07.01.2010

Sinnlose Begriffe und Sinnessucht – eine perfekte Ehe

Weitere Betrachtungen zu den „schrecklichen Vier“.


Inhalt
Einleitung
Von Moral und Vollkommenheit
Von Sinnlichkeit und Moral
Moralisches Streben – oder postmoderne Missionare?



Christian Grauer: Meine Theorie ist, dass sie [die „Anthroposophen“] einfach nur das gewohnte christliche Moralverständnis auf die Anthroposophie adaptieren. Sie erleben die sinnliche Welt als unvollkommen und glauben, durch einen inneren Kreuzzug zu einem moralischen Vollkommenheitszustand zu kommen, den sie insbesondere mit der Überwindung der Sinnlichkeit und damit einer Veränderung der Um- und Außenwelt verbinden. Dieser Art Anthroposophie liegt wie allen moralisch-missionarischen Ideologien ein fundamentaler Defätismus zugrunde.

Einleitung

Man muss sich nicht der Anthroposophie verbunden fühlen, um an dem obigen Absatz das Erlebnis zu haben, selten etwas Sinnloseres gelesen zu haben.

An solchen Aussagen wird deutlich, wie abgrundtief entfernt jemand wie Christian Grauer der Anthroposophie steht. Für ein Erleben des Wesens der Anthroposophie braucht man ein inneres Organ – bei Grauer findet man aber nur Versatzstücke über Versatzstücke herkömmlicher abstrakt-theoretischer Überlegungen. Obwohl sich Grauer offenbar gern als „Philosoph“ bezeichnet (und zumindest vom Info3-Verlag anlässlich seines unsäglichen Buches „Am Anfang war die Unterscheidung“ so „vermarktet“ wurde), sind seine Aussagen toter als tot – etwa wie die eines Theologen, der sich an abstrakten Begriffsleichen entlanghangelt, um eine gewisse Sinnhaftigkeit und Selbstbestätigung daraus zu schöpfen, ohne auch nur noch den Hauch von Religion zu empfinden.

Grauer glaubt, etwas erkannt zu haben, wodurch er sich natürlich als über den „armseligen Anthroposophen“ mit ihrem primitiven Moralismus stehend erlebt. Diese Selbstbestätigung und Überhebung macht ihn immun gegen jede andere Erkenntnis. Wie armselig seine Begriffs- und entsprechend auch Gefühls- und Willenswelt ist, kann er nicht erleben.

Es schließen sich an einen solchen sinnlosen Absatz gleich unzählige Fragen an:

- Was ist das „gewohnte christliche Moralverständnis“?
- Was wäre die wahrhaftige christliche Moral?
- Was ist das wahre, originäre Moralverständnis der Anthroposophie?
- Ist die sinnliche Welt vollkommen oder unvollkommen?
- Was ist der innere Kreuzzug, von dem Grauer spricht?
- Wie sähe ein moralischer Vollkommenheitszustand aus?
- Gibt es bei Grauer überhaupt moralische Entwicklung?
- Was ist Sinnlichkeit, was ihre Überwindung und inwiefern wäre sie moralisch?
- Was hat Grauer selbst für einen Begriff von Anthroposophie?

An der Beantwortung dieser Fragen kann unendlich viel deutlich werden. Es wäre gut und lehrreich, sich die Antworten ganz individuell selbst zu erarbeiten. Im folgenden versuche ich eine solche Beantwortung in aller Kürze.

Von Moral und Vollkommenheit

1. Was ist das „gewohnte christliche Moralverständnis“?

Hiermit meint Grauer entweder etwas, was von dem wahren christlichen Geist abgewichen ist – oder er leugnet überhaupt den realen Christus-Impuls und sieht alles, was „christlich“ ist, als „nicht menschengemäß“. Wahrscheinlich meint er den Impuls der „Überwindung der Sinnlichkeit“, mit dem er nichts anfangen kann.

