H.-H. Buchholz: Begleitende Gedanken zur Auseinandersetzung

Buchholz, Hans-Henning: Begleitende Gedanken zur Auseinandersetzung mit Zanders Buch. November 2007 bis Februar 2008. [o]


Hans-Henning Buchholz nimmt ab Ende 2007 zu insgesamt 29 Themen aus Zanders Werk Stellung.
Ich gebe hier die mir am wichtigsten erscheinenden Gedanken wieder:

04. Erkenntnis-Wille der Kritiker der Anthroposophie
05. Angeblich fehlende systematische Darstellung der Waldorf-Pädagogik durch Steiner
06. Beurteilung Steiners der Montessori-Pädagogik
07. Behauptung, die Waldorfpädagogik sei eine theosophische Reformpädagogik
09. Kritik an der Darstellung Steiners, wie den Jugendlichen Moralempfinden beizubringen ist
10. Bekenntnis von seinem begrenzten Verständnis der Anthroposophie gegenüber
13. Kritik an der „Versteinerung“ der Waldorfpädagogik gegenüber der Staatsschule.
16. Behauptung, Anthroposophie stamme aus der Quelle der Theosophie oder aus der Akasha-Chronik
17. Behauptung, Anni Besant sei die „hoch verehrte Lehrerin Steiners“ gewesen.
20. Angebliche Probleme Steiners, sein Verhältnis zu anderen mit Bedacht bestimmen zu können
21. Abhängigkeit Steiners von der Theosophie
22. Angeblicher zeitweiser Atheimsus Steiners
23. Behauptung, Anthroposophie sei Religion
25. Verhältnis der großen Fleißarbeit zu der Tiefe der Erkenntnis der Anthroposophie
26. Von Rudolf Steiner vorgesehener Buchtitel des Fragment gebliebenen „Anthroposophie“
27. Annahme, Rudolf Steiner sei ein machtorientierter und autoritärer Mensch gewesen

4. Erkenntnis-Wille der Kritiker der Anthroposophie

Rudolf Steiner in GA 17, "Die Schwelle der geistigen Welt", Kap. "Von dem Hüter der Schwelle und einigen Eigenheiten des übersinnlichen Bewusstseins" (S. 45) deutet Steiner an, woher die Abneigung gegenüber Aussagen der Geisteswissenschaft stammt: 

"Mit seinem Erleben in der Sinnenwelt steht der Mensch außerhalb der geistigen Welt, in welcher im Sinne der vorangehenden Betrachtungen seine Wesenheit wurzelt. Welchen Anteil dieses Erleben an der menschlichen Wesenheit hat, ersieht man, wenn man bedenkt, dass das übersinnliche Bewusstsein, welches die übersinnlichen Welten betritt, einer Verstärkung eben der Seelenkräfte bedarf, die in der Sinneswelt erworben werden. Ist diese Verstärkung nicht vorhanden, so fühlt die Seele eine gewisse Scheu, in die übersinnliche Welt einzutreten. Sie will sich sogar vor diesem Eintritte dadurch retten, dass sie sich "Beweise" sucht für die Unmöglichkeit eines solchen Eintritts." [...]

5. Angeblich fehlende systematische Darstellung der Waldorf-Pädagogik durch Steiner

Zander behauptet auf S. 1359, dass "Steiner selbst nie eine systematische Darstellung seiner Pädagogik vorgelegt" habe. … "meines Erachtens bildet jedoch das theosophische Denken den archimedischen Punkt, von dem aus Ort und Stellenwert aller anderen Elemente bestimmt werden können."  

Bemerkung dazu: Natürlich besteht immer gemäß heutigem Denken das Bedürfnis, ein Übersicht schaffendes System zuerst zu betrachten, bevor man sich auf den Kern einer Sache einlässt. Systeme haben wir zwar in allen Lehrplänen, ohne die nichts auszurichten und vereinbaren wäre. Aber man muss doch erkennen, auch als Historiker, dass der eigentliche Kern eben das Ideal der Orientierung zumindest der Waldorf-Pädagogik ist, auf das Individuum zuzugehen. Dessen Anlagen zu finden und zu fördern und nichts zu verschütten, was es mitbringt, darauf kommt es dabei an. [...]

Wer wirklich will und die Waldorfpädagogik in 3 – 4 Jahren ernsthaft studiert, wird sich das darin enthaltene System schon herausdestillieren können. Steiner hat alles Notwendige und mehr dazu gesagt. Man darf eben nicht, weil man selbst etwas Bestimmtes nicht sieht oder findet, einfach sagen: Dieses Bestimmte gibt es nicht.

Im Übrigen ist der Hinweis auf die Abhängigkeit der Waldorf-Pädagogik von der alten oder übrig gebliebenen Theosophie wahrscheinlich hier das eigentliche Anliegen des Herrn Zander.

6. Beurteilung Steiners der Montessori-Pädagogik

Zander meint auf S. 1389 – immer in dem Glauben, dass Steiner sich aus all den damaligen Reformbewegungen das für ihn richtige herausgefischt und verwertet habe (Steiner der Plagiator) und aber über diese Quellen nicht gesprochen habe –, er habe die "großen Namen der Reformpädagogik" (etwa Kerschensteiner, Montessori, Otto und Petersen) nicht genannt.

Aber Steiner hat z.B. am 3.1.1922 in einer Fragestunde auf die Frage: "Wie stellt sich die Anthroposophie zu der Erziehung von Montessori; was für Folgen hat sie in der Zukunft?" Folgendes (und eher Grundsätzliches) gesagt:

"Es ist mir nicht sehr sympathisch, über gewisse zeitgenössische Strömungen, die ja immer das Eigentümliche haben, dass sie mit einem gewissen Fanatismus betrieben werden, zu antworten…" und es sei nicht nötig. Weiterhin sagte Steiner:

"Ich betrachte es nur als meine Aufgabe, dasjenige, was auf Grundlage der anthroposophischen Forschung gewonnen werden kann, zu vertreten vor der Welt, und ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, andere Dinge von diesem Gesichtspunkt zu beleuchten.
Ich möchte nur sagen, dass allerdings alle diejenigen Bestrebungen, welche auf gewisse Verkünstellungen hinausgehen, - denn auch dasjenige, was eigentlich nicht im normalen Menschenleben liegt, wo man namentlich schon an das ganz junge Kind etwas heranbringt, was nicht in der Selbstverständlichkeit des Lebens liegt, sondern wo man ein künstliches System findet -, dass all das eigentlich nicht in der gesunden Entwicklung des Kindes liegen kann.
Es wird ja nach dieser Richtung hin heute sehr vieles erfunden, und alle diese Methoden laufen eben doch darauf hinaus, dass sie auf einer nicht gründlichen wirklichen Menschenkenntnis beruhen. Natürlich kann man vieles richtig finden in solchen Methoden. Aber es ist überall notwendig, dass man dann auch dieses Richtige auf das reduziert, was sich vor einer richtigen Menschenerkenntnis ergibt." [...]

7. Kritik an der Behauptung Zanders, die Waldorfpädagogik sei eine theosophische Reformpädagogik:

Zander stellt (auf Seite 1395) mit scheinbar großer Bestimmtheit fest:

"Die Waldorfpädagogik ist eine theosophische Reformpädagogik."

Antwort dazu: Zander hatte vorher (S. 1389) betont, Steiner würde sich zu wenig um die anderen Reformbemühungen gekümmert haben und bei Gründung der ersten freien Schule auf die Initiative des Herrn Molt in Stuttgart habe Steiner - gewissermaßen ohne links und rechts zu schauen - "Hals über Kopf" die Organisation erdacht und den Lehrplan aufgestellt usw. Er habe damals an keine anderen reformerischen Schulkonzepte gedacht, "auch keine anderen theoretischen Konzepte" ventiliert, "sondern auf das zurückgriffen, was ihm am allernächsten lag, auf seine Erinnerungen an die eigene Schulzeit in Österreich."

Damit wird deutlich gesagt, dass die Waldorfschule nicht theosophischer Art ist, denn das waren die Österreichischen Schulen ja nicht. [...]

Wenn Zander hinzufügt: "Die Staatsschule steckt mithin tief in der Waldorfschule", dann hat Zander erstens den Sinn der freien Schule – im Gegensatz zur staatlichen Schule - noch gar nicht begriffen. [...]

Und wenn Zander zweitens die Theosophie als die eigentliche Quelle der Waldorfpädagogik benennt, bzw. sie sogar für das Wesentliche der Waldorfpädagogik hält, so steht die behauptete Beziehung der Waldorfschule zur Alt-österreichischen Schule (auf welche als Allernächstes zugegriffen worden sein soll) ebenfalls in einem leicht erkennbarem, krassen Widerspruch dazu.

Man hat den Eindruck, Zander wolle auf jeden Fall die eigentliche Denkleistung und Schöpferkraft Steiners minimieren. Dazu sind solche Widersprüche kaum geeignet. [...]

Aber wiederum schildert Zander (auf Seite 1396) selbst, dass nichts Nennenswertes zur Pädagogik aus theosophischer Quelle aufgeführt werden kann: "Es gibt im Moment keine Indizien, das die theosophische Pädagogik vor dem ersten Weltkrieg inhaltlich auf Steiner oder die Projekte in seinem Umfeld gewirkt hätten." Damit ist schließlich die o.g. Behauptung Zanders von ihm selbst vollends widerlegt.

9. Zanders Kritik an der Darstellung Steiners, wie den Jugendlichen Moralempfinden beizubringen ist.

Zander (auf Seiten  1415 ff) versucht, darzulegen, dass bei dem Bemühen, Moralität zu vermitteln, die Methode, nicht an den Verstand zu appellieren, sondern an Gefühl und Wille, ein Unmündigbleiben der Kinder bedeute. So bliebe das Kind ein "Objekt des Belehrens" und dabei zitiert er Prange, der dies als "Manipulation" bezeichnet. Auf Seite 1417 nennt Zander die Steinersche Pädagogik "partiell extrem autoritär" [...]

Zander macht hier von seiner Kunst Gebrauch, immer kurz vor der deutlichen Abwertung einzuhalten, aber dafür den Duft der Brandmarkung zu hinterlassen.

Was aus der Sicht heute üblicher Schulstrategie weitab von Vernunft liegen mag, da man heute immer gleich Verhalten und Bedürfnisse der Erwachsenen in die Jugendlichen hineinpressen will - sie sollen ja z.B. möglichst früh schon ihre eigene Meinung haben usw. -, muss man sich nur fragen: Wie machten es denn an staatlichen Schulen ausgebildete junge Lehrer heute, wenn die Klassen die damalige Größe hätten und eine gewisse Disziplin doch aufrecht zu erhalten ist, zumindest keine Amokläufe geschehen sollten?

Wenn Zander auf Seite 1416 Steiner zitiert: In schwierigen Situationen müssten "die Kinder auf Befehl wieder schweigen", und: "Und wohin kämen wir denn, wenn die Schüler nicht die Ansicht der Lehrer hätten?", so tut er dies offensichtlich, im Glauben, am Ende resümierend formulieren zu dürfen, Steiners Pädagogik sei "geradezu eine Pädagogik vom Lehrer aus." Gleichzeitig aber berichtet Zander über die zahlreichen Hinweise auf das Wesen des Mikrokosmos hinter dem der Makrokosmos stünde und schildert (auf S. 1416) die Auffassung Steiners vom "priesterlichen Pädagogen", (da dieser die Arbeit der Hierarchien im Vorgeburtlichen hier fortzusetzen habe) und zitiert den Steinerschen Satz: "Individuelle Eigenheiten des Lehrers sollen ausgelöscht werden."

Man muss eben diese beiden weit auseinander liegenden Sätze zusammen nehmen, um zu begreifen, um was es hier eigentlich geht: Das Lehrerideal ist die Personifizierung des selbstlosen Mittlers höherer Kräfte im Dienste des Individuums der heranwachsenden Schüler. Die dadurch entstehende natürliche Autorität des Lehrenden und Erziehenden ist ein Hauptmedium der Pädagogik, namentlich zwischen Zahnwechsel und Pubertät. [...]

10. Zanders Bekenntnis von seinem begrenzten Verständnis der Anthroposophie gegenüber

Zander schreibt im Nachwort (S. 1718): "Wäre er (Robin Schmidt) mir mit seinem profunden historischen Wissen und seiner undogmatischen Offenheit doch früher begegnet! Meine Deutung der Anthroposophie wäre dann in mancher Hinsicht verständnisvoller ausgefallen." 

Gedanken dazu:

Das ist ein schwerwiegendes Bekenntnis. Hier wäre es interessant gewesen, zu erfahren, nach wie viel Jahren seines Beginns, das Buch "Anthroposophie in Deutschland" zu schreiben, die Begegnungen mit Herrn Schmidt stattgefunden haben. Hätte es sich gelohnt, um des Verständnisses und der Wahrheit willen, mit dem Abschluss des Buchs - zu warten, weitere Gespräche zu erbitten und eine Revision des anfänglich Geschriebenen zu unternehmen? Durfte Herr Zander auch mit vermindertem Verständnis – darum wissend – überhaupt weiter schreiben? Es ist doch einleuchtend, zu verlangen, dass jemand, der die Historie einer Geistesbewegung schildern möchte, deren Zielsetzungen und mühsamen Wege dazu erst gründlich kennen lernen muss, ehe er Äußerliches darüber schreibt, ohne auf den Kern blicken zu können. [...]

Steiner brauchte gelegentlich für die Kennzeichnung seiner Kritiker ein Gleichnis. Er skizzierte deren Vorgehen mit einem Vergleich: Als ob sie ein Gemälde, etwa Raffaels, - anstatt nach dessen Geistgehalt - danach beurteilen würden, welche Farbmischung der Meister verwendet habe, wie die Pinsel beschaffen gewesen seien und wie teuer das Bild damals gewesen sei. So läuft Zander am Kern der Anthroposophie als Weg und Ziel ständig, wenn auch häufig nur haarscharf, vorbei.

13. Kritik an der "Versteinerung" der Waldorfpädagogik gegenüber der Staatsschule.

Zander meint auf S. 1390: "Waldorflehrer waren weder an der kritischen Aufarbeitung der Reformpolitik noch der eigenen Tradition bislang in großem Maße beteiligt. Kaum sonst hat sich ein Schulkonzept aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so wenig verändert, und das heißt auch: unreformiert, und in einem so versteinerten Affront gegenüber dem staatlichen Schulsystem erhalten." [...]

Es dürfte eher an der Zukunftsbezogenheit des Konzepts liegen, dass es erstens so lange hielt, zweitens sogar zu so unerwarteten Zuwächsen der Schulzahl im In- und Ausland führte und drittens vielfach im Staatsschulwesen (Finnland) Erziehungselemente - in großen Teilen - mit Erfolg übernommen werden konnten. Wenn vor allem der jugendliche Mensch, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten den Maßstab für programmatische Entscheidungen geben soll, so konnte das Grundkonzept, nachdem es als erfolgreich erkannt worden war, nicht noch dauernd verändert werden, wie Zander unausgesprochen zu erwarten scheint.

Was die Beteiligung der Waldorfschulen an der allgemeinen Reformpolitik angeht, muss man leider umgekehrt bedauern, dass politische Kräfte an den Waldorfschulen häufig vorbeigehen und dass Letztere beispielsweise gar nicht eingeladen wurden, sich bei der ersten PISA-Studie zu beteiligen. 

Eine Schulbewegung, die im Übrigen von der z.T. üppig aufgeblähten staatlichen Schulverwaltung weitgehend unabhängig ist, muss sich nicht auffallend oder gar laut mit den gängigen Schulformen und Schulinhalten der Staatsschule befassen, wie Herr Zander zu fordern scheint. Vorrangig hat diese Reformbewegung vielmehr sich selbst zu beobachten und zu bewerten. [...]

Dass die Waldorfbewegung nicht jede rasch geborene Mode mitmacht und daher strenger ihre eigene Linie fährt, anstatt ständig hin- und her taumelnden staatlichen Zielschwankungen hinterher zu laufen, macht ihre Erfahrungen erst vermittlungsfähig und sie selbst standhaft. Von "Versteinerung" aber – auch wenn dies wegen des so liebenswürdigen Wortspiels so genannt worden sein könnte – kann gar nicht die Rede sein.

16. Zanders wiederholte Behauptung, Anthroposophie stamme aus der Quelle der Theosophie oder aus der Akasha-Chronik.

Es finden sich bei Zander überall zwei mehr oder weniger verhüllte Aussagen, die über sein Werk – vielleicht zählt sie ja jemand einmal - ausgebreitet sind:

A) Er meint, dass alle "sog. Erkenntnisse" Steiners (das wäre in Zander Jargon so formuliert,) in Wirklichkeit schon in der Theosophie enthalten wären, die er nur studiert und dann aus Gründen der Macht und des eigenen Einflusses als "Anthroposophie" verkauft habe.

B) Es fänden sich ebenso viele Aussagen, dass diese Steinerschen Erkenntnisse - angeblich – aus der geheimen Schrift, der Akasha-Chronik stammten, In Interviews hat Zander seine Auffassung dazu deutlich werden lassen.

Gedanken dazu:

Zu A): - Zunächst war es nicht Aufgabe Steiners, allem zu widersprechen, was nicht seiner Erkenntnis entsprach. Deshalb mag manches zwischen Theosophie und Anthroposophie sich Widersprechendes unauffällig geblieben sein. Steiner hat in Kernpunkten einigen in der Theosophie verbreiteten Aussagen widersprochen und darin Grund genug gesehen, sich von der Theosophischen Gesellschaft zu lösen.

Man braucht nur den "Lebensgang" Rudolf Steiners, und zwar das Kapitel  XXX (Seite 393 ff) zu lesen. Da berichtet Steiner, wie er in diese Gesellschaft eingeladen wurde, in ihr zu wirken, obwohl er schon vorher mit seiner "Anschauung in vollem Gegensatz zur damaligen Dogmatik" stand. Steiner berichtet: "Niemand blieb im Unklaren darüber, dass ich in der Theosophischen Gesellschaft nur die Ergebnisse meines eigenen forschenden Schauens vorbringen werde. Denn ich sprach es bei jeder in Betracht kommenden Gelegenheit aus." – Und weiter: "...ich hatte nur die Ergebnisse meiner Geistesschau gegeben, und in der Theosophischen Gesellschaft wurden diese angenommen. … ich verschrieb mich keiner Sektendogmatik." [...]

Gerade im Zusammenhang mit Zanders Aussagen in Interviews wird seine Haltung besonders deutlich: Er möchte Steiner von der Anthroposophie trennen und ihn nachträglich zum theosophischen Dogmatiker machen. Das, so meint er vermutlich, könne ihm gelingen, wenn er indirekt immer wieder (d.h. fast auf jeder Seite) behauptet, Steiner sei abhängig von der Theosophie gewesen. Da Steiner vor aller Welt und im Vorwege das Gegenteil zu schildern hatte, nämlich wie es wirklich war – und Steiner hat es ja selbst erlebt -, so hat Zander Unrecht, nicht Steiner. Warum nicht Steiner?

Wenn er die Unwahrheit hätte formulieren mögen, wäre er ein Lügner gewesen. Dann aber wäre Steiner niemals ein Eingeweihter geworden. – Dies ist zwar z.B. für Anthroposophen klar und einleuchtend, nicht aber für Menschen, die das Prinzip der Einweihung weder kennen lernen möchten, noch von vornherein anerkennen können. Zander bezweifelt vielleicht überhaupt die Tatsache, dass es Eingeweihte zu allen Zeiten gegeben hat und geben wird. [...]

Steiner wusste durchaus, wie die Wirkung der Lügen einzuschätzen ist. Man studiere den Vortrag Steiners vom 17. 12. 1912, Seite 214. Dort heißt es: "Wer in Liebe aufgeht innerhalb der Tatsachen, der kennt keine Lüge. Die Lüge entstammt dem Egoismus, ausnahmslos." Wer auch immer von Steiners nahen Zeitzeugen je über ihn geschrieben hat, Unwahrhaftigkeit als Charakterelement wird man bei Steiner weder entdecken noch ernsthaft bezeugen können. Zander muss sich selber fragen, ob er "in Liebe aufgeht innerhalb der Tatsachen". Und zu den Tatsachen gehört nun auch das gesamte Werk – und der Charakter - Steiners. Die Dinge auch auf diesem Feld richtig zu beschreiben, stünde einem Wissenschafter gut an. Die Chance wurde hier versäumt.

Zu B) – Zur Akasha-Chronik: Zander glaubt nicht an solche Möglichkeiten der übersinnlichen Erkenntnis. Meint er, wenn er es nicht glauben kann, könne es ja solche Möglichkeit gar nicht geben? Denkt er, er sei im Sinne seiner Wissenschaft dazu verpflichtet, solche Mitteilungen deshalb a priori abzulehnen? Er tut es in geschliffenen Zweifeln; dabei ist solche bewusste, willentliche und abwägungslose Haltung nicht ohne wissenschaftliche Anmaßung denkbar.

17. Zanders Behauptung, Anni Besant sei die "hoch verehrte Lehrerin Steiners" innerhalb der theosophischen Gesellschaft gewesen.

Auf den Seiten 163ff – namentlich in einer langen Fußnote - stellt Zander dar, wie er die Zusammenarbeit zwischen der theosophischen Gesellschaft und Steiner sieht. Dabei schildert er vorwiegend Konflikte, "eigene Interessen", "Machtbalancen", "Entmachtung" usw.. Die eigentliche Arbeit, welche natürlich immer die Hauptrolle gespielt haben wird, und ihre esoterischen Inhalte werden von Zander ja nur im Umriss erwähnt. Auf Seite 164, wo von den Gründen der Trennung der beiden Gesellschaften zu sprechen ist, formuliert er so:

"Bei Steiner dürfte eine weitere Konfliktlinie eine wichtige Rolle gespielt haben: Die Bewältigung von der Trennung von der einst hoch verehrten Lehrerin und wohl auch die Einschränkung seiner männlichen Rolle durch eine dominante Frau, aber die Aspekte liegen außerhalb der Organisations- und Weltanschauungsgeschichte, auf die sich dieses Kapitel konzentriert."


Gedanken dazu: Hier soll dargestellt werden, wie Steiner ein keineswegs herausragender Mensch war, der sich erst führen, dann täuschen ließ. In "Mein Lebensgang" zeigt Steiner von Seite 393 an, wie er sich vorsichtig der Gesellschaft nähert, während er von vornherein seine Anschauungen von sich aus vorträgt, wie er nur selbst Erforschtes weiter gibt und niemanden darüber im Unklaren lässt (S. 394). Oft habe er vom ersten Tage an z.B. das Wort "Anthroposophie" als erklärenden Zusatz benutzt. Steiner schrieb (Seite 395): "ich blieb ein Mensch, der aussprach, was er glaubte aussprechen zu können, ganz nach dem, was er selbst als Geistwelt erlebte." 

Steiners Einweihungsjahre sind zwischen 1897 und 1900 gewesen. Er bedurfte danach keines esoterischen Lehrers mehr. Der Abschluss des 26. Kapitels seines Buchs "Mein Lebensgang" spricht deutlich davon, warum es dabei ging. [...]

Die Erwähnung der "Einschränkung seiner männlichen Rolle durch eine dominante Frau" wirkt in diesem Zusammenhang lächerlich. Sie wird ja auch von Zander selbst rasch in ihre Schranken verwiesen. Dennoch muss er es erst so formulieren. Es soll etwas in dieser abwertenden Richtung beim Leser hängen bleiben. Zander hätte eher und besser formulieren können: "Steiner räumte ihr bis zuletzt die Chance ein, einzulenken, ihre Dogmatik aufzulösen und zu kooperieren. – Aber dies war vergeblich."

20. Angebliche Probleme Steiners, seine Verhältnisse zu anderen Persönlichkeiten mit Bedacht bestimmen zu können.

Wie macht man es, um zu erreichen, dass die Darstellung der Steinerschen (lebenslangen) Abhängigkeit von der Theosophie überzeugend wirkt? Indem man u. a. einen angeblich wankenden Charakter Steiners anhand von Beispielen herauszustellen sich anschickt.

Ohne, dass die Zanderschen Hinweise auf Idealismus, Atheismus und Bezüge zur Arbeiterbewegung sowohl bei Blavatzky als auch bei Steiner hier wiederholt werden müssen, mag folgendes aus der Seite 103 zitiert werden: "Dass beide (Blavatzky und Steiner) recht eigensinnige Personen waren, und große Probleme hatten, Distanz und Nähe in ihrem Verhältnis mit Bedacht zu bestimmen, sollte sich im Laufe der Zusammenarbeit zeigen."  [...]

Zander kann sich nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, welche die Gedanken anderer Menschen buchstäblich wahrnehmen (wahr-nehmen!) und diese Menschen dennoch frei lassen und nicht gleich die härtesten Konsequenzen bezüglich der Beziehung zu diesen Menschen ziehen, sondern geduldig abwarten. Selbstverständlich musste Steiner auch die neue theosophische Literatur studieren; deshalb entstand bei ihm aber keine Abhängigkeit von ihr. [...] Veränderungen der persönlichen Beziehungen sind damals primär durch unterschiedliche, essentielle Erkenntnismöglichkeiten entstanden, welche auf Diskussionsebene nicht zu heilen waren. Wer dies anders einschätzt, bzw. Steiners Darstellung nicht akzeptiert, ihr nicht traut, kann schließlich die spätere Abwendung Steiners von der Theosophischen Gesellschaft als problematische Handhabung der "Verhältnisse zu anderen Persönlichkeiten" einfach abtun. Jedoch ist dies angesichts des Gewichts der damaligen, divergierenden Erkenntnisinhalte reichlich abwegig bzw. allzu vordergründig.  

21. Abhängigkeit Steiners von der Theosophie

Zander möchte generell in seinem Werk durchweg und mit zahlreichen kleinen Nuancen seiner häufig listig anmutenden Wortwahl und Wortstellungen die lebenslange Abhängigkeit Steiners von der Theosophie konstruieren. So berichtet er: Um 1900 – also just nach Steiners Einweihung – habe dieser seine "Konversion in die Theosophie" (!) vollzogen. Und: "Von diesem Zeitpunkt an war Steiners Leben untrennbar mit der Geschichte der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft Adyar verbunden."

Gedanken dazu:

Man muss das genau lesen. Richtig ist: Wenn man die Geschichte der Theosophischen Gesellschaft zu schreiben hat, kommt man um die Erwähnung der Wirkung Steiners in deren Rahmen während einer Zeit von 12 Jahren nicht herum. - Das übrige Leben Steiners ist eben durchaus nicht an die Geschichte dieser Gesellschaft gebunden, denn seine Anthroposophie wuchs bereits im Momente seines Beitritts in die Theosophische Gesellschaft über diese hinaus. Das bewirkte, dass alte Theosophen seine Vorträge als "wahre Theosophie" anerkannten. Dies vor allem machte seine wahrnehmbare Führungskraft aus, die darin bestätigt wurde, dass er als "Außenseiter" oder "Newcomer" sofort zum Generalsekretär gewählt wurde. Er hatte die Kraft der Erneuerung, was dann später nicht aus irgendeinem "Machtgehabe", sondern - umgekehrt - aus Gründen der Beharrung der Theosophischen Gesellschaft auf Dogmen zu deren Auflösung und zur Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft führen musste. [...]

22. Zander: Steiner soll zeitweise Atheist gewesen sein.

a) Auf Seite 123 bemerkt Zander in der biographischen Skizze Steiners lakonisch: "Zwischen 1889 und 1900 rechnete er (Steiner) mit seinen früheren Idealen gnadenlos ab und war Atheist." Schon 1895 habe er die Theosophen verrissen: "Nichts als Redensarten, …. die inneren Erlebnisse sind nichts als Heuchelei."

b) Was Zander in der Fußnote 11 auf Seite 785 berichtet, kommt hingegen dem wirklichem Tatbestand gewiss viel näher: "In der Beschäftigung mit Goethe entwickelte er (Steiner) in den 1880er Jahren zwar eine idealistische Religiosität, aber für eine Beschäftigung mit christologischen Fragen gibt es keine Indizien."  [...]

Zu a) [...] Steiners Kritik richtete sich allein gegen die spezielle Tatsache, dass man sich mit göttlichen Wesen befasste, ohne eine tiefer gehende Ahnung davon zu haben. Im Übrigen ist der Ausdruck "verrissen" hier unbelegt und wahrscheinlich überzogen. Steiner hat sich generell präzise ausgedrückt  und bedurfte gewiss keines pubertären Stils im Ausdruck.

Zu b) Steiner hat mit seinen Äußerungen, die als Beleg gelten, gerungen bzw. gewartet, ehe er sich verbindlich und gründlich genug äußern konnte. So hat er seine früh vorhandene hellseherische Begabung fortentwickelt und zunächst das Vaterprinzip (Gottvater) erkannt. Das liegt nahe, da er naturwissenschaftliche Studien Goethes anhand dessen Arbeiten jahrelang nachvollzieht und dies nicht nur mit dem kalten Intellekt, sondern mit dem Herzen dabei besorgte. [...] Wer diese damalige Steinersche Entwicklungsstufe erreicht hat, darf auch im strengen Sinne bereits als "religiös" bezeichnet werden. Er ist dann schon nicht mehr nur Atheist.

Eine weitere Erkenntnisstufe aber ist diejenige, welche den Christus erreicht. Steiner war ein Mensch, der nur über das zu sprechen und zu schreiben pflegte, was er wirklich erkannt hatte und nicht nur glaubte. (Vielleicht hätte Steiner sich in seinem sehr hohem Erkenntnisanspruch solange als "Atheist" bezeichnen mögen, bis er auch Christus wirklich erkannt hatte?) Jedenfalls konnte er sich ab 1900, nach seiner Einweihung, auch über das Christuswesen - und nicht nur über den Jesus - äußern. [...]

23. Behauptung Zanders, Anthroposophie sei Religion

In dem bekannten Streitgespräch am 05.12.2007 in der Waldorfschule Berlin-Kreuzberg hatte Zander formuliert, Anthroposophie sei eine Religion. [...]

Rudolf Steiner sagte am 29. November 1921 in Oslo in einem Vortrag vor Theologen (GA 79, im Taschenbuch Seite 202) in der Einleitung folgendes:

"Ich möchte vorausschicken, dass ich mich aber innerhalb der theologischen Bewegung eigentlich doppelt als Gast fühle, denn ich habe immer betonen müssen innerhalb der anthroposophischen Bewegung, dass Anthroposophie durchaus nicht irgendeine neue Religionsgründung oder gar eine Sektenbildung sein will, sondern dass sie eigentlich herauswachsen will in der Gegenwart aus der wissenschaftlichen Bewegung im Allgemeinen. Sie will für die übersinnlichen Tatsachen des menschlichen oder des Weltlebens die entsprechenden Forschungsmethoden finden."


Wer den Vortrag zu Ende liest, wird erkennen, was die Aufgabe im Einzelnen sein soll und dass nichts an Frömmigkeit verloren geht, sondern dass durch die geisteswissenschaftlichen Mitteilungen die Religiosität – bei wem auch immer - sogar vertieft werden kann. [...] Wer das nicht akzeptieren will, kann auch nicht behaupten, Steiner studiert zu haben. Wer 15 Jahre sich mit dem Thema Anthroposophie beschäftigt haben will, muss an ganz wesentlichen Fakten vorbeigegangen sein, solange er behauptet, Anthroposophie sei (selbst) eine Religion.

25. Verhältnis der großen Fleißarbeit zu der Tiefe der Erkenntnis der Anthroposophie bei Zander

[...] Es sind relativ wenige Menschen, welche die Fähigkeit besitzen, rein Geistiges wahrzunehmen. Die Allermeisten haben sie nicht. Aber rechtfertigt es, die Möglichkeit zu verneinen, dass es je erkannt werden kann? Kann man dergleichen für Humbug halten, weil man selbst die dafür erforderlichen Fähigkeiten noch nicht erwerben konnte? Es liegt darin immer eine gewisse Anmaßung, wenn man eine bestimmte Fähigkeit nicht für möglich hält, nur weil man diese Fähigkeit selbst nicht besitzt. Leider ist dies auch für viele Gegner der Anthroposophie nicht untypisch.

Heutige Naturwissenschafter und andere moderne Wissenschafter "glauben", es dürfe – und das ist paradox - keinen Glauben in der Wissenschaft geben; alles müsse beweisbar sein. Dabei wird vergessen, dass manches gar nicht beweisbar, sondern nur erfahrbar ist. Wie es in der Geisteswissenschaft Nur-Erfahrbares gibt, so gibt es auch in der Naturwissenschaft nur-erfahrbare Dinge. [...]

26. Von Rudolf Steiner vorgesehener Buchtitel des Fragment gebliebenen und ab 1951 veröffentlichten Buchs "Anthroposophie"

A) - Der Autor Zander schreibt auf Seite 674, als er von dem Entstehen des Buchs "Anthroposophie" (Ga 45) spricht: "…im November 1910 lag es "halbgedruckt" vor (GA 262,238). Aber das Buch blieb ein Torso, dessen Fragmente erst 1951 unter dem Titel "Anthroposophie" publiziert wurden. wobei nicht klar ist, dass das Werk diesen Titel tragen sollte." [...]

Zu A: - Doch, es darf gesagt werden, das Steiner in der Tat diesen Titel "Anthroposophie" für das Fragment gebliebene Buch vorgesehen hatte. In einem Brief an Eduard Schure schrieb Steiner Anfang März 1911: "So ist es z.B. gekommen, dass meine "Anthroposophie" seit November halb gedruckt vorliegt und nicht einmal seit jener Zeit berührt werden konnte, weil es unmöglich war, die Wahrheiten, die spirituell vor mir stehen, den Weg durch die Feder aufs Papier nehmen zu lassen...." [...] Und die Seite 220 dieses hier genannten Buchs (GA 45) gibt die Zusammenstellung der Gründe, warum der Titel "Anthroposophie" von Anfang an geplant war, z.B. dadurch, dass auf Ausführungen in einem Vortrag vom 23. Oktober 1909 hingewiesen wird, bei dem Steiner das literarische Werk "Anthroposophie" ankündigte. [...]

27. Helmut Zander nimmt an, Rudolf Steiner sei ein machtorientierter und autoritärer Mensch gewesen

Hier irrt Zander gehörig. Hätte er in jeder Hinsicht gründliche Arbeit geleistet, würde er das so niemals formuliert haben können; er hätte dann bewusst fälschen müssen. [...]

Ohne einen ausgewogenen Auszug der Meinungen der vielen Zeitgenossen, mit denen Steiner zusammengekommen ist, wird man dabei kaum zu einem angemessenen Urteil kommen. Zander jedenfalls ist ein solches Urteil nicht gelungen. [...] Z.B. hätte Zander – anstatt sich mehrfach in den läppischen Niederungen menschlichen Begehrens im Umkreis von Dr. Steiner fast sensationslüstern aufzuhalten - den Schilderungen der Persönlichkeit Steiners durch Menschen, die ihm begegnet sind, mehr Raum geben können. Es würde sich ihm daraus das klare Bild eines über jedes Machtstreben und Autoritätsgebaren weit hinaus gewachsenen Menschen ergeben haben.

So z.B. berichtet Günter Wachsmuth:

"...jedes ehrliche Streben, selbst wenn es seinen (Steiners) Anschauungen noch so diametral entgegengesetzt war, konnte man ihn (Steiner) so unantastbar objektiv darstellen hören, dass man miterlebte, wie er diesen Andersartigen jede nur erdenkliche Möglichkeit gab, sich selbst auszusprechen, so dass ihm dies dann manchmal von unaufmerksamen Zuhörern sogar als sein eigenes Urteil missdeutet wurde. Ob er über Haeckel oder Laotse, Nietzsche oder Gregor IX. oder sonst wen sprach, immer stand mit einem unabdingbaren Gerechtigkeitssinn, zunächst die betreffende Individualität und ihre eigene Sphäre in ihrer Wesenheit vor den Zuhörern, bevor er ihren Wert und Sinn im Auf und Ab der Weltgeschichte aufzeigte. Ja, er ließ später manche seiner erbittertsten Gegner in ausführlichen Zitaten sich erst selbst darstellen, zum Staunen mancher Hörer, bevor er Unwahres sachlich zurechtrückte oder dann auch allzu menschliche Eigenheiten, oft verstehend und verzeihend, ihren Namen gab." [...]
["Rudolf Steiners Erdenleben und Wirken" auf Seite 15]


Goethe soll gesagt haben: "Wahrheitsliebe zeigt sich darin, dass man überall das Gute zu finden und zu schätzen weiß".
[...] Der Umkehrschluss des Goetheworts legt das Urteil nahe, dass Zander die Anthroposophie oder Steiner – im Grunde beide, da sie nicht voneinander zu trennen sind - alles andere als lieb gewinnen kann. Dies trägt dazu bei, dass man angesichts des bei ihm beträchtlichen Übelwollens gegenüber dem Objekt den Geschmack des Unwissenschaftlichen nicht mehr loswird.