13.06.2012

Grundeinkommen oder Brot und Spiele?

Eine Antwort auf Gerold Aregger: <link fileadmin user_upload pdf aregger_brot_und_spiele.pdf _blank download>Brot und Spiele oder Das Pferd am Schwanz aufzäumen. Gegenwart 1/2012, S. 28-31. | <link fileadmin user_upload pdf aregger_120816.pdf _blank download>Areggers Antwort auf meinen Aufsatz.


Inhalt
Rudolf Steiner, die Arbeit und das Einkommen
Die Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen
Areggers Argumentation...
...und ihre Fragwürdigkeiten
„Für Desserts ist in der Freizeit genügend Raum“
Es arbeiten nur noch die, die wollen
Lohnsklaverei und Altruismus

Rudolf Steiner, die Arbeit und das Einkommen

Mit seinem Beitrag „Brot und Spiele...“ gehört Gerold Aregger zu den Kritikern des Grundeinkommens. Unter den Anthroposophen gibt es verschiedene Kritiker, deren Argumentation darauf hinausläuft, dass das Grundeinkommen nicht das sei, was Rudolf Steiner mit seinen Worten von der notwendigen Trennung zwischen Arbeit und Einkommen gemeint habe:

„Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist um so größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden.“ [...] [I]n der Wirklichkeit lebt das Gesetz nur so, wie es leben soll, wenn es einer Gesamtheit von Menschen gelingt, solche Einrichtungen zu schaffen, daß niemals jemand die Früchte seiner eigenen Arbeit für sich selber in Anspruch nehmen kann, sondern doch diese möglichst ohne Rest der Gesamtheit zugute kommen. [...] Worauf es also ankommt, das ist, daß für die Mitmenschen arbeiten und ein gewisses Einkommen erzielen zwei voneinander ganz getrennte Dinge seien.
GA 34, Geisteswissenschaft und soziale Frage, S. 213f.


Etwas später heißt es:

Wer für sich arbeitet, muß allmählich dem Egoismus verfallen. Nur wer ganz für die anderen arbeitet, kann nach und nach ein unegoistischer Arbeiter werden.
Dazu ist aber eine Voraussetzung notwendig. Wenn ein Mensch für einen anderen arbeitet, dann muß er in diesem anderen den Grund zu seiner Arbeit finden; und wenn jemand für die Gesamtheit arbeiten soll, dann muß er den Wert, die Wesenheit und Bedeutung dieser Gesamtheit empfinden und fühlen. [...] Sie muß so sein, daß ein jeder sich sagt: sie ist richtig, und ich will, daß sie so ist.
Ebd., S. 214f.


Und dann sogar:

Bei Menschen ohne eine auf den Geist sich richtende Weltauffassung müssen nämlich notwendig gerade diejenigen Einrichtungen, welche den materiellen Wohlstand befördern, auch eine Steigerung des Egoismus bewirken, und damit nach und nach Not, Elend und Armut erzeugen. [...]
Ebd., S. 217.

Die Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen

Harald Weil hat sich bereits 2009 kritisch zum bedingungslosen Grundeinkommen geäußert.

Er schreibt [o]:

Mit der Einführung einer generellen monatlichen Überweisung zum Lebensunterhalt ist man dieser Motivation [für den anderen zu arbeiten, H.N.] keinen Schritt näher gekommen. Schon gar nicht, wenn weiter im üblichen Lohnschema hinzu verdient wird. [...]
Es muss ja nicht gleich die Autonomie des Geisteslebens vollständig verwirklicht werden, aber schon eine Auseinandersetzung über den Wert der Arbeitserzeugnisse in ihrem Austausch, was einen Angriff auf das Lohnarbeitsprinzip voraussetzen würde, hätte den Effekt, den Anderen wahrzunehmen, in eine konstruktive Auseinandersetzung zu kommen über Preis, Wert und Einkommen.
Aber keine der hinter diesen Realitäten stehenden Machtfragen wird wirklich gestellt. Damit wird auch einem Aufwachen im Sozialen entgegengearbeitet. Ein wirklicher Wechsel der Paradigmen findet nicht statt. [...]
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise sind etwa radikale Arbeitszeitverkürzung, auch gekoppelt an neue Eigentumsformen [...], nötig und massiv in die Diskussion zu bringen.


