08.06.2009

Einleitung

Vorgestern schrieb ich von der „Scheidung der Geister an Mieke Mosmuller“. Ein Satz dort hieß: Erstaunlich ist es eigentlich nicht, denn wo jemand die Anthroposophie und Rudolf Steiner so tief ernst nimmt wie diese Anthroposophin, da müssen sich die Geister scheiden – etwas anderes ist gar nicht möglich.

An dieser Stelle möchte ich auf den wesentlichen Einwand eingehen, der Mieke Mosmuller bzw. ihren Büchern immer wieder entgegengebracht wird – der Einwand, der die Scheidung der Geister sozusagen hervorruft...

Er lautet: „Warum sollte Mieke Mosmuller als einzige die Wahrheit erkannt haben?“

So rein wird die Frage (bzw. der Vorwurf) selten formuliert, in der Regel ist die Wortwahl wesentlich schlimmer. Um einen Eindruck zu bekommen, braucht man nur einen Blick auf die Kommentare zu werfen, die sich an Michael Eggerts Verriss des Buches „Der lebendige Rudolf Steiner“ anschlossen.

Dass es nicht nur solche Urteile gibt, sondern dass sehr viele andere Menschen Mieke Mosmullers Bücher mit tiefem Erleben lesen und verstehen, muss um des Gleichgewichtes willen hier noch einmal betont werden.

In meinem Austausch mit Michael Eggert hatte ich die hier zu klärende Frage schon im Januar berührt. Nun versuche ich, es noch einmal klarer auszudrücken.

„Durchaus wertschätzen“

Nehmen wir als Ausgangspunkt folgendes Urteil von Michael Eggert:

Frau Mosmuller versteht ihre Erfahrungen als derart essentiell, dass damit eine ganz neue, umfassende Annäherung an Rudolf Steiner selbst möglich wird. Heraus kommt allerdings eine keineswegs originelle Arbeit mit neuen Einsichten, sondern eine Devotionalie, die manche der zahllosen Vorgänger locker in den Schatten stellt.

und ein gegensätzliches Urteil einer Leserin, die ihm antwortete:

Auch ich habe „Der lebendige Steiner“ vor einiger Zeit gelesen, und mein Eindruck ist ein ganz anderer. [...] Und wenn Mieke Mosmuller nicht in dieser Weise über den in ihr lebendigen Rudolf Steiner geschrieben hätte, dann würde mir etwas fehlen in der Gesamtheit der Bücher, die es über Rudolf Steiner gibt.


Die Frage ist zunächst: Welche Wirklichkeit will ich haben? Was wünsche ich mir? Was ist mir sympathisch? Welche Brille habe ich auf, um das zu sehen, was ich sehen will?

Die Wahrheit hängt nie von meinen Sympathien oder Antipathien ab, doch jemand wie Eggert bildet sein Urteil trotzdem nach diesen. Wenn man sich der Wahrheit nähern will, muss man so etwas erleben lernen! Er schreibt, Mieke Mosmuller präsentiere den heiligen Steiner, und fährt fort:

Mir verstellt das den Blick [...]. Was ist denn mit seinem Humor, seiner Selbstaufopferung, seiner Genervtheit gegenüber den vielen Ratsuchenden, seiner Ironie, seiner körperlichen Empfindlichkeit? Was wäre Steiner ohne starke Frauen gewesen? Es gibt Vieles an ihm zu entdecken. Ich wünschte mir das Detail, die Nuanciertheit der Persönlichkeit, nicht den Trompetenstoss darüber. Ich finde, man erkennt einen Anderen an dem Detail. Das ist der Ort, an dem er sich auslebt. Man kann Steiner durchaus wertschätzen, wenn man auch seine Fehler und Einseitigkeiten erkennt.

In diesem Absatz kann man schon eine ganze Welt von Urteilen und „Möchte-gern“-Wünschen entdecken, auch wenn dies Eggert nicht bewusst sein sollte. Eggert möchte einen Steiner mit Fehlern und Einseitigkeiten. Man könne ihn durchaus auch dann wertschätzen! Nochmals: Eggert möchte einen Steiner, den er auch mit allen Fehlern durchaus wertschätzen kann.

