03.01.2010

Zum Dogma der (falsch verstandenen) „individuellen Wahrheit“

Eine Antwort auf den sorglosen Umgang mit der „Wahrheit“ und ein offenbar immer beliebter werdendes Missverständnis.


In einer unmittelbaren Reaktion kommentierte eine „Ego-Bloggerin“ meine offene Antwort an Ingrid Haselberger wie folgt:

Barbara 1
Nur eine Kleinigkeit, da es mir an Zeit mangelt diese Texte weiter zu analysieren und ich auch keine Lust habe mit H.N. weiter zu diskutieren. Er schreibt, wie Ingrid auch zitiert und auch befürwortet:
"Es geht im Grunde nicht darum, was der Einzelne beim Nachdenken einer Unwahrheit erlebt, sondern, was mit dieser Unwahrheit gewissermaßen der Wahrheit angetan wird".
An diesem Satz zeigt sich sehr deutlich, dass nur eine einzige für alles und alle gültige, geistig "unpersönliche" Wahrheit angenommen wird. Das ist aber hier auf Erden nicht der Fall, eine Sache, ein Gedanke hat oft viele differenzierte Aspekte, die oft gar nicht vollständig erfasst werden können.  Der Gedanke: "was der Wahrheit als solcher angetan wird" ist zutiefst unmenschlich, da er den Menschen als Irrenden und Wahrheitssuchenden ausschließt. Der Mensch hat sich nicht einer nicht näher definierten abstrakten "Wahrheit im Geiste" oder "aus der geistigen Welt" unterzuordnen, sondern muss das, was für ihn Wahrheit ist, in sich und durch sich als Ich denken und erkennen und erfahren. "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", sagt Christus, man kann es auch so übersetzten: "Das ICH-BIN ist der Weg, die Wahrheit und das Leben" , das ICH-BIN ist Wahrheit. Erst nachdem dieser Prozeß geleistet ist, kann ich fragen, wo stehst DU? Und da auch der DU ein ICH-BIN ist, können wir Gemeinsamkeiten suchen.
Dem einzelnen Menschen also seinen individuellen Weg zur Wahrheit abzusprechen bzw. zu sagen,"was er mit seiner Unwahrhaftigkeit der Wahrheit antut" ist die eigentliche Ideologie, Hybris und "Sünde wider den heiligen Geist" nicht etwa "irrtumbehaftetes Denken. "Das Gesetz ist durch Moses gegeben, die Gnade und die Wahrheit aber, sind durch Jesus Christus entstanden" steht im Prolog des Johannes-Ev., auch hier wird also die Wahrheit mit dem  ICh (=ICh = Initialen von Jesus-Christus) verbunden. Man kann also auch sagen, der Mensch als solcher ist "Wahrheit", unabhängig davon, was und wie er denkt: Ecce Homo
Hieraus begründet sich auch der Dogmatik - Vorwurf: mit einer Weltanschauung und möge sie noch so weit ins Geistige vordringen, eine alleinige, unpersönliche Wahrheit oder Wahrhaftigkeit hier in der Welt begründen zu wollen und "Deutungshoheit" zu beanspruchen oder gar Unterordnung zu forden: das baut Scheiterhaufen.
03.01.09, 01:02:54


Leider zeigt dieser Kommentar wenig echte Erkenntnis – und er beginnt schon mit der Betonung des unverwandelt Subjektiven: Barbara – die zuvor ja auch schon die gröbsten Dinge über mich geschrieben hatte – hat gar keine Lust, mit mir „weiter zu diskutieren“. Nun, diese „Lust“ (auf derartige Diskussionen) hatte ich von Anfang an nicht – ich habe mich aber dennoch mit allen möglichen Formulierungen auseinandergesetzt, die nicht einmal Gedanken für eine Diskussion, sondern nur hingeworfene Verurteilungen waren. „Zeit“ dafür hatte ich im Grunde auch nicht – und habe sie mir dennoch genommen.

Mit ihren Bemerkungen jetzt zeigt Barbara, dass sie Rudolf Steiners Erkenntnisse und Schilderungen gar nicht ernst nimmt. Denn was bedeutet die Tatsache, dass man zur Wahrheit nur kommt, wenn man aus reiner Liebe zur Wahrheit absolut in Kauf nehmen will, dass sie ganz anders ist, als man sie sich vielleicht erträumt oder gewünscht hat, als es einem vielleicht sympathisch ist usw.? Es bedeutet, dass die Wahrheit von mir erfasst werden kann, aber nicht, dass ich sie „nach meinem Bilde“ formen kann.

Ein Satz wie „Der Mensch als solcher ist ‚Wahrheit‘, unabhängig davon, was und wie er denkt“ ist einfach furchtbar – und leugnet tatsächlich den heiligen Geist, indem kurzerhand „der Mensch“ seine Stelle einnimmt. Unabhängig von seiner inneren Entwicklung, unabhängig von niederem oder höherem Ich, unabhängig von Illusionen, Irrtümern, Täuschungen, Vorurteilen, Widersacherkräften usw. – wozu gibt es dann überhaupt all diese Worte, wenn sie nichts bedeuten sollen?

