09.11.2010

Das bedingungslose Grundeinkommen – die Rede von Susanne Wiest

Abschrift der Rede von Susanne Wiest vor dem Petitionsausschuss am 8.11.2010. Siehe auch das Archiv Grundeinkommen. | Hervorhebungen und Zwischenüberschriften H.N.

„Wann wird man je verstehen...?“

Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren des Petitionsausschusses, liebe Gäste, liebe interessierten Menschen hier und im Nebensaal und zuhause und ganz besonders natürlich: liebe Mitunterzeichner – es waren ja fast 53.000, und die habe ich schon im Sinn, wenn ich hier bin.

Der Bundestag möge beschließen, das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen. Diesen Satz haben wir jetzt vor fast zwei Jahren als sehr kräftigen Impuls in Richtung Bundestag geschickt. Und ich freue mich, dass diese Idee, unser Zusammenleben neu zu gestalten, jetzt in unserem zentralen Demokratiehaus angekommen ist. Ich freue mich, dass Sie sich für diese Idee interessieren.

Wie wollen wir zusammen leben? Wie wollen wir unser Zusammenleben gestalten? Diese Frage steht für mich im Mittelpunkt meiner Überlegungen.

Ich habe aus der Politik eigentlich immer wieder den Satz gehört, wir müssen wieder Vollbeschäftigung erreichen. Dieser Satz wird gebetsmühlenartig wiederholt – ich höre ihn seit fast drei Jahrzehnten –, und ich habe eigentlich innerlich abgeschaltet, resigniert und gesagt: Das ist eine Sackgasse. Wieso wieder Vollbeschäftigung erreichen? Die Entwicklung ist doch genau gegenläufig. Immer mehr Arbeitsplätze werden wegrationalisiert, menschliche Arbeit kann durch Maschinenarbeit ersetzt werden. Ich habe gesehen, die Entwicklung geht in ganz andere Richtungen. 

Druck und Ausgrenzung

Und, ja, ich war auch sehr enttäuscht, dass ich immer wieder gehört habe, diesen Satz oder so eine ewige Litanei: „Also wenn sich jemand anstrengt, dann kann er hier auch einen Arbeitsplatz finden!“, und mich hat gestört, dass wir auf Bürger, die gerade keinen Arbeitsplatz haben, so einen großen gesellschaftlichen Druck ausüben. Es ist nämlich auch ein existenzieller Druck, der da ausgeübt wird. Es gibt auch viele Bürger, die eine Arbeit haben, aber viel zu wenig verdienen, um ihren Lebensunterhalt einigermaßen angemessen bestreiten zu können.

Was ich gesehen habe in unserer Gesellschaft und immer noch sehe, ist Druck, Ausgrenzung von Arbeitsplatzlosen aus unserer Gemeinschaft; ich höre Stigmatisierungen wie „faul“, „ungebildet“, „asozial“, selber schuld, sozusagen. Und ... das empfinde ich nicht so. In mir ist die Frage entstanden: Warum gehen wir, um Himmels willen, so miteinander um? Wir sind doch eine Gemeinschaft, eine Staatsgemeinschaft. Arbeitslosigkeit ist doch kein persönliches Scheitern oder Schicksal. Es ist keine Schuld oder kein Makel; kein Versagen, und selbst wenn es so wäre: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Das ist der zentrale Satz unseres Grundgesetzes. In letzter Zeit entsteht manchmal der Eindruck, dieser Satz gelte nur für Besitzer eines Erwerbsarbeitsplatzes. Ich nenne nur die Kürzung des Existenzminimums, die mögliche Kürzung. Zwang, Drohung und Druck – das ist mit der Wahrung der Menschenwürde nicht zu vereinbaren und inakzeptabel.

Arbeitslosigkeit, wie wir sie heute haben, der Verlust eines Erwerbsarbeitsplatzes, ist die logische Folge unseres technischen und geistigen Fortschritts. Maschinen nehmen uns zunehmend die schwere Arbeit ab – eine Entwicklung über mehrere Generationen. Dieser technische Fortschritt ist ein Erfolg und ein Segen. Schreien wir nun: „Hurra, endlich!“ Nein, wir sehen diesen Erfolg, anstatt uns zu freuen, seltsamerweise als Problem an. So wie wir heute aber damit umgehen, ist es ja auch ein Problem. Maschinen machen unsere Arbeit, und wir Bürger haben kein Einkommen mehr.

Ein Kulturimpuls - der individuelle Mensch im Mittelpunkt

Die Einkommenslosigkeit ist also das Problem. Zu tun gibt es ja genug in unserem Land. Sinnvolle Arbeit gibt es so viel, wie es Menschen gibt. Nur wird sie oft nicht oder nur unzureichend bezahlt. Die wertvolle Erziehungsarbeit, die Eltern leisten, ist nur ein Beispiel für Arbeit, die zwar geleistet wird, aber nicht entlohnt wird. Um leben zu können, um tätig werden zu können, brauche ich ein Einkommen. Und um in Würde leben zu können, benötige ich ein Einkommen deutlich über der Armutsgrenze.

