04.05.2009

Gronbachs Wilber-Mythos und die Vernichtung der Anthroposophie

Nach dem „Integralen Forum“ in Bremen tritt Gronbach mit einer geradezu religiösen Sprache an die Öffentlichkeit, um erneut Ken Wilber als den einsamen „Helden unserer Zeit“ im Denken zu verankern. Mit einer perfiden Rhetorik von „wahren Freunden“ zeigt er, wie die Anthroposophie „relevant“ bleiben kann: Indem sie sich vorbehaltlos mit anderen Strömungen kreuzen lässt und so für die US-Variante der „Erleuchtung“ interessant genug wird.


Inhalt
Quasi-religiöse Verehrung – von Ken Wilber
Instant-Erleuchtung und Holontheorie – oder reale Geisteswelten und Wesen?
Perfide Rhetorik von „wahren Freunden“
Ein gnädiger Absatz in einer New-Age-Zeitschrift 


Quasi-religiöse Verehrung – von Ken Wilber

Am 30.4. schrieb Gronbach in seinem Blog: „Ich bin total gespannt auf dieses Wochenende. Wir werden in Bremen sein - andere in Berlin. Ehrlich: Ich bin restlos gespannt darauf, die Chance zu haben, mit Ken Wilber im Livetelefonat zu sein. Wow!“

Ken Wilber ist für ihn einer der „Helden unserer Zeit“, die „einsam an der Spitze“ stehen – und Gronbach ist dankbar dafür, dem leuchtenden Weg, den dieser Held weist, folgen zu können. Und dann sogar noch ein Livetelefonat mit diesem Mann! Wie weit dieser neue Heiligenkult um einen Mann geht, der mit seiner Holontheorie ein „ganzheitliches“ theoretisches System der verschiedensten Bewusstseinszustände vom Urknall über die Einzeller bis hin zu der All-Eins-Erleuchtung bietet, zeigt Gronbachs Beitrag vom 4.5. („Eine Kerze für Ken“) nach der „Integralen Tagung“ in Bremen:

„Ken - wir wollen Dir sagen, dass im Kölner Dom eine Kerze für Dich brennt“. Das ist einer von drei meiner Lieblingssätze die auf der Integralen Tagung ausgesprochen wurde. Ich hatte dieses Satz zu den Fragen an Ken Wilber gestellt, denn es war mir ein innerer Wunsch, nicht nur zu fragen, nicht nur an diesem Menschen zu saugen, sondern einen Moment zu zeigen, dass viele Menschen bereit sind, tatsächlich etwas zu geben. Unser offenes Herz - unseren klaren Geist. Und eine Kerze, die brennt. Dankbarkeit.
Die Helden unserer Zeit, stehen manchmal einsam an der Spitze - sie sollen wissen, dass wir nicht nur immer Neues von ihnen fordern, nicht nur ein Verlangen nach ihrer Kraft und ihrem Genius haben. Es gibt auch diese Momente, wo nichts anderes zählt, als die Kerze die Menschen für Menschen entzünden. Dieses Brennen der Vergänglichkeit. In der Ewigkeit für die Ewigkeit. Aus der Ewigkeit. Eine Kerze für Ken.


Mit gemütvollen Anlehnungen an Elemente aus der katholischen Kirche und aus der Friedensbewegung („eine Kerze für Ken“) wird hier einer als der ganz große, ganz einsame, unerreichte, selbstlos zum Wohle Aller kämpfende Streiter für das Wahre und Gute, für das Wohl der ganzen Welt dargestellt. Die Propaganda-Abteilung einer sich um einen Guru bildenden Sekte könnte es in dieser tragischen, gefühlvollen, zu Herzen gehenden Knappheit nicht besser formulieren. Es ist alles da – die ganze Ewigkeit, so wie ja auch Gronbach selbst in seiner Erleuchtung noch jenseits der All-Liebe weilt...

Instant-Erleuchtung und Holontheorie – oder reale Geisteswelten und Wesen?