Ich habe nie behauptet, dass „die Wahrheit“ eine „einzige, für alles und alle gültige, unpersönliche“ wäre. Und dass es nicht nur auf Erden, sondern erst recht in der geistigen Welt viele verschiedene Aspekte gibt, etwas anzuschauen, hat Rudolf Steiner nicht nur immer wieder erwähnt, sondern auch „vorgemacht“. Dennoch gibt es hier wie dort falsche Aspekte – Täuschungen und Irrtümer, und das hat er noch sehr viel mehr betont. Wenn jemand einen Apfel für eine Gurke erklärt, stimmt das eben einfach nicht, es mag noch so sehr seine „persönliche Wahrheit“ sein.

Zwischen dem Alltags-Ich und dem höheren Ich besteht ein im buchstäblichen Sinne himmel-weiter Unterschied. Das Nadelöhr zum höheren Ich und zur realen geistigen Welt in ihrer Umfassendheit ist das reale reine Denken. Erst wenn man diesen Weg wirklich geht, wird man mehr und mehr erkennen, was der wirkliche Zusammenhang zwischen dem Ich und der Wahrheit, zwischen dem Ich des einzelnen Menschen und dem, der jene wunderbaren Ich-Bin-Worte sprechen konnte, ist.

Die Wahrheit ist überpersönlich – und hat dennoch zutiefst mit dem Geheimnis des Ich und der Individualität zu tun.

Wenn die Wahrheit so persönlich wäre, wie Barbara es behauptet, könnte sie mir ja „meine persönliche Wahrheit“ lassen – aber nein, sie stellt kategorisch die Behauptung auf „Jeder Mensch ist (!) Wahrheit“. Dieser Satz ist aber nicht wahr – und darum gibt es einen Streit um die Wahrheit ... die eben erst gefunden werden muss! Wenn Barbaras Satz wahr wäre, dann wäre „auch ich Wahrheit“ – und dann wäre völlig unverständlich, warum Barbara mich (selbst wenn ich der schlimmste Inquisitor wäre!) mit ihren Worten fortwährend bekämpft.

Wenn es so wäre, wie Barbara sagt, müsste der Mensch schon auf Erden nicht immer wieder neu – und teilweise sehr leidvoll – Irrtümer erkennen. Und mit der geistigen Erkenntnis ist es keinesfalls einfacher. Individuell und persönlich und außerordentlich zahlreich sind vor allem die Irrtümer und die Irrungen und Wirrungen, durch die man schließlich – im besten Falle – immer mehr zur Wahrheit findet.

Und wenn der Christus gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit, der Weg und das Leben“, dann ist es eine völlige Missachtung dieser Tatsache, wenn man das unmittelbar übersetzen will mit „Das Ich-bin...“ Denn der Christus war und ist der Gottessohn, ist Einer und nicht viele.

Heute stellen sich gerne viele mit diesem allerhöchsten Gotteswesen auf eine Stufe (siehe z.B. auch Gronbach). So sehr wie das, was man überhaupt Wahrheit nennen kann, zutiefst mit diesem Gotteswesen zu tun hat, so wenig ist es beliebig. Durch Rudolf Steiner wissen wir, wie viel dieses Gotteswesen mit dem Geheimnis des mikrokosmischen Ich jedes einzelnen Menschen zu tun hat. Man sollte aber beides nicht in eins setzen. Dies tun jedoch viele Menschen – und sie setzen dann außerdem noch das höhere Ich und das unverwandelte, normale, alltägliche „ich“ in eins.

Bei all diesen höchsten Wahrheiten muss aber auch höchste Vorsicht, Gewissenhaftigkeit und Ehrfurcht walten – denn sie sind eben nicht beliebig...

Missverstandene Zitate Rudolf Steiners

Barbara fügt dann noch einige Zitate von Rudolf Steiner an:

Anbei auch noch einige Gedanken Steiners zur Wahrheit und "Deutungshoheit", an Hand derer ich meine obige Kritik noch etwas verdeutlichen möchte:

Rudolf Steiner:
"Was wir glauben, ist unsere persönliche Angelegenheit. Überpersönlich ist das, was durch die Welt der Tatsachen zu uns spricht, dem haben wir uns zu fügen, dem haben wir nachzugehen." (GA 54, Seite 256)

"Jeder hat seine eigene Wahrheit: weil jeder ein individuelles, denkendes Wesen neben und mit den anderen Wesen ist. Diese andere Wesen wirken auf ihn durch seine Organe. (Anm.: Sinnesorgane) Von dem individuellen Standpunkte aus, auf den er gestellt ist, und je nach Beschaffenheit seines Wahrnehmungsvermögens bildet er sich im Verkehr mit den Dingen seine eigene Wahrheit. Er gewinnt ein Verhältnis zu den Dingen. Tritt er dann in die Selbsterkenntnis ein, lernt er sein Verhältnis zu sich selbst kennen, dann löst sich seine besondere Wahrheit in die allgemeine Wahrheit auf; diese allgemeine Wahrheit ist in allen dieselbige." (GA 7,Seite 34) --- also christlich gesprochen: das ICH BIN und das DU, das auch ein ICH-BIN ist, kann durch Selbsterkenntnis gefunden werden und diese "Substanz" ist gleich, nicht der Gedankeninhalt.