Mir ist lange auch nichts Neues, Kreatives oder Zukunftsweisendes eingefallen auf diese Frage, wie wir unser Zusammenleben gestalten können, bis ich auf den Kulturimpuls Bedingungsloses Grundeinkommen gestoßen bin. Ich finde, das ist eine Idee, die Antworten auf die Herausforderungen der Zeit anbietet. Endlich. Licht am Ende des Tunnels. Mit dieser Idee geht das Denken weiter, und sie passt auch sehr gut zur Demokratie! Wir zahlen an jede und jeden von uns ein existenzsicherndes Grundeinkommen von der Geburt bis zum Tod. Jeden Monat. An dieses Einkommen knüpfen wir keinerlei Bedingungen, keinen grundgesetzwidrigen Arbeitszwang, und es steht jedem Bürger zu. Das bedingungslose Grundeinkommen als Bürgerrecht. Ein Grundeinkommen so hoch, dass ich auf dem Arbeitsmarkt, sollte mir ein Angebot nicht zusagen, selbstverständlich auch Nein sagen kann.

Das bedingungslose Grundeinkommen bietet jedem von uns einen finanziellen Raum, in dem wir uns frei bewegen und frei entfalten können. Neuorientierung, Umschulung, Weiterbildung, eine Weile die Eltern pflegen, die eigenen Kinder ins Leben begleiten; Pause machen, wenn Pause dran ist, und wieder loslegen, wenn ich gefragt bin. Ich kann mich selbstständig machen mit einem Grundeinkommen, und in Rente gehen, wenn ich es für richtig erachte.

Das bedingungslose Grundeinkommen stellt uns Bürger in den Mittelpunkt, jeden einzelnen von uns. Unsere Entfaltung, unsere Würde, den Willen und die Selbstständigkeit eines jeden von uns. Das bedingungslose Grundeinkommen gibt Sicherheit, gewährt Teilhabe und ermöglicht Initiative. Die Freiheit des Einzelnen bleibt meiner Meinung nach gewahrt, und wo sie bislang beschnitten war, wird sie möglich. Jeder Mensch hat eine solide wirtschaftliche Basis und kann sein eigenes Leben frei gestalten.

Das bedingungslose Grundeinkommen macht unsere Marktwirtschaft sozial. Wer viel arbeiten will kann das tun. Wer reich werden will, kann das unternehmen und bleibt doch auf einem Boden, der die Freiheit eines jeden von uns gleichermaßen gewährleistet. Nicht du oder ich, sondern du und ich.

Klare Verhältnisse: Konsum- bzw. Ausgabensteuer

Auch finde ich es zwingend notwendig, unseren Steuerdschungel zu lichten. Wieso tragen wir Bürger ein Steuersystem, das die wenigsten von uns verstehen? Ich finde es sinnvoll, das Steuersystem klar und transparent zu gestalten. Wieviel Geld kommt in den Staatstopf und was bezahlen wir davon? Das will ich als Bürgerin leicht nachvollziehen können.

Eine Ausgabenbesteuerung, Konsumbesteuerung in Verbindung mit dem bedingungslosen Grundeinkommen für jeden Bürger – das finde ich schlicht einfach übersichtlich. Mit der Abschaffung der Einkommenssteuer wird die menschliche Arbeit steuerlich entlastet. Die Konsum- oder Ausgabenbesteuerung verteilt die Ausgabenlast auf unser aller Schultern. Wenn wir den Konsum besteuern, zahle ich erst, wenn ich ein Gut oder eine Leistung in Anspruch nehme. Dann zahle ich den Gemeinschaftsanteil, die Konsumsteuer, die Mehrwertsteuer, wie auch immer diese Steuer dann heißen wird, in unseren gemeinsamen Topf, in den Topf für gemeinschaftliche Aufgaben. Die Steuererklärung passiert an der Kasse.

Wie hoch die Steuer wird, hängt davon ab, was wir damit finanzieren wollen – ist ja heute auch so. Schulen, Krankenhäuser, Straßen, unser Parlament, vieles mehr. Und so, wie wir uns da entscheiden, vielleicht, finanzieren wir davon auch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das ist die Möglichkeit.

Ich freue mich sehr, wenn der Bundestag diese Idee aufgreift. Ich freue mich auf eine rege Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen von Allen für Alle bei dem Plenum und in geeigneten Arbeitsausschüssen des Bundestages.

Das Grundeinkommen ist ein Kulturimpuls. Ich freue mich, wenn wir Bürger diese Idee gemeinsam weiterbewegen und offen besprechen. Wenn wir weiterhin, wie bislang auch, an der Verwirklichung arbeiten und andere Bürger darüber informieren. Bewegen wir das Thema – mit aller Geduld, mit aller Liebe und mit aller Sorgfalt! Und wenn wir Bürger das bedingungslose Grundeinkommen mehrheitlich als Lebensbasis wünschen, werden wir Sie, unsere gewählten Volksvertreter, mit der Umsetzung beauftragen. Alle Macht geht vom Volke aus. Die Demokratie sind wir alle.

Ich wurde gebeten, maximal zehn Minuten zu sprechen. Das Thema ist sehr komplex. Vieles konnte ich in diesem knappen Rahmen nicht aussprechen und nicht ansprechen, und so freue ich mich auf Ihre Fragen. Wer sich weiter informieren möchte, dem empfehle ich den Film „Grundeinkommen, ein Kulturimpuls“, den wir Ihnen kürzlich geschickt haben, und im Internet das hervorragende, umfassende und sehr sorgfältig gepflegte Archiv Grundeinkommen. Und natürlich die vielen wertvollen Anregungen der Mitpetenten im Petitionsforum. Ich bedanke mich für Ihr Interesse.