06.01.2011

Verurteilung anderer? Weitere Gedanken zum Harmonie-Dogma

Gedanken anlässlich einiger Kommentare von und bei Michael Eggert.

Weit mehr als persönliche Traumata

Michael Eggert bespricht das geplante Buch „Endstation Dornach“ positiv und schreibt: „Es ist ehrenwert, einen ernsthaften Beitrag zum anthroposophischen Humor beigetragen zu haben, denn der ist echt rar gesät. Wir wünschen dem Projekt alles Gute!“

In den Blog-Kommentaren ergänzt er später selbst folgende Vermutung: „vermutlich werden mit solchen Büchern auch persönliche Traumata als Kind anthroposophischer Eltern aufgearbeitet“.

Wie ich einleitend schon schrieb: „Die Ironie gegenüber der geronnenen Form scheinbar anthroposophischer Materialien, Formen und Gestaltungen mag durchaus auch geistreich sein“ – aber die Autoren haben nicht den geringsten Sinn dafür, wo die reale Anthroposophie beginnt und echte religiöse oder zumindest tief ernsthafte Gesinnung an die Stelle des Humors zu treten hätte.

In diesem Sinne schreiben zwei andere Kommentatoren auch sehr richtig:

„Die (Autoren) sind offensichtlich und tragischerweise an ihrer anthroposophischen Endstation angekommen. Wenn deren Beschäftigung mit Steiner und seiner Anthroposophie in so etwas wie dem geplanten Buch gipfelt, dann müssen einem doch die Tränen des Mitleids kommen. [...] Wenn ich mich jetzt auf den Standpunkt besagter Diskutanten stelle und ihre Äußerungen betrachte, was sehe ich dann von der Anthroposophie? Nichts, absolut nichts, denn diesen Leuten spricht Steiner genau von nichts, weil sie nur Vokabeln lesen, die sie nicht mit Leben füllen können, die für sie keinerlei Bedeutung haben.“

„In meinen Augen hat es absolut überhaupt nichts mehr mit Aufarbeitungen von welchen Traumata auch immer zu tun, sondern da spricht höchst bewußt und präzise gezielt eine Geisteshaltung, die ich hier nicht genauer beschreiben möchte. Der gute Herr Niederhausen hat es in seiner Betrachtung ja hinreichend künstlerisch!!!! bereits getan. Und man sollte dies auch nicht schönreden, sondern durchaus benennen was es ist, was sich da kundtut. Die beste und menschlichste Variante die mir dazu entgegenkommt wäre aufrichtiges Mitleid, da sie die Tücken ihres benutzten Intellekts offenbar nicht mitbekommen (wollen), bei dieser "Auftragsarbeit" einer noch höherer Intelligenz.“


Michael Eggert reagierte auf den letzteren Kommentar folgendermaßen:

„Ach ja, die Dämonen Anderer! Nichts für ungut, aber derlei Ver-Urteilungen Anderer zementieren stets den eigenen, überlegen vorgestellten eigenen Standpunkt. Das ist - ob gerechtfertigt oder nicht - überheblich und entspricht der Beschreibung dessen, was R. Steiner als "luziferisch" beschrieb. Dämonen, die man zu sehen meint, verdecken oft die eigene Schwäche. Ich finde, man sollte bei sich selbst anfangen und das Sturmgewehr lieber zurück halten.“

Und später fügt er noch hinzu: „Meine "Werte" bestehen vor allem darin, dialogfähig zu bleiben.“

Nun, das ist genau das, was ich – auch in meinem Jahresrückblick – als das Dogma der Konsens- und Diskursgesellschaft beschrieben habe. Wie irrig dieses Dogma ist, müsste doch eigentlich klar werden, wenn man sich fragt, ob Rudolf Steiner etwa den Dialog mit den Herren Grauer, Hau & Co gesucht hätte? Nein, sondern er hätte sogar noch jene „Anthroposophen“ scharf zur Rechenschaft gezogen, die sich mit solchen Gegnern der Anthroposophie auch nur halb tolerant einlassen! Das kann man an konkreten damaligen Ereignissen sehr exakt nachweisen. (Man komme jetzt nicht mit „Steiner hat jeden verstanden und konnte alle Standpunkte einnehmen“. Die Anthroposophie selbst hat er nie verlassen, und das Gegnertum der Anthroposophie hat er immer ganz deutlich als ebensolches aufgezeigt).

Erkenntnis = luziferisch?

Für Eggert ist es also „luziferisch“, wenn man beschreibt, welche Geisteshaltung die Gegnerschaft zur realen Anthroposophie bildet? Man soll sich also blind machen für die „Dämonen“, weil man ja nur meint, sie zu sehen? Hat Steiner nicht oft genug betont, man müsse urteilsfähig werden? Eggerts fortwährender Hinweis „man sollte bei sich selbst anfangen“ übersieht zweierlei: Diejenigen, die das Wesen der Anthroposophie gar nicht verstehen und trotzdem meinen, mal eben salopp über sie schreiben zu können (eben nicht nur über tote Formen), dürfen offenbar ihre ganzen Urteile und unsäglichen Meinungen in die Welt setzen, während man selbst dazu schweigen soll? Eggerts Aussage ist selbst ein Urteil! Seine wenigen Sätze sind sogar voll von Urteilen!

Und man kann sie ganz und gar umdrehen:

„Ach ja, die Dämonen Anderer! Derlei Ver-Urteilungen (von H.N. durch M.E.) zementieren stets den eigenen, überlegen vorstellten eigenen Standpunkt (nämlich: Toleranz und Dialogfähigkeit von M.E.). Das ist überheblich und entspricht der Beschreibung dessen, was R. Steiner als ‚luziferisch’ beschrieb. Dämonen, die man zu sehen meint, verdecken oft die eigene Schwäche (in diesem Fall: Erkenntnis- und Urteilsschwäche).“


Und so sage ich nochmals: Das Toleranz-Dogma ist der Tod der Anthroposophie, denn diese ist ein Erkenntnisweg – und zwar einer, der ohne Ernst und Ehrfurcht nicht gegangen werden kann. Und wie ich kürzlich schon in meiner Antwort auf Irene Diet schrieb: Urteile und Erwiderungen wie es sie auf dieser Seite gibt, wären gar nicht notwendig, wenn jeder Mensch urteilsfähig wäre – dann nämlich könnte man so etwas wie „Endstation Dornach“ einfach unkommentiert stehenlassen, weil es sich in der Erkenntnis eines jeden Menschen selbst das Urteil spricht. Offenbar ist dies aber nicht der Fall. Menschen wie Eggert wünschen „dem Projekt alles Gute“ – und das obwohl sie es als Aufarbeitung eigener Traumata erkennen!

Eggert betont selbst das „bei sich anfangen“. Ist es denn nicht ein ganz wesentlicher und realer Anfang, zu Erkenntnissen zu kommen? Und wie kommt er eigentlich dazu, das Urteil fällen zu können, ich hätte nicht auch in ganz anderer Hinsicht „bei mir angefangen“? Da liegt doch ein kompletter Zirkelschluss vor: Wenn man den Wert „dialogfähig bleiben“ derart über die Erkenntnis stellt wie Eggert, dann müssen klare Urteile zwangsläufig „überheblich“ wirken. Damit ist derjenige, der solche Urteile formuliert, zwangsläufig jemand, der „überall Dämonen sieht“ und natürlich noch keinesfalls „bei sich selbst angefangen hat“. Auf diese Weise hat man perfekt abgesicherte Urteile, deren Voraussetzungen man nicht durchschaut und die man nicht einmal als Urteile erkennt...

Eggerts Fehlschluss

Für Eggerts Standpunkt sind meine klar und unumwunden formulierten Erkenntnisurteile bereits Verurteilungen. Doch was tue ich eigentlich? In meiner Einleitung beschrieb ich in Kürze, was ich in dem Projekt erkenne, und dann habe ich in demselben Stil eine Fortsetzung verfasst. Wo ist da die Verurteilung? Es ist eine Erkenntnis. – Eggerts Urteile mir gegenüber sind wiederum: H.N. ist überheblich und luziferisch; er ist dialogunfähig, und was er tut, ist vollkommen unberechtigt.

Nun, jeder Leser möge diese ganzen Fragen für sich selbst entscheiden. Ich frage aber nochmals: Sind nicht vielleicht doch eher Grauer, Hau & Co überheblich und voller Verurteilungen? Dialog um jeden Preis?

Eggerts Fehlschluss ist der Folgende. Aus dem Grundsatz „Fange bei dir an, wenn es um das moralische Handeln geht“ macht er: „Du darfst das Unmoralische im Handeln anderer nicht erkennen“. Und er sieht dies nicht nur als falsch an, sondern behauptet – direkt oder indirekt – geradezu, dass man auf diese Weise zu Illusionen kommt.

Der „naturalistische Fehlschluss“ der Wissenschaft ist: Was ist, ist gut (d.h. soll auch so sein). Eggerts Fehlschluss verläuft genau umgekehrt: Was nicht gut ist, ist nicht (d.h. ist ein Irrtum). Die Problematik steigert sich noch, weil Eggert selbst die Prämisse definiert: Wer etwas über Andere aussagt, hat per definitionem nie bei sich selbst angefangen. Und so läuft der vollständige Gang seiner Logik folgendermaßen: Weil H.N. etwas über Andere aussagt, hat er nicht bei sich selbst angefangen. Und weil das so ist, können seine Aussagen nicht stimmen.

Ich dagegen sage: Manchmal besteht moralisches Handeln gerade darin, etwas über Andere auszusagen – nämlich, wenn man auf Entstellungen der Wahrheit und eine Missachtung moralischer Realitäten hinweisen muss.

Wem will man dienen? Der Wahrheit – einschließlich der Wahrheit und Realität heiliger Bereiche der Wirklichkeit? Oder der Dialogfähigkeit als Selbstzweck? Ich glaube, dass Grauer, Hau & Co mit meinen Urteilen sehr gut leben können. Selbst wenn sie sie als „Verurteilungen“ empfinden, werden sie nur um so mehr Tränen darüber lachen. Wen oder was will Eggert hier also verteidigen? Mag er mit diesen Leuten Dialoge pflegen, wenn er und sie das wollen sollten. Ich mache aus meiner Seele keine Mördergrube, denn mir ist deutlich, dass mit jener inneren Haltung, die diese Menschen leben, die gesamte Essenz der Anthroposophie getötet und begraben wird. Genau das habe ich vor einer Woche in meiner Einleitung sagen wollen.