden ist, oder der Wille, das Leid und das Schicksal des Christus mitzutragen, kommt durch Gebet oder die spirituelle Aktivität des Schülers zu einem deutlichen Ausdruck. [...]

Und wenn es noch einmal um Authentizität geht: Wenn eine „ungebildete“ Bäuerin wie Therese Neumann begeistert von dem Gewände des Auferstandenen erzählt: „Ja, was glaubst du denn, das Gewand war doch nicht aus so einem steifen Stoff, wie unser (Schneider)-Vater ein Gewand zusammen näht, sondern licht und nicht von dieser Welt und da hat die Herzwunde hell durchgeleuchtet. Ach, war das schön...“ dann überzeugt mich das mehr als Autoritätszitate eines Hochschulabsolventen jeglicher Fakultät.
Und da wären wir dann also in den Mitten unserer Dinge angekommen. Was sind eigentlich „rein irdische Seiten der Ereignisse“, die Sie bei den Erfahrungen der Zeitreisenden finden? Wie sieht ein „automatisch wirkender Mensch“ praktisch aus? Als Heilpädagoge denke ich an einen Autisten oder an einen kataton Schizophrenen. In zweiter Linie dann an eine Steiner-Beobachtung, dass die Meditation der meisten Menschen nur ein gedankliches Dahergeplapper sei (oder so ähnlich). Die „irdischen Seiten“ der Ereignisse finde ich etwa in den rührend kitschigen Gottesreichbildern der Wachturmleute (Zeugen Jehovas) oder etwa im „Buch Mormon“ der Mormonen. Aber bei Katharina Emmerick oder Judith von Halle?? Haben Sie das Büchlein von J.v.H. über „Das Abendmahl“ gelesen? Ständig versucht sie, den Leser über den spirituellen Symbolgehalt jeder einzelnen Handlung des Christus zu informieren. [...] Was ist der grundsätzliche Unterschied zum „Fünften Evangelium“, wenn etwa Steiner über das Dämonenerlebnis des Jesus am heidnischen Altar und über das umgekehrte Vaterunser berichtet? Judith von Halle setzt sich selbst sehr gründlich mit der Beziehung der Akasha-Chronik zur Zeitreise auseinander – aus eigener Kenntnis der Verhältnisse, nicht aus literarischen Quellen. [...]

Das bringt mich wieder zu grundsätzlichen Problemen zurück. Sind wir nicht auch mit ähnlichen Phänomenen befasst? Wer länger oder ständig in Dornach lebt, verliert allmählich das Gefühl dafür, welche suggestiven Impulse von der astralen Seelenhaftigkeit des Goetheanums der Nach-Steiner-Ära ausgehen. Der esoterische Schüler konnte durch Jahrzehnte den Hinweis erhalten; „Siehe da den Thronsitz Luzifers unter den Menschen“ – während in den Himmelshöhen das vergeistigte erste Goetheanum schwebte. Es war zu erleben, wie zuvor offene Menschen in diese Gruppenseelenhaftigkeit gerieten, die charakterisiert werden könnte als eine Art von kühlem hochaesthetischem Weisheits- und Wahrheits-Genießen ohne die spezifisch christliche Menschenwärme und damit ohne eigentliche christliche Esoterik.

[...] Wie bequem und angenehm wäre – auf unserem Sektor z.B. eine Anthroposophie ohne Christus, Rudolf Steiner und am besten auch ohne Anthroposophische Gesellschaft! Lieber Herr Prokofieff, hier treffen wir uns in der Sorge um die spirituelle Zukunft der Menschheit und ihres Erdenplaneten. Wenn ich nicht Ihre besten Absichten glaube erkennen zu können, müsste dieser Brief jetzt als eine der üblichen Besserwissereien gelten. Aber ich kenne auch Judith von Halle und weiß, wie auch ihr Herz für unsere Ideale brennt und wie sinnlos es ist, dass wir uns bekämpfen, anstatt unsere Gemeinsamkeiten zu pflegen. Wir landen genau in der Falle der Widersachermächte, die noch immer mit dem alten Rezept: divide et impera Erfolg hatten: Entzweie sie, dass sie sich untereinander bekämpfen, dann kannst du sie sicher beherrschen. [...]


