23.03.2011

Blankertz’ Kartenhaus oder: Die endlose Regression des Unsinns

Eine hoch suggestive, Rudolf Steiner und seinem unmittelbaren Wortlaut scheinbar treu ergebene, ihn scheinbar erst wahrhaft erkennende Darstellung erweist sich als Lehrbeispiel, wie (scheinbar) scharfsinnig heute versucht wird, die Anthroposophie zu vernichten, indem man einen illusionären, faszinierenden Schein an ihre Stelle setzt.

Erwiderung auf: Rüdiger Blankertz: Vom Lesen im anthroposophischen Buch. Für den Druck in „Anthroposophie“ IV/2010.


Auch der zweite Aufsatz von Blankertz in der „Anthroposophie“ ist ein ungeheures Armutszeugnis für die anthroposophische Bewegung. Hat er in seinem ersten Aufsatz Mieke Mosmuller und ihr Buch „Das Tor zur geistigen Welt“ verunglimpft und völlig verkannt, so reicht er nun einen längeren Text nach, in dem er begründen will, wie man Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit richtig lese.

Der Text entfaltet eine nicht zu leugnende suggestive Kraft, weil er den Leser vor eine großartige Aussicht stellt: Wenn man sich mit Rudolf Steiner widerlegen lerne, erwache man gerade im wahrhaft höheren Bewusstsein. Der Gedankenleib (der genaue Wortlaut) Rudolf Steiners als Geheimnis und Erwecker des eigentlichen Menschenwesens – weil der Text das spiegelt, was man in Wahrheit selbst ist...

Eine faszinierende, gleichsam mystisch-magische und zugleich völlig „realistisch sein wollende“ Vorstellung! Und natürlich steckt darin viel, sehr viel Wahrheit – deswegen ist sie so verführerisch. Doch wenn man wachen Denkens (!) der ganzen Darstellung Schritt für Schritt folgt, erweist sich jeder einzelne Schritt als fragwürdig und erweist sich schließlich die ganze Darstellung als Konstrukt zusammengezimmerter Behauptungen, das als konfuses Gebäude in sich zusammenbricht.

Da der Aufsatz sehr lang und komplex ist, sollte man vielleicht zumindest noch einmal den (immer noch recht langen) zusammengefassten Gedankengang ohne meine Anmerkungen auf sich wirken lassen. Im folgenden werde ich diesen nur in allerkürzester Form auflisten und dann die Haltlosigkeit der einzelnen Gedankenschritte aufzeigen.

Blankertz sagt Folgendes:

1. Ein anthroposophisches Buch entzieht sich immer wieder dem Verstandenhaben.
2. Die anthroposophischen Wahrheiten sind nur im exakten Wortlaut Rudolf Steiners wahr.
3. Wir sollen uns sagen lernen: Ich kann das nicht fassen, was ich eigentlich lesend anstrebe.
4. Rudolf Steiner ist der Auffassung, dass er in der Lage ist, sein Denken durch denken als Denken zu lehren.
5. Wie das Auge am Licht, bildet sich das rechte Lesen am anthroposophischen Buch für dasselbe.
6. Am Grabe des lebendigen Denkens erwacht die Anthroposophie im Menschenherzen zu sich selbst.
7. Die Lesegewohnheit unserer Zeit spaltet die Ganzheit in das anthroposophische Buch und den Leser.
8. Die „Subjektivisten“ verweisen auf eine zu schulende innere Tätigkeit nach Anleitung Dritter.
9. Wird der äußere Gegensatz im Innern erlebt, macht sich wesenhaft geltend, was beiden ermangelt.
10. Es kommt darauf an, das Gleichgewicht zwischen äußeren Eindrücken und innerer Produktivität zu finden.
11. Warum denke ich und lasse das Satzding nicht einfach auf mich einwirken?
12. Das anthroposophische Buch ist so geformt, dass es dem Leser seine eigene Denkaktivität spiegelt.
13. Das richtige Lesen des Buches besteht darin, aktiv zu wollen, was in den Worten des Buches selbst liegt.
14. Das sich auf gewöhnliche Art einstellende Verständnis muss aktiv vernichtet werden.
15. Übung mit einem unbekanntem Satz, „Intelligenz der Verhältnisse untereinander“.
16. Die Grammatik des anthroposophischen Satzes als Ätherleib Rudolf Steiners, „geistige Welt“.
17. Mir wird klar, dass ich über die richtige Art des Lesens gar nicht verfüge.
18. Der Inhalt der Anthroposophie entsteht erst aus der Einsicht.
19. Trennung des Beobachters von dem Beobachteten. Ich kann nicht richtig lesen – ich lese jetzt richtig.
20. Aus dem selbstlos gedachten Gedanken des Satzes wächst der gegenteilige hervor.
21. „In einer gewissen Beziehung wird von dem Leser jede Seite, ja mancher Satz erarbeitet werden müssen.“
22. Es müssen in mir die zwei Seiten des Lesers erzeugt werden.
23. „Teilnehmer werden an der untergehenden Phrase und am aufsteigenden Geistesleben.“, „organische Entwicklung“.
24. Nicht das anthroposophische Buch verstehen, sondern durch das Buch den von ihm geforderten Leser.
25. Ausnahmezustand, Normalzustand und illusionärer Zustand des Bewusstseins.
26. Wird der illusionäre Zustand vom Ausnahmezustand beobachtend umgriffen, entsteht der Normalzustand.
27. Der Text denkt mich, indem er mich aus dem naiven Leser heraushebt und an dessen Stelle sich selber setzt.
28. Ich gehe durch das Denken Rudolf Steiners als „Nachkonstrukteur“ aus der Verfassung des naiven Lesers hervor.
29. Das Denken Rudolf Steiners beobachtet das Nicht-Denken des naiven Lesers, und dabei entstehe auch ich.
30. Ich kann nur gewahr werden, wie das Denken mich beobachtet, und dadurch mich für sich hervorbringt.
31. Rudolf Steiner beobachtet mich, denn er beschreibt mir eben das, was ich gerade tue.
32. Der naive Leser und ich, sein Begleiter von des Denkens Gnaden, müssen den exakten Wortlaut nachkonstruieren.

Punkt für Punkt

Was ist zu all diesen Gedanken jeweils zu sagen? Sehen wir uns die Fragwürdigkeiten im einzelnen an.

1. Ein anthroposophisches Buch entzieht sich immer wieder dem Verstandenhaben.

Es ist klar, dass es nicht nur darum geht, etwas zu „verstehen“. Insbesondere „Seelische Beobachtungen“ sollen innerlich selbst nachvollzogen werden.

2. Die anthroposophischen Wahrheiten sind nur im exakten Wortlaut Rudolf Steiners wahr.

Blankertz zitiert Steiner: „In der Anthroposophie kommt es nicht bloß darauf an, dass die entsprechenden Wahrheit in Büchern und in Reden mitgeteilt werden, sondern es kommt darauf an, wie sie geschrieben und wie sie mitgeteilt werden.“ Zuvor heißt es, „in ehrlichster Weise darauf zu achten, dass nicht um der Popularität willen die Sache so verkündet wird, dass sie in ihrer Verkündigung zum Schaden gereichen könne.“ Es geht also um die Wahrhaftigkeit, nicht um ein Klammern an den exakten Wortlaut, und so sagt Rudolf Steiner auch gerade. „Nicht allein auf den Wortlaut kommt es heute an.“

Dennoch findet sich schon hier zu Beginn Blankertz’ zentrale Behauptung, auf die er dann seine gesamte Darstellung aufbaut: Jede Abweichung vom Wortlaut Steiners verlässt bereits die „anthroposophischen Wahrheiten“. Dies ist aber selbst schon eine Lüge, denn die Anthroposophie ist das Lebendigste was es gibt, also müssen es auch die Wortlaute sein. Rudolf Steiner hätte selbst seine Philosophie der Freiheit heute anders geschrieben. Das ist kein Bekenntnis zu einer Beliebigkeit im Verstehen seiner Schriften, sondern eines gegen eine Buchstaben-Mystik.