"Es kommt nicht allein darauf an, dass eine Sache wahr ist, sondern darauf, dass die Wahrheiten, die uns entgegentreten, immer einseitige Wahrheiten sind, und wenn wir nicht das andere hinzufügen, was sie erst zu einer vollen macht, dann gehen wir manchmal gerade mit unseren Wahrheiten am allermeisten in die Irre. Denn das ist das Schlimmste nicht, wenn der Mensch irrt, wenn er etwas sagt, was nicht direkt ganz richtig ist; da setzt ihm die Welt den Kopf schon zurecht. Wenn er aber eine einseitige Wahrheit als eine absolute ansieht, wenn er etwas was wahr ist, für alle Wahrheit hält, dann lässt er sich von der Wahrheit beirren, nicht vom Irrtum. Und die meisten Philosophen kranken gerade an dem Fehler: nicht dass sie Falsches sagen, viele können eben nicht widerlegt werden, weil sie Wahrheiten sagen-, aber dass sie Wahrheiten sagen, die von einer Seite angesehen werden und nicht auch von der anderen." (GA 119, Seite 158) --- Ich möchte an die 12 Weltanschauungen erinnern.

"Mit der spirituellen Wahrheit verhält es sich anders im Leben, als mit intellektualistischen. Was man intellektualistisch durchschaut, wie man sagt, "bewiesen" hat, das kann man auch Menschen mitteilen, denn die Sache ist fertig, wenn die Logik fertig ist. Spirituelle Wahrheiten sind nicht fertig, wenn die Logik fertig ist. Spirituelle Wahrheiten sind solche, die mit dem Menschen erst durch das Leben gehen müssen, um voll ausgebildet zu werden." (GA 305, Seite 47 ff.) --- auch hier ist also der individuelle Mensch mit seiner individuellen Biografie gefordert.


Nun macht schon das allererste Zitat ganz klar, was ich ebenfalls auszudrücken versuchte: Was wir zunächst persönlich glauben (und vielleicht unsere „individuelle Wahrheit“ nennen), ist nur unsere persönliche Angelegenheit. Was durch die Welt der Tatsachen zu uns spricht – nämlich die eigentliche Wahrheit, die wir finden können, wenn wir unsere eigenen Ansichten völlig schweigen lassen können –, das ist die wirkliche (und überpersönliche) Wahrheit, der wir uns zu fügen haben.

Das zweite Zitat, was in Wirklichkeit genau das gleiche beschreibt, deutet Barbara einfach und kurzerhand so, als sei die „allgemeine Wahrheit“, zu der man durch Selbsterkenntnis kommen kann, das Ich-Bin, das in allen Menschen die gleiche „Substanz“ ist. Gleich ist also das „Ich-Bin“, der Gedankeninhalt kann sehr verschieden bleiben, fertig. – Doch Rudolf Steiner spricht in „Die Mystik...“, aus der hier zitiert ist, von ganz anderen, viel weitgehenderen Tatsachen. Er spricht hier, wie auch in seiner „Philosophie der Freiheit“, davon, dass der Mensch in der wahrhaften Selbsterkenntnis an dem realen Weltprozess Anteil hat. Im Erkennen stellt sich „das Weltgeschehen ... selbst sein geistiges Wesen gegenüber“ (S. 29).

Es wird gerade die „individuelle Wahrheit“ überwunden, indem man in der Selbsterkenntnis die Rolle erkennt, die die eigenen individuell gebildeten Sinnesorgane, der individuelle Standort, die individuellen Vorurteile usw. spielen – und indem man all dies übersteigen kann. Es geht nicht platt darum, dass man durch Selbsterkenntnis erkennt, dass „jeder ein Ich hat“ und der Gedankeninhalt bzw. die eigene Wahrheit individuell bleibt – sondern im Gegenteil darum, dass in der wahren Selbsterkenntnis das beschränkte individuelle Ich sich zum allgemeinen, universellen Ich erheben kann und auf diese Weise zugleich jede seiner besonderen Wahrheiten sich in die allgemeinen Wahrheiten auflösen kann. Individuell ist und bleibt die Tat des einzelnen Ich, das auf diese Weise am realen Weltgeschehen Anteil gewinnt und zum universellen Ich(-Bin) wird!

Das dritte Zitat besagt, dass Wahrheiten zunächst einseitig sind, weil es die verschiedensten Aspekte gibt – wir müssen erst das andere hinzufügen, was sie erst zu einer vollen macht. Wir müssen den einseitigen Standpunkt überwinden. Das heißt wiederum nicht, dass es eine volle Wahrheit nicht gäbe, sondern dass wir zunächst fast immer nur einzelne Aspekte erkennen, z.B. aus dem Aspekt einer einzelnen Weltanschauung heraus. Und in ihrer Relativität und Beschränktheit kann eine Wahrheit vollkommen wahr sein – und ein Irrtum kann schon auf dieser Ebene ein völliger Irrtum sein.

Wenn ich feststelle, dass auf „Egoisten.de“ Ironie und falscher Humor etc. einen Zugang zu jener Spiritualität, auf die Rudolf Steiner hinweisen wollte, geradezu unmöglich machen, dann beschreibe ich eine höchst relative Wahrheit – und es kann dennoch (und gerade deshalb) eine Wahrheit sein. Ziemlich absolut wäre dagegen die Formulierung: „In Blogs ist generell keine Spiritualität zu finden“ – oder gar: „Nur in direkter menschlicher Begegnung ist überhaupt irgendeine Spiritualität denkbar“. Vorwürfe wie „kategorisch“ und „dogmatisch“ sollen offenbar suggerieren, man habe etwas Einseitiges zu einer „universellen Wahrheit“ erklärt – etwas, was in Wirklichkeit aber sehr spezifisch und genau und wahr sein kann. Auf der anderen Seite kann der Satz „Jeder Mensch ist (!) Wahrheit“ ein völliger Irrtum sein, so scheinbar universell er auch daherkommt...