Schon gleich zu Anfang zeigt sich die Unwahrhaftigkeit: Garvelmann muss den Hauptteil des Buches „aus ganzem Herzen und mit viel Bewunderung anerkennen – er eröffnet ungeahnte Tiefenblicke und bewegende Seelenregungen“, zumal wenn man die Quellen kennt – und auf der anderen Seite haben „ständige Hinweise auf Rudolf Steiner und Zitate seiner Erkenntnisse eine lähmende Wirkung“ und so bewundert er Prokofieffs Buch „auch [oder eher?] als Meisterwerk der modernen anthroposophischen Schriftgelehrsamkeit, bei der dem Leser nur noch übrig bleibt, zu untersuchen, ob er die Rückschlüsse und Deutungen des Autors bestätigen kann.“

Lähmt Prokofieffs Buch nun oder nicht? Ist es Schriftgelehrsamkeit oder eröffnet es bewegende Seelenregungen (was auch immer „Eröffnen“ dabei heißen mag)? Oder beides, aber letzteres eben nur bei kundigen Anthroposophen, die durch die Zitate hindurch die Originalquellen mitempfinden können, während alle anderen Leser gelähmt und von der Schriftgelehrtheit vertrocknet zurückbleiben? Muss ein anthroposophisches Werk nicht ein Lebensquell sein? Wie kann Garvelmann gleichzeitig von lähmender Tendenz und Schriftgelehrsamkeit sprechen und „aus ganzem Herzen und mit viel Bewunderung“ seine Anerkennung ausdrücken?!

Von Schubladen und dem Wesen der Geisteswissenschaft

Der nächste Absatz, der Judith von Halle verteidigt, enthält dann eine Fülle von Vermischungen, die die klare Erkenntnis sehr erschweren.

Garvelmann stellt Judith von Halle in einen gewissen Gegensatz zu Katharina Emmerich, denn sie stehe „intellektuell auf der Höhe unseres Bewusstseinsseelenzeitalters“. Es sei einfach unfair, beide in die gleiche, ja überhaupt in die „somnambule Schublade“ zu stecken. Was nun – ersteres oder letzteres? Offenbar reicht es Garvelmann nicht, nur die Besonderheit Judith von Halles zu betonen, sondern will er in einem weitergehenden Schritt auch Emmerich von dem „Stigma“ des Somnambulismus „erlösen“. Er versucht dies zu stützen durch Hinweise auf „Brücke über den Strom“ (die dort erwähnten nachtodlichen Mitteilungen habe Rudolf Steiner als richtig bezeichnet) und auf die so oft „überraschend anderen“ medizinischen Hinweise Rudolf Steiners. Dieser Versuch Garvelmanns ist nichts geringeres als eine völlige Absurdität. Im Grunde enthält er die Aussage, die Wahrheit sei immer so überraschend, dass man sich eben immer nur überraschen lassen könne. Das ist aber die Leugnung jeglicher Geisteswissenschaft außerhalb Rudolf Steiners! Wenn Garvelmann überhaupt mit Steiner argumentiert, müsste er zumindest ganz und gar anerkennen, dass dieser Emmerich als Somnambule bezeichnet hat! (Im übrigen sind auch nicht alle Aussagen einer Somnambulen „Einflüsterungen Ahrimans“ – Rudolf Steiner bezeichnete Emmerich gerade als „außerordentlich gute Somnambule“, deren Schauungen ebenfalls „unzweifelhaft außerordentlich Richtiges“ enthielten).