3. Wir sollen uns sagen lernen: Ich kann das nicht fassen, was ich eigentlich lesend anstrebe.

Im nächsten Schritt „stützt“ Blankertz seine Behauptung mit der Suggestion, wir würden, wenn wir über den exakten Wortlaut hinausgehen, die Form von Rudolf Steiners Anthroposophie „zerbrechen“ und die „Einheit von Name und Werk Rudolf Steiners“ missachten. Dann kommt er ohne Begründung zu dem Gedanken, wir sollten „zu der Einsicht gelangen, dass die Menschheitskultur, an der wir als Leser teil haben“, in Bezug auf die Anforderungen der Anthroposophie „siech bis auf den Tod“ ist. Es ist selbstverständlich wahr, dass das Zentrum der heutigen Menschheitskultur, der Intellekt, das größte Hindernis für einen realen Zugang zur Anthroposophie ist, wenn er nicht einer spiritualisierten Intelligenz weichen kann. Der Anthroposoph muss sich aus dieser heutigen toten Verstandeskultur vollkommen erheben können – und dies ist schwer genug, aber möglich, wenn man sich der Aufgabe und des Weges bewusst geworden ist.

Blankertz verabsolutiert jedoch den „Leser“, er soll nicht lernen, seinen Intellekt zu überwinden, er soll lernen, sich seine Unfähigkeit zu bekennen. Das Ganze macht einen jesuitischen Eindruck. Blankertz fesselt den „Leser“ mit seiner Aufforderung, seine Unfähigkeit zu bekennen, in einen Zustand der Ohnmacht, was ihm (Blankertz) gerade Macht gibt – nämlich die Macht, seine weitere Deutung mit um so größerer Suggestionskraft zu entfalten.

Rudolf Steiners Worte vom „gesunden Ohnmachtsgefühl“, die Blankertz hier zitiert, stammen aus dem Vortrag „Wie finde ich den Christus?“. Sie stehen dort ganz ohne Bezug zu einem bestimmten Streben, sie sind nicht auf das Verständnis der Schriften Rudolf Steiners bezogen, sondern auf das eigene Streben ganz allgemein.

Blankertz missbraucht also Rudolf Steiners Wortlaut gerade! In seinem Vortrag entfaltet Rudolf Steiner in zarter Weise den realen Weg zu Christus – und Blankertz missbraucht diese wunderbare Stelle, um sein eigenes Gedankengebäude zu stützen und eine „jesuitische Suggestion“ aufzubauen.

Allein schon Blankertz’ Missbrauch und Umdeutung dieses Zitats über den Weg zu Christus und des vorhergehenden Zitates über die Wahrhaftigkeit entlarvt seinen gesamten Ansatz in eklatanter Weise bereits zu diesem Zeitpunkt als irreführend und wertlos.

4. Rudolf Steiner ist der Auffassung, dass er in der Lage ist, sein Denken durch denken als Denken zu lehren.

Blankertz schreibt: „Rudolf Steiner ist der wahrhaft ungeheuerlichen Auffassung, dass sein Denken nicht bloß der Ursprung der Gedanken ist, aus und in dem die Welt und der Mensch existiert. Sondern dass er in der Lage ist, dieses sein Denken durch denken als Denken zu lehren.“

Der erste Satz kommt wiederum ohne jede Herleitung daher: Welt und Mensch sollen aus dem Denken Rudolf Steiners her existieren. Was ist das für ein Unsinn? War Rudolf Steiner kein Mensch? Lebte er nicht in der Welt?

Rudolf Steiner fand jedoch im Denken jene wahrhaft göttliche Kraft, in der der Mensch sich selbst und die Welt erst wirklich finden und sich mit dem Weltgeschehen verbinden kann. Hat man dieses Denken gefunden, kann man auch die Wege zu diesem Denken weisen. Das ist Anthroposophie, als Erkenntnisweg.

5. Wie das Auge am Licht, bildet sich das rechte Lesen am anthroposophischen Buch für dasselbe.

„Wie das Auge sein Dasein dem Licht zu verdanken hat, so muss Anthroposophie selbst aus der unvollkommenen Lesefähigkeit des Menschen das Organ hervorrufen, das ihresgleichen werde. Das rechte Lesen bildet sich an dem anthroposophischen Buch für dasselbe.“

Hier setzt Blankertz seinen Mystizismus fort, indem er das Auge in Analogie zu dem Organ setzt, mit dem die Anthroposophie erfasst wird. Dieses Organ aber ist das Denken bzw. der ganze Mensch – schon daran sieht man, dass die Analogie nicht wahr sein kann. Der Mensch muss innerlich aktiv sein, wenn er die Anthroposophie erfassen will. Es ist wahr, dass es ein geheimnisvolles Zusammenspiel zwischen dem Erwachen des höheren Menschen und dem wirklichen und vertiefen Erfassen der Anthroposophie gibt. Doch Blankertz stellt es als passives Geschehen da, während es ein höchst aktives Geschehen ist (und er selbst später vom aktiven Denken spricht).

Anthroposophie kann nur durch ein aktives Denken erfasst werden. In dem gesamten inneren Streben des Menschen ist von Anfang an immer schon der höhere Mensch der treibende Impuls. Dieser ist die tätige Instanz, die Anthroposophie bildet den Weg. 

6. Am Grabe des lebendigen Denkens erwacht die Anthroposophie im Menschenherzen zu sich selbst.

„Sie wird den Leser des anthroposophischen Buches entdecken lassen, wie die tote Schrift Rudolf Steiners das Urbild des eigenen lebendigen Wesens in Freiheit vor ihn hinstellt.“

Blankertz’ Mystizismus besteht gerade darin, dass er mit Trennungen arbeitet. Er trennt hier die Anthroposophie vom Menschen, später den „naiven“ vom „anderen“ Leser usw. – Auf diese Weise kommt er zu Sätzen, wo völlig im Dunkeln bleibt, ob und inwieweit der Mensch selbst überhaupt eine Rolle spielt bzw. was in ihm tätig ist. Was tut der Mensch, wenn die Anthroposophie in seinem Herzen zu sich selbst erwacht? Muss er dafür etwas tun? Diese Fragen beantwortet Blankertz nicht.

In diesem Abschnitt zitiert er Rudolf Steiner: „Nur Bücher, die im lesenden Menschen lebendig werden können, sind anthroposophische Bücher.“ Genau solche Bücher aber schreibt Mieke Mosmuller. Dass ihre Bücher in ihm, Blankertz, nicht lebendig werden, beweist, dass auch Blankertz erst lesen lernen muss, zu sehr in den „Lesegewohnheiten seiner Zeit“ oder aber in seinen eigenen Vorstellungen gefangen ist...

7. Die Lesegewohnheit unserer Zeit spaltet die Ganzheit in das anthroposophische Buch und den Leser.

Hier beginnt Blankertz, Formulierungen der Philosophie der Freiheit auf diese selbst zu beziehen. So wie Ich und Welt gespalten sind, so auch Ich als Leser und das anthroposophische Buch. – Doch die Spaltung hat nicht speziell mit den „Lesegewohnheiten unserer Zeit“ zu tun, sondern ist eine, die das Denken mit sich bringt und die auch nur im und vom Denken wieder überwunden werden kann.