All dem kann man vorbehaltlos zustimmen. Und dennoch will ich – in Auseinandersetzung an den Aufsatz von Gerold Aregger – noch andere Gedanken danebenstellen.

Steiners Worte von der Trennung von Arbeit und Einkommen und den notwendigen Einrichtungen, dies zu verwirklichen, bleiben geheimnisvoll. Denn ist diese Trennung wirklich erreicht, wenn nur noch die produzierte Ware und nicht mehr die Arbeitskraft als solche gegenseitig bewertet wird? Wie soll die Arbeitskraft denn real außer Betracht bleiben können, ihren Charakter der tendenziellen Sklaverei verlieren?

Weil selbst zitiert die Antwort Steiners:

Mag man auch noch so gute Worte sprechen über den sogenannten Arbeitsvertrag - solange er ein Lohnvertrag ist, wird daraus immer nur die Unbefriedigtheit des Arbeiters hervorgehen können. Erst dann, wenn nicht mehr über Arbeitskraft Verträge abgeschlossen werden können, sondern lediglich über die gemeinsame Produktion des Arbeitsleiters und des Handarbeiters, wenn lediglich über das gemeinsame Erzeugnis ein Vertrag abgeschlossen werden kann, wird daraus ein menschenwürdiges Dasein für alle Teile hervorgehen. Dann wird der Arbeiter dem Arbeitsleiter gegenüberstehen als der freie Gesellschafter.
26.5.1919, GA 333, S. 22.


Es geht also nicht etwa um noch so radikale Arbeitszeitverkürzung, sondern wirklich um neue Eigentumsformen, um eine Abschaffung von Lohnverträgen! Glaubt Weil wirklich, dass dies heute realistisch wäre? Es ist möglich – aber nur durch den Weg über das Grundeinkommen.

Areggers Argumentation...

Aregger kritisiert, mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde man nur arbeiten, wenn man noch mehr dazuverdienen wolle, nicht aber um der notwendigen Arbeit und des anderen Menschen willen. Eine Vorab-Zahlung des Lohnes würde dagegen, so Aregger, die gewohnte Vorstellung „Geld gegen Arbeit“ durchbrechen – sofern man bewusst damit umgeht.

Das bedingungslose Grundeinkommen ziele auf Freiheit und Gleichheit im Wirtschaftsleben (wo diese Ideen nicht hingehören), und würde gerade nicht dazu führen, dass die Menschen die Arbeitsverhältnisse so umgestalten, dass wirklich alle Arbeit finden können.

Notwendig sei wirkliche Brüderlichkeit, Arbeit im Dienste aller, und dies bedeute nicht, einem Bettler einen Fisch zu geben, sondern ihn fischen zu lehren.

Für Aregger gaukelt das bedingungslose Grundeinkommen „ein Dessert vor, bevor die Suppe gekocht worden ist“.

Und er sagt:

Jeder kann damit beginnen, eine bessere Suppe zu kochen. Und für das Ausprobieren von Desserts ist in der Freizeit genügend Raum. Es liegt nicht am Geld, am fehlenden Geld. Man kann klein anfangen. Man hat heute tausend Möglichkeiten. Beschränkte, natürlich. Beschränkungen haben ja ihren Sinn und Grund. Unser Schicksal hat sie uns hingestellt.


Kurz darauf schreibt Aregger:

Und es ist ja auch so: ein Grundeinkommen gibt es bereits. In unseren Gesellschaften lässt man niemanden verhungern. ... Gewiss die heutige Sozialhilfe nimmt teils unwürdige Formen an. [...] Aber dass diese nicht bedingungslos gegeben wird, hat auch gute Gründe.