Keineswegs geht es mir darum, Verehrung an sich schlecht zu machen. Die Frage ist immer nur, wer und was Verehrung verdient. Für Gronbach ist es klar, dass Wilber der unerreichte Held unserer Zeit ist – hat doch seine Internetseite ihn zur eigenen „Instant“-Erleuchtung geführt, aus der er heraus er nun noch „jenseits der All-Liebe“ der übrigen Welt die Erleuchtung bringen will. Wilbers integrale Heilslehre ist jedoch von der Theorie her ein durch nichts begründetes System der Bewusstseinsstufen, die nach und nach auseinander hervorgehen (das „Wie“ kann er ebenso wenig erklären wie die materialistische Wissenschaft); von der spirituellen Seite her scheint es ein Gemisch von Zen-Buddhismus („leeres Bewusstsein“) und New-Age-Esoterik.

Gronbach propagiert die Erleuchtung des „Ich bin“, die alles umfasst – tiefe christliche Geheimnisse werden hier wüst missbraucht für einen Hochmut, mit dem sich jeder Mensch für Gott selbst halten kann. Christus ist ein Mythos, eine Phase. Gronbachs neuer Gott ist „das Universum“, „der GEIST“ und was der neuen Mythen mehr sind.

Was Gronbach nicht ertragen und erfassen kann, ist die Weite, die Tiefe, die Vielfalt der wahren Anthroposophie. Für ihn muss alles einfach sein: Geist, Geist und nochmals Geist. Und Gronbach ist auf der höchsten Stufe – noch jenseits der All-Liebe! –, von der aus er natürlich alles beurteilen kann. Und aus seiner unendlichen Weitsicht heraus sieht er: Alles, was Rudolf Steiner geschildert hat (natürlich bis auf die Sätze, die er, Gronbach, zitiert und die dann auf das „Eigentliche“ verweisen!), fast die gesamte Anthroposophie ist ein Mythos für die armseligen, nicht verstehenden Kleingeister der Anthroposophen, die sich nicht von ihrem „Schrebergarten-Weltbild“ lösen können.

Gronbach hat sich in die Wilbersche „Erleuchtung“ verirrt und wird dort auch nicht mehr herauskommen. Nun aber versucht er, die Anthroposophie umzuwandeln in die Wilbersche Heilslehre. Es muss alles vernichtet werden, was nicht zu Wilber passt. Das ist fast die gesamte Anthroposophie - dazu muss die Behauptung des „Mythos“, des „Zurückgebliebenen“, des „Veralteten“ ständig wiederholt werden. Was dann übrig bleibt und zum Zitieren taugt, das muss so umgedeutet werden, dass aus dieser ärmlichen Rest-„Anthroposophie“ die Lüge der Wilber-Erleuchtung wird. Gronbach arbeitet parallel an beidem: Am Ausrotten alles dessen, was auf eine großartige, differenzierte, vielfältige, unendlich gegliederte Geistwelt mit unzähligen Wesenheiten hindeutet – und auf die Umdeutung alles dessen, was sich umdeuten lässt.

Perfide Rhetorik von „wahren Freunden“

Wie er dabei vorgeht, zeigt sein Beitrag vom 3. Mai („Anthroposophy? So cool!“):

Ach wie gut, ach wie gut, dass man Freunde hat. Ach wie gut, dass die Anthroposophie Freunde hat. Wahre Freunde. Drei Tage bei der Tagung des Integralen Forums, das waren für mich drei Tage Urlaub, Fitness, Lachen, Kur, Anspannung, Party, Tiefe, Wahrheit, Meditation ohne Schnörkel, Geist und harte, wunderbare harte, ehrliche und kühne Arbeit an unserer leuchtenden  Zukunft - mit wahren Freunden. Zum Wohle aller Wesen...
Gerne werde ich Euch in den nächsten Tagen aus Bremen ausführlicher berichten - was jetzt für mich zählt, ist diese einfache Tatsache, welche mir in jedem Augenblick bewusster und bewusster wurde:

Anthroposophie ist relevant - und sie ist es, weil Freunde von anderen spirituellen Strömungen und anderen wahren Meistern und Lehrer der Gegenwart, diese unsagbar wertvollen anthroposophischen Impulse, mit offenen Armen, Neugier und Dankbarkeit empfangen.
Und Anthroposophie bleibt relevant, weil diese Freunde ausschließlich die besten Teile der Anthroposophie fodern - die pathologischen Formen lehnen sie ab. Wie wahre Freunde das eben tun. Freundlich aber entschieden.
Niemand will uns so wie wir sind - Gott seis gedankt. Wahre Freunde wollen immer nur unser Bestes haben und genau davon haben ich ihnen etwas mitgebracht. Die entscheidende Frage lautet: Können wir vor unseren wahren Freunden bestehen. Können wir Ihnen in die Augen blicken? Können wir diesem Blick standhalten?
Wahre Freunde sind wie das Universum. Und die harte Wahrheit ist: Das Universum hat keinerlei Interesse an unseren pathologischen, langweiligen, egozentrischen und unbewussten Gewöhnlichkeiten. Nur das Beste, nur das Höchste, nur das Wache, ist gerade gut genug für das Universum. Und es gibt noch eine harte Wahrheit: Das Universum ist ungeduldig.

Dr. Tom Steininger - Chefredakteur von EnlightenNext - hat schon den nächsten Schritt getan und seine ersten Eindrücke der Tagung aufgeschrieben. Hier startet er mit seinen Schilderungen zur Anthroposophie. So cool. Thanks!
II went today to the workshop of Sebastian Gronbach about Integral Anthroposophy. Anthroposophy is huge in
Germany, ten times bigger than in any other country, but forget your ideas about the old and boring Anthroposophy and Waldorf schools. There is new generation of young Neon- Anthroposophists and they are discovering Ken Wilber, Andrew Cohen and the new spirituality and they are making their own cross version, hot and edgy. So cool!


Hier wiederholt er zunächst, dass das, was er und alle anderen Teilnehmer der Tagung tun, selbstverständlich zum Wohle aller Wesen getan wird. Fitness, Kur und Party gehen schnörkellos zusammen mit Wahrheit, Geist und „kühner Arbeit an unserer leuchtenden Zukunft“... Man muss sich nur über seine Erleuchtung austauschen und zum Wohle aller Wesen „meditieren“ – und schon gehört man zu den „Besten der Besten“, schon ist man einer dieser „einsamen Kämpfer“ für das Gute. Wie wunderbar, wie einfach! Wozu überhaupt das jahrzehntelange Lebenswerk Rudolf Steiners? Nun, man braucht es nicht...

Perfide benutzt Gronbach die Rhetorik von den „Freunden“. Endlich, so Gronbach, hat die Anthroposophie wahre Freunde gefunden... Freunde, die die Anthroposophie besser verstehen als die Anthroposophen selbst, ist der Unterton. Wenn die Anthroposophie diese Freunde hat, braucht sie die Anthroposophen gar nicht mehr...

Die wunderbare Nachricht, die Gronbach aus Bremen mitbringt, ist: Anthroposophie ist relevant! Freunde und wahre Meister anderer spiritueller Strömungen empfangen ihre Impulse (welche genau?) mit offenen Armen... Das ist nun genau die Frage: Was hat Gronbach in Bremen erzählt? Was wird dort mit offenen Armen empfangen? Die Wilber-Erleuchtung aus Gronbachs Munde, in Gestalt umgedeuteter Steiner-Zitate? Nun, das dürfte den anwesenden Erleuchteten in der Tat bekannt und angenehm vorkommen...

Und nun setzt die Perfidie ein: Die „wahren“ Freunde, die eben noch mit offenen Armen dastanden, wollen natürlich nur unser Bestes haben (und genau davon hat Gronbach ihnen etwas mitgebracht). Die Frage ist: Können wir vor unseren wahren Freuden bestehen? Ihrem Blick standhalten?

Und nun kommt die ganze, harte Wahrheit: Wahre Freunde und überhaupt das Universum haben keinerlei Interesse an unseren pathologischen, egozentrischen Gewöhnlichkeiten. Nur das Beste ist gut genug. Und: Das Universum ist ungeduldig...