„Gewohnt“ ist an jedem Moralverständnis der Aspekt, dass Moral dem Menschen von außen vermittelt wird – in Form von Grundsätzen, denen er sich zu beugen hat, wenn er als „moralisch“ gelten will. Insofern Grauer betonen will, dass dies veraltet ist, hat er recht. Doch hat dies nichts mit „christlich“ oder „nicht-christlich“ zu tun – oder vielmehr ganz anders, als Grauer denkt, womit wir bei der zweiten Frage sind.

2. Was wäre die wahrhaftige christliche Moral?

Um sich diese Frage zu beantworten, könnte man einmal selbst in den Evangelien lesen – etwa die Bergpredigt. Was ist christliche Moral? Hat Christus keine Moral gebracht? Christus hat etwas gebracht, was man als „Moral“ bezeichnen kann – aber es ist die Substanz der Moral. Christus hat sich selbst gebracht...

In diesem Sinne sagte er: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt 5,17).

Und Paulus schrieb: „Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.“ (Röm 13,8).

In christlichem Sinne ist jemand in dem Maße moralisch, wie er den Mitmenschen (und die Umwelt) lieben kann. Das „Liebesgebot“ kann jedoch nicht wie eine äußere Pflicht wahrgemacht werden. Die Liebe ist etwas, was in Wahrheit nur ganz frei und ganz von innen entspringen kann. Und umgekehrt gilt: Wo wahre Liebe tätig wird, ist Freiheit.

3. Was ist das wahre, originäre Moralverständnis der Anthroposophie?

Was Rudolf Steiner über Moral sagte, hat mit dieser wahrhaft christlichen Moral zutiefst zu tun. Es gibt keine äußere Moral – moralisch sind Taten, die der individuelle Geist in Freiheit verwirklicht. Der Begriff der Moral ist also mit dem der Freiheit verbunden. Und der Begriff der Freiheit ist mit dem der Liebe verbunden – Liebe zur Tat. Aber zunächst mit dem der Triebfeder und des Motivs, ihrer Quellregion und Erkenntnis.

In seiner „Philosophie der Freiheit“ zeigt Steiner, dass die höchste Stufe der Sittlichkeit jene ist, in der Triebfeder und Motiv zusammenfallen, weil sie beide im reinen Denken gründen, so dass „weder eine vorher bestimmte charakterologische Anlage, noch ein äußeres, normativ angenommenes sittliches Prinzip auf unser Handeln wirken“ (S. 157).

4. Ist die sinnliche Welt vollkommen oder unvollkommen?

Für Grauer ist die sinnliche Welt vollkommen, denn sonst könnte er nicht so despektierlich reden. Vielleicht würde er „philosophisch“ sagen: „Sie ist, wie sie ist“. Aber genau damit unterliegt er schon seinem entscheidenden Fehlschluss. Diese Feststellung: „sie ist, wie sie ist“ ist unendlich trivial, es ist eigentlich überhaupt keine Aussage, sondern ähnelt eher der trotzigen Reaktion eines Kindes.

Natürlich ist die Welt, wie sie ist! Aber Grauer blendet bei seiner Aussage den Menschen vollkommen aus. Sein naturalistischer Fehlschluss ist: „Die Welt ist, wie sie ist, also ist sie vollkommen.“ – Eigentlich fühlt man sich hier an gewisse christliche Strömungen (z.B. Kreationisten) erinnert, aber Grauer betet sozusagen die gottlose Sinnlichkeit an.

Was er übersieht, ist, dass die Welt in jedem Moment so ist, wie der Mensch sie gestaltet hat und jetzt und hier gestaltet oder zulässt! Sie ist also nie einfach so, wie sie ist. Und selbst das, was der Mensch dann als gegenwärtig gegeben vorfindet, kann er noch verschieden deuten, je nachdem, wie rein seine Erkenntnis ist!

Grauers Herabblicken auf jene Menschen, die die Welt als unvollkommen erleben, übersieht alles, was in der Anthroposophie zentral ist: Die Bedeutung des Menschen, die Bedeutung der Erkenntnis, die Bedeutung der Entwicklung...

5. Was ist der innere Kreuzzug, von dem Grauer spricht?

Diese Frage kann er sich selbst beantworten.

6. Wie sähe ein moralischer Vollkommenheitszustand aus?

Ein solcher bestünde in der vollkommenen, fortwährenden Verwirklichung von Freiheit und Liebe in ihrem tiefsten Gehalt... Allein schon daran sieht man, dass es diese Vollkommenheit unter Menschen nicht gibt. Man sieht unmittelbar, dass der Mensch unvollkommen ist und immer nur nach Vollkommenheit streben kann.

Wenn man natürlich gar keinen wahren Begriff von Freiheit und von Liebe hat, kann man auch die Unvollkommenheit nicht sehen. Und selbst wenn man sie sieht, kann es sein, dass man nach einer größeren Vollkommenheit gar nicht strebt...

7. Gibt es bei Grauer überhaupt moralische Entwicklung?

Das ist wirklich die Frage – ich weiß es nicht. Er scheint kaum einen tieferen Begriff von Moral zu haben, vielleicht überhaupt keinen. Wenn er jenen Menschen, die nach einer moralischen Entwicklung streben, „Defätismus“ (in etwa: „Die Welt ist schlecht“) vorwirft, so gilt für ihn offenbar der Grundsatz von Beliebigkeit und Genuss: „Die Welt ist, wie sie ist. Lasst uns das Beste daraus machen – lasst uns dem Genusse leben.“

Von Sinnlichkeit und Moral

8. Was ist Sinnlichkeit, was ihre Überwindung und inwiefern wäre sie moralisch?

Hier sind wir bei der entscheidenden Frage. Ich setze beim Begriff der Sinnlichkeit als solchem an. Sinnlichkeit als a-moralischer Begriff ist „alles das, was sinnlich ist“. Sinnlichkeit als Begriff, der den Menschen einschließt, wird von vornherein zu einem moralischen Begriff, weil der Mensch, weil die ganze Welt (mit dem Menschen) moralisch ist. Es gibt kein Tun, das nicht moralisch wäre, im guten oder schlechten Sinne. Nur der menschliche Verstand kann die Moral zunächst ausschließen und definieren: „Sinnlich ist alles, was ich mit Sinnen wahrnehmen kann.“ Das ist richtig – hilft aber nicht weiter, wenn es um das Handeln geht. Beim Handeln stellt sich die Frage: Ist eine Tat gut oder nicht? Würde Grauer etwa sagen: Es gibt gar keine Moral? Es gibt gar nicht „gut“ und „nicht gut“?

Aber auch bei dem um den Menschen erweiterten Begriff der Sinnlichkeit geht es nicht unmittelbar um die Frage, ob Sinnlichkeit „gut“ sei oder nicht. Hier gilt tatsächlich zunächst: Sinnlichkeit ist, was sie ist. Und sie ist: Sinnlich-keit. Das Sich-Bewegen im Sinnlichen, das Leben im Sinnlichen, das Genießen des Sinnlichen, das Haften am Sinnlichen. All dies zunächst ohne Aussage über den moralischen Gehalt. Eine solche Aussage kann sich aber anschließen.

Grauer wirft den Menschen, die das Sinnliche nicht so wie er betrachten, sozusagen vor, sie würden das Sinnliche nach überkommenen Mustern per definitionem als schlecht betrachten. So als ob einst die Kirchenoberen gesagt haben: „Meidet das Sinnliche!“ und seitdem das gehorsame Kirchenvolk das Sinnliche als schlecht ansieht. So muss es aber nicht sein. Man kann auch ganz von innen heraus – im Sinne der Freiheit – zu Erkenntnissen kommen. Den Unterschied würde Grauer von außen gar nicht erkennen! Seinen Vorwurf aber kann man genauso gut umdrehen: Für Grauer scheint das Sinnliche per definitionem gut zu sein...!

Für Grauer ist das Sinnliche, wie es ist – also gut bzw. gar nicht mit moralischen Begriffen verknüpft. Man kann also im Sinnlichen leben, das Sinnliche genießen, am Sinnlichen haften, und es ist gut – denn Grauer übersieht, dass mit dem Handeln immer die moralische Frage hineinkommt, bzw. er übersieht, welche moralischen Implikationen die Tatsache hat, dass er bestimme Fragen nicht stellt.