8. Die „Subjektivisten“ verweisen auf eine zu schulende innere Tätigkeit nach Anleitung Dritter.

Nun verändert Blankertz seinen Gedanken der Spaltung unauffällig. Aus der Trennung „Leser – anthroposophisches Buch“ wird auf einmal die Trennung zwischen sozusagen „Objekt-Orthodoxen“ und „Subjektivisten“. Indem das anthroposophische Buch nicht verstanden wird, entsteht auf der einen Seite ein totes Lehrgebäude und auf der anderen Seite die Strömung derer, die aus ihren subjektiven Gedanken jeweils „ihre individuelle Anthroposophie“ machen („Tummelplatz des Intellekts“).

Soweit so gut. Nun aber fügt Blankertz dieser „subjektiven Seite“ auch noch jene Menschen hinzu, die von der Notwendigkeit sprechen, die eigenen Gedanken durch innere Schulung lebendig zu machen und spitzt dies noch durch die Sätze zu: „Diese Anleitung könne nicht das Buch Rudolf Steiners geben, sie müsse von einem Menschen empfangen werden, der seine Gedanken zum Leben erweckt hat. Durch solchen Anspruch auf persönliche Lenkung werden die ‚Jünger des Subjekts’ zunehmend in Beschlag genommen.“

Hier geht wiederum alles durcheinander. Blankertz behauptet, jede Schulung des Denkens führt den Menschen weiter in die Irre der Subjektivität – nur unmittelbar das Buch Rudolf Steiners könne einen anderen Prozess in Gang setzen. Er unterfüttert diesen Unsinn mit der Suggestion der Fremdbestimmung durch Lenkung eines Dritten, so dass der Leser ihm willig in die andere Richtung folgt...

Tatsache ist aber natürlich, dass Rudolf Steiner selbst die Notwendigkeit einer Verlebendigung des Denkens scharf betont hat und dass er dazu verschiedene Übungen gegeben hat, die jeweils nicht ein Hinstarren auf den Wortlaut seiner Philosophie der Freiheit waren. Blankertz jedoch will den Leser um jeden Preis mit jesuitischer Macht an diesen Wortlaut ketten und widerspricht Steiner, indem er jede Schulung des Denkens als „weitere Stärkung der Subjektivität“ verleumdet. Damit wird er zum unmittelbaren Gegner der Anthroposophie, denn das Tor zu ihr liegt genau hier, bei der Stärkung des Denkens.

Auch wenn Blankertz Mieke Mosmuller hier nicht nennt, so ist doch der ganze Abschnitt zugleich ein scharfer Angriff auf sie, denn sie ist es, die in ihren Büchern auf diese Notwendigkeit und auf dieses Tor hinweist. Und es ist ein völliger Unsinn, dass es um eine „Lenkung Dritter“ geht, wenn man auf die Wege der Schulung des Denkens hinweist. Wenn Blankertz dies abstreitet, braucht sein Denken noch sehr viel Schulung, oder aber er tut es – was hier sehr viel näher liegt – mit Vorsatz. In jedem Fall ist absolut deutlich, dass um die Frage nach dem wahren Tor zur realen Anthroposophie ein heftiger Geisteskampf entbrannt ist. Auch Blankertz ist nur eine Figur in diesem Kampf.

9. Wird der äußere Gegensatz im Innern erlebt, macht sich wesenhaft geltend, was beiden ermangelt.

„Doch Anthroposophie kann nicht durch eine Vereinigung zweier Mangelzustände erstehen.“ – Wie wir sahen, ist die Schulung des Denkens gerade die Überwindung des Mangels. Indem wir mit dem Willen in das Denken „hineinsteigen“, finden wir die bisher immer erlebte Polarität zwischen objektiviertem Äußeren und subjektivem Inneren. Wir erleben nun gerade im Inneren den bisher immer geschaffenen Gegensatz und können ihn bis zu seiner Entstehung verfolgen.

10. Es kommt darauf an, das Gleichgewicht zwischen äußeren Eindrücken und innerer Produktivität zu finden.

Blankertz arbeitet immer weiter an seinem Konstrukt des Verhältnisses von „Leser“ und „Text Rudolf Steiners“. Nun bringt er ein Zitat Steiners über das „innerliche Mitproduzieren“ eines geisteswissenschaftlichen Buches. Mieke Mosmuller spricht immer wieder vom (inneren) Tun der „Philosophie der Freiheit“. Genau dies ist das gemeinte innere Mitproduzieren – genau hier liegt das Gleichgewicht zwischen äußerem Eindruck und innerer Produktivität. Es ist die Überwindung des Gegensatzes zwischen „Nur Lesen“ und sich „lauter eigene Gedanken machen“. Doch Blankertz will es nicht glauben...

11. Warum denke ich und lasse das Satzding nicht einfach auf mich einwirken?

„Das Objekt, die ‚äußere Welt’, steht hier als ein gegebener Satz Rudolf Steiners vor uns. In uns spüren wir den Drang, ihn denkend zu begreifen. Wenn ich aber einen ohne mein Zutun gegebenen Gegenstand in mein Denken einspinne, so gehe ich über das Gegebene hinaus, und es wird sich darum handeln: was gibt mir ein Recht dazu? Warum lasse ich das Satzding nicht einfach auf mich einwirken? Auf welche Weise ist es möglich, dass mein Denken einen Bezug zu dem Satze hat? Das sind Fragen, die sich jeder stellen muss. (GA 4, 48).“

Es ist eigentlich unklar, was Blankertz hier sagen will, wo er wiederum die Philosophie der Freiheit auf diese selbst anwendet. Aus dem Folgenden scheint hervorzugehen, dass man die „Philosophie der Freiheit“ auf sich wirken lassen, sich jedenfalls nicht lauter eigene (subjektive) Gedanken dazu machen solle. Andererseits hat nun einmal das Denken etwas mit dem Gegenstand zu tun und soll gerade über das Gegebene hinausgehen, um das Wesen des Gegenstandes zu finden. Der Bezug des Denkens zum Gegenstand ist gerade dadurch gegeben, dass im Denken selbst das Wesen des Gegenstandes zu finden ist.

Wie auch immer – es bleibt okkult, was Blankertz hier eigentlich will, wenn nicht explizit Unklarheit verbreiten...

Er geht auch an der Essenz der Philosophie der Freiheit völlig vorbei, wenn er sie auf sich selbst anwendet, denn Rudolf Steiner will gerade an dieser Stelle zeigen, wie man die Fragen, die sich in Zusammenhang mit der äußeren Welt ergeben („was gibt mir ein Recht dazu?“) gar nicht mehr zu haben braucht, wenn man sich im Denken selbst bewegt.

Nun ist aber die Beschäftigung mit der „Philosophie der Freiheit“ eine ausgesprochene Beschäftigung des Denkens mit sich selbst. Wenn ich mir nicht nur die Druckerschwärze anschaue, sondern die ausgesprochenen Gedanken nachvollziehe, bin ich bereits ganz und gar im Denken. Nur Blankertz schafft wieder eine künstliche Trennung, indem er die Sätze wieder zum „äußeren Gegenstand“ macht!

12. Das anthroposophische Buch ist so geformt, dass es dem Leser seine eigene Denkaktivität spiegelt.

„Da ein Buch nie mehr ist, als wir aus ihm erlesen, ist es als solches Garant unserer Freiheit. Das anthroposophische Buch aber ist die Substanz unserer Freiheit. Nur ein Buch, das nichts anderes ist und sein will als der reine Spiegel unserer denkenden Eigenaktivität, kann in Freiheit gelesen werden. Dazu muss diese Aktivität vom Leser aufgebracht werden. Das Subjekt muss sich geltend machen. Damit seine Aktivität sich aber nicht in dem verliert, was man lesend hervorbringt, muss das Buch in allen seinen Sätzen so geformt sein, dass es das Hervorgebrachte wieder in den Akt des Hervorbringens zurückspiegelt, also dem Leser seine eigene Denkaktivität als seinen ur-eigenen geistigen Inhalt spiegelt.

Hier nun beginnt Blankertz, mit seinem Mystizismus konkret zu werden. Nun endlich zeigt sich, worauf er mit seinem ganzen Konstrukt hinauswollte. Dieses Konstrukt besagt ungefähr Folgendes: „Das anthroposophische Buch beschreibt genau das, was der Leser selbst macht, seine eigene Denkaktivität“.

So faszinierend (und damit suggestiv) das Ganze später noch wird, indem daraus plötzlich das höhere Wesen des Menschen hervorgehen – hervorgespiegelt werden – soll, so leer und unsinnig ist dieses Konstrukt. Natürlich enthält es eine irreführende Halbwahrheit, denn natürlich haben die Schriften Rudolf Steiners genau die Wirkung, das höhere Wesen des Menschen „hervorzulocken“, aber nicht, weil sie „die eigene Denkaktivität“ des Lesers spiegeln, sondern weil sie vom Wesen des Menschen sprechen – vom Wesen des gewöhnlichen Bewusstseins, vom Wesen der höheren Bewusstseinszustände und vom Wesen der Welt und der höheren Welten.

All dies ist der menschlichen Erkenntnis zugänglich, wenn der Mensch sein Wesen verwirklicht. Davon spricht Rudolf Steiner und dies zeigt dem Menschen seine wahre Bestimmung, es regt sich der höhere Mensch... Es wird also nichts gespiegelt, es wird etwas geschildert und dadurch kann der Mensch sich aufgerufen fühlen. Rudolf Steiner spricht von dem, was der Mensch erkennen kann, nicht von dem, was der Leser gerade tut. In der Philosophie der Freiheit spricht er auch davon, aber auch das nur teilweise, und das Wesen des „anthroposophischen Buches“ ist es keinesfalls.

Auch über die Freiheitsfrage äußert Blankertz hier einen unsinnigen Gedanken. „Nur ein Buch, das nichts anderes ist und sein will als der reine Spiegel unserer denkenden Eigenaktivität, kann in Freiheit gelesen werden.“ Was soll das heißen? „Nur ein Buch, das beschreibt, was wir tun, wenn wir denken“ – oder was? Nochmals: Dann hätte Rudolf Steiner sehr unfrei machende Bücher geschrieben, denn er beschrieb nicht das, was wir tun, wenn wir denken – er beschrieb nicht einmal das, was er dachte, sondern er beschrieb Erkenntnisse der Geistesforschung. Dafür muss das eigene Denken völlig schweigen – das Denken des Geistesforschers muss schweigen. Natürlich müssen die Erkenntnisse dann wieder in Denkformen, in Imaginationen, in Gedanken gefasst werden. Das sind aber wiederum Gedanken des Geistesforschers, von ihm gefasster Ausdruck seiner Erkenntnisse der geistigen Welt, nicht Spiegel der Denktätigkeit des Lesers.

Aber auch der andere Teil von Blankertz’ Behauptung ist Unsinn, denn jedes Buch kann in Freiheit gelesen werden – und zwar nicht nur dadurch, dass wir „aus ihm nur erlesen“, was wir selbst daraus machen, sondern weil ein Buch nie zwingen kann. Ich kann mich zu dem, was ich lese, immer in Freiheit stellen – auch wenn ich den Autor vollkommen verstehe (was ja das Ziel jedes Buches ist). Verständnis macht nie unfrei. Wenn der Autor etwas von mir will, und ich habe verstanden, was er will, kann ich sagen: Nein, das will ich nicht. Das betrifft auch die „Wahrheiten“, um die es geht und die ich immer selbst beurteilen (lernen) muss. Wenn mir ein Autor wie Blankertz etwas als Wahrheit verkaufen will, kann ich immer sagen: Nein, das ist unwahr.

Also: Jedes Buch kann in Freiheit gelesen werden – und zwar gerade dann, wenn ich wahrhaft verstehe, was der Autor sagen will.

13. Das richtige Lesen des Buches besteht darin, aktiv zu wollen, was in den Worten des Buches selbst liegt.

Siehe 10. Durch das innere Mitproduzieren erfasst man wahrhaft das vom Autor Gedachte. Blankertz jedoch konstruiert in diesem Abschnitt wieder einen falschen Widerspruch zwischen einem „aktiven Denken“ und einem gewöhnlichen Denken (auch wenn dies „verstärkt“ und „belebt“ wird) – denn was er eigentlich sagen will, ist, dass das von ihm gemeinte „aktive Denken“ ein anderes ist als das von Mieke Mosmuller. Daran besteht kein Zweifel! Doch der  Unterschied liegt nicht etwa darin, dass Mieke Mosmuller noch immer ein gewöhnliches Denken hätte...

14. Das sich auf gewöhnliche Art einstellende Verständnis muss aktiv vernichtet werden.

Man muss zum wirklichen, inneren Verständnis kommen. Durch eine intensive Schulung des Denkens kommt man ganz weg von der „gewöhnlichen Art des Verständnisses“ wegzukommen. Da Blankertz eine solche Schulung ablehnt, muss er bei seinem starren Konstrukt „gewöhnlich – nicht gewöhnlich“ bleiben.

15. Übung mit einem unbekanntem Satz, „Intelligenz der Verhältnisse untereinander“.

„Da neuerdings so viel von ‚Meditation’ die Rede ist, eine Übung, die Rudolf Steiner empfiehlt: Aus einem  unbekannten Buch einen Satz entnehmen. Man soll erleben, wie man diesen Satz nicht verstehen kann. Die Bezüge der Hauptworte sind nicht bekannt. Es kommt eine andere Intelligenz (das reine Denken) ins Spiel, das Bewusstsein von den Verhältnissen der Dinge untereinander mit ihr selbst.“

Dies ist nun wieder (unter anderem?) ein direkter Angriff auf Mieke Mosmuller. Man fragt sich, welche Vorstellungen Blankertz eigentlich von Meditation hat. Glaubt er wirklich, damit werde das gewöhnliche Denken verstärkt und man hafte immer nur noch mehr an Hauptworten? Er ist es doch gerade, der auf das Festhalten am Wortlaut der „Philosophie der Freiheit“ pocht! Hat diese denn keine Hauptworte? Meditation führt zur Quelle des Erkennens – findet man diese Quelle, dann verändert sich alles, auch die Hauptworte, die man dann in einem Buch liest...

16. Die Grammatik des anthroposophischen Satzes als Ätherleib Rudolf Steiners, „geistige Welt“.

„Diese sich in der Satzstruktur offenbarenden Verhältnisse sind Taten geistiger Wesenheiten. Die Grammatik des anthroposophischen Satzes ist der verdichtete Ätherleib Rudolf Steiners, in ihren reinen, lebendigen Formen offenbart er sich als ‚geistige Welt’.“

Rudolf Steiner hat seine Erkenntnisse der geistigen Welt offenbart und in Worte gefasst. Sein Ätherleib war ein besonders vollkommener Spiegel für die geistige Welt (nicht selbst „die geistige Welt“). Es kommt aber bei der Schilderung geistiger Erkenntnisse nicht nur auf die Grammatik an, sondern natürlich sehr wohl auch auf die verwendeten Worte und auf das, was gesagt wird.

17. Mir wird klar, dass ich über die richtige Art des Lesens gar nicht verfüge.

„‚Wie man Bücher in unserem Zeitalter zu lesen pflegt, kann dieses nicht gelesen werden.’ Diesen Satz nachzukonstruieren, hieße doch zu zuerst einmal fragen: Warum steht er so da? Wie pflegt man denn das Lesen in unserem Zeitalter? Weiß ich das überhaupt? Wenn ich es nicht weiß, wie sollte ich denn dazu kommen, es ganz anders zu machen? So käme der Leser darauf: Wie man Bücher in unserem Zeitalter zu lesen pflegt, ist mir noch gar nicht klar. Offenbar aber gehört meine Art es zu tun, auch dazu. Nun erst wird mir klar, dass ich über die richtige Art des Lesens gar nicht verfüge.“

An diesem einen Satz Rudolf Steiners baut Blankertz nun sein konkretes Konstrukt auf. Dazu braucht er wieder einen starren Widerspruch, in diesem Fall zwischen: „wie man Bücher in unserem Zeitalter zu lesen pflegt“ und „wie man es anders machen sollte“. Die Starrheit liegt darin, dass Blankertz diese zweite Alternative gleichsam als „Ding an sich“ behandelt. Es scheint unerkennbar zu sein, wie man Bücher in unserem Zeitalter nicht liest. Dabei weiß man durch Rudolf Steiner sehr genau, wie Bücher heute gelesen werden, und auch, wie sie nicht gelesen werden.

Dadurch, dass man einem Wissen von dem Wie der heutigen Lesegewohnheiten hat, hat man zugleich ein Wissen von dem, was dieses Wie überwindet. Schließlich geht es in der gesamten Anthroposophie um eine Überwindung des Bestehenden, das durch seine Geistlosigkeit und Geistesferne gekennzeichnet ist. Will Blankertz etwa behaupten, Rudolf Steiner hätte es durch sein ganzes Lebenswerk nicht vermocht, die Menschen und Leser seiner Bücher darauf aufmerksam zu machen, was Geistlosigkeit und was Geistesfülle ist!? Mit diesem Schlüssel aber erfasst man sehr genau, wie Bücher heute zu lesen gepflegt werden und wie man es nicht machen darf. Schon damit aber fällt seine Konstruktion in sich zusammen.

Durch die Schulung des Denkens schließlich kommt man auch mit völliger Sicherheit an den Punkt, wo man weiß, wie Bücher gelesen werden müssen – denn man kommt an den Punkt, wo man auch das Lesen selbst findet.

18. Der Inhalt der Anthroposophie entsteht erst aus der Einsicht.

Das ist unstrittig – aber eben nicht aus der Einsicht, dass ich einen Text nicht verstehe! (Letzteres ist ein möglicher Zustand, aber er kann der wirklichen Einsicht, das heißt dem Verstehen des Textes doch nur vorausgehen...).

Blankertz will hier aber eben doch den Begriff der Einsicht vereinnahmen: Es soll diejenige Einsicht sein, dass man so lange nichts versteht, bis man es ... genau im Sinne seines Konstruktes versteht. Wiederum missbraucht er dazu ein Zitat Rudolf Steiners: Ohne Einsicht hätte die Anthroposophie keinen Inhalt. Blankertz deutet um: Ohne Einsicht in mein Konstrukt ist der wahre Inhalt der Anthroposophie noch nicht erkannt. Steiner spricht hier aber nicht davon, dass die Anthroposophie solange unerkannt bliebe, wie noch nicht die Einsicht über ihren wahren Inhalt erreicht sei, sondern er grenzt sie an dieser Stelle gegen inhaltslose Gefühls-Schwärmerei ab.

19. Trennung des Beobachters von dem Beobachteten. Ich kann nicht richtig lesen – ich lese jetzt richtig.

Dennoch verwendet Blankertz das Zitat für seine Zwecke weiter und sagt: „Die Einsicht des Lesers und der wahre Geist beginnen, eine gemeinsame, deutliche und inhaltvolle Sprache zu sprechen. Es beginnt ein Gespräch. Und dabei tritt die oben [wo!? H.N.] beschriebene Selbstbeobachtung ein, die Trennung des Beobachters von dem Beobachteten, meiner selbst von mir selber. Sie liefert mir eine doppelte Gewissheit: Dass ich nicht richtig lesen kann; und eben darin entsteht die andere Gewissheit, dass ich in diesem Moment richtig lese.“

Es ist einerseits klar, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt noch der Zustand bestehen kann, dass ich „nicht richtig lesen kann“, wenn ich z.B. ein Buch von Rudolf Steiner nur wie ein Kochbuch lese. Und dass mir dieser Umstand irgendwann klar wird. – Die völlige Umdeutung Blankertz besteht jedoch darin, dass es ihm gerade auf dieses „Nicht-richtig-Lesenkönnen“ ankommt und dass er darin den Kern der Einsicht sieht.

Wenn ich mich aber an dem Punkt befinde, wo ich bemerke, dass ich nicht richtig gelesen habe, setzt auch schon der Umschwung ein, denn diese Erkenntnis werde ich wahrscheinlich nur haben, wenn und weil ich in diesem Moment weiß, wie ich es anders machen muss.

Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass man versteht, dass anders gelesen werden muss, ohne dass man schon weiß, wie man zu einem wirklichen Verständnis kommen kann – das liegt dann aber am Inhalt der konkreten Stellen und ist kein allgemeines Hindernis. Und wenn ich einen konkreten anderen Inhalt noch nicht verstehe, kann ich ihn auch nicht „in diesem Moment richtig lesen“.

20. Aus dem selbstlos gedachten Gedanken des Satzes wächst der gegenteilige hervor.

Blankertz verabsolutiert jedoch seinen einen Satz von den „Lesegewohnheiten der heutigen Zeit“, an dem dieses Paradox eben doch möglich ist, und schreibt: „In dieser Paradoxie des sich selbst beobachtenden Bewusstseins erlebe ich: Aus dem selbstlos gedachten Gedanken des Satzes wächst durch einen geheimnisvollen Prozess innerhalb der Selbstbeobachtung, in die mich der Text mittels meines aktivierten Denkens versetzt hat, der gegenteilige Gedanke hervor.“

Diesen „geheimnisvollen Prozess“ braucht er, um sein Konstrukt in der Folge auf seinen Höhepunkt zu führen. Ich frage mich nur: An wie vielen Sätzen könnte er diesen „geheimnisvollen Prozess“ noch aufzeigen und inwieweit soll dieser etwas wesentliches sein?

Im Grunde verlief Blankertz’ Argumentation doch nach folgendem Schema: Rudolf Steiner schreibt einen Satz. Ich frage mich: Weiß ich denn überhaupt, was damit gemeint ist? Nein, ich weiß es nicht. Aber genau in diesem Moment bin ich einen Schritt weiter... – Und das ist letztlich trivial, denn genau an diesen Punkt kommt man, wenn man anfängt, ein Buch anders als ein Kochbuch zu lesen, ganz ohne Blankertz... Und wenn man anders liest, dann weiß man eben doch, was gemeint ist. Nicht immer, aber das liegt dann wieder am Inhalt, nicht an der Unfähigkeit des Denkens, denn um das Denken und seine Fähigkeit zu erkennen geht es Rudolf Steiner gerade.

21. „In einer gewissen Beziehung wird von dem Leser jede Seite, ja mancher Satz erarbeitet werden müssen.

Blankertz nimmt nun den auf die „Lesegewohnheiten“ folgenden Satz der Vorrede der Philosophie der Freiheit und schreibt: „Was ist diese ‚gewisse Beziehung’? Nach dem, was ich soeben an moralischer Bändigung des naiven Lesers vollbracht habe, kann damit nur die Gewissens-Beziehung gemeint sein, in die ich zum Autor getreten bin, als ich den ersten Satz selbstlos zu denken versuchte. Ich habe diesen Satz gegen mich selber verwendet. Ich habe mich mit Hilfe Rudolf Steiners selbst zu widerlegen begonnen, indem ich ‚den Pfad der Verehrung gegenüber Wahrheit und Erkenntnis’ (10,19) zu betreten bloß erwogen habe.“

Er fährt also fort mit seinem Mystizismus und will eigentlich sagen: Rudolf Steiners Sätze gegen sich selbst (als Leser) zu verwenden und „sich zu widerlegen“ scheint genau das richtige Verfahren zu sein, also auch mit jenem „in einer gewissen Beziehung ... erarbeitet werden“ gemeint zu sein. Wie gesagt: Vom gewöhnlichen Kochbuch-Verständnis wegzukommen, ist eine triviale Selbstverständlichkeit. Alles andere ist Blankertz’ Mystizismus.

22. Es müssen in mir die zwei Seiten des Lesers erzeugt werden.

„Nun kann ich mir nämlich sagen: Innerhalb dieser Beziehung und durch dieselbe, die in mir die zwei Seiten des Lesers erzeugt, muss jede der zwei Seiten, unter denen das Buch mir je anders erscheint, erarbeitet werden, und zwar indem eben so ‚mancher Satz’ erarbeitet wird.“

Jetzt deutet Blankertz also auch noch Rudolf Steiners Worte „jede Seite, ja mancher Satz“ um! Bei ihm wird daraus „jede der zwei Seiten“ der Selbstbeobachtung!

23. „Teilnehmer werden an der untergehenden Phrase und am aufsteigenden Geistesleben.“, „organische Entwicklung“.

Blankertz unterfüttert auch diese Umdeutung mit Zitaten Rudolf Steiners zum Phrasenhaften und der Abkehr davon – wieder eine Zweiheit: „Erst muss das Phrasenhafte da sein, muss dann aber auch erkannt werden. Dann wird es möglich, dass ein neues geistiges Leben sich wirklich entwickelt.“ – „Und wir leben eben in dem Zeitalter, in dem wir Teilnehmer werden müssen an der untergehenden Phrase und Teilnehmer werden müssen an dem aufsteigenden Geistesleben.“

Für Blankertz sind all dies verborgene Hinweise auf das, was er dem Leser gleich bieten wird, nämlich das geheimnisvolle Aufsteigen des Beobachters, der auf den naiven (phrasenhaften) Leser zurückblickt.

Und er schwadroniert: „Während des Erarbeitens der beiden Seiten entwickelt sich die Beziehung zum Autor weiter. Jeder Entwicklungsschritt ergibt sich organisch aus dem anderen“, denn nun kann er auch diesen Satz wieder mit einem umgedeuteten Zitat Rudolf Steiners stützen: „wie bei einem lebendigen Wesen ein Glied aus dem andern herauswächst, ein Gedanke aus dem andern organisch herauskommt.“

Es ist wirklich schockierend, wie Blankertz, dem es doch angeblich so auf den Wortlaut ankommt, diesen Wortlaut Steiners in jedem einzelnen Abschnitt für seine eigenen Zwecke und Vorstellungen missbraucht...

24. Nicht das anthroposophische Buch verstehen, sondern durch das Buch den von ihm geforderten Leser.

Und wieder ein Zitat Rudolf Steiners: „Ein richtig verfasstes anthroposophisches Buch soll ein Aufwecker des Geistlebens im Leser sein, nicht eine Summe von Mitteilungen.“ Und wieder eine Umdeutung von Blankertz: Es gehe überhaupt nicht um irgendeinen Inhalt, sondern nur um das höhere Bewusstsein des Lesers. Wieder versteht er also nur starr den Gegensatz von „Geistleben im Leser“ und „Summe von Mitteilungen“ – und versteht nicht, dass gerade durch die Erweckung des Lesers auch der konkrete Inhalt etwas ganz anderes als eine „Summe von Mitteilungen“ wird. Er verschwindet nicht, sondern kündet nun erst wahrhaft von Erkenntnissen der geistigen Welt.

Und umgekehrt: Ich erkenne als Leser, dass ich das Buch nicht wie ein Kochbuch lesen darf (genau das wäre nämlich „eine Summe von Mitteilungen“). Indem ich dies aber erkenne, verwandle ich mich, wecke ich anfänglich mein Geistleben, werde ich innerlich aktiv. Damit aber verwandelt sich auch die „Summe von Mitteilungen“ in etwas, was ich nicht nur zur Kenntnis nehme, sondern dem ich z.B. mit immer mehr Ehrfurcht gegenübertrete.

All dies übergeht Blankertz, deswegen müssen für ihn die Erkenntnisse des Geistesforschers, die selbstverständlich nicht bloße Mitteilungen im Sinne eines Kochbuchs sein wollen, etwas grundsätzlich anderes sein, überhaupt nichts Inhaltliches mehr haben, und so schreibt er:

„Versuchen Sie, naiver Leser, den Lesenden zu verstehen: nicht den Autor und nicht sich selbst als den konkreten Leser, sondern den anderen, anders Lesenden. Das, was das Buch richtig liest, ist sein – des anderen Lesenden – Bewusstsein, welches im Buch bereits enthalten ist. Nicht das anthroposophische Buch versuchen wir über den Lesenden zu verstehen, sondern den von dem Buch geforderten Leser durch das Buch hindurch.“

Also: Es geht nicht um das Buch, es hat gar keinen Inhalt, sondern will nur Aufwecker sein, weil sein einziger Inhalt eben der Leser ist (nicht der naive, sondern der andere)...

25. Ausnahmezustand, Normalzustand und illusionärer Zustand des Bewusstseins.

„Der Leser des Buches Rudolf Steiners wird zum Objekt eines sein Bewusstsein Beobachtenden. Ich bemerke, wie meine spontane Eigentätigkeit zurückgedrängt wird, wenn ich mich dem Text Rudolf Steiners selbstlos hingebe. Das Reich des naiven Lesers ist dadurch nicht beschnitten. Dennoch ist darin ein anderes Bewusstsein wirksam. Man könnte diesen Vorgang mit den Begriffen Ausnahmezustand, Normalzustand und illusionärer Zustand des Bewusstseins beschreiben. Mit dem Ausspruch: ich denke über einen Satz Rudolf Steiners, trete ich bereits in den Ausnahmezustand ein, wo etwas zum Gegenstand der Beobachtung gemacht wird, was in unserer geistigen Tätigkeit immer mitenthalten ist, aber nicht als beobachtetes Objekt.“

Blankertz betrachtet nun also das Geschehen der Selbstbeobachtung: Der anders Lesende beobachtet den naiven Leser, der auch immer noch da ist.

Was dieses Konstrukt soll, ist schleierhaft. Natürlich kann man im Bewusstsein hin- und herwechseln. Man kann sich in die Art hineinversetzen, wie man „naiv“ und kochbuchartig lesen würde, aber es geht ja gerade darum, diesen Zustand zu überwinden, was auf dem Schulungsweg des Denkens natürlich auch immer weitreichender geschieht – Blankertz jedoch braucht diesen Zustand für sein Konstrukt, und er zementiert ihn.

Und auch hier wieder unterfüttert er das Ganze mit Anleihen bei Rudolf Steiner, diesmal bezüglich der Zurückdrängung des Ungeistigen. Doch während Steiner von der Zurückdrängung der Leibesorganisation durch das Denken spricht; redet Blankertz von der Zurückdrängung des naiven Lesers durch den Text Rudolf Steiners. Neben der krassen Umdeutung ist es auch noch eine Trivialität, denn wie sollte die „spontane Eigentätigkeit“ nicht zurückgedrängt werden, wenn ich mich einem Text „selbstlos hingebe“!?

26. Wird der illusionäre Zustand vom Ausnahmezustand beobachtend umgriffen, entsteht der Normalzustand.

„Wird der illusionäre Zustand vom Ausnahmezustand beobachtend umgriffen, entsteht der Normalzustand: Darin bin ich mir bewusst, dass ich den Inhalt des Satzes an dem Text denkend erzeuge. Was ist der Zusammenhang zwischen dem Erzeugten und dem Satz Rudolf Steiners? Der Satz selbst zeigt ihn mir: sein einziger Inhalt ist die Beschreibung dieses Zusammenhangs. Der Normalzustand liefert lesend mir den konkreten Inhalt des Ausnahmezustandes als Selbstbeobachtung am Text Rudolf Steiners. Man wacht innerhalb des illusionären Zustandes dabei auf für die Bedingungen, die den Ausnahmezustand bewirken. Diese werden dem Normalzustand am Text Rudolf Steiners gespiegelt und können so begriffen werden.“

Dieser Absatz ist zunächst recht kompliziert, ich frage mich, wie viele Leser ihn wohl verstehen werden. Der „Normalzustand“ besteht also darin, dass im Ausnahmezustand der naiv-illusionäre Zustand beobachtet wird. Doch selbst innerhalb dieses aus unzähligen Ungereimtheiten hergeleiteten Konstrukts ergeben sich weitere Ungereimtheiten: Wie kann der illusionäre Zustand, der doch gerade so starr definiert und aufrechterhalten wurde, auf einmal für etwas aufwachen? Und was soll das heißen: Die Bedingungen für den Ausnahmezustand werden dem Normalzustand am Text gespiegelt? Wer begreift sie dann? Ist der Normalzustand nicht das Zusammenspiel von illusionärem Zustand und dessen Beobachtung (Ausnahmezustand)? Der Normalzustand braucht also immer den Ausnahmezustand, wobei auch der illusionäre Zustand nicht verlorengeht? Was soll das alles!?

27. Der Text denkt mich, indem er mich aus dem naiven Leser heraushebt und an dessen Stelle sich selber setzt.

„Wer bewirkt dieses Zurückdrängen? Ich, der ich den naiven Leser zu beobachten beginne, bin nur Zeuge, nicht Urheber dieses Zurückdrängens, sondern ich bemerke, wie der Text mich denkt, indem er mich aus dem naiven Leser heraushebt, dieser abgelähmt wird und an dessen Stelle der Text sich selber setzt. Das Denken als Beobachtung. Dem naiven Leser ist das Denken ebenso entfallen wie er dem Denken. Aber indem er am Text Rudolf Steiners anstößt, ergreift ihn das Denken. Der Leser wird gewahr, dass in dem Text seine aktuelle (naiv-illusionäre) Verfassung beschrieben wird. Er wird zum Objekt, es tritt die Beobachtung ein.“

Nochmals greift Blankertz die Zurückdrängung des naiven Bewusstseins durch den Text Rudolf Steiners auf. Und nun entsteht der allergrößte Unsinn, wenn man überhaupt noch von einer Steigerung sprechen kann: Blankertz sagt, „ich“ – also nicht (nur) der naive Leser, sondern (auch) der schon anders Lesende – bin nur Zeuge, wie der naive Leser zurückgedrängt wird, aber offenbar auch, wie ich aus dem naiven Leser in die Existenz herausgehoben werde und wie der Text sich selber setzt...

Wunderbar! Geradezu Münchhausen-verdächtig! Wer hat dabei nun eigentlich was gemacht? Hatte nicht Blankertz selbst davon gesprochen, dass ich mich selbstlos dem Text hingebe? Wer gibt sich da hin? Das naive Bewusstsein? Oder das andere? Es muss ja wohl das andere sein, denn ich musste doch erst lernen, anders zu lesen? Aber andererseits wird das andere dadurch erst „herausgehoben“? So muss es also doch noch das „naive“ sein, das sich hingibt?

All diese sinnlosen Fragen ergeben sich nur dadurch, dass Blankertz den Unsinn vom „sich selbst setzenden Text Rudolf Steiners“ hinstellt und zugleich noch drei Bewusstseinszustände definiert, die teilweise alle drei gleichzeitig anwesend sein sollen...

Was Blankertz nicht zur Kenntnis nehmen will, ist, dass selbstlose Hingabe und richtiges Lesen nur möglich sind, wenn eine aktive Instanz real da ist – und dass man diese aktive Instanz dann nicht wieder in drei Zustände spalten muss, die irgendwie alle drei nebulös und passiv sind. Bei ihm ist das einzige Aktive der „Text Rudolf Steiners“, der sich selbst setzt und dem mindestens zwei von Blankertz’ Zuständen ihre Existenz verdanken.

Man würde einen Text von Rudolf Steiner nie verstehen, wenn man ihm nicht aktiv begegnet. Man ruft sich als richtig Lesender selbst in die Existenz – und man liest Rudolf Steiner und nicht irgendeine Spiegelung seines eigenen Bewusstseins (das noch dazu ohnehin schwammig und Produkt des Textes bleibt). Der Mensch ist ein Bewusstseinswesen. Dieses kann erwachen – Rudolf Steiners Text hilft dabei, aber innerlich handelnd ist das eigene Wesen.

28. Ich gehe durch das Denken Rudolf Steiners als „Nachkonstrukteur“ aus der Verfassung des naiven Lesers hervor.

„Ich könnte den naiven Leser gar nicht beobachten, wenn nicht das beobachtende Prinzip bereits gewirkt und mich in eine höhere Welt hineingeholt hätte. Ich gehe als ‚Nachkonstrukteur’ der Sätze Rudolf Steiners erst aus der Verfassung des naiven Lesers hervor. Dies alles geschieht also durch das Denken Rudolf Steiners.“

Ich wiederhole: Der Mensch ist ein Bewusstseinswesen. Dieses kann erwachen – Rudolf Steiners Text hilft dabei, aber innerlich handelnd ist das eigene Wesen.

29. Das Denken Rudolf Steiners beobachtet das Nicht-Denken des naiven Lesers, und dabei entstehe auch ich.

„Geisteswissenschaftlich ausgedrückt: Die Wesenheit Rudolf Steiner ist im Ätherleib da. Indem er den naiven Leser beobachtet, werde ich von ihm aus diesem heraus er-dacht. Das Denken Rudolf Steiners beobachtet das Nicht-Denken des naiven Lesers, und dabei entstehe auch ich – wenn ich mein Denken so erkraftet habe, dass ich anstoßen kann! –, der diese Tatsache mitbeobachten darf und damit feststelle: Das Denken beobachtet sich in seinem Zustand des Nicht- bzw. Tot-Sein und erzeugt dadurch sich (und mich, Zeuge dessen) selbst.“

Jetzt wird es völlig abstrus. Blankertz behauptet, jetzt, in diesem Augenblick, wo ich den Inhalt des Textes den toten Buchstaben entnehme, beobachtet das Denken Rudolf Steiners den naiven Leser (oder sich selbst im Nicht-Sein) und er-denkt mich aus diesem. Die Wesenheit Rudolf Steiners, im Ätherleib anwesend, ruft also mich in die Existenz. Ich gratuliere zum Höhepunkt des mystizistischen Konstruktes!

Blankertz will um jeden Preis die Aktivität des Lesers bekämpfen – und wahrlich, er erweist sich damit als unerbittlicher Gegner der Anthroposophie, die ganz auf diese Aktivität rechnet, auf nichts anderes als diese!

Dabei erwähnt er sogar das erkraftete Denken – denn das brauchte er ja zuvor, um gegen all jene Subjektivisten zu polemisieren, die nur ihr Denken erkraften. Wie? Was? Ach so, da war das persönliche, gewöhnliche, naive Denken gemeint, bei Blankertz aber das „richtige“. Er hat es also in seinem hypothetischen richtig lesenden Leser erkraftet, so dass dieser entstehen darf. Wie bitte? Das richtig lesende „ich“ entsteht erst, wenn es nach Erkraftung seines Denkens am Text Rudolf Steiners anstößt, der sich selbst setzt und es in die Existenz ruft? Wer aber bitte hat dann sein Denken erkraftet, wenn er noch gar nicht entstanden ist?

Spätestens hier empfindet man den starken Wunsch, Herrn Blankertz eine gewisse Behandlung zu empfehlen... Nebenbei aber fragt man sich zum ungezählten Male, wie ein solcher Aufsatz in der Vierteljahrsschrift „Anthroposophie“ landen konnte. Es muss sich wohl um eine Verschwörung auf höchster Ebene handeln...

Der richtige Vorgang ist der folgende: Ich erkrafte mein Denken. Damit verlasse ich auf sicherem Wege (wenn auch allmählich, wie es dem anthroposophischen Schulungsweg nun einmal eigen ist) den Zustand der Subjektivität und des „naiven Lesers“ und erwerbe mir die Fähigkeit des „richtigen Lesens“. Am Text Rudolf Steiners begegne ich in zunehmender Tiefe der Individualität Rudolf Steiners und seinen Erkenntnissen vom Menschenwesen. Dies führt auch mich auf meinem Wege der Selbst- und Welterkenntnis immer weiter, nicht am Text, sondern in mir, in der Meditation, in der Welt, im Leben...

30. Ich kann nur gewahr werden, wie das Denken mich beobachtet, und dadurch mich für sich hervorbringt.

„Nun muss ich meines Ursprungs inne werden, darüber verfügen lernen. Es ist das aktive Lesen der Schrift Rudolf Steiners. Was sie beschreibt, ist der Ursprung meiner selbst als ‚ich’, der vom Denken durch dessen Selbstbeobachtung aus dem naiven Leser heraus erzeugt wird. Ich erkenne, dass ich dies nachzuvollziehen habe, indem ich beobachte, wie ich von Rudolf Steiner dahin geführt werde, zu bemerken, wie sein Text mich mittels des naiven Lesers er-denkt. In der ‚Philosophie der Freiheit’ wird dieser Vorgang ‚Beobachtung des Denkens’ genannt. Es ist nicht so, dass ich, der Denker, mich, den Denker beobachte, denn ich kann mich nicht in zwei Personen spalten, um mich im aktuellen Denkakt zu beobachten. Ich kann nur gewahr werden, wie das Denken mich beobachtet, und dadurch mich für sich hervorbringt.“

Der Unsinn geht weiter. Blankertz verdoppelt das Konstrukt, indem „ich“ es jetzt sogar nochmals nachzuvollziehen habe, um „darüber verfügen zu lernen“. Ich soll also beobachten, wie ich dahin geführt werde, zu bemerken, dass ich er-dacht werde? Ich denke, ich habe das von Anfang an beobachtet, als Zeuge? Nun doch nicht?

Rekapitulieren wir: Obwohl ich also als anders, aktiv lesender Leser da sein muss, um den ganzen Vorgang zu ermöglichen, darf ich zunächst gar nicht da sein, denn ich werde ja erst aus dem naiven Leser herausgerufen. Und wenn ich dann da bin, dann muss ich (obwohl „Zeuge“, „den naiven Leser beobachtend“ usw.) erst wie aus dem Schlaf erwacht mir verwundert die Augen reiben, um dann erst zu „beobachten, wie ich dahin geführt werde, zu bemerken usw.“?

Man denkt immer wieder, es ist doch keine Steigerung mehr möglich, und dennoch schafft Blankertz es immer wieder, sein Konstrukt noch unsinniger werden zu lassen – man sollte wohl, statt zu rekapitulieren, endlich kapitulieren...

31. Rudolf Steiner beobachtet mich, denn er beschreibt mir eben das, was ich gerade tue.

„Und nachdem sich das alles schon abgespielt hat, und ich, der Zeuge, mir dies vor Augen führe, kann ich mir sagen: Rudolf Steiner beobachtet mich, denn er beschreibt mir eben das, was ich gerade tue, aus einer Sichtposition, über die ich selber gar nicht verfüge. Dadurch kann ich, indem ich diese Beschreibung meiner selbst anhand des Textes verfolge, das Denken gewahr werden, indem es (er) mich beobachtet.“

Verzweifelt denkt man: Darf es nicht einfach sein, dass Rudolf Steiner vor 100 Jahren „seelische Beobachtungsresultate“ aufgeschrieben hat, die auf jeden zutreffen und die man verstehen kann, wenn man sie innerlich aktiv nachvollzieht? Warum nur muss Rudolf Steiner mich jetzt beobachten und es immer eine Position geben, „über die ich selber gar nicht verfüge“? Weil Blankertz ein entweder verworrener oder vollkommen bewusster und vorsätzlicher Gegner der Anthroposophie ist und es ein wirkliches Ergreifen der Quelle nicht geben darf.

32. Der naive Leser und ich, sein Begleiter von des Denkens Gnaden, müssen den exakten Wortlaut nachkonstruieren.

„Dies bedenkend, wird in methodischer Hinsicht klar: Wir, der naive Leser und ich, sein Begleiter von des Denkens Gnaden, müssen versuchen, das Dargestellte in der exakten Formulierung Rudolf Steiners nachzukonstruieren. Dadurch erst können wir darin das sehen, was wir nicht sehen würden, wenn wir darüber auf eine nur geringfügig andere Weise nachdächten.“

Blankertz kommt zum traurigen Ende: Das Dogma ist perfekt gemeißelt und geschmiedet: Nur wenn wir uns an den exakten Wortlaut halten, dürfen wir darauf hoffen, nach der Methode „Blankertz“ erweckt zu werden. Wollen wir das? Wollen wir fortan treu (Blankertz) ergeben versuchen, die exakten Formulierungen Rudolf Steiners nachzukonstruieren, damit es uns vielleicht einst vergönnt ist, ein schizophrenes Dasein zu führen – uns, dem naiven Leser und mir –, welches wir dann des Denkens Gnaden (vermutlich Rudolf Steiners Denken) zu verdanken haben werden?

Nein! Wir sind froh, dass wir nun endlich den Schlusspunkt von Blankertz Alptraum erreicht haben und uns wieder dem Geist und dem Leben zuwenden dürfen. Wir wollen aus der Kraft unseres eigenen Denkens existieren! Wir wollen in diesem Denken die Gnadenwirkung des höchsten Wesens erahnen, und wir werden wissen, dass wir in diesem Denken die Vereinigung mit allem finden können, was war, ist und sein wird...

Anthroposophia ist das lebendige, allerhöchste Geheimnis des Menschenwesens. Sie findet nur, wer absolute Wahrhaftigkeit und Liebe zur Wahrheit mit einem klaren Denken und selbstlosem Willenseinsatz vereinen kann. Wer ihr mit persönlichen Motiven, verworrenen Gedanken oder einem Mangel an Ehrfurcht nahen will, wird ihren Schleier niemals heben.