20.09.2009

Arabeske – der Gegensatz zwischen Ken Wilber und Rudolf Steiner

Buchbesprechung: Mieke Mosmuller: Arabeske. Das Integral Ken Wilbers. Occident, 2009 (256 S., 19,50€). | Auszüge. | Buchbestellung frei Haus.

veröffentlicht im "Europäer", März 2010. | gekürzt und etwas verändert in "Gegenwart" Nr. 3/2010.


Ken Wilber – Guru der „integralen Spiritualität“, die beansprucht, alle Bewusstseinsstufen zu integrieren und die höchste, transpersonale Stufe zu propagieren. Seine Bücher sind in 30 Sprachen übersetzt, er und seine Theorie, seine Spiritualität gewinnen immer mehr Anhänger – ein Sebastian Gronbach (Info3, Blog „Mission Mensch“) propagiert sie gar als Weiterentwicklung der Anthroposophie...

Zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt setzt sich nun Mieke Mosmuller in ihrem neuen Buch mit Wilber und der Frage nach dem Wesen seiner „Integral Spirituality“ auseinander. Und man kann es vorwegnehmen: Ihr Buch „Arabeske“ gibt wiederum ein tief bewegendes Zeugnis vom Wesen des anthroposophischen Schulungsweges – und es zeigt ganz klar die wahre Natur des Wilberschen Ansatzes und seine Unvereinbarkeit, ja direkte Gegensätzlichkeit zur Anthroposophie.

Der erste Teil ihres Buches ist der Theorie Wilbers gewidmet, der zweite Teil seiner Spiritualität.

Eindrücklich zeigt Mieke Mosmuller, wie Wilbers „Holontheorie“ (nach der alles Höhere aus dem Niederen emergiert, dieses zugleich negierend und bewahrend) zwar die verschiedenen Ergebnisse der heutigen Natur- und Sozialwissenschaften integriert, wie aber dieses System, das jeglichen „Kontext“ überwinden will, blind für seinen eigenen Kontext bleibt.

Wilber sieht alle Theorien und Bewusstseinsstufen in ihrem Kontext, ihrer relativen Gültigkeit, führt sie zusammen und erhebt sich zu einer immer weiteren Überschau. Das Einzelne ist immer relativ, immer nur Teil eines Höheren, eines weiterentwickelten Holons...

Wiederholt ruft Mieke Mosmuller den Leser dazu auf, all dies wirklich zu erleben, und ihre klare, das Wesentliche ergreifende und schildernde Sprache führt einen auch wirklich in dem Maße zu einem Erleben der berührten Wirklichkeiten, wie man das eigene bloß abstrakte Lesen und Auffassen zu überwinden vermag.

Dann erlebt man tatsächlich den Gegensatz zwischen Wilber und Rudolf Steiner. Denn der anthroposophische Erkenntnisweg beruht auf einem liebevollen Eintauchen in die Welterscheinungen, auf einem Sich-Verbinden mit den Dingen und Wesen. Nur auf diese Weise ist ein wirkliches Erkennen möglich. Und so kommt die Anthroposophie zum Erleben einer wesenhaften, unendlich differenzierten geistigen Realität. Während Wilber „integral“ zu einer letztlich leeren Theorie und abstrakten Überschau kommt, findet Rudolf Steiner die reale Fülle der Wirklichkeit und das Wesen auch der kleinsten Erscheinung.

Was ist dann aber das Wesen von Wilbers Spiritualität?

Erleuchtung in 8 Minuten – oder das Mysterium der Anthroposophie

Wilber unterscheidet verschiedene Bewusstseinsstufen, für die er in seinem Buch „Eros, Kosmos, Logos“ jeweils verschiedene, spirituelle bedeutende Persönlichkeiten als Beispiele heranzieht und kommentiert, etwa Terese von Avila für die „subtile“ oder Meister Eckhart für die „kausale“ Stufe.

Mieke Mosmuller zeigt nun, wie Wilbers Bücher durch diese „Vereinnahmung“ selbst einen scheinbar tief spirituellen Gehalt gewinnen, wie er aber in Wirklichkeit die Worte all dieser Persönlichkeiten auf das Niveau und den Kontext seiner Theorie herabzieht.

Die höchste Stufe nach Wilber ist die transpersonale, frei von jedem Kontext. Um nun heutige Menschen auf diese Stufe zu führen, hat Wilber die „I am Big Mind“-Meditation entwickelt (im Internet findet sich der Text z.B. unter Titeln wie „Enlightment in 8 minutes“!).

Wilber meint, in dem Selbst-Bewusstsein, das alle anderen Bewusstseinsinhalte begleitet („Zeugenbewusstsein“), jenseits aller Kontexte die höchste Erleuchtung gefunden zu haben. Für Wilber wird dieses „I am“ zur einzigen „eigentlichen“ Wirklichkeit. Es ist das integrale Bewusstsein – und in jedem Menschen, der zu diesem erwacht, das gleiche. Das also ist der Kern von Wilbers Spiritualität – eine Erhebung zur „I am-ness“ (in 8 Minuten) und die Leugnung alles wirklich individuell Geistigen.

Mieke Mosmuller schildert das Wesen von Wilbers Spiritualität aber nicht nur durch ihre wesenhaften Gedanken, sondern sie beschreibt auch unmittelbar das reale Erleben in der „I am“-Meditation – und im Gegensatz dazu dann das Erleben in der anthroposophischen Meditation.

Dieser ganz zentrale Teil des Buches ist ein tief berührendes Zeugnis realer Geist-Erfahrung – und er lässt in erschütternder Deutlichkeit erleben, welche Größe und Tiefe der anthroposophische Schulungsweg hat ... und wie er zu etwas völlig anderem führt als die Wilbersche „I am-ness“.

Die Anthroposophie eröffnet einen Erkenntnisweg zu den wirklichen Weltengeheimnissen und zu dem Mysterium des Menschen – dies wird nochmals deutlich, als die Autorin am Ende ein Erlebnis in der Kathedrale von Chartres schildert.

Und im Kontrast zu dieser wahren, christlichen Spiritualität des Abendlandes zeigt sich die wirkliche Natur der Wilberschen: Diese leugnet als arabistischer Impuls alles Individuelle, in ihr gibt es nur Holons in Holons in Holons, endlos sich fortsetzend in immer gleichen Mustern – wie Arabesken...

Wer Mieke Mosmullers neues Buch liest, durchschaut den Gegensatz zwischen Wilber und der Anthroposophie – und wird wiederum zu einem tiefen Erleben ihres Wesens geführt.