Der Mensch ist auch, wie er ist. Aber er könnte in jedem Augenblick anders sein, sich dieses oder jenes Motiv oder Ziel wählen – und darin liegt die Moral. Nicht im Sinnlichen an sich – sondern in dem, wie der Mensch sich zum Sinnlichen stellt.

Warum ist das eine moralische Frage? Weil der Mensch ein übersinnliches Wesen ist. Würde Grauer auch dies abstreiten, dann wäre wohl auch für den simpelsten Geist endlich deutlich, dass Grauer kein Anthroposoph sein kann. Vielleicht will er das auch längst nicht mehr sein, erhebt gar keinen Anspruch darauf. Nur sollte er dann auch keine Aussagen über Anthroposophie machen, denn er erfasst keine ihrer zentralen Erkenntnisse auch nur ansatzweise.

Die Überwindung der Sinnlichkeit ist aus dem Grunde eine moralische Frage, weil der Mensch seinem Wesen nach nicht von dieser Welt (der Sinnlichkeit) ist.

Und mit Überwindung der Sinnlichkeit ist nicht etwa Sinnesfeindlichkeit gemeint, wie Grauer mit seinen abstrakten Begriffen und seinen Kurz- und Fehlschlüssen meinen könnte, sondern eben Überwindung der Sinnlichkeit. Christus sagte: „Ich habe die Welt überwunden“, und doch hat er sich im Übersinnlichen ganz mit der Welt verbunden, ist der Geist der Erde geworden.

Im Sinnlichen ist überall das Geistige zu finden – und dies ist das Wesentliche und das Wesen. Wer im Sinnlichen aber nicht das Geistige sucht, der hat nur das Sinnliche und damit etwas Wesenloses, was dann gerade vom Geistigen wegführt. Wer sich im Sinnlichen verliert, der verliert sich und auch das Wesen alles anderen.

Im Sinnlichen soll das Geistige gefunden werden – das ist Christentum. Das ist die goldene Mitte zwischen Sinnesflucht (Puritanismus, Buddhismus) und Sinnessucht. Christian Grauer aber ist ein Vertreter dieser letzteren, äußerst „modernen“ Strömung: der Sinnessucht. Wer keine Begriffe von Moral hat (außer den allgemeinsten, etwa: sinnlose Gewalt ist schlecht), der kann sich nur im Sinnlichen verlieren. Und genau das tut Grauer, gemeinsam mit seinen „Freunden“, ich zitiere aus ihrem zu veröffentlichenden Buch bzw. dessen Webseite:

„Früher war mir Steiner heilig, heute sind es meine Frühstückscroissants.“
„Und warum, zum Teufel, gibt es denn kaum AnthroposophInnen, die einen Porsche 911 fahren, in einer abgefuckten 200qm-Loft-Wohnung leben, ihre Sprösslinge nachmittags zum Kickboxen schicken, am liebsten Rindercarpaccio mit Parmesan zum guten Roten genießen und auch mal zwischendurch auf der Waschmaschine vögeln, wenn’s sich gerade ergibt?“
„Felix Hau kommt mit einer eiskalten Flasche Chablis vom Kühlschrank zurück...“


Es handelt sich hier um nichts anderes als die Anbetung der sinnlichen Genüsse.

Das Sinnliche ist nicht an sich schlecht, böse oder von Übel. Es wird dies aber, wenn es an sich, um seiner selbst willen gesucht wird. Sobald der Mensch ins Spiel kommt, werden die Dinge moralisch. Wenn der Mensch das Sinnliche um seiner selbst willen kultiviert, wenn er sich über den Genuss an das Sinnliche kettet, dann handelt er unmoralisch – und zwar nicht vor irgendeinem äußeren Gesetz, sondern vor sich selbst, vor seinem eigenen Wesen.

„Niemand kann zwei Herren  dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten.“ (Mt 6,24).