„Wertschätzen“ bedeutet im großen und ganzen Gleichwertigkeit. Eggert möchte weg vom „heiligen“ Steiner, er möchte den fehlerhaften Steiner. Das „durchaus wertschätzen“ aus Eggerts Munde ist eines, bei dem Steiner sogar unter Eggert steht, denn es ist ja im Grunde „von Eggerts Gnaden“, das Steiner „auch mit seinen Fehlern“ „durchaus wertgeschätzt“ wird...

Sympathien, Antipathien und Lügen

Man muss wirklich empfinden, was in diesen wenigen Sätzen geschieht. Steiner wird kleiner und kleiner und kleiner, bis er mit allen möglichen Fehlern und Einseitigkeiten so klein ist wie du und ich – und dann trotzdem „durchaus wertgeschätzt“ werden kann. Was haben wir dann Wunderbares erreicht! Endlich haben wir Steiner erkannt! Mit allen Details! Vieles zu entdecken! Genervtheit, körperliche Empfindlichkeit, starke Frauen...

So ist Rudolf Steiner für Eggert und seine „Erkenntnis“ sympathisch – viele Details, die ihn überhaupt erst menschlich (und erst wirklich interessant) machen... Eggert will auch „Einseitigkeiten“ erkennen – und schreckt nicht davor zurück, krasse Einseitigkeiten und Lügen in Steiner „hineinzusehen“.

Es gibt keine „Genervtheit Rudolf Steiners gegenüber den vielen Ratsuchenden“! Irgendwo in der Literatur gibt es ein Zeugnis über einen Moment, wo Rudolf Steiner sich an der Grenze seiner physischen Kräfte befand und, als dennoch ein weiterer Ratsuchender kam, völlig erschöpft in etwa sagte: „Ich kann nicht mehr!“ Immer ging er bis an die Grenzen seiner Kraft und darüber hinaus. Wie kann Eggert dies ins Gegenteil verkehren und noch darüber urteilen?!

Und wo ist Steiners „körperliche Empfindlichkeit“? Wer seiner unmittelbaren Zeitgenossen hat sich nicht gewundert, wie leichtfüßig er jeden Morgen den Hügel hinaufkam, wie ausdauernd er an der Holzskulptur arbeitete, wie ausdauernd und unempfindlich er in allem war. Eggert will auch dies alles relativieren, hinabziehen, er will sich Steiner nach seinem Bilde bzw. nach seiner (Lieblings-)Brille formen!

All dies muss man erleben lernen, um scheinbar schön klingende Worte wie die „Nuanciertheit der Persönlichkeit“ zu durchschauen und als das erkennen zu können, was sie sind: schöner Schein, der blind für die eigenen, wirkenden Sympathien und Antipathien macht. Denn wirklich sympathisch ist für Eggert nur ein solcher Steiner, an dem vieles zu entdecken ist. Um so besser, wenn die Nuanciertheit auch durch Fehler und Einseitigkeiten entsteht – dann braucht man ihn nicht mehr zu bewundern, es reicht, wenn man ihn „durchaus wertschätzen“ kann. Und Antipathie empfindet Eggert für Heiligkeit. Er will keine „vergottete Entelechie“...

Und so kann man nur den Vergleich mit jenen Theologen ziehen, die aus dem Christus Jesus „den schlichten Mann aus Nazareth“ gemacht haben. Den konnte man dann auch noch „durchaus wertschätzen“...

Die Angst vor Riesen

Mieke Mosmuller geht es dagegen um das Wesen Rudolf Steiners. Die „Details“ und „Nuancen“, die Eggert anspricht, sind nur mehr oder wenige deutliche Offenbarungen des Wesens, teilweise verdecken sie dieses gerade (selbst wenn man sie nicht wie Eggert in ihr Gegenteil entstellt). Und so kann man Eggert nur entgegnen: Wenn er Rudolf Steiners Wesen nicht durch das erfasst, was Mieke Mosmuller beschreibt, dann helfen ihm auch die übrigen „Details“ nicht, sich dessen Wesen zu nähern. Dann will er dieses Wesen nämlich überhaupt nicht erkennen. Eggert will sich bei den Details aufhalten und sich einreden, darin das Wesen zu finden, denn das ist angenehm, das ist menschlich, das ist sympathisch, das ist uns nahe...

Die unbeobachtete Prämisse im gewöhnlichen Denken ist, dass uns sympathisch ist, was uns ähnlich, uns nahe ist. Alles Große, ja überhaupt alles Abweichende wird misstrauisch beäugt, beurteilt, verurteilt. Und so sucht dieses Alltagsdenken jeden Anhaltspunkt, um sich die Dinge ähnlich zu machen. In einer großartigen Individualität sucht es (und konstruiert sich) die Fehler, die Einseitigkeiten usw. – solange, bis es auch einen solchen Menschen so hat, wie es ihn haben und „verstehen“ will.

Das muss man zugeben, in sich erleben und entdecken wollen. Man muss entdecken und zugeben wollen, dass man mit Heiligkeit nichts anfangen kann, dass man sie nicht ausstehen kann! Sonst kommt man in der Selbsterkenntnis keinen Schritt weiter.

Mit welchen Methoden man versucht, diese Selbsterkenntnis zu vermeiden und statt dessen wiederum Mieke Mosmuller absoluten Dilettantismus zu unterstellen, zeigt ein Zitat von Jostein Saether (aus Eggerts Blog):

Ich habe in Mosmullers Buch erfolglos nach Anzeichen von Humor gesucht. Vielleicht dürfte sie den lebendigen Steiner nur in sehr großem Abstand erlebt haben und glaubte ihn nahe zu sein! Wenn er geistig ein „Riese“ ist, wie soll man ihn denn begegnen? Herr Tur Tur, der Scheinriese in Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ ist ja nur beim Abstand einen Riesen. Nahe und im Gespräch ist er sogar einen halben Kopf kleiner als Lukas. Wie hat Mieke Mosmuller nun den lebendigen Steiner erlebt: Nahe oder fern?


Saether hält es also tatsächlich für unmöglich, Rudolf Steiner zu begegnen, wenn er geistig ein Riese wäre! Aber da ja auch Herr Tur Tur in „Jim Knopf“ in Wirklichkeit sogar kleiner als Lukas gewesen ist, ist erwiesen, dass Mieke Mosmuller einer Illusion unterliegt... Diese krasse Logik muss man sich einmal vor die Seele stellen! Mit „Jim Knopf“ wird bewiesen, dass Mieke Mosmuller völlig danebenliegt! Und ein Satz zeigt ganz klar, dass man niemanden über sich haben will: Wenn er geistig ein „Riese“ ist, wie soll man ihm denn begegnen? Was scheinbar als „Unmöglichkeit“ formuliert ist, ist in Wirklichkeit der sich vehement wehrende egoistische Unwille, etwas Höheres wirklich anzuerkennen. Dabei ist die gesamte Anthroposophie ein Erkenntnisweg höherer Welten und ihrer Wesen...!

Rudolf Steiner war jedoch geistig ein Riese, und wer dies nicht anerkennt, braucht mit dem Weg der Anthroposophie gar nicht erst anzufangen, denn er will diesen Weg ohnehin nicht und wird nie auch nur den ersten Schritt machen können, so sehr er sich dies auch einbilden möge.

Von wirklicher Erkenntnis und moderner Heiligkeit

Das ist ja eben die Krux, dass Menschen wie Eggert, die solche Kommentare machen, glauben, sie hätten wenigstens ansatzweise einiges erkannt, was geistige Erfahrung angeht – und glauben, sie hätten Rudolf Steiner wesentlich besser erkannt als eine Anthroposophin, deren Bücher sie in Grund und Boden kommentieren zu können meinen. Sie haben jedoch in Bezug auf ihre eigene geistige Erfahrung viel weniger erkannt, als sie glauben – und in Bezug auf Rudolf Steiner und die Bücher einer Anthroposophin, die ihnen (und nicht nur ihnen!) auf dem Weg weit voraus ist, haben sie schon rein gar nichts erkannt.

Aber so funktioniert das Alltagsdenken, Alltagsfühlen und Alltagsurteilen eben. Man weiß nichts von wahrer Verehrung, ja man hat dagegen eine furchtbare Antipathie, aber man glaubt beurteilen zu können! Es ist die eigene Antipathie, die urteilt und die völlig blind für die Tatsache ist, dass es einen Unterschied gibt zwischen „gläubiger“, dogmatischer Verehrung für „den Doktor“ und einer sehenden – weil selbst den Schulungsweg gehenden – Verehrung.

Was man in „Der lebendige Rudolf Steiner“ an Verehrung erlebt, entspringt aus der Erkenntnis dieser Individualität.

Mieke Mosmuller möchte den Leser dieses Buches zu einer solchen Erkenntnis, einem solchen Erleben hinführen. Und so findet man immer wieder auch Stellen, wie die folgenden:

Wenn es einem jedoch irgendwie eine sichere Überzeugung ist, dass Rudolf Steiner tatsächlich vor dem Mysterium von Golgatha gestanden hat, so sollte man diesen Satz nicht vorbeiziehen lassen, sondern sich so lebendig wie nur möglich in der Phantasie vorstellen, wie ein Mensch wirklich, reell, mit seiner Seele und seinem Geist vor Christus gestanden hat und Seine Tat erlebt hat. Nicht einfach weiterlesen, sondern den Satz zur Imagination, zum Bild werden lassen, dazu sollte der Mensch den Mut fassen. Und nicht nur ein solcher Satz müsste so gelesen und erlebt werden, das ganze Werk Rudolf Steiners verdient eine solche Andacht und Hingabe.
Die allerwenigsten Leser gehen so vor, und trotzdem gestehen sie sich alle zu, ein flottes, vorschnelles Urteil zu fällen: Wahr, zweifelhaft, unwahr, Unsinn usw. – So gehen wir ja auch miteinander um, respektlos, vorschnell urteilend.
Der lebendige Rudolf Steiner, S. 54f.

1909 erscheint dann ein zusammenfassendes, umfassendes ‚Lehrbuch‘ mit den wichtigsten Erkenntnissen aus der Geheimwissenschaft. Wenn man Rudolf Steiner [...] als lebendige Individualität erleben möchte, muss man dieses Buch auch wirklich in Zusammenhang mit dem Verfasser lesen und meditieren. Ich meine damit [...], dass wir uns von Zeit zu Zeit bewusst machen müssen, dass ein Mensch (Rudolf Steiner) diese Wissenschaft empfangen und wiedergegeben hat. Tun wir das nicht, dann wird allmählich vergessen, mit wem wir es eigentlich bei der Gründung der Anthroposophie zu tun hatten, und dann kann diese Loslösung der Anthroposophie von ihrem Lehrer stattfinden, die wir jetzt überall sehen. [...]
Was hier gesagt wird, ist etwas anderes als blinder Glaube an einen Meister. Dieser würde ebensosehr vernichtend wirken. Denn es muss der freie Mensch selbstständig sich diese Geheimwissenschaft durch reines Denken zueigen machen, er soll vollständig auf sich selbst gestellt bleiben, frei bleiben in der Urteilsbildung. Überdies jedoch muss dann die beschriebene Bewusstwerdung herangezogen werden: Es hat einen Menschen gegeben, der dies alles selbst geschaut und in für den Intellekt erfassbare Worte gekleidet hat!
Der lebendige Rudolf Steiner, S. 59.


Hier (und im weiteren Verlauf des Buches) wird sehr deutlich, auf welchem Wege man zu einer wirklichen Erkenntnis der Tat Rudolf Steiners und seines Wesens kommen kann. Doch wenn man zu einer solchen Erkenntnis gar nicht kommen will, dann sind all diese Hinweise vergeblich. Dann ist das Buch eben trotzdem eine „Devotionalie“, Zeugnis einer altmodischen Heiligenverehrung. Man nimmt eben einfach nicht zur Kenntnis, dass es hier nicht um blinden Glauben geht (siehe Zitat), sondern um Anthroposophie, d.h. den realen Erkenntnisweg, auf dem man sich in Freiheit zu den Erkenntnissen dieser großartigen Individualität emporarbeitet, sich diese selbst erringt.

Für diese Art von Erkenntnis ist tatsächlich eine ganz und gar moderne Heiligkeit notwendig – und in diesem Sinne war gerade Rudolf Steiner tatsächlich ein Heiliger, ob man das hören will oder nicht (man will es nicht)...

Der Schlüssel zum Verständnis

An dieser Stelle, wo sich entscheidet, wie man über Rudolf Steiner denkt, wie man diese Individualität erlebt – ob man überhaupt danach strebt, sich einer Erkenntnis seines Wesens zu nähern –, finden wir auch den Übergang zu den „Vorwürfen“, die Mieke Mosmuller gegenüber gemacht werden.

Eigentlich müsste sich nach dem Vorangegangenen ein weiteres Eingehen auf diese Vorwürfe erübrigen. Wer mitempfinden kann, wie heute sehr viele sogenannte „Anthroposophen“ über Rudolf Steiner urteilen und sein Bild nach ihrem Bilde (bzw. Gutdünken) formen, der wird auch erkennen, was vor sich geht, wenn über Mieke Mosmuller geurteilt wird. Ich werde es trotzdem beschreiben – damit es ganz klar wird, nicht zuletzt auch für jene, die es gar nicht erkennen wollen...

Mieke Mosmuller legt in ihren Büchern Zeugnis davon ab, dass sie den von Rudolf Steiner gegebenen Erkenntnisweg weit gegangen ist. Dieses Zeugnis beginnt schon mit ihrem ersten Buch „Suche das Licht, das im Abendlande aufgeht“ (1994) und führt in einem großen Bogen, der auch ihre wunderbaren Romane einschließt, zu „Der Heilige Gral“ (2007), „Der lebendige Rudolf Steiner“ (2008) und einem tief berührenden Erfassen der Idee der Waldorfpädagogik in „Eine Klasse voller Engel“ (2009).

Wer „Der Heilige Gral“ wirklich liest, steht unmittelbar vor der Tatsache, dass hier auf dem geistigen Schulungsweg, der mit dem reinen Denken beginnt, tiefste Erfahrungen gemacht werden! Der Auferstehungsleib, Christus, Anthroposophia – das alles sind dann keine Worte mehr, keine Begriffe, sondern erfahrene Realitäten.

Wenn man ernst nimmt, was man da liest, dann ist klar, dass eine solche Erkenntnis das Wesen der Anthroposophie verwirklicht und allen anderen Ansätzen und Anfängen weit voraus ist.

Dann ist aber auch klar, dass auch die anderen Bücher von Mieke Mosmuller etwas ganz anderes sind, als in intellektuellen Kommentaren und „Möchte-gern-urteilen“-Verrissen hingestellt wird. Wenn jemand wie Eggert zu „Der Heilige Gral“ nicht mehr zu sagen hat als eine sehr abstrakte, geist-blinde Zusammenfassung, die dann in negative Urteile mündet, so ist das die absolute Bankrotterklärung des intellektuellen Alltagsdenkens (das sich natürlich bei sogenannten „Anthroposophen“ immer für urteilsfähig hält).

Wer das in „Der Heilige Gral“ ernst nehmen und staunend anerkennen kann, der hat den Schlüssel zum Verständnis der Bücher von Mieke Mosmuller. Es ist offenbar diese Fähigkeit zu neidloser, staunender Anerkennung.

Wer diese Fähigkeit nicht hat, schließt sich selbst ein in das Gefängnis seiner Antipathien und Vorurteile – gegen alles, was auf dem Weg weiter fortgeschritten, in der Erkenntnis höher entwickelt, in der Seele reiner verwandelt ist... Entweder unvoreingenommene, reine Anerkennung – oder antipathische, unreine Urteile.

Wesenserkenntnis im Erleben der Idee

In „Suche das Licht...“ und „Der Heilige Gral“ schildert Mieke Mosmuller den anthroposophischen Entwicklungsweg und seine Frucht. In „Der lebendige Rudolf Steiner“ erfasst sie das Wesen dieser Individualität. In „Eine Klasse voller Engel“ schildert sie die wahre Idee, das Wesen der Waldorfpädagogik und die Konsequenzen, wenn man diese Idee verwirklichen will.

Wenn sich im Leser Gedanken regen wie „War denn Rudolf Steiner wirklich so heilig?“, achte man darauf, aus welchem Gefühl diese Gedanken entspringen. Regte sich nicht zunächst die Antipathie gegen das Gelesene? Wenn beim Lesen von „Eine Klasse voller Engel“ Zweifel kommen: „Ist denn wirklich nur dieser Ansatz richtig?“, achte man darauf, woher diese Zweifel oder die vielleicht sogar antipathische Frage aufsteigen...

Es geht nicht um die Frage, was „allein richtig“ ist, sondern um die Frage nach der Wahrheit und nach dem Wesen. Wer vorbehaltlos und unbefangen mitdenkt und seine Zweifel in ehrlicher Selbsterkenntnis untersucht, wird immer bemerken können, dass Mieke Mosmuller das Wesen beschreibt. Man kann alles anders machen, wenn man will – und man tut es ja –, aber wenn es einem um das Wesen geht, wird man dem, was sie schildert, letztlich immer zustimmen.

Und hier liegt das Geheimnis.

Wenn es einem um das Wesen geht, wird man Mieke Mosmullers Darstellungen zustimmen und ihre reine Darstellung der Idee staunend, dankbar und begeistert begrüßen.

...oder Vorwürfe durch Ideenblindheit

Wenn es einem nicht um das Wesen geht, bzw. wenn man dieses überhaupt nicht zu erkennen vermag, dann sind ihre Darstellungen im eigenen Urteil alles mögliche andere: „überspitzt“, „radikal“, „abgehoben“ und was auch immer. Und ihr selbst wird dann unterstellt, sie beanspruche, „als einzige die Wahrheit gefunden“ zu haben.

Jene Menschen, denen es mit ihrem Urteil so geht, können offenbar nicht wirklich ertragen, dass es jemanden gibt, der etwas erkannt hat, und zwar viel tiefer als man selbst. Nein, „die anderen“ müssen auch immer Recht haben dürfen...

Es fehlt das Erleben der Idee! Wenn man das nicht wenigstens ahnungsweise kann, dann kann man Mieke Mosmullers Bücher offenbar nur missverstehen – und so entsteht die extreme Polarisierung im Urteil über diese. Wer sie nicht versteht, bildet sein Urteil nach dem Muster der ideen-verleugnenden, nominalistischen Diskursgesellschaft: „So heilig war Rudolf Steiner ja nun auch nicht!“ oder: „Es gibt doch in der Waldorfpädagogik viele gute Ansätze!“. – Ja, sicher, aber wenn ein Mensch die Idee, das Wesen, erfasst, dann ist das nun einmal der beste „Ansatz“. Da müsste doch das Herz jubeln und der Geist begeistert folgen! Aber nein...

Man bleibt also beim Äußeren stehen, bei dem scheinbar „absoluten“ Stil. Man erlebt nicht, dass die Idee nichts Ebenbürtiges neben sich zulassen kann, denn es gibt nichts solches – was nicht wirklich die Idee selbst ist, ist eben allenfalls Halb-Wahrheit, oder sogar völlig geistlos... Die Idee muss sich aussprechen können – alles andere wäre sinnlos!

Man redet unter „Anthroposophen“ ständig und viel von wegen „Die Dinge selbst müssen sich aussprechen“ – aber wenn das Wesen in einem Buch dann einmal sprechen darf, dann wird es abgewiesen! Man sieht Mieke Mosmuller und ihren (im eigenen Leser-Urteil gefühlten) „Alleinvertretungsanspruch“ – aber man sieht nicht das Wesen und die Idee, die sie in Worte bringt. Man erlebt vielleicht sogar „etwas“, aber man weiß nicht, was man erlebt – und man urteilt mit dem Alltagsverstand, mit dem man immer alles besser weiß, und auch das merkt man nicht...

Solange man glaubt, alles beurteilen zu können, bleibt man blind für das Wesen. Denn dieses Wesen offenbart sich ja immer erst, wenn man das eigene Urteil zurückhält. Solange man glaubt, über Mieke Mosmullers Bücher urteilen zu können, zementiert man nur die eigene Ideenblindheit. Und das gilt dann nicht nur für jene Ideen, die sie in ihren Büchern entfaltet, sondern für die gesamte geistige Wirklichkeit. Man sollte sich dann wirklich nicht mehr „Anthroposoph“ nennen.