Das ist Gronbachs Rückkehr zu dem strafenden, eifernden Gott! Da ist nichts von All-Liebe. Das Universum (wer ist das?) ist ungeduldig! Und es sagt, ja es fordert: Entertain Me! (siehe frühere Beiträge von Gronbach). Hatte nicht gerade in diesen Tagen der Gronbach-Jünger Christian Grauer die „protestantische Leistungsmoral“ der Anthroposophen in Grund und Boden kritisiert? Gronbach erschafft einen neuen Mythos, eine neue Leistungsmoral – göttlicher, allumfassender, ungnädiger, ungeduldiger.

Gronbach pervertiert hier den Begriff der Freundschaft vollkommen.

Ja, Freunde sagen einem auch einmal unangenehme Wahrheiten. Aber: Freunde nehmen einen an, wie man ist. Sie sind wahrhaftig, aber sie fordern nichts. Sie wollen unser Bestes für uns – sie wollen nicht unser Bestes haben! Freunde sind liebevoll, sie verurteilen nicht, sie nehmen einen mit allen Schwächen an, sie wollen nichts für sich haben, sie geben.

Gronbachs „Freunde“ der Anthroposophie – die Gewährsmänner dafür, dass sie „relevant“ bleibt – wollen jedoch nur „das Beste“, sie fordern, dass alles andere wegfallen muss. Können wir ihrem Blick standhalten? Nur, wenn wir uns von allem trennen, was sie nicht als „das Beste“ ansehen... Nur dann werden sie uns „mit offenen Armen“ annehmen, nur dann wird die Anthroposophie „relevant“ sein...

Wenn dies die „Freunde“ der Anthroposophie sind ... dann braucht sie keine Feinde mehr!

Ein gnädiger Absatz in einer New-Age-Zeitschrift

Und die reale Folge dessen, dass Gronbach diesen „wahren“ Freunden „das Beste“ mitgebracht hat, ist, dass der „Chefredakteur von EnlightenNext“ dieser seltsamen Strömung aus Germany nun zumindest einen warmen Absatz widmet – was für ein Erfolg! Nachdem er zunächst gleichsam um Verständnis für die Erwähnung dieser winzigen Strömung wirbt (sie ist in Deutschland „ten times bigger“ als in jedem anderen Land), äußert er sich erleichtert, dass man nun endlich sein Bild von der alten, langweiligen Anthroposophie und Waldorfpädagogik vergessen könne.

Und dann kommt jener schein-begeisterte Satz, der aus jeder beliebigen Reportage einer US-Zeitschrift stammen könnte – und der die gnädige Gewähr dafür bietet, dass die „neue Anthroposophie“ auch von den anglo-amerikanischen „Erleuchteten“ anerkannt oder zumindest interessiert zur Kenntnis genommen werden könnte:

„Es gibt eine neue Generation von Neo-Anthroposophen, und sie entdecken Ken Wilber, Andrew Cohen und die neue Spiritualität und sie schaffen daraus ihre eigene Kreuzung, heiß und spannend. Echt cool!“


Das erwartet uns also in einer von Gronbach mitgestalteten Zukunft: Eine amerikanische „Spiritualität“, die heiß und cool sein sollte – und in der die letzten Reste von Anthroposophie dann anerkannt werden, wenn sie unzertrennlich mit Ken Wilber, Andrew Cohen und anderen „wahren Freunden“ gekreuzt und vermischt wurden.

Gronbach setzt neue Mythen in die Welt, erhebt mit einer wahrhaft religiösen, messianischen Propaganda einen Ken Wilber zum höchsten Erleuchteten unserer Zeit und spricht von einem ungeduldigen, fordernden Universum, dem wir uns zu weihen haben, wenn wir nicht hoffnungslos vom Strom der Zeit und von unseren „wahren Freunden“ zurückgelassen werden wollen. Und um seine neuen Mythen überhaupt ansatzweise glaubhaft machen zu können, muss er uns immer wieder die Behauptung einpeitschen, dass Rudolf Steiners Anthroposophie im wesentlichen aus Mythen bestehe. Gronbachs Botschaft ist: Rudolf Steiner ist tot, der Mythos ist tot – es lebe der neue Mythos, das fordernde, ungeduldige Universum. Wer Ken Wilber nachfolgt, kann gerettet werden...

Zuckerbrot und Peitsche, um die Anthroposophie zu vernichten...