Stattdessen müsse man sich für ein echtes Kindergeld, einen Bildungsgutschein, bezahlte Auszeiten usw. einsetzen.

...und ihre Fragwürdigkeiten

Ich frage mich, wie Aregger zu der Vorstellung kommt, mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde man nur noch arbeiten, wenn man für sich etwas dazuverdienen wollte. Damit legt er ein bestimmtes Menschenbild an und behauptet, der menschliche Egoismus sei von vornherein und dauerhaft stärker als der soziale Impuls des Menschen.

Nun, insofern es das gewöhnliche Alltagsbewusstsein angeht, so weist zunächst auch Steiner auf diese Situation hin – wie auch auf ein weiteres Anwachsen der antisozialen Impulse. Wenn dies aber so ist und wir die heutigen realen Verhältnisse einmal wirklich erleben, erschließt sich erst recht nicht, wie Aregger auf der anderen Seite glauben kann, dass die bloße Vorabzahlung des Lohnes plötzlich die Kraft haben sollte, das gesamte Arbeitsleben umzugestalten!

Wir sahen bei Steiner selbst, dass es um die Abschaffung der Lohnarbeit geht – nicht um eine Vorabzahlung des Lohnes. Sicher, Aregger hatte noch den Zusatz „sofern bewusst damit umgegangen wird“, doch was soll dieser Zusatz besagen? Wann würde man „bewusst“ damit umgehen? Und warum sollte man mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nicht mindestens genauso bewusst umgehen können?

Man würde mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nur noch arbeiten, wenn man sich etwas dazuverdienen wolle? Und wie ist es jetzt? Würde man mit einer Lohnvorabzahlung etwa arbeiten, ohne etwas verdienen zu wollen (oder zu müssen)? Und könnte es nicht sein, dass man neben und trotz des bedingungslosen Grundeinkommens arbeiten würde, weil man dies will? Und dass das zusätzliche Einkommen ein schöner und auch wichtiger Nebeneffekt ist, aber nicht der entscheidende?

Könnte es sein, dass viele, viele Menschen erstmals arbeiten würden, weil sie es wirklich wollen? Weil sie von den dringenden Lebensnotwendigkeiten befreit sind und nun erstmals in ihrem Leben nicht arbeiten müssen, sondern arbeiten können? Sich nicht auf den Zwang konzentrieren, sondern erstmals auf das Wollen und die Freude? Dass die Menschen erstmals empfinden, dass ihre Arbeitskraft (als „Humanressource“) nicht mehr in die Arbeit hineinspielt, sondern nur noch ihre Fähigkeit und die fertige Leistung? Könnte es sein, dass zahllose Menschen dies wirklich als eine ungeheure Erlösung empfinden würden? Und trotzdem oder gerade deswegen gerne arbeiten gehen würden?

Könnte es sein, dass gerade durch diese vollkommen erneuerte Situation die Arbeitswelt schon absolut grundlegend und umwälzend neu gestaltet ist? Und dies auch im spirituellen Sinne, weil nun erstmals unabschätzbar viele Menschen ihren innersten Impulsen folgen können – nicht im Sinne von selbstbezogener Selbstverwirklichung, sondern im Sinne karmischer Impulse? Wieviele Menschen würden dann zum Beispiel auf sozialem Felde, für den Naturschutz und in vielen anderen Bereichen arbeiten, in denen heute so vieles bitter notwendig ist!

Warum hat Aregger so wenig Vertrauen in den Menschen? In den Menschen, der heute noch nicht da sein kann, weil die Zwänge des heutigen Arbeitslebens ihn zerstören, ihn völlig außerhalb halten; der aber auf einmal stark da sein kann, wenn die Arbeitsverhältnisse befreit werden, wie es durch das bedingungslose Grundeinkommen möglich ist?