Man kann entweder dem Sinnesleben leben oder seinem höheren Wesen.

Wenn man Kickboxen betreibt, verstrickt man sich weit stärker in das Sinnliche als bei einer edel betriebenen Mannschaftssportart – und auch hier weit stärker, als wenn man gar keine sportlichen Bedürfnisse mehr hat, die man ausleben muss. Wenn man auf der Waschmaschine vögelt, verstrickt man sich weit stärker in das Sinnliche als in einer edlen romantischen Liebe – und auch hier weit stärker, als wenn man gar keine erotischen Bedürfnisse mehr hat, die man ausleben muss.

Vieles hat seine Zeit. Es wird kaum einen Menschen geben, der nicht durch die Phase romantischer Liebe gegangen ist. Doch die Frage ist: was kommt in späteren Jahren? Kommt dann das Vögeln? Oder die Suche nach dem Geist? Wenn man keine Begriffe vom Geist hat, bleiben wohl nur Chablis und Waschmaschine...

9. Was hat Grauer selbst für einen Begriff von Anthroposophie?

Diese Frage ist nun unklarer denn je. Oder vielmehr – ich komme nur immer wieder zu einer ganz klaren Antwort: gar keinen.

Moralisches Streben – oder postmoderne Missionare?

Es gibt die leiblichen Genüsse – sie ketten den Menschen an den Leib. Von diesen Freuden bleibt nach dem Tode so viel wie vom Leib selbst: nichts.

Es gibt die seelischen Freuden: Sympathie in verschiedenster Form. Natürlich ist die Seele auch bei den leiblichen Genüssen beteiligt: gerade das ist es ja, was die Seele an den Leib bindet. Denn aus dieser Verbindung entsteht die Sucht. Nicht der Leib sucht nach Croissants, Chablis und Schlimmerem, sondern die Seele...

Die Seele kann aber auch den Geist suchen. Sie kann die innere Vertiefung suchen: Besinnung, Kontemplation, Meditation. Indem sie sich vertieft, macht sie sich dem Geist ähnlicher, macht sich bereit, ihn in sich aufzunehmen, immer mehr.

Und es gibt die Freude des Geistes: Erkenntnis, Bewusstseinslicht und -kraft.

Die Frage ist: Wem gilt die Liebe der Seele? Den leiblichen Genüssen – oder den Geistespfaden? Sie kann nicht zwei Herren dienen... Wenn sie den leiblichen Genüssen frönen will, wird sie den wirklichen Geist verkennen und verachten; wenn sie aber den Geist liebt und sucht, wird sie immer mehr von den leiblichen Genüssen frei werden. Das bedeutet nicht, sie völlig zu meiden – aber es bedeutet, sie nicht um ihrer selbst willen zu suchen...

Wer nach leiblichen Genüssen strebt, strebt gar nicht, sondern versinkt in der Leiblichkeit – im niederen Teil der Seele, die dem Dienst des Leibes verfällt. Die Suche der wahrhaft strebenden Seele gilt dem Geist. Der Mensch ist nur da wahrhaft Mensch, wo er strebt – nach dem Geiste, wo er sein wahres Wesen finden wird.

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“

An einem solchen Wort kann unendlich viel deutlich werden. Darin liegt das ganze Wesen der Moral in Worte gefasst: Die Liebe und auch der Weg dorthin, der moralische Schulungsweg der Selbsterziehung.

Das Geheimnis beider ist die Überwindung des Egoismus. „Nicht ich, sondern Christus in mir.“ – welche Taten wird die Welt dann erblicken!?

Das ist nicht der Weg säuerlicher Selbstentsagung, sondern der Weg, auf dem das wahre Ich gefunden wird, immer mehr. Der Mensch kommt von sich los (vom ego), er geht Schritt für Schritt der Freiheit und der Liebe entgegen...

Auf dem Weg der leiblichen Genüsse jedoch steigt der Mensch immer tiefer in sein Ego hinein, er bleibt und wird immer mehr abhängig von dem, was „seine“ Bedürfnisse ihm sagen, die er ja sogar kultiviert. Und selbst wenn er selbstlos dafür sorgen wollte, dass die ganze Welt Frühstückscroissants, Chablis und all das hätte, was sich der Leib nur ersehnen kann, würde er damit nur in fehlgeleiteter „Liebe“ jeden Menschen in die Sinnlichkeit und in die Begierden des Leibes hineinführen wollen.

Edel ist der Mensch im Leiblichen, wenn er das Leibliche überwindet. Der wahre Mensch lebt im Seelisch-Geistigen, edel ist es, wenn die Seele mit Hilfe des Geistes die Leibesgenüsse überwindet – nicht, wenn sie sie sucht, sie um ihrer selbst willen kultiviert, genussvoll in ihnen versinkt.

Edel ist die Seele, wenn sie sich veredelt. Von selbst ist sie es nie. Wenn sie einen inneren Schulungsweg betritt, wird sie in dem Maße edel, in dem sie auf diesem Wege vorankommt. Aber schon der Entschluss, einen solchen Weg zu betreten, schenkt ihr den ersten Glanz des Edlen, denn in diesem Entschluss liegt ihre Suche beschlossen...

Edel ist der Geist, der sich immer mehr vertieft und weitet, in immer weitere Höhen aufschwingt. Das Gegenteil dessen ist sein totes Abbild, der Intellekt, hier wird der Geist begraben.

Finstere Ironie, die sich über andere Menschen erhebt und dabei selbst nicht das geringste Wissen von dem Wesen des Moralischen hat, hat nichts mit dem Geist zu tun, nur mit den niedersten Regionen der Seele – mit der Kultivierung dieser niederen Regionen, die für was auch immer gehalten werden, jedoch einfach nur mit der Sinnensucht korrespondieren.

Grauer & Co. sind Missionare des ... postmodernen Spießertums! Dieses mag als völlige Umstülpung des alten Spießertums erscheinen, seinem Wesen nach ist es dasselbe: Kennzeichnend sind eine eitle Selbstüberhebung und das völlige Fehlen jedes realen Begriffes des Moralischen. Grauer & Co mögen sich in ihren „Sinnesfreuden“ ach so frei und modern fühlen – diese sind nichts anderes als die postmoderne Dekadenz. Das alte Spießertum war vor allem überheblich – das neue ist zusätzlich noch tiefer in die Sinnlichkeit hinabgestiegen und meint, diejenigen verachten zu können, die ihm nicht folgen wollen (obwohl sie eine ganz andere Richtung gewählt haben).

Es mag wahr sein, dass viele Menschen, die die Anthroposophie suchen, auf ihrer Suche irgendwo stehengeblieben sind oder auch meinen, sie in toten Formen oder Accessoires finden zu können. Fest steht aber, dass sie in Frühstückscroissants, Alkoholika und anderen Lustobjekten ebenfalls – erst recht – nie zu finden war oder sein wird und dass jede Verherrlichung dieses ganz in die Leiblichkeit hinabgestiegenen „Carpe diem“ so abstoßend ist, wie es zugleich tragisch ist.

Grauer meint, er hätte das „gewohnte christliche Moralverständnis“ und die entsprechende „Anthroposophie“ überwunden. Er hat keine Ahnung. Lassen wir ihm seine „philosophischen“ Überlegungen, die an totem Intellektualisieren kaum noch zu überbieten sind. Lassen wir ihm auch den Chablis und die Waschmaschine. Wünschen wir ihm und seinen Freunden dennoch das Beste und streben wir auf unserem Wege weiter...

P.S. an Michael Eggert: Auch mit diesem Aufsatz bleibe ich „dialogfähig“. Ich glaube nach wie vor nicht, dass die betroffenen Herren selbst ein Interesse an den hier entwickelten Gedanken haben oder bereit wären, sich in irgendeiner Weise darauf einzulassen – aber man weiß ja nie. Zunächst bleibt festzuhalten, dass ich auch hiermit nur auf die eklatanten Fehlurteile, Verurteilungen und Dialogunfähigkeiten dieser Herren erwidert habe.