Es bleibt die schwächere Aussage, dass „wenigstens Judith von Halle“ nicht in die „somnambule Schublade“ gehöre. Schon die Wortwahl zeigt, dass hier jenseits von Erkenntnisfragen versucht wird, bestimmte Urteile von vornherein moralisch unmöglich zu machen. Die Wahrheit stört sich aber nicht daran, ob man sie sympathisch findet oder nicht – und sie kann nur von jenen erkannt werden, die über diese Neigungen hinausgelangen können. Richtig ist, dass Judith von Halle einen völlig anderen intellektuellen Hintergrund als Emmerich hat und dass ihre Sprache ebenfalls eine ganz andere ist. Wahr ist aber auch, dass die Art der Schauungen gleich oder sehr ähnlich zu sein scheint und dass sie die Betroffene „überfallen“ und nicht „verhindert“ werden können. Wahr ist auch, dass die Schilderungen Judith von Halles sich im Sinne einer „Zeitreise“ großteils auf sinnlich wahrzunehmende Ereignisse zur Zeitenwende beziehen.

Unabhängig von der Frage, ob es sich hier um den gleichen oder überhaupt um Somnambulismus (wie bei Emmerich) handelt, zeigen die reinen Tatsachen, dass es sich hier nicht um Geisteswissenschaft handelt. Geisteswissenschaft bedeutet, dass man zu Erkenntnissen kommt, indem jeder Schritt der geistigen Forschung auf völlig durchschauter Methode und auf eigener freier Geistesaktivität beruht. Judith von Halle hat Schauungen, die sie ohne jede Methode „von außen“ überfallen und die mit Sinneswahrnehmungen gleichzusetzen sind (bzw. sogar hyper-sinnlich sind, da sie ja angibt, im entsprechenden Zustand selbst Bestandteile von Cremes identifizieren zu können usw.).

Es geht überhaupt nicht um die Frage, ob Judith von Halles „Übersetzung“ ihrer Schauungen irgendwie „geisteswissenschaftlich“ wäre – diese Frage wäre bereits falsch gestellt. Es geht um die Frage, ob ihre Schauungen Geisteswissenschaft sind – und diese Frage verneint sich unmittelbar selbst.

Warum stellt sich die Frage nach der „Übersetzung“ nicht? Weil sie absolut sinnlos ist. Da die Schauungen keine Geistesforschung sind, können wahre Elemente und Täuschungen in keinster Weise voneinander geschieden werden! Die „anthroposophische Übersetzung“ kann die Dinge nur verschlimmern, weil sie die Illusion einer Übersetzung, einer Deutung liefert. Wenn ich aber eine Täuschung in anthroposophische Terminologie übersetze, wird sie nicht wahrer, sie wird höchstens zur Lüge...

Entweder man erkennt an, was Rudolf Steiner immer wieder betont hat: dass nämlich die Unterscheidung zwischen Täuschung und Wahrheit überhaupt nur möglich wird, wenn man in strengster Methodik die eigenen Geistesorgane entwickelt und sich dann über jeden einzelnen Schritt der eigenen Geistesaktivität klarste Rechenschaft geben kann – oder man wirft die ehernsten Grundsätze der Geisteswissenschaft über Bord und kann dann alles als „Anthroposophie“ bezeichnen...

Garvelmann geht den letzteren Weg. Für ihn ist es „unfair“, selbst Emmerich in die „somnambule Schublade“ zu stecken (er „berichtigt“ hier also Rudolf Steiner). Vor allem aber brauche sich Judith von Halle an Rudolf Steiner überhaupt nicht messen zu lassen. Vielmehr bestätige sie ihn! Zwar kenne sie Rudolf Steiner, aber auch „noch nicht allzu lange“. Zwar „verehre“ sie ihn, aber eigentlich anerkennt sie ihn „vor allem als den Bestätiger eigener bereits kindlicher spiritueller Erfahrungen“. Kann man angesichts der Widersprüche nicht erkennen, dass das eine reine Worthülsen sind (die nur dazu dienen, möglichst viel Wohlwollen zu erheischen), während das andere Judith von Halle völlig von Rudolf Steiner „befreien“ soll? Warum nur ist man dann nicht wahrhaftig und sagt: „Es ist keine Anthroposophie, sie geht einen ganz eigenen Weg“?

Irrtümer über den Auferstehungsleib

Stattdessen sagt Garvelmann, wir „begreifen Rudolf Steiner immer noch viel zu wenig und viel zu klein“, geht auf das Problem der „Übersetzung“ geistiger Erfahrungen ein und weist auf die Aufgabe auch des Schülers hin, nicht am Wortlaut der Zyklen zu haften, sondern die „Geistes-Göttersprache zu erlernen“ und sich also zu jener Sphäre zu erheben, aus der Rudolf Steiner geschöpft hat. Hier wird bereits suggeriert, Judith von Halle würde eigentlich das gleiche wie Rudolf Steiner tun, wenn sie ihre Schauungen in Worte bringt. Doch dazu später, zunächst will Garvelmann auf etwas anderes hinaus:

Das Wesen des Auferstehungsleibes (und damit das Wesen des Christus) sei „nur von demjenigen voll zu verstehen, der ihn selbst erfahren hat“. Nun ist dies einerseits eine Binsenweisheit, die auch auf alles andere zutrifft, was man erfahren muss, bevor man vollgültig darüber sprechen kann. Andererseits hat Rudolf Steiner nicht nur über diesen Leib gesprochen, sondern er hat auch gesagt, dass alles, was der Geistesforscher mitteilt, verstanden werden kann – auch ohne eigene Erfahrung!

Das Wesen des Auferstehungsleibes umfasst die reine, reale Idee des physischen Leibes, das „Phantom“. Christus errettete es durch seine Tat aus der zur Zeitenwende drohenden Vernichtung durch eine zu enge, bleibende Verbindung mit dem Sinnlich-Materiellen. Mit diesem reinen Phantom kann sich der Mensch verbinden, wenn er eine Beziehung zum Christuswesen findet. Rudolf Steiner formuliert dies folgendermaßen:

Und es ist möglich, jene Beziehung zu dem Christus herzustellen, durch welche der Erdenmensch seinem sonst zerfallenden physischen Leib einfügt dieses Phantom, das aus dem Grabe von Golgatha auferstanden ist.
(11.10.1911, GA 131, S. 167)

Es soll durch die Art, wie ihr euch verbunden fühlt mit der Christus-­Wesenheit, zur weiteren menschlichen Entwickelung die Möglichkeit herbeigeführt werden, daß der eine aus dem Grabe auferstandene Leib – der Geistleib – auf die Menschen übergehen kann.
(12.10.1911, GA 131, S. 186).


Es geht also weder um eine „Selbsterarbeitung“, noch um ein „willkürliches“ Gnadengeschenk.
Wenn Garvelmann formuliert: „Man darf wohl sagen, die „Verleihung“ des Auferstehungsleibes ist eine Einweihung in das Mysterium der Christusexistenz.“, so stellt er das „Anziehen“ dieses „unverweslichen Leibes“ als ein plötzliches Geschehen dar, das darüber hinaus mit tiefen Erkenntnissen verbunden ist. Man muss sich diesen Prozess jedoch ebenso allmählich vorstellen wie das Wachsen der realen Beziehung zu Christus.

Der von Garvelmann erwähnte „Fall einer solchen Verleihung“ betrifft einen jungen Menschen im 28. Lebensjahr, der sich in tiefer Verzweiflung befindet. Was dann geschieht, wird wie folgt beschrieben („Ich bin bei Euch“, S. 105):

„Er fühlt in den Handtellern an charakteristischer Stelle einen leichten Schmerz und findet, als er dieser Empfindung nachgeht, in den eigenen Leib eingelagert einen anderen, fremden – licht- und krafterfüllt. Er ist von genau bestimmbarer Form, das Antlitz wieder erkennbar. Der Schauende weiß: Dieses ist das reine Urbild des Menschen – das Urbild und auch das Ziel der ganzen Erde. Die Zukunft des Kosmos ist in ihm erwacht. – Dieser Leib bleibt eine kleine Weile spürbar und dämmert dann ab, aber er hinterlässt eine große Sicherheit, die für das ganze weitere Leben, jahrzehntelang, bleibt.“


Rudolf Steiner sprach mehrmals davon, dass der Christus Menschen in großer Not erscheinen und beistehen werde. Die besondere Art seines Erscheinens in diesem Fall verlieh diesem jungen Menschen (offenbar bis in die Physis hinein) eine bleibende Stärkung und Sicherheit, die er offensichtlich benötigte, wie auch die Vorgeschichte andeutet.

Was sich hier als ausgeprägtes Gnadengeschehen ereignet, kann auch auf anderen Wegen erreicht werden. Die Stärkung der eigenen Ich-Kräfte muss nicht durch eine regelrechte Christus-Erscheinung initiiert werden, sie kann (und wird von vielen Menschen) auch auf „gewöhnlicheren“ Wegen erarbeitet werden. Dies bedeutet nicht, dass die wahren Ich-Kräfte nicht auch dann aus der Christus-Sphäre stammen – das tun sie. Es kann aber vielleicht klarmachen, dass eine regelrechte Offenbarung des Christuswesens in schwerer Schicksalsnot nicht zwangsläufig mit einer vollgültigen „Verleihung des Auferstehungsleibes“ gleichgesetzt werden kann!

Es darf vielleicht gesagt werden, dass selbst nach einer solchen Gnadenerscheinung der reale Zusammenhang mit dem Christuswesen und damit mit dem von Ihm erretteten Phantom fortwährend erstrebt und durch eine entsprechende innerliche Aktivität wahrgemacht werden muss.

Und ich möchte hinzufügen: Eine wirkliche Einweihung in das Mysterium der Christus-Existenz und in das Wesen des Auferstehungsleibes findet man beschrieben in „Der Heilige Gral“ von Mieke Mosmuller.

Irrtümer über die Stigmata

Die nächste Frage ist das Phänomen der Stigmata, in Bezug auf die Judith von Halle und ihre „Verteidiger“ behaupten, es wären Beweise für die Durchdringung mit dem Auferstehungsleib. Rudolf Steiner hat nie über bleibende Stigmata, blutende Wundmale, gesprochen, immer nur über die beim christlichen Einweihungsweg vorübergehend (als hyperämische Stellen) auftretenden Male. Diese Tatsache ist bereits ein sehr sicherer Beleg dafür, dass Fälle der Stigmatisation nicht mit einem direkten Christuswirken zusammengedacht werden sollten – und schon gar nicht zwangsläufig!

Mieke Mosmuller gibt in ihrem Buch „Stigmata und Geist-Erkenntnis“ weitreichende Urteilsgrundlagen zu dieser ganzen Frage und beschreibt insbesondere mehrere Möglichkeiten einer Stigmatisation – die alle (bis auf den Fall der o.g. Male) nicht mit christlicher Einweihung oder Gnadeereignissen zu tun haben, sondern auf anderen Ursachen beruhen.

Im weiteren stellt Garvelmann gerade die im christlichen Einweihungsweg auftretenden Male als physiologische, nicht religiöse oder gar spezifisch christliche Erscheinungen hin („gleichzustellen den Fähigkeiten gut geschulter Yogis“) – und dies, obwohl diese Male im Zuge einer intensiven Meditation der sieben christlichen Leidensstufen auftreten! Und er versteigt sich zu dem Satz: „Das dürfte sie deutlich unterscheiden von den bleibenden Stigmata, die stets verbunden sind mit einer starken vollbewussten Liebe zu Christus.“ Er behauptet also nichts anderes, als dass sich die stigmatisierte Person durch eine ganz besondere „Liebe zu Christus“ auszeichne (was die „Gnade“ der Stigmata ja beweise), während der „normale“ Geistesschüler der christlichen Einweihung es „nur“ bis zu einer willkürlichen Beeinflussung seiner Leiblichkeit bringe. Dies ist die Logik von Garvelmanns Argumentation – eine furchtbare Verhöhnung des gesamten christlich-esoterischen Einweihungsweges! Das Gegenteil ist der Fall: Auf diesem Einweihungsweg gewinnt der Schüler eine reale Verbindung zu Christus und dem Auferstehungsleib, die Stigmatisation dagegen kann verschiedenste Ursachen haben.

Garvelmann sagt aus seiner „Kenntnis“ des o.g. Falles (das Christus-Erlebnis des jungen Menschen) heraus: „darum erscheint mir Judith von Halle auch als authentisch.“ Er urteilt also aus einem Fall heraus, der über die Frage des Auferstehungsleibes oder gar dessen „Verleihung“ nur scheinbar Sicheres ergibt, jedoch in einen viel differenzierteren Zusammenhang gestellt werden muss! Und er gibt an dieser Stelle offenbar sogar zu, dass auch er nur von einer Ansicht bewegt wird: „Darum erscheint mir...“! Garvelmann durchschaut weder den ganzen Umfang der mit der Auferstehungsleiblichkeit verbundenen Erkenntnisfrage (und Irrtumsmöglichkeiten), er durchschaut ebenso wenig die verschiedenen Möglichkeiten einer Stigmatisation, ebenso wenig das, was Judith von Halle schildert usw. – aber sie „erscheint“ ihm „als authentisch“! Auch dies ist der Bankrott jeglichen geisteswissenschaftlichen oder auch nur annähernd wahrhaftigen Urteils...

Wo Garvelmann auf die Frage der Willensfreiheit eingeht, wird es wiederum schlimm: „Entweder fragt die geistige Welt vorher an, ob der Kandidat ... damit einverstanden ist...“ – was für eine Sprache ist das?! Es ist eine technische Sprache, die diese Geisteswelt sehr objekthaft vorstellt! Und in welchem Fall sollte überhaupt die geistige Welt von sich aus die Begnadung „beschließen“ und „anfragen“ müssen? – „...oder der Wille, das Leid und das Schicksal des Christus mitzutragen...“ – was heißt dies nun wieder? Kann man überhaupt Sein Leid mittragen? Nein, man kann es nicht. Man kann sich nur auf den Weg der Nachfolge begeben, das ist aber etwas ganz anderes. Christus hatte Sein Leid auf sich genommen, um die Menschheit von etwas zu erretten, was kein Mensch tragen konnte! Nachfolge bedeutet einzig und allein, jene Demut und selbstlose Liebe zu üben, die Er als kosmisches Wesen ist – und die nur geübt werden kann, indem man immer mehr die Verbindung zu Ihm sucht und findet. Bereits die Nachfolge ist nur aus Seiner Kraft möglich...

Wenn Garvelmann den Willen zur Nachfolge gemeint hätte, dann hätte er dies so ausdrücken müssen. Diesen Willen hat jeder tief aufrichtig strebende Christ. Garvelmann aber ging es um die Willensfreiheit der Stigmatisierten, also mussten es doch noch höhere Worte sein... Die Frage stellt sich jedoch: Zeigten die Stigmatisierten etwa einen besonders starken Willen zur Nachfolge? Im Grunde legt Garvelmann dem Leser diesen Schluss nahe, denn sonst müsste ja jeder Christ stigmatisiert sein? Die Stigmatisation gibt scheinbar den besonderen Willen zur Nachfolge (im Nachhinein) zu erkennen. Da aber umgekehrt die Stigmatisation mit diesem besonderen Willen zur Nachfolge „begründet“ wird, hat man einen typischen Zirkelschluss: Eins wird mit dem anderen „begründet“. Man könnte es auch anders formulieren: Stigmatisation ist Gnade und Gnade beweist sich selbst... Nun, man kann dies glauben, aber man sollte diesen Glauben anderen nicht aufzwingen, zumal es viele gewichtige Gründe gibt, diese reine Behauptung zu bezweifeln und von ganz anderen Dingen auszugehen, und zwar gerade, wenn man sich dem Christus und dem Geist der Wahrheit verbunden fühlt.

Irrtümer über die sinnlichen Schauungen

Nun kehrt Garvelmann zur „Übersetzungsfrage“ zurück. Er zitiert die schlichten Worte der ungebildeten Bäuerin Therese Neumann, die das lichte Gewand Christi schildert, was ihn mehr überzeuge als „Autoritätszitate“. Er will dann darauf hinaus, dass es hier um mehr als irdische Ereignisse geht. Das ist nicht zu bestreiten, aber erstens geht es hier trotz allem nicht um Geisteswissenschaft, sondern um Schauungen, die immer von persönlichen Bedingungen und Einseitigkeiten geprägt sind – und zweitens geht es bei Judith von Halle sehr wohl um die sinnlichen Ereignisse der Zeitenwende. Immer wieder also vergleicht Garvelmann Unvergleichbares bzw. widerpricht sich selbst!

Er macht es Prokofieff sogar noch zum Vorwurf, dass er Judith von Halles Hinwendung zur „rein irdischen Seite der Ereignisse“ kritisch feststellt, obwohl ebendies den Tatsachen entspricht! Schildert „die Zeitreisende“ nicht endlos den reinen Hergang des Abendmahls oder auch schlimmste Details wie die angebliche Herstellung der Kreuzesnägel?! Kann man sich so etwas bei einer Therese Neumann oder auch einer Katharina Emmerich auch nur vorstellen? Nein.

Des weiteren stellt Garvelmann Prokofieff die vorwurfsvolle Frage, wie denn ein „automatisch wirkender Mensch“ praktisch aussehe. Er müsste diese Frage aber Rudolf Steiner stellen! Denn Prokofieff zitiert Steiner: „Die Folge ist, dass der Mensch mit Ausschaltung des Bewusstseins [für die Zeit, wo er die Gesichte erlebt] wie zum Automaten wird, und dass doch eigentlich nur das, was äußerlich dem Kulturleben oder dem moralischen Leben angehört, in diesem automatisch werdenden [nicht wirkenden! H.N.] Menschen sich ausdrückt“ (GA 67, 21.3.1918). Praktisch sieht ein solcher Mensch also so aus, dass er während seiner Schauungen absolut unfrei ist, wie zum Automaten wird, und dass auch vollkommen unklar bleibt, welche Einflüsse in diese Schauungen hineinwirken (selbst wenn sie vieles Richtige hervorbringen sollten, wie es Steiner in Bezug auf Katharina von Emmerich sagte). Garvelmann müsste dann also auch gegenüber Rudolf Steiner fortsetzen, dass er sich bei diesen Worten einen Autisten oder kataton Schizophrenen vorstellt, was ihm ja auch unbenommen ist, die Frage ist nur, warum er glaubt, unbedingt Steiners Wortwahl verbessern zu müssen? Natürlich will er auch hier wieder durch reine suggestive Polemik die unfrei machenden Schauungen als freilassend bzw. als Gnadenereignis hinstellen.

Mit einer ebenso überzogenen Polarisierung versucht er dann, die sinnlichen Schilderungen der Ereignisse der Zeitenwende noch als „geistig“ hinzustellen: Die „rein irdischen Seiten“ der Ereignisse fänden sich „in den rührend kitschigen Gottesreichbildern“ der Zeugen Jehovas oder der Mormonen! Die Methode ist also: Finde jemanden, der etwas noch sinnlicher schildert, und schon gibt Judith von Halle geistige Schilderungen...

Dann betont Garvelmann, wie sie z.B. in ihrem Buch über das Abendmahl „ständig versucht, den Leser über den spirituellen Symbolgehalt jeder einzelnen Handlung des Christus zu informieren [!]“

Wenn Garvelmann den Unterschied zwischen Judith von Halles Darstellungen und Rudolf Steiners Schilderungen über das Dämonenerlebnis des Jesus am heidnischen Altar oder über das umgekehrte Vaterunser nicht sieht, dann ist er entweder böswillig blind oder völlig unfähig zu jeder Unterscheidung.

Sind Judith von Halles „Informationen“ über „Symbolgehalte“ mit dem, was Rudolf Steiner offenbarte, bereits nicht im mindesten vergleichbar, so wird es noch schlimmer bei der Schilderung unzähliger sinnlicher Details – bis hin zur Herstellung der Kreuzesnägel, der Schächtung der Lämmer (eine Lüge!), und der viel zu sinnlichen, falschen Darstellung selbst angeblich geistiger Geschehnisse!

Mieke Mosmuller belegt in ihrem genannten Buch ausführlich, wie Judith von Halle hier Irrtum über Irrtum verbreitet – und selbst mit jenen Schilderungen, die richtig und denkbar sein könnten, jeden Zugang zur Realität des Auferstandenen, zur Begegnung mit Ihm, geradezu versperrt.

Der Tod der Geisteswissenschaft

Am Ende bringt Garvelmann dann eine sehr aufschlussreiche Schilderung der Dornacher Verhältnisse! „Wer länger oder ständig in Dornach lebt, verliert allmählich das Gefühl dafür, welche suggestiven Impulse von der astralen Seelenhaftigkeit des Goetheanums der Nach-Steiner-Ära ausgehen. [...] Es war zu erleben, wie zuvor offene Menschen in diese Gruppenseelenhaftigkeit gerieten, die charakterisiert werden könnte als eine Art von kühlem hochaesthetischem Weisheits- und Wahrheits-Genießen ohne die spezifisch christliche Menschenwärme und damit ohne eigentliche christliche Esoterik.“

Und trotz dieser doch sehr klaren Diagnose eines entscheidenden Krankheitssymptoms der heutigen „Anthroposophie“ sucht er zuletzt dann wieder den Schulterschluss mit Herrn Prokofieff: „...hier treffen wir uns in der Sorge um die spirituelle Zukunft der Menschheit und ihres Erdenplaneten.“ Er glaubt, Prokofieffs „beste Absichten ... erkennen zu können“, natürlich nur, um sogleich fortzusetzen: „Aber ich kenne auch Judith von Halle und weiß, wie auch ihr Herz für unsere Ideale brennt und wie sinnlos es ist, dass wir uns bekämpfen, anstatt unsere Gemeinsamkeiten zu pflegen.“ Es seien doch nur die Widersacher, die die guten Kräfte entzweien wollten...

Garvelmann kann schlicht und einfach nicht erkennen, dass Judith von Halle mit Geisteswissenschaft nicht das geringste zu tun hat – trotz aller Ausführungen Prokofieffs und Rudolf Steiners. Er kann auch nicht erkennen, dass Prokofieff von dieser Tatsache vollkommen überzeugt ist. Oder glaubt er wirklich, Prokofieff aufgrund von dessen besten Absichten doch noch davon überzeugen zu können, dass Judith von Halles Herz „für unsere Ideale brennt“ und sie allein schon deshalb auch als Geisteswissenschaftlerin gelten müsse? Anhand dieser unmöglichen Konstellation wird um so mehr klar, wie Garvelmann jegliches Urteilsvermögen völlig abgeht.

Aber selbst wenn dies so ist, so ist doch der offene Brief an Prokofieff zugleich ein Akt, der seine Wirkung haben wird – vielleicht nicht unmittelbar auf Prokofieff, aber um so mehr auf seine Umgebung. Garvelmanns Brief ist ein weiterer Baustein, der Judith von Halle den Weg in die Anthroposophie ebnet, als neue Eingeweihte... Am Fuße des Goetheanums wird sie ihr Domizil aufschlagen und von dort aus die letzten Reste einer abstrakten Ahnung dessen, was Geisteswissenschaft wäre, paralysieren.

Geisteswissenschaft selbst ist in Dornach seit Rudolf Steiners Tod nicht mehr zu finden. Was Prokofieff in seinem Anhang gegen Judith von Halle anzuführen versucht, ist eine ebenso schlimme Verdrehung und Verfälschung aller Schilderungen Rudolf Steiners... Vom Wesen der Geisteswissenschaft ist auch er durch einen Abgrund getrennt, nicht nur in Bezug auf diesen Anhang. Man kann eigentlich nur verzweifeln...