Und die spirituellen Wahrheiten, die mit dem Menschen durch das Leben gehen müssen? Was hiermit gemeint ist, beginnt eben schon an dem Punkt, wo sich Herman Grimm und Woodrow Wilson unterscheiden: Der eine hat sich die Wahrheiten im Leben errungen, der andere verkündet bloße Phrasen. Das heißt wiederum nicht, dass die letztliche Wahrheit nicht in jedem „immer dieselbige“ (Goethe) sein kann und ist, wenn man sich ihr nur wirklich zu öffnen und sie in dieser Weise zu erkennen vermag – sondern es heißt, dass es eben wirklich eine ganze Biographie inneren Ringens braucht, wenn man sich zu den höchsten Wahrheiten erheben will. Jeder, der wirklich mit innerlichen Fragen und Wahrheiten lebt, wird bestätigen, wie diese sich immer mehr vertiefen und erweitern, immer realer und umfassender werden. Sie werden dabei aber nicht etwa immer „individueller“ (das auch, recht verstanden, weil sie errungen und zueigen gemacht werden), sondern entfalten immer mehr ihr wahres Wesen, was von „meiner Individualität“ nur insofern abhängt, als dass ich mich immer mehr dafür bereit mache, dass sie sich in ihrer ganzen Tiefe offenbaren können.

Die Frage der Wahrheit ist selbst ein Geheimnis – und es bleibt dabei: Individuell sind zunächst nur die Irrtümer...

„Wahrhaftig und authentisch im Alltag“?

Ein weiterer Kommentar brachte wiederum neue Verwirrung:

Rainer
Das Thema "Wahrheit" kann man natürlich endlos ausdiskutieren, immer wieder neue Zitate von Steiner oder anderen "Wahrheitssuchern" anführen. Was solls? Letztendlich zählt es doch nur, ob ich als einzelner, verantwortlicher und selbstbewusster Mensch wahrhaftig und authentisch in meinem Alltag lebe, ob ich an der Supermarktkasse, gegenüber meiner Frau, auf der Arbeit WAHRHAFTIG bin; das ist schwer genug und jeden Tag neu zu lernen. Wenn man anderen "die Wahrheit" abspricht, nur weil sich diese vielleicht die Freiheit nehmen, neben Steiner auch noch andere Autoren zu schätzen, heisst das doch nur, dass man "die Wahrheit" doch lieber in den Büchern und nicht im Leben sucht (Die "Wahrheit light" sozusagen).
Wie sagte Bernhard Schlink so schön (in seinem berühmten Buch "Der Vorleser"): "Weil die Wahrheit dessen, was man redet, das ist, was man tut, kann man das reden auch lassen"
03.01.09, 12:36:44


Hier werden wiederum die Ebenen von Erkennen und Handeln, von Erkenntnis/Weisheit und Liebe verwechselt. Oder Rainer sieht die Erkenntnis als unwesentlich an, weil man ja unmittelbar im „Leben“ die Liebe verwirklichen könne, um die es allein gehe. Ich weiß nicht, wem Rainer die Wahrhaftigkeit und Authentizität in seinem Alltag abstreiten will – ob mir, dir, Gronbach, Frau Merkel, Berlusconi oder wem. Über das subjektive oder auch objektive „Authentischsein“ ist ja wohl äußerst schwer irgendeine Aussage von außen zu machen. Wichtiger aber ist, dass es nicht nur um diese Frage geht – denn sonst wäre die Welt nicht so, wie sie ist.

Authentizität oder Wahrhaftigkeit hat mit der Übereinstimmung von Wesen und Erscheinung zu tun. Man kann mit diesen Begriffen immer auf der Alltagsebene bleiben. Wer das tut, wonach ihm gerade der Kopf steht, ist eben auch immer authentisch. Die Frage ist: Verwandelt sich in Kopf, Rumpf und Gliedern auch einmal etwas? Auf diesen Prozess kommt es an, nicht auf die Authentizität als solche. Rainer meint aber nicht nur diese Wahrhaftigkeit, sondern offenbar eine echte Begegnung (z.B. mit der Frau an der Kasse), die also auch den Anderen als Menschen wahr-nimmt. Das ist aber wiederum etwas völlig anderes, als das, was jemand als „Wahrheit“ bezeichnet, auch als solche anzuerkennen. Sonst könnte man ja eben die „Wahrheit“ und das Tun jedes beliebigen Menschen annehmen – Berlusconis persönliche Wahrheit von Recht und Gesetz usw. usf. Es handelt sich aber eben manchmal um eine fortgesetzte Beugung, Verfälschung und Bekämpfung der Wahrheit, die (ich wiederhole es) erst einmal gefunden werden muss.

Der Begriff der Wahrhaftigkeit und Authentizität wird derart sorglos angewandt, dass man ihn nie auf die Wahrheit oder das Denken selbst bezieht. Das Denken selbst ist erst wahrhaftig, wenn es sich ganz mit dem Gedanken vereinigen kann. Wenn es nicht an Vorurteilen etc. haftet, sondern wirklich eins wird mit einem je und je zu denkenden Gedanken. Erst in einem solchen Prozess, erst für ein in dieser Weise wahrhaftiges Denken offenbart sich die Wahrheit oder Unwahrheit eines Gedanken.

Und wenn ein Anderer einen falschen Gedanken denkt, dann ist man auch diesem Anderen gegenüber nur dann wahrhaftig, wenn man ihn auf diese Unwahrheit des Gedanken hinweist. Auch Rudolf Steiner hat auf diesen wichtigen Punkt hingewiesen, auch wenn ich im Moment nicht sagen könnte, wo.

Wenn ich Gronbach „die Wahrheit“ abspreche, dann nicht, weil er „neben Steiner auch noch andere Autoren schätzt“, sondern weil er die Wahrheiten und Realitäten, von denen Rudolf Steiner spricht, überhaupt nicht versteht, weil die „anderen Autoren“ (z.B. Wilber) diesen Wahrheiten diametral entgegenstehen (um dies selbst erkennen zu können, könnte man Mieke Mosmullers ausführliches und klares Buch „Arabeske“ lesen) und weil Gronbach seine „Wahrheit“ noch immer „Anthroposophie“ nennt. Das ist eben der Punkt: Er könnte mit seiner Wahrheit glücklich werden, wie er will – wenn er sie aber mit der Anthroposophie und Rudolf Steiner in Zusammenhang bringt, entsteht die Frage, was Anthroposophie und Geisteswissenschaft ist, was Rudolf Steiner selbst gemeint hat. Sonst nimmt man eben gerade Rudolf Steiner selbst nicht ernst. Dann redet man vielleicht viel von „Wahrhaftigkeit“ gegenüber der Frau an der Kasse, echte Wahrhaftigkeit gegenüber einem allergrößten Meister und einem unerschöpflichen Lebenswerk ist einem aber unwesentlich.

Die Frage ist: Geht es nun darum, das Wesen der Anthroposophie zu verstehen – oder darum, jedem seine persönliche „Wahrheit“ (Vorstellung) von der „Anthroposophie“ zu „lassen“? Würde man letzteres tun, würde man nach Steiner weder der Anthroposophie noch diesem „Jedem“ gerecht.

Das Thema „Wahrheit“ kann man nicht endlos ausdiskutieren. Wenn es deutlich wäre, dass Wahrheiten zwar relativ sein können, dass es aber so etwas wie Wahrheit und Unwahrheit wirklich gibt, wäre schon sehr, sehr viel gewonnen. Wenn man verstünde, was Wahrhaftigkeit im Denken wirklich bedeutet, würde man der realen Wahrheit selbst immer näher kommen können. Dann könnte man z.B. erkennen, dass das, was Gronbach verkündet, nicht nur sehr relativ ist (und bei weitem nicht „jenseits der All-Liebe“ usw. usf.), sondern dass vor allem auch das wahr ist, was Mieke Mosmuller z.B. in ihrem Buch „Arabeske“ beschreibt – und dann würde sich Gronbachs „Wahrheit“ ganz von selbst in den Zusammenhang des großen Ganzen einordnen. Er kann wie gesagt bei seinen Wahrheiten bleiben, aber sie als „Anthroposophie“ zu bezeichnen, ist eine Unwahrheit. Mit dieser „Deutungshoheit“ überschreitet er selbst das, was die Wahrhaftigkeit gebietet. Um nichts anderes geht es.

Der Logos und die Widersacher

Und dann kam es plötzlich zu diesem Austausch:

Barbara 1
Lieber Holger, ich habe Besuch und daher Zeitmangel. Deine eigenen Beleidigungen, die Du über andere geschrieben hast, kannst Du nicht sehen? Auch nicht, wenn Du ganz simpel Deine Artikel nach dem guten Ton beurteilst? (Da sie Dir nicht auffallen, diese Grobheiten, nur so zur Erläuterung)
Rudolf Steiner sagte einmal irgendwor: Der Mensch ist die Religion der Götter. - Die erschaffenen Welt als solches ist zunächst eine Wahrheit: Stein, Pflanze, Tier und auch der Mensch in all seiner Verstrickung in "Widersacherwirkung" und Irrtümer, Triebe etc. Nach dem Johannes Ev. ist alles Enstandene aus dem Logos entstanden. ("nichts von allem Enstandenen ist anders als aus dem (Logos) Wort enstanden). In diese Logos- Erschaffung der Welt haben dann die Widersacher eingegriffen. Die Welt so, wie sie ist ist also zunächst einmal Realität und Wahrheit. Dies zu leugnen ist die Leugnung des Logos.
Die obigen Zitate über die individuelle Wahrheit sind von Rudolf Steiner und beinhalten, dass jeder Mensch subjektiv die Welt sieht und das diese Subjektivität wahr ist. Das ist zunächst die Grundlage. Wenn der Mensch sich jetzt durch sein Leben und Schicksal als solches bemüht, sich zu entwickeln durch Philosophie, Religion oder Anthroposophie und ihre Schulung, kann er zur Selbsterkenntnis seines Wesens kommen (das uralte gnoti s´auton= erkenne dich selbst), s.o. und dadurch auch den "heiligen Geist, als Geist der Wahrheit und Erkenntnis" (chr. gesprochen, Joh.14) in sich aufnehmen (und event. die Schwelle überschreiten) Du hast also, wie ich hier ganz verkürzt zu zeigen versuche, den "Logos" mit dem "heiligen Geist" verwechselt und leugnest die gewordene Schöpfung in ihrem "So-Sein".
Wenn Du auf Deiner Web einfach nur Deine Gedanken darstellen würdest, ohne andere Menschen z.B. "als Gefahr für suchende Seelen" zu erklären oder Ihnen nicht persönliche Wahrhaftigkeit absprechen würdest, könnte man über viele Gedanken  diskutieren und vielleicht sogar weiterentwickeln. Da Du aber erstens den Blog zum Kommentieren gesperrt hast, weil Du nicht moderieren willst und Deine Gedanken apodiktisch vorträgst, erübrigt sich das eben. Vielleicht antworte ich Dir später noch auf die anderen Kommentare - im Moment geht mein Besuch vor.
03.01.10, 13:08:16


Liebe Barbara, ich bin ehrlich erstaunt, dass Du mich nun ganz normal und menschlich ansprichst
– ich hätte angesichts all Deiner vorangegangenen Worte über mich nicht geglaubt, dass Du überhaupt irgendwann mit mir reden willst. Nein, ich sehe nicht, wo ich jemand anderen beleidigt haben soll. Was ich schreibe, enthält deutliche Aussagen, die persönlich sicher schmerzlich sein können. Ich muss das, was ich sage, jedoch als wahr empfinden – und es geht um ganz entscheidende Fragen. Wenn man meinen Gedanken nicht folgen kann, wird man auch den Urteilen nicht folgen können. Dass man sie dann vielleicht sogar nicht nur als „unwahr“, sondern auch als „Beleidigung“ empfinden wird, kann ich nicht ändern, denn es ist eine persönliche Angelegenheit.

Man müsste die Wahrheitsfrage ohne subjektive Befindlichkeiten anschauen können – dann würde sich die Frage angeblicher „Beleidigungen“ auflösen. Man könnte zum Beispiel versuchen, darzustellen, was man selbst unter „Anthroposophie“ versteht und warum diese heute „lebendig“ sein sollte. Wenn man die heutige „Anthroposophie“ als tot bezeichnet, soll das niemanden beleidigen, sondern eine Aussage über die heutige „Anthroposophie“ sein. Wenn man es anders sieht, wird man es anders sehen – und sich vielleicht auch „beleidigt“ fühlen.

Wenn ich das, was bestimmte Menschen sagen und schreiben, als „Gefahr für suchende Seelen“ bezeichne – ich meine dabei immer die Suche nach der wirklichen Anthroposophie! –, dann sind das meine Gedanken. Ich kann also nicht „einfach nur meine Gedanken darstellen“, denn es geht auf meiner Webseite gerade um die Frage, wie Anthroposophie heute missverstanden wird. Wenn man diese Halbwahrheiten, Täuschungen, Selbsttäuschungen usw. nicht durchschaut, kann man nicht zur wirklichen Anthroposophie kommen. Das ist die Tragik, die dem ganzen innewohnt und die diversesten Schwierigkeiten verursacht.

Zu Deinen Zitaten von Rudolf Steiner: Die subjektive Sicht der Welt ist eben immer nur relativ wahr. Mir geht es um die Frage nach jener Wahrheit, die nicht mehr subjektiv ist. Ich leugne nicht die gegebene Realität und die vorhandenen relativen und subjektiven Wahrheiten. Mir geht es um die Frage, wo diese „persönlichen Wahrheiten“ die höheren Wahrheiten verfälschen und sie bekämpfen. Mir geht es also gewissermaßen auch um die Erkenntnis der Widersacherkräfte – denn sie sind es eben gerade, die den Logos und den Heiligen Geist verdunkeln, den Menschen und sein Denken von dieser göttlichen Wirklichkeit trennen. Das ist das heutige „So-Sein“. Das Vermögen, sich mit dem Logos und dem Heiligen Geist wieder wirklich zu verbinden, kann und muss entwickelt werden – das gerade wäre Anthroposophie – und gerade das beschreibt Mieke Mosmuller z.B. in „Der Heilige Gral“.

Zwischen Dogmatismus und Toleranz – die essentielle Wahrheitssuche

Diese Frage berührten dann nochmals zwei weitere Beiträge:

Hans-Peter
Zur ERGÄNZUNG der von Barabara1 angeführten Argumente etwas vom Wahrheitsbegriff Steiners in seiner "Theosophie": "Jeder Mensch weiß, wie ihm zunächst das als wahr gilt, was er in seinen Empfindungen usw. vorzieht. Erst diejenige Wahrheit aber ist die bleibende, die sich losgelöst hat von allem Beigeschmack solcher Sympathien und Antipathien der Empfindungen usw.  Die Wahrheit ist wahr, auch wenn sich alle persönlichen Gefühle gegen sie auflehnen. Derjenige Teil der Seele, in dem DIESE Wahrheit lebt, soll Bewustseinsseele genannt werden."
"Was durch das Denken als Wahrheit erkannt wird, hat eine SELBSTÄNDIGE BEDEUTUNG, die sich auf die Dinge der Welt bezieht, nicht bloß auf die eigene Seele. Mit meinem Entzücken über den Sternenhimmel lebe ich in mir; die Gedanken, die ich mir über die Bahnen der Himmelskörper bilde, haben für das Denken JEDES ANDEREN DIESELBE BEDEUTUNG WIE MEINIGE."
"In diesem Ergreifen der Wahrheit verbindet sich die Seele mit etwas, das seinen Wert IN SICH SELBST trägt."

Aus dieser Erkenntnislinie heraus hat Steiner oft betont, wie sehr die Wahrheit Menschen miteinander verbinden kann, gerade weil man sich durch ihre Anerkennung über seine Subjektivität erhebt. Diese Subjektivität ist ja nicht etwa schon das ICH BIN, das in der Tat mit der Wahrheit identisch und deshalb auch mit allen Weltwahrheiten verbunden ist, welche die pure Subjektivität nicht anerkennen will. Aber Wahrheiten können natürlich nur gelebt werden, wenn man sie verinnerlicht. So werden sie individuell, gewinnen dabei z.B. Herzenswärme und verlieren doch nichts von ihrer allgemeinen Bedeutung, wodurch anderseits das Subjektive emporgehoben wird und wieder zu einem echten Weltbezug kommt.
Nur wer erfasst schon die Wahrheit unfassend? Auch wenn wir zu verschiedenen Themen schon wesentliche Züge erkennen können, es gibt nach meiner Erfahrung (und auch nach Steiner) immer noch mehr zu beleuchten. Wir erfassen nur Teilwahrheiten, die Ergänzungen brauchen. Dieses Bewusstsein weitet mein Wahrheitsverständnis, dadurch entsteht mir Toleranz für verschiedene Gesichtspunkte, aber durch meinen Wahrheitsbezug falle ich nicht in eine Beliebigkeit. Die engen und vom Menschen losgelösten Wahrheiten führen nur zu leicht zum Dogmatismus (was ich bei Ihnen, Holger Niederhausen, zu ausgeprägt sehe), der einseitige Subjektivismus setzt an die Stelle von Erkenntnis Willkür. 
Auch z.B. viele Nazis waren in gewisser Weise wahrhaftig, wenn sie ihre den Menschen verachtende Ideologie offen ausgelebt haben, aber sie hatten dabei den wahren Blick auf ihre Mitmenschen verloren.
03.01.10, 14:37:46

Rainer
Herr Niederhausen, erst einmal muss ich sagen, dass ich es durchaus schätze, dass Sie nun hier im Club der Egoisten antworten und dann auch noch so ausführlich.
Ich verwechsel also die "Ebenen von Erkennen und Handeln, von Erkenntnis, Weisheit und Liebe" Das mag sein. Ehrlich gesagt, interessiert mich so etwas auch nicht sooo sehr. Als ich mit Anthroposophie anfing, vor ca 25 Jahren fand ich solche Debatten spannend (leider gabs da noch kein Internet) und anregend, heute langweilt mich so etwas ein wenig, bzw. lenkt mich ab vom schöpferischen, tätigen Denken (welches Sie mir meinetwegen absprechen mögen) und von dem, was mein Alltag von mir fordert.
Zuletzt (auch wenn Sie diesen Punkt gerne ausblenden würden): Wenn es Ihnen anscheinend egal ist, dass Lochmann die Bücher des Revisionisten Bondarew veröffentlicht hat (da Sie weiterhin den Link auf Ihrer Seite haben) so sollten Sie wissen, dass diese Haltung auch ein interessantes Licht auf Ihre übrigen Äußerungen zum Thema "Wahrheit" wirft
03.01.10, 14:46:04


Die Zitate aus der „Theosophie“ beleuchten unmittelbar den Kern der Sache! Und ja, die Wahrheit, zu der man sich immer mehr erheben kann, wenn man wirklich nach ihr sucht, könnte und würde die Menschen wirklich wieder miteinander verbinden.

Demgegenüber müsste der Begriff des Dogmatismus einmal deutlich gefasst werden. Dieser scheint mir zu enthalten, dass man eine Wahrheit oder Idee eben nicht lebendig erfasst, dass man ihr gegenüber unfrei ist und dass man auch andere Menschen unter diese Idee zwingen will. – Wie lebendig ich die Wahrheiten erfasse, von denen ich spreche, und wie frei ich ihnen gegenüber bin, das weiß ich selbst am besten. Und wie ich schon sagte: Ich will niemanden zwingen, das, was ich ausspreche, als Wahrheit (an-)zuerkennen, und Aufsätze auf einer Webseite können auch gar nicht zwingen.

Mir geht es aber um Erkenntnisfragen, die ich als die wesentlichsten überhaupt empfinden muss – wenn es einem überhaupt um die Anthroposophie geht. Es entsteht für mich der Eindruck, dass man, wenn man meine Aufsätze und Gedanken als „Dogmatismus“ bezeichnet, nicht die wirkliche, ringende, essentielle Frage nach dem Wesen der Anthroposophie, der Selbsterkenntnis, des Menschseins empfindet. Das ist dann auch eine Realität.

Toleranz kann und soll man – ganz im Sinne von Rudolf Steiners Vortrag aus GA 183 – gegenüber allem haben außer einer Verfälschung der Wahrheit. Aus der Ansicht, wir würden ja doch immer nur relative Wahrheiten erfassen, kann sehr, sehr schnell eine falsche Toleranz entstehen. Wenn aber der eigene „Wahrheitsbezug“ bzw. das eigene Urteilsvermögen dazu führt, dass man nicht in eine Beliebigkeit verfällt, warum soll man dann nicht aussprechen, dass Gronbach, Wilber usw. nicht über das sprechen, was Rudolf Steiner Anthroposophie nannte? Wenn es einem um die Anthroposophie geht, muss man es aussprechen. Das hat nichts mit Dogmatismus zu tun, sondern mit dem Wichtigsten, um das es in unserer Zeit geht.

Die Nazi-Zeit war das dunkelste Kapitel des vergangenen Jahrhunderts – und es war ein vernichtender Schlag für den realen anthroposophischen Impuls selbst. Anthroposophie könnte mehr und mehr und mehr den wahren Blick auf den Menschen (nicht nur den Mitmenschen) öffnen. Aber dafür muss ihr Wesen ergriffen werden. Sonst bleibt man für immer nicht nur auf halbem Wege, sondern sogar „vor dem Tore“ stehen – im Erkennen und im Handeln. Und ich spreche auch jetzt nicht von den subjektiven Wahrheiten und Wirklichkeiten des Einzelnen, sondern von dem, worauf Rudolf Steiner hinweisen wollte und hingewiesen hat...

„Persönliche Angriffe“? – Zur Frage der „Methode“

Dass ich nicht in das Extrem der Beliebigkeit verfalle, dürfte unmittelbar einsichtig sein. Viel schwerer dagegen ist zu sehen, dass es ebensowenig das Extrem des Fanatismus oder Dogmatismus ist. Das wird nur möglich sein, wenn man zur wirklichen Bedeutung des Begriffes „Geisteskampf“ vordringen und diesen mit der konkreten Wirklichkeit verbinden kann. Sonst wird man immer bei dem Vorwurf des „Dogmatismus“ bleiben – und in demselben Maße nicht sehen, wie man selbst zu falscher Toleranz und Beliebigkeit neigt.

Barbara 1
Lieber Holger, 
dann mach es doch rein methodisch so, wie man das in jeder Diplomarbeit oder Dissertation auch macht: stell die Dinge dar, wie DU sie siehst ohne den Menschen, der dies tut, persönlich anzugreifen. Natürlich kann man die "Wirkung der Widersachermächte" überall in der Welt finden, für viele Menschen ist es wahrscheinlich nötig über den Irrtum zur Wahrheit zu reisen oder einfach einen anderen Aspekt der Welt aufzuzeigen und das muss man respektieren, wenn man die Freiheit des Menschen oder des Geistesleben anerkennen will. Zur Wahrhaftigkeit gehört natürlich auch, dass man seine Quellen angibt, auf info 3 bezogen: Ken Wilber, Andrew Cohen, Steiner. Wenn das geschieht, wie z.B. Gronbach jetzt auf seiner Web deutlich gemacht hat, kann man ihre Meinungen ja einordnen und gegebenenfalls sauber diskutieren.
Die Pflicht etwas zu verhindern haben wir, so sehe ich es nur dort, wo die körperliche Unversehrtheit und das So-Sein des Anderen nicht eingehalten wird, was von ihm natürlich auch gefordert werden kann.
Viele Grüße Barbara 1
03.01.10, 16:08:01


Liebe Barbara, ich möchte methodisch aber keine Diplomarbeit schreiben – das ist eine ganz ähnliche Frage wie die, die ich auch mit der „Goetheanum“-Redaktion schon vergeblich zu diskutieren versuchte.

Der Eindruck, ich würde einen anderen Menschen persönlich angreifen, entsteht nur dadurch, dass dieser Mensch die Frage, um die es geht, mit seiner Person verbindet. Das geht natürlich gar nicht anders – aber wenn jemand Aussagen macht oder sie sogar noch als „Anthroposophie“ bezeichnet, dann muss er es auch ertragen können, wenn man ihm auf der Erkenntnisebene entgegentritt. Genauso kann man auf meine Aussagen eingehen. Die Hauptsache wäre, dass es einem um die Frage nach der Wahrheit geht. Es handelt sich bei der Frage nach dem Wesen der Anthroposophie wirklich um etwas, wo die Vorstellungen und Behauptungen diesem Wesen derart widersprechen, dass man um klare, scharfe Urteile gar nicht herumkommt. Wenn dies als „Angriff“ bezeichnet wird, nun gut – es ist tatsächlich ein Geisteskampf.

Natürlich ist es für viele Menschen nötig, über den Irrtum zur Wahrheit zu kommen. Wenn sie aber aus dem Irrtum heraus glauben, Wahrheiten verkünden zu können, die die höchsten Wahrheiten verdunkeln und pervertieren, dann muss man diesem Irrtum und ihren verkündeten Irrtümern entgegentreten. Nichts anderes tue ich. Eine „Pflicht etwas zu verhindern“ kann sich immer nur aus dem eigenen moralischen Erleben ergeben. „Wir“ haben zu nichts eine Pflicht – es zählt immer nur das, was sich aus unserem eigenen moralischen Erleben ergibt und was wir uns aus Freiheit zur Pflicht machen. Und das kann dann in ebenso wesentlicher Weise, wie „wir“ heute die körperliche Unversehrtheit eines anderen schützen, die „geistige Unversehrtheit“ einer Wahrheit betreffen.

Ebenso wie jeder Mensch die Freiheit hat, durch persönliche Irrtümer „zur Wahrheit zu reisen“, habe ich die volle Freiheit, allen Irrtümern, die ich als zutiefst verhängnisvoll für ein Verständnis des Wesens der Anthroposophie ansehen muss, in aller Deutlichkeit entgegenzutreten. Es steht jedem (betroffen oder nicht) wiederum frei, das als „Angriff“ zu empfinden oder nicht... Und es steht jedem frei, die wahre Bedeutung dieses Geisteskampfes zu erkennen oder nicht. Wer diese Bedeutung nicht erkennt, wird all meine Ausführungen wahrscheinlich immer weiter mit Vorstellungen von „Dogmatismus“ verbinden – das ist dann auch wiederum die persönliche Freiheit...