Könnte es sein, dass auf diese Weise das bedingungslose Grundeinkommen gerade der Schlüssel und das Tor (oder auch das Trojanische Pferd) zu einer noch viel weitergehenden Umgestaltung der Arbeitswelt ist? Dass durch die Befreiung der Arbeit vom Arbeitszwang gerade auch die „Lohnfrage“, die Frage der Leistungsverteilung, der Leistungsbewertung, der Arbeitszeit und so weiter radikal anders beantwortet werden wird? Dass dies nur über den Zwischenschritt des bedingungslosen Grundeinkommens möglich sein wird?

„Für Desserts ist in der Freizeit genügend Raum“

Areggers Argumentationen und Formulierungen empfinde ich teilweise als nahezu zynisch.

1. Er sagt, Arbeit im Dienste aller bedeute nicht, einem Bettler einen Fisch zu geben, sondern ihn fischen zu lehren.

Hier sieht er das bedingungslose Grundeinkommen eben nur als „staatliche Alimentation“ (Fisch) und nicht als Grundlage für ein ganz reales inneres Erwachen, eine stärkste Ermöglichung zur Verwirklichung sozialer Impulse. Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Fisch, es ist nicht einmal eine Fischer-Lehre, es ist der Boden (oder der Steg, die Brücke), auf dem jeder Mensch zeigen kann, dass er bereits ein Fischer ist. Wir müssen den Menschen nicht zeigen, was sie sein können – wir müssen es ihnen nur ermöglichen!

2. "Jeder kann damit beginnen, eine bessere Suppe zu kochen. Und für das Ausprobieren von Desserts ist in der Freizeit genügend Raum."

Es ist völlig unpassend, das bedingungslose Grundeinkommen als ein „Dessert“ zu bezeichnen, das im Grunde noch gar nicht erwirtschaftet sei, den Menschen aber nun die absolute Faulheit ermögliche. Darauf läuft Areggers Argumentation doch hinaus. Und er sagt: Wenn das bedingungslose Grundeinkommen den Menschen etwas ermöglicht, dann können sie das jetzt auch schon in der Freizeit tun. Das ist realitätsfremd! Zum einen verweist er die Menschen auf die Freizeit (!), zum anderen spricht er von der Umgestaltung der Arbeitswelt – was denn nun eigentlich?

Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht jedem einzelnen Menschen, seine unendlich wertvolle Lebenszeit für die wertvollsten Impulse einzusetzen, die er in sich trägt – und Aregger spricht von einem „Ausprobieren in der Freizeit“, in der ja dafür noch „genügend Raum“ sei! Ich glaube, er hat keine Ahnung, unter welchen Bedingungen heute Millionen von Menschen arbeiten und welche Möglichkeiten sie nach einem Vollzeitjob noch haben – und es ist ganz egal, ob wir jetzt von Selbstverwirklichung oder sozialen Impulsen sprechen –, wenn sie wieder nach Hause kommen, um sich von den krankmachenden Bedingungen der heutigen Arbeitswelt halbwegs wieder zu erholen ... bis zum nächsten Morgen. Wieviel Freizeit hat man bei (mit Fahrtzeit) zehn harten Arbeitsstunden pro Tag, die einem oft das Letzte an Geist und Seele herausreißen und abtöten? Und dann in der Freizeit seinen höheren Impulsen folgen? Man muss sie erst einmal wiederfinden!

Aregger jedoch spricht von „tausend Möglichkeiten“, „beschränkten“ natürlich, denn Beschränkungen haben ihren Sinn und Grund, unser Schicksal hat sie uns hingestellt. – Ich muss ehrlich sagen, der Schicksalsbegriff von Gerold Aregger erschließt sich mir nicht. Beschränkungen sind da, um sie zu überwinden. Entweder sind es Prüfungen, die uns höhere Wesenheiten senden, oder es sind Folgen früherer Versäumnisse. In beiden Folgen geht es um ihre Überwindung und Umgestaltung. Aregger stellt es geradezu so hin, als müsse man sich mit den Beschränkungen einrichten und sich bescheiden! Die heutige Arbeitswelt ist aber nur deshalb unser Schicksal, weil sie seit über einem Jahrhundert nach einer Umgestaltung ruft, die noch immer nicht ergriffen wurde. Und das bedingungslose Grundeinkommen ist es nun gerade, was den allerstärksten Impuls zu einer wirklichen Umgestaltung geben kann!

Gerade das bedingungslose Grundeinkommen eröffnet „tausend Möglichkeiten“, die heute wahrlich nicht existieren. Der Mensch in der heutigen Arbeitswelt ist tatsächlich ein Sklave – und Aregger verweist ihn auf die Freizeit und auf die sinn- und grundvollen Beschränkungen, die das Schicksal „uns hingestellt hat“!

Das Karma mag uns vielleicht an unsere Stelle gestellt haben. Aber das Karma ist verwirrt worden, und gerade die Arbeitswelt ist es, die mit ihrer ganzen heutigen Struktur die Auswirkung des Karma völlig verhindert! Mögen höhere Kräfte teilweise trotzdem noch immer Wege finden, dem Karma Möglichkeiten zu geben – sie tun es gegen die herrschenden Kräfte. Die Stimme des Karma wird viel deutlicher an die geistigen Ohren dringen und die höheren, wahren Impulses werden unendlich viel kräftiger walten können, wenn der Mensch aus den Zwängen Ahrimans befreit werden kann.

3. "Und es ist ja auch so: ein Grundeinkommen gibt es bereits. In unseren Gesellschaften lässt man niemanden verhungern. ... Gewiss die heutige Sozialhilfe nimmt teils unwürdige Formen an. [...] Aber dass diese nicht bedingungslos gegeben wird, hat auch gute Gründe."

Hier setzt sich seine Argumentation in derselben Weise fort, indem er im Grunde die Sozialhilfe verteidigt, kurz die „teils unwürdigen Formen“ erwähnt, aber sofort betont, dass es gute Gründe gibt, dass sie nicht bedingungslos gegeben wird. Seite an Seite neben dem „guten Schicksal“ steht hier nun also tatsächlich der „gute Staat“, der sehr genau weiß, was für seine Zöglinge gut ist und was nicht, und der selbstverständlich Bedingungen stellt und stellen darf...

Mit keiner Silbe erwähnt Aregger die im letzten Jahrzehnt zumindest in Deutschland unfassbar unmenschlich gewordenen Rahmenbedingungen der Sozialhilfe- und Arbeitslosengeld-Bürokratie, in der der einzelne Mensch in einen Mahlstrom gerät, der ihn in zahllosen Fällen wirklich nur noch wie eine Nummer, einen Schmarotzer und einen Sklaven behandelt, welcher bedingungslos (!) jede Arbeit zu erledigen habe, die ihm „angeboten“ wird.

Mit keiner Silbe erwähnt er die rasant zunehmende Zahl der „Working Poor“, also etwa der Familien, in denen beide Eltern in Vollzeit arbeiten und gerade so ihre Familie ernähren können, ohne irgendeine echte Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Und mit keiner Silbe auch die bedingungslosen Spitzeneinkommen der obersten zehn Prozent, die durch den Zinseszins und die immer ungerechtere Einkommensverteilung ganz ohne Arbeit (sie arbeiten nicht einmal für sich, sie arbeiten gar nicht, sondern lassen andere für sich arbeiten!) ein Leben haben, das das gute Schicksal offenbar für sie „hingestellt hat“...

Es arbeiten nur noch die, die wollen

Aregger sieht nur den äußeren Aspekt des bedingungslosem Grundeinkommens: Es ermöglicht Freiheit vom Arbeitszwang. Für Aregger sind die Menschen noch nicht so weit. Sie wären es erst, wenn sie freiwillig arbeiten würden. Ich frage mich nur, wie Aregger zu diesem Zustand kommen will. Selbstverständlich würden viele Menschen das bedingungslose Grundeinkommen dazu nutzen, sich erst einmal zu besinnen und sich selbst zu finden. Wie kann es auch anders sein? Und das ist ja gerade das Ziel und der Sinn des bedingