15.09.2010

Patrick Roth – „neue Evangelien“ oder „Vorsicht!“ ???

Erwiderung auf eine Buchbesprechung von Lorenzo Ravagli im "Goetheanum" vom 3.9.2010.


Inhalt

Ravagli über Patrick Roth
Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten
Höchste Realitäten und spirituelle Wüste
Von Ahnung, Sehnsucht und realem Weg
Materialismus im Denken
... trotz spiritueller Erfahrung


Ravagli über Patrick Roth

Das „Goetheanum“ vom 3.9.2010 enthielt eine Buchbesprechung von Lorenzo Ravagli zu einem Sammelband über den Autoren Patrick Roth („Der lebendige Mythos: Das Schreiben von Patrick Roth“). Ravaglis Besprechung ist im Grunde eine Lobeshymne, ja ein staunender Jubel über diesen Autor. Er schreibt unter anderem:

Manchmal kommt man erst auf Umwegen zum Guten. Der Auftrag jedenfalls, ein Buch über den deutsch-amerikanischen Schriftsteller Patrick Roth zu rezensieren, veranlasste mich, seine Bücher zu lesen [...] Und wenn mich schon manche der Beiträge im hier besprochenen Buch neugierig auf diesen Autor gemacht hatten, so trat an die Stelle der Neugier mit fortschreitender Lektüre der Originalwerke die Bewunderung, ja Erschütterung.

In Patrick Roths Werken, ich kann es nicht anders sagen, schreiben sich die Evangelien fort. Der Evangelist Johannes sagt irgendwo, er hätte in seinem Augenzeugenbericht nur den geringsten Teil dessen niedergeschrieben, was er und andere geschaut haben [...]. Nun, hier, an der Wende zum neuen Jahrtausend ist einer, der den Schreibstift des Evangelisten wieder in die Hand nimmt. Und er nimmt ihn wie ein Zeuge in die Hand. Aber was er bezeugt, [...] geschieht jetzt, in unserer Gegenwart, in ihm, in uns.

Mit eindringlicher Sprachgewalt, bildmächtig, mitreißend, führt uns Patrick Roth in eine Innenwelt, in der sich Kosmisches ereignet. Von Krankenheilung, Auferweckung der Toten und Auferstehung handeln seine Erzählungen, von Zeugen werden sie erzählt, über Geschehnisse berichten sie, die sich in den Evangelien nicht finden, apokryph würde man sie nennen. Aber das Apokryphe ereignet sich hier und heute. Meditationen sind diese Erzählungen, die der Imagination eines Dichters entspringen, der das Gehäuse des Diesseits sprengt und mit den Wortschaufeln der Sprache Archetypen aufschichtet, die sich zu ganzen Gebirgen von Wirklichkeit auftürmen. [...]


Um sich ein eigenes Urteil über diese Aussagen und über Patrick Roths Werk zu bilden, muss man dieses natürlich kennenlernen. Ich möchte einen ausführlichen Einblick in seinen Roman „Johnny Shines“ geben, den mittleren Teil seiner sogenannten „Christus-Trilogie“:

Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten

In einer dunklen Dezembernacht wird in dem unwirtlichen Ort Blade am Rand der Mojave-Wüste der verstörte Johnny Shines aufgegriffen.

Er gesteht einen Mord, später sagt er, die Frau habe ihn in einer Art Wach-Traum begleitet, damit er eine andere, in Blade verstorbene Frau wieder zum Leben erwecke.

In derselben Nacht kommt eine namenlose Frau zu Johnny in die Zelle, und es beginnt jenes Gespräch, das den Rest des Buches füllt:

In jener Nacht nahm auch ich mein Gespräch mit Johnny Shines wieder auf. Ich hatte ihn, schon seit einigen Jahren, immer wieder in Unterhaltungen zu führen versucht, Licht auf sein Geheimnis zu werfen. Er war mir aber stets ausgewichen oder tat so, als habe er mich vergessen, was der Wahrheit wohl nahe kam. (S. 15)


Langsam bringt sie ihn dazu zu erzählen. Zunächst erzählt er von einer Geschichte, die sein Vater öfter erzählt hatte und durch die er gegenüber den Menschen misstrauisch geworden war: Ein König sollte nach dreizehn Jahren einen Jungen, mit dessen Familie er inzwischen sehr vertraut geworden war, entführen und in eine Löwengrube werfen. An mehr erinnert sich Johnny nicht.

Die Frau, die selbst vieles zu wissen scheint, bringt ihn dazu, von der letzten Nacht zu erzählen. Allmählich wird deutlich, dass Johnny geradezu besessen davon ist, das Wort Christi „Weckt die Toten auf“ (Mt 10,8) zu verwirklichen. Er geht zu Begräbnissen, bricht den Sarg auf und versucht, durch die Kraft seines Glaubens den Toten lebendig zu machen. In jener Nacht versuchte er allein, einen Sarg zu öffnen, wird aber von einer Frau gesehen und folgt ihrem Wagen in den nächsten Ort Shinbone. Dort erfährt er von dem bevorstehenden Begräbnis eines im Streit gestorbenen Rancharbeiters.

Johnny beschreibt seine Zweifel, aber auch seine Sicherheit (wenn er sich vor aller Augen einem Sarg nähert) sehr existentiell:

Hinter der letzten Angst, ihrem Zerren und Scharren, wartet Reinheit des Willens. Die lässt mich ins Leben gehen, mit allem, was ich verlieren kann: und eben nicht verlieren kann. Denn es gehört mir an sich nichts; es ist mir ganz gegeben. Wenn ich mich als ganz gegeben versteh, wenn ich die Hände des HErrn, die mich zusammensetzten, noch dort spüre, wo sie mein Inneres und Äußeres verließen, so aber: Wie wir die Stelle auf unserer Haut noch spüren, hier ... und hier ..., wo uns gerade die Finger der Geliebten verlassen; wenn ich also begreife, dass ich aus solchem Moment geboren bin, ich wurde, wo nichts von mir gegeben war: dann kann ich aber alles setzen, kann nicht verlieren, muss IHN geradezu herausfordern: „HErr, du hast mich gemacht, sag, wozu ich tauge.“ (S. 51)


Der Sprachstil von Roth kann aber ebenso die Gestalt von solchen Sätzen annehmen (beschrieben wird der Wohnort des Toten):

Unter der Bettstatt dann, in einer Kuhle verhohlen, habe sich ein Berg in kindischer Handschrift begonnener Briefe aufgetan, rat-mal-an-wen, und, wer weiter vorstakte, zwischen faulenden Heuballen und Rinnsalen, die von der lecken Pumpe genährt wurden, sei bald auf Haufen ungewaschener Wäsche gestoßen, in deren Masse ein alter Pflug steckengeblieben war, dessen stumpfe Schar eng an jener durchsichtigen Plastiktüte haltgemacht habe, die man aus drei Fuß Tiefe herausfischte und in der zwei lang-ists-her-Slips der Ehemaligen aufbewahrt lagen, „Unaussprechliche“, die sie nur aus einem dieser Kataloge bezogen haben könne. (S. 61)


Wiedererweckungsversuche

Die Auferweckung des Toten gelingt nicht, er wird zusammengeschlagen und später auf dem Highway ausgesetzt, doch eine Frau aus der Gemeinde der Trauernden folgt ihm und kümmert sich um den Erschöpften. Es ist jene Frau, die er schon in der ersten Nacht gesehen und später ermordet haben soll. Sie bittet ihn, eine Freundin aus ihrer Kindheit wieder lebendig zu machen. Während Johnny es für vollkommen aussichtslos hält, ist sie fest überzeugt, dass er es kann.

Hier wird wiederum etwas von seinem Glauben deutlich, obwohl er bisher immer gescheitert ist:

Mein „Ruf“, wie du ihn nennst, ist eben einzig Wiederholung. Man hat mich hier und da gesehen, und – das ist es, mehr als alles andere – die wenigen Minuten, manchmal nur Sekunden, die mir bleiben, um zu versuchen, den Toten ins Leben zu rufen – bevor jemand einschreitet oder mich wegschleift oder niederwirft, umhaut –, diese wenigen, die mir da bleiben: die ziehen auch sekundenlang durch alle Anwesenden hindurch. Und ich glaube, hier erkennen sie das Wahre, die andern, das Wahre, das jetzt in ganzer Kraft in mir tätig ist, hier, für wenige Sekunden, hier: spielen sie es sich selbst vor, wird ihnen vorgehalten, was sie seit Kindheit wissen: dass es getan werden kann. Was ich versuche. Sekundenlang bin ich ihre Kindheit. Sekundenlang wissen sie und sehen sie das. [...]
Und den Gottessohn anrufend, der selbst Grabzertrümmerer war, trümmer ich mit Hammer und Seele, das ist: dem ganzen Glauben, hinein in den Ganzen Tod und zeig, dass er keiner ist. Dem, der glaubt, keiner ist. – Das geschieht hier, und die Szene, eine Szene großer Wut, wahnsinnigen Glaubens, tiefer Liebe, sag ich dir marktschreierisch, die vergessen sie sekundenlang nie. [...] (S. 86ff)

Das Scheitern ist ein Schürfen. Etwas wird abgetragen in uns, wenn wir scheitern, wenn wir versagen. Es ist wie ein langsames Abschürfen, Wegschürfen von Härtestem, das aber endlich bricht. Durch unser Versagen, unser Scheitern ist es gebrochen. Es bricht durch, irgendwann – das alles geschieht in uns –, und wir fallen durch in jenes Neuland, das wir so lange beschworen hatten. (S. 98)


Dabei ist offenbar die an Äußerem sich festmachende oder zumindest entzündende Liebe wichtig:

Ich weiß zum Beispiel, dass du dich bei der Großzahl dieser Wiedererweckungsversuche auf Frauen konzentriert hast, Frauen jeglichen Alters, weil dir hier die Gefühlsbindung, die du für den Glaubensakt als unbedingt notwendig forderst, leichter gelingt: ein Jugendbild der Frau oder der Anblick einer hinterbliebenen Tochter genügt dir meist, um Bindung möglich zu machen. [...] Aber es war dir auch schon mit Männern möglich: wieder lag es oft daran, ob du Liebenswürdiges in und an den Hinterbliebenen fandest. Auch da bedurfte es nur das Allerkleinsten: denn du wusstest, wie man sich in die andere, den anderen, der noch lebte, durch ein an ihm, an ihr haftendes Detail – ein Ornament, einen Ausschnitt sommersprossiger Haut über dem Schlüsselbein, einen Fußknöchel in schwarzem Schuh – verlieben konnte, den anderen, die andere, auch wenn sie dir gesamt nur wenig sagten, dich sozusagen gar nicht ansprachen, doch in solchem Detail ganz wiederzufinden und schließlich so zu lieben vermochte, dass bald die Konzentration nicht mehr auf jenes Detail beschränkt war, sondern den ganzen Menschen einbegriff, der ganze Mensch, jetzt wie verändert, auch ganz geliebt werden konnte. Und über diesen, über diese – durch sie hindurchgeliebt eben: der Tote. Die Tote. (S. 90f).


Dann erzählt die Frau Johnny, wie ihre Freundin mit zwölf Jahren starb – bei einem Raubüberfall. Im Jahr zuvor war die Kirche abgebrannt, wo ihr Vater Pfarrer war. Das Geld für den Wiederaufbau war gesammelt und wurde in einem Tresor aufbewahrt. Das Mädchen überraschte jemanden, der ihn zu öffnen versuchte...

Danach erzählt sie die Geschichte, die der Vater des Mädchens diesem immer erzählt hatte. „Vielleicht erklärt sich mein Glaube an dein letztliches Können, an deine Macht, aus dieser Geschichte“.

Jesus in der Löwengrube

Es ist die Geschichte von dem zwölfjährigen Jungen in der Löwengrube. Dieser Junge ist aber Jesus. Die Entführer sind die drei Könige und ein vierter, der sich damals in Nazareth niedergelassen und zwölf Jahre auf diese Nacht gewartet hatte. Vom Rand der finsteren Grube verweisen sie Jesus auf ein Gatter, hinter dem er den „Löwen“ schon sehen werde:

„Tritt näher und schau ihn dir an, wenn du der Heiland bist, denn die Prüfung in der Löwengrube musst du bestehen. Denn wenn du es auch bist, Messias und Heiland, musst du es uns, die wir als Gesandte der Welt nicht enttäuscht werden wollen, doch erst werden.“ (S. 104)


Jesus aber erkennt einen gleichaltrigen Jungen, ebenso erschrocken wie er. Das Gatter wird hochgezogen. Jesus überfällt Angst, einer der Könige warnt ihn: „Schnell tritt zurück und hab acht, dass er dich nicht tötet!“. Und ein anderer ruft:

„Du sollst deinen Weg nicht weitergehen! Denn hier haben wir dir einen zugeführt, der wird dein Leben jung enden lassen. Er wird dich morden, oder verraten, auf dass sie dich morden. Und der Heiland, der du werden sollst, der wirst du der Welt nicht werden, denn hier, schau ihn dir an, hier durchkreuzt er dein Leben, der Sohn des Simon.“ (S. 105)


Darauf werfen die Könige ein Messer in die Grube, das Judas aus Angst aufhebt und mit dem er zusticht, Jesu linke Pulsader verletzend. Er kann einen weiteren Angriff abwehren, das Messer bleibt in der Lehmwand stecken. Jesus zieht es heraus, bemerkt, wie etwas Zweites in die Grube geworfen wird, das Judas wiederum aufhebt und damit auf ihn eindringt. Im Ausweichen sticht Jesus dem jungen Judas selbst das Messer ins Herz. Als er dann zu den Königen schreit: „Die blutige Probe, ihr Wahnsinnigen, habe ich euch geliefert. Jetzt lasst mir die Leiter herab und befreit mich!“, antwortet der vierte König:

„Du missverstehst. Denn noch nicht beendet ist deine Arbeit, wenn du die Probe bestehen und aus dem Graben hinaufsteigen willst in die Welt. [...] Erst musst du ihn wieder lebendig machen.“ (S. 107)


Gegen Ende des Buches heißt es noch:

„[E]inen, der dich nicht hatte hören können; den Mörder, den Verräter, der dich an die Kreuziger liefern wird: den mach uns wieder lebendig! [..] Weil du sonst nicht in die Welt kommst. Nicht in diese. Uns hier nichts nützen wirst. [..] Es sei denn, du kommst als Herr über Leben und Tod. [..] Als Mörder, ja. Der dann dem Mörder Leben gibt, um Seines uns zu lassen.“ [..] Sagt die Geschichte, wenn wir sie so lesen wollen. (S. 153)


Jetzt erinnert sich Johnny wieder an die Geschichte, der Vater hatte sie an diesem Punkt aber immer beendet.

Die Frau erzählt nun jedoch eine weitere wesentliche Einzelheit: Als Jesus Judas’ Leiche sah, entdeckte er, dass dessen Ohren mit Wachs verstopft waren und dass das Zweite kein Messer, sondern ein Kelch gewesen war. Doch nicht die Könige hätten ihm die Ohren verstopft, sondern: „‚Er selbst’, so müsste man die Geschichte ehrlicherweise weitererzählen.“

Die Schicksalsnacht

Und warum? Um zu hören. Sie erzählt dann von einem Jungen, der seinen Vater, einen Pfarrer, gefragt hatte, wie man Gott hören könne. Dieser hatte ihm gesagt, er solle alles andere ausschalten, auch die Gedanken, und sich still machen...

Johnny erinnert sich, dass dies seine eigene Kindheit war, und dann erinnert er sich ganz an jene schicksalshafte Nacht:

Er war in die Kirche gegangen, hatte eine Kerze angezündet, sich mit ihrem Wachs die Ohren verstopft und dann die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnete, sah er, dass die umgefallene Kerze die Kirche in Brand gesetzt hat. Im letzten Moment findet er einen Ausweg.

Seine Schwester Sharon hat am Fenster den Brand mit angesehen, verrät ihn aber nicht. Ein Jahr später ist das Geld für den Aufbau der Kirche gesammelt. Am nächsten Tag sollten die Geschwister sich trennen, die Schwester ein eigenes Zimmer unten im Haus bekommen, wo bisher der Safe stand. – Im Traum sieht Johnny den Vater vor dem leeren Safe weinen und beten. Er erwacht und schleicht besorgt nach unten. Im Wandschrank findet er eine Pistole und ein Notizbuch des Vaters aus Kriegszeiten, wo er gegenüber Gott über die vielen Toten klagt. Johnny versinkt in die Vorstellung, er würde alle Toten erwecken. Als er aus diesem Bild erwacht, hört er hinter sich etwas, dreht sich in Todesangst um, ein Schuss löst sich und – tötet seine Schwester...

Seine Eltern lassen es nach außen als Raubüberfall aussehen und schärfen dem Jungen ein, nie etwas darüber zu sagen.

Als Johnny und Hallie an diesem Punkt bei schwerem Gewitter in einem verlassenen Predigerzelt angekommen sind, erzählt sie ihm, was in der Löwengrube weiter geschah. Jesus blieb drei Stunden in völliger Dunkelheit.

Dort in der Finsternis, sagt die Geschichte, [...] nahm der junge Heiland, der er der Welt noch nicht war, das Messer des Judas, mit dem er ihn getötet hatte, und legte dessen Leib in sieben Teile dar, in Kopf und Gliedern, Rumpf und, Letztes, Herz. Und sammelte das Blut im Kelch; und tauchte seine Lippen und trank hinein: und war wie er: so Er. Und Er verstand des Judas Herz und aß. Bis beide eins, verstanden und lebendig: auferstanden. Und Judas, aufgestanden aus dem Jesus, von Ihm: jetzt vor Ihm stand. Da riss das Tuch der Tücher, das Tuch des Zelts der Könige, das über ihnen Finsternis gewesen: da war es heller Tag. Die Grubenwand herab hing eine Leiter, aus Seilen geknüpft, und Judas war der erste, der in die Welt entkam und der vergaß. Denn daher kannt der Andere ihn und wusste, wer ihn, noch Jahre später, aus Finsternis, mit einer Fackel in der Hand, zu küssen kam. (S. 155f)


Als Johnny Hallie darauf fragt, wer sie sei, sagt sie:

Deine Begleiterin bin ich, Erinnerin, Muse. Die deine Geschichte weiß, übers Ende hinaus.

Dann fordert sie ihn auf, zu fragen, warum Er um die neunte Stunde am Kreuz schrie „Eli, Eli...“

- Bist du Seine Erlöserin?
- Das sagst du.
- Und warum schrie der Retter in der neunten Stunde?
- Weil Er, nach allem Hunger, Mord und Hass, nach aller Last des Bergens, der Geborgenen: nun selbst geborgen werden wollte. Und niemand kam. Das heißt: verloren war, verlassen. Der Retter muss sich geben, ganz, muss sich verlieren, nicht nur: zu retten. Auch um, verloren, der Schrei aller Verlorenen zu sein, für immer, der machtlos zum Allmächtigen schreit und ihn nicht mehr versteht. Da ist der Tod des Holers, unverhohlen.
- Und du?
- Sein Echo. Die du riefst.
- Und zu erlösen wie?
- Wenn du begegnend mich verstehst. Von mir bist, was ich bin. Das Deine siehst durch mich. Und über mich den Weg nach unten findest.
- In jene Grube?
- Und einig wirst.
- Mit wem?
- Mit mir, Begleiterin.


Dann sagt sie ihm, er solle ihr Brot brechen und essen. Ihr Brot, das sei ihr Leib. Dann werde er sie erkennen und die getötete Schwester werde auferstehen. „Komm her, zerbrich!“

Und als er sie gebrochen hatte, siebenmalig, fiel hin und hielt ihr Herz. Erhob es, trank aus ihm und aß. [...] [Aber] eine Stimme sprach: „Wahnsinniger! Was hast du getan? Wo ist deine Schwester?“ Da war der verlassen, der sich bergen wollte, und schrie und fand sie nicht. Und niemand kam. Und wusste nicht, wie Judas aus der Grube steigend, was ihm geschehen war, und rannte aus dem Zelt. Und kam dieselbe Nacht nach Blade, die Stadt seiner Geburt. (S. 160)


Am nächsten Tag wird Johnny aus der Zelle entlassen. Man hatte in dem Zelt zwar seine Jacke, aber keine Spuren von der Frau oder von Gewalt gefunden. Es gebe auch keine „Hallie Doniphan“.

Johnny besucht das Grab seiner Schwester und kann zum ersten Mal ruhig ein Begräbnis beobachten, ohne sich berufen zu fühlen, den Toten zu wecken.

Die Ich-Erzählerin berichtet zuletzt nun, dass sieben Jahre später die Legende um Johnny entstand, denn fünf Tage vor Ende des Jahres 1999 wurde Kalifornien von mehreren Erdbeben erschüttert, von denen eines in Blade auch einige Särge ans Tageslicht brachte. In Sharons Sarg aber fand man, als man ihn öffnete, nur ein Totenkleid, aber keine Überreste. Der letzte Satz des Romans lautet:

Manche sprachen von einem Wunder. Die schrieben es meinem Bruder zu. (S. 163)

Höchste Realitäten und spirituelle Wüste

Diese sehr ausführliche Darstellung hat dem Leser hoffentlich einen Eindruck des Buches geben können. Es ist deutlich, dass dieses Buch wie auch andere Bücher von Patrick Roth nicht mit zwei, drei Sätzen und Gedanken beschrieben oder auch beurteilt werden können. Es gibt viele Ebenen der Betrachtung.

Deutlich ist, dass Roth ein Thema berührt, das höchste Wahrheiten und Realitäten umschließt: Die Frage der Auferstehung. Es geht um die Realität der Auferstehung Christi und um die mögliche Realität in der Seele eines einzelnen Menschen – etwas, was sich in und mit der Seele durch eine Beziehung zu der Tatsache der Auferstehung ereignen kann. Auferstehung als verwandelndes, weil erfahrenes Geschehen.

Was Roths eigene Erfahrung ist, aus der heraus er schreibt, soll und braucht hier nicht diskutiert werden, als persönliche Erfahrung ist es ohnehin unantastbar. Man kann sich jedoch einerseits deutlich machen, dass er letztlich auf jenen höchsten Wirklichkeitsbereich der Christus-Realität verweist – und kann sich andererseits fragen, wie sich diese Realität in seinem Werk wiederfindet und wie der Leser durch dieses Werk hindurch dieser Realität zu begegnen vermag – oder auch nicht.

Das Schreiben über Höchstes legt einem auch eine höchste Verantwortung auf – es sei denn, man glaubt, es „zur Verfügung“ zu haben und also darüber „verfügen“ zu können.

Unter diesem Aspekt ergibt sich bereits eine große Schwierigkeit. Kann man über das Geheimnis der Auferstehung in Gestalt eines spannenden Romans schreiben, der sogar Elemente eines Krimis hat, und dennoch das Seelendrama eines Menschen zeigt, an dessen Ende etwas von der Kraft der Auferstehung sichtbar wird?

Nun ist es natürlich in der „Literaturszene“ heutzutage äußerst ungewöhnlich bzw. sogar ohne Parallele, ein solches Thema in den Mittelpunkt eines Romans oder gar einer Trilogie zu rücken – und entsprechend verwirrt schien und scheint sich die „Kritiker-Szene“ zwischen Begeisterung und Ablehnung zu spalten. Fest steht, dass es angesichts der heute herrschenden „spirituellen Wüste“ in gewisser Weise schon ein Lichtblick ist, wenn die Frage der Auferstehung (abseits der ausdrücklich esoterischen Literatur) überhaupt aufgegriffen wird.

Ferner kann man sogar davon ausgehen, dass es Roth mit dem Thema ernst ist – dass es also für seine Werke nicht nur Mittel zum Zweck ist (wie bei den „Jesus-Thrillern“, z.B. Sakrileg und andere), sondern ein Buch wie Johnny Shines ganz zentral um diese berührte Frage kreist und den Leser auch an dem angedeuteten inneren Erleben Anteil haben lassen, ihn dorthin führen will.

Es bleibt aber die Frage, ob und wie es dies auch erreicht und ob die Gestaltung des Werkes der berührten Frage angemessen ist.

Diese beiden Fragen hängen zusammen, denn man kann sagen: Wenn irgendetwas zur wirklichen Erfahrung oder Annäherung an das Geheimnis der Auferstehung führt, dann war seine Gestaltung auch angemessen. Andererseits gibt es auf diesem Felde auch unendlich viele Irrwege. So ist zum Beispiel sicher das Phänomen sogenannter „erweckter Christen“ bekannt, die Anspruch auf direkte Verbindung mit Christus erheben und doch in einem wüsten Egoismus und/oder Gruppendenken verharren.

Von Ahnung, Sehnsucht und realem Weg

Roth berührt das Geheimnis der Auferstehung – es wird deutlich, dass es hier ein Geheimnis gibt; aber inwieweit berührt er auch die Wahrheit dieses Geheimnisses? Inwieweit führt er den Leser nicht nur in eine grobe Illusion, in ein Zerrbild wie in einem Spiegelkabinett?

In den zentralen Sätzen des Romans klingt das Geheimnis vom „Durchbruch der Christus-Realität in das eigene Leben“ an. Im Grunde ist gerade dies die Urwahrheit des Christentums. Aber – reicht das? Dieses Anklingen? Man sollte sich bei dieser Frage freimachen von dem Gefühl, dass das in der heutigen Zeit doch schon ungeheuer viel ist.

Die reale Frage ist doch: Wird man selbst auf einen inneren Wandlungsweg geführt, wenn man von einer Wandlung liest, so wie Roth sie beschreibt?

Gerade heute reicht es nicht, auf dem Höhepunkt eines spannenden Handlungsstromes von einer Wandlung zu lesen, die mit dem Geheimnis der Auferstehung in Zusammenhang stehen mag. Vielleicht wird der eine oder andere Leser innerlich leise berührt, weil er an eine Tatsache erinnert wird, die tief verborgen auch in seiner Seele verschüttet ruht (Zitat: „Sekundenlang bin ich ihre Kindheit. Sekundenlang wissen sie und sehen sie das.“). Aber erstens holt die Alltags-Wirklichkeit und Blindheit die Seele innerhalb von Sekunden wieder ein, sucht sie heim, und zweitens – selbst wenn die Erinnerung bestehen bleibt – fehlt vollkommen der Weg, auf den man sich selbst begeben kann.

Eine erste zarte Ahnung an die Realität der Auferstehung zu erwecken, ist das eine. Eine wirkliche Sehnsucht nach dieser Tatsache zu erwecken, ist etwas anderes. Und einen realen Weg zu weisen, der gegangen werden kann, um sich dieser Realität real zu nähern, ist noch etwas vollkommen anderes.

Mit diesen Unterscheidungen kann man auch klarer erkennen, wo (sehr schnell) die Grenzen von Roths Buch liegen. Am beeindruckendsten sind die Passagen, die Johnnys Glauben beschreiben. Obwohl er noch nie einen Toten erwecken konnte, sagt er:

Und den Gottessohn anrufend, der selbst Grabzertrümmerer war, trümmer ich mit Hammer und Seele, das ist: dem ganzen Glauben, hinein in den Ganzen Tod und zeig, dass er keiner ist. [...] Das Scheitern ist [...] wie ein langsames Abschürfen, Wegschürfen von Härtestem, das aber endlich bricht. [...] Es bricht durch, irgendwann – das alles geschieht in uns –, und wir fallen durch in jenes Neuland, das wir so lange beschworen hatten. (S. 98)


Diese kraftvollen Passagen können eben jene Ahnung hervorrufen, dass eine Realität bestehen könnte und besteht, die man doch fortwährend leugnet. Der Glaube kann immer wieder enttäuscht werden – wenn er aber im „Scheitern“, in der Enttäuschung trotzdem lebendig bleibt, wird er immer stärker. Und er kann auch in anderen Menschen die Erkenntnis wachsen lassen, dass es Realitäten jenseits des Beweisbaren gibt.

Doch abgesehen von diesen gleichsam zentralen Passagen – was bleibt? Das Seelendrama eines Mannes, der die unschuldige Tötung seiner Schwester völlig verdrängt hat und sich seit Jahren getrieben fühlte, Tote aufzuerwecken. Das hat zwar sehr viel mit der Erlösung der Seele der Romanfigur zu tun, aber kaum noch etwas mit dem Leser. Dieser verfolgt zwar gespannt die Auflösung („was geschah wirklich in jener Nacht?“), aber diese Frage stellt sich auch bei jedem Krimi.

Materialismus im Denken

Es gibt dann viele fragwürdige Aspekte in Roths Roman:

Sehr fragwürdig ist bereits das zentrale Motiv: Die Auferstehung wird physisch-leiblich verstanden, zumindest in diesem Roman. Es geht um die Auferstehung der Schwester, deren Grab am Ende leer ist.[1]

Ebenso krass physisch-leiblich verstanden, wenn auch mit seelischer Bedeutung vermischt, ist das Abendmahl-Motiv. Hallie Doniphan fordert ihn auf, ihren Leib zu brechen, um sie zu erkennen und seine Schwester zum Leben zu erwecken. Er zerstückelt sie und trinkt ihr Herz. Auch wenn die Frau nicht bekannt ist und auch nicht gefunden wird, die Realitätsebene also in der Schwebe bleibt, wird es doch in einem Absatz ganz direkt als (bzw. wie) physisch beschrieben.

All dies erkennt schon der einzige Rezensent des Buches bei „amazon“. In dessen Buchbesprechung heißt es:

„In einer spannenden und atmosphärisch dichten Unterredung des titelgebenden Täters Johnny Shines mit einer Frau, die seine Schwester Sharon ist (oder auch nicht), kommen die Hintergründe dieser wiederholten Auferweckungsversuche zur Sprache, bleiben jedoch insofern leider unklar, als zu keiner Zeit der Gedanke aufzukommen scheint, dass jene biblische Aufforderung unkörperlich gemeint sein könnte. Einen geistlich toten, wenn auch noch lange oder längst nicht gestorbenen Menschen aufzuwecken, ist der ursprüngliche Auftrag an christgläubige Menschen, an dem dies Buch auf höchstem literarischen Niveau intensiv vorbeidriftet.“


Geradezu abartig ist die Erzählung von Jesus und Judas in der Löwengrube.[2]

Es mag als ein tiefgehender Gedanke erscheinen, dass vielleicht Jesus selbst bis zum schlimmsten Verbrechen schuldig werden musste, um das Menschsein ganz zu erfahren und so der Erlöser werden zu können. Wenn man jedoch bereits einiges an realem Empfinden für das Wesen des Christentums, der Christus-Realität entwickeln durfte, und sei es noch so anfänglich, dann wird man auch immer mehr empfinden, wo die Scheidung zwischen Wahrheit und Lüge liegt.

Man entwickelt ein Unterscheidungsvermögen, und das gereinigte Denken wehrt sich gegen eine Unwahrheit. Das gewöhnliche Denken kann alles denken – „warum sollte es nicht so gewesen sein?“. Dem gewöhnlichen Denken kann die Unwahrheit vielleicht sogar besonders logisch oder plausibel erscheinen. Das gereinigte Denken gewinnt Unterscheidungsvermögen. Es wehrt sich gegen die Unwahrheit – nicht, weil es dogmatisch geworden wäre, sondern weil es empfindsam für den Unterschied zwischen Wahrheit und Nicht-Wahrheit wird.

Warum sollte der Gottessohn ein Mörder werden müssen, wenn nicht einmal jeder Mensch ein Mörder wird? Der Gedanke dieser Erzählung ist viel zu materialistisch gedacht. Er berücksichtigt zum Beispiel nicht, dass man das Menschseins schon dann ganz von innen heraus kennen kann, wenn man die in jedem Menschen wohnenden Neigungen zum Bösen kennengelernt hat. Es geht nicht erst um die physisch sichtbar gewordene Tat!

Roth ist natürlich auch die ganze Frage der Wiederverkörperung und der Einweihung völlig fremd. In Jesus lebte eine hohe Individualität, die bereits in früheren Jahrhunderten zu den höchsten Eingeweihten gehörte. Diese hatte die menschlichen Neigungen und Triebe schon in starkem Maße geläutert – und nur so konnte sie überhaupt zum Christus-Träger werden.

Und schließlich ist Roth das ganze Geheimnis zwischen Christus und Jesus unbekannt. Der Christus musste und wollte Mensch werden – der zwölfjährige Jesus ist aber noch weit entfernt davon, sich mit dem Christus zu verbinden.

Ebenso abscheulich wie die Vorstellung vom tötenden Jesus ist bereits die Vorstellung von der Entführung, die jener vorangeht. Was ist das für ein abgründiges, infames Szenario, in dem die vier Könige bestimmen wollen, unter welchen Bedingungen der Gottessohn der Welt ein Erlöser werden könne? Dies wäre entweder eine völlige Absurdität oder krasser Wahnsinn oder tiefschwarze Magie.[3] Auch hier ist Roths Schilderung ein geradezu polarer Gegensatz zu der von Rudolf Steiner geschilderten Tatsache, dass auch die drei Könige hohe Eingeweihte waren, die gekommen waren, die Geburt des kommenden Erlösers zu begrüßen.

Man muss wirklich ein Empfinden dafür entwickeln, was ein solches finsteres Gegenbild wie die Erzählung in Roths Roman in der eigenen Seele auslöst – selbst dann, wenn es durchschaut wird! Wieviel mehr noch aber geschieht, wenn es nicht einmal durchschaut, wenn es einfach so hingenommen wird? Jesus als Mörder. Vier Könige, die seit der Geburt den Plan haben, den Zwölfjährigen zum Mörder zu machen, damit er seinen Verräter wieder zum Leben erweckt. Schwarzmagiere, die den Erlöser „machen“. Absurd!

An solchen Stellen fühlt man sich an das Wort Rudolf Steiners erinnert, dass „Ahriman zum Schriftsteller wird“. Das muss nicht einmal in ganzes Buch betreffen, es können einzelne Absätze sein... Und dennoch zeigen sich wie geschildert verschiedene Fragwürdigkeiten in Roths Roman.

... trotz spiritueller Erfahrung

Kehren wir noch einmal an den Anfang zurück – an das Aufgreifen der Frage der Auferstehung an sich.

Es ist deutlich, dass Roths Roman-Trilogie auf eine gewisse eigene Erfahrung zurückgeht. Diese Grundlage mag nicht sehr bekannt sein, dennoch hat Roth darüber zumindest bei ein, zwei Gelegenheiten gesprochen. In einem Vortrag, der der Trilogie beiliegt, heißt es:

Eines Tages hatte ich einen Traum, den Traum, auf den im Innersten auch diese Trilogie zurückgeht. Einen Traum, der mein Leben veränderte, weil er mächtiger, weil er ungeheuerlicher, weil er wirklicher war, als die Wirklichkeit, als alles, was ich bis dahin erlebt hatte. Vielleicht ist diese Riverside-Trilogie, an der ich 89 zu schreiben begann, nichts anderes als der Versuch – Versuch! – mich einigen Augenblicken jener Traumerfahrung wieder zu nähern, sie in Umrissen zumindest mit literarischen Mitteln, erzählend, wieder herzustellen. Nein, Wiederherstellung ist sicher selbst in Umrissen nicht möglich. Aber lebt nicht das Bild der Wiederherstellung schon im Motiv der resurrection, der Auferstehung und Wiedererweckung, einem Grundthema dieser Trilogie?
Ziel jedenfalls wurde mir, die Angst und das Grauen, aber auch die alles entgrenzende Euphorie, die Gottesbegeisterung, die ich beim Sehen jener Bilder erfuhr, auf den Seiten eines Buches so wieder zu beschwören, dass – das wäre das Ideal –, dass die Seite selbst zum Ort eines ähnlichen Erlebnisses für andere werden könnte.
(Transkription aus der L.A.-Lesung der Christus-Trilogie, CD zur Buchausgabe – zitiert nach: Georg Langenhorst: Patrick Roth - Erzähler zwischen Bibel und Hollywood, Münster 2005, S. 107f)


In seinem Film „My Life“ berichtet Roth von einem Traumerlebnis, das er mit 25 Jahren hatte (wahrscheinlich geht es um dasselbe Erlebnis, das er also 1978/79 gehabt hätte):

Plötzlich war ein zweites Zentrum in Sicht gekommen. Eine heimliche Mitte schien auf, mit der ich bis zu diesem Zeitpunkt – ein Leben lang – nicht gerechnet hatte. Neue nach oben gestoßene Schichten hatten das Alte durchbrochen, zogen mich in Bann: Mein Sehen, Fühlen, Schreiben wurde – nachhaltig – beeinflußt. Das Apartment unterm Dach war mein Aornum in Thesprotis, also die Stelle, wo’s damals zur Unterwelt hinabführte. Den Traum selbst… – einen solchen Quell-Traum darf man nicht verraten. Die Bücher – und das eigene Leben – gehen im Kreis um ihn, zirkumambulieren seine zentrale Erfahrung, suchen ihn in immer neuen Bild- und Sinn-Aspekten zusammen-zu-sammeln, diesen großen Traum.
(zitiert nach Wikipedia, „Patrick Roth“)


Es ist deutlich, dass hier eine sehr wesentliche, existentielle Traumerfahrung beschrieben wird. Dennoch ist natürlich nicht deutlich, aus welcher Sphäre dieser Traum inspiriert war. Darüber hinaus ist das originale Traumerlebnis und seine Ursprungssphäre das eine; dasjenige, was dann als Literatur aus Roths Feder erscheint, das andere.

Und so mag aus den vorangegangenen Ausführungen klar geworden sein, dass man – auch wenn in einzelnen zentralen Sätzen und Passagen sehr bewegende Gedanken aufscheinen können – ein Werk wie „Johnny Shines“ nur sehr behutsam und vorsichtig auf sich wirken lassen sollte, wenn überhaupt...

Anmerkungen

[1] Die Ich-Erzählerin ist einerseits merkwürdig identisch mit der Schwester, wie dies nicht nur aus dem letzten Satz, sondern (im nachhinein) auch aus einem Satz auf den ersten Seiten hervorgeht. Andererseits ist sie „schon seit einigen Jahren“ im Gespräch mit Johnny und ist seine „Begleiterin, Erinnerin, Muse“, seine Seele, wie auch der Untertitel („Seelenrede“) andeutet.

[2] Nach Gerhard Kaiser (Ressurection. Die Christus-Trilogie von Patrick Roth, Francke 2008, S. 17) stammt diese Legende von einem schwarzen Prediger.

[3] Spätestens in diesem Zusammenhang mag es seltsam auffallen, dass das von Roth selbst ausgewählte Titelbild Caravaggios Gemälde „Salome und das Haupt Johannes des Täufers“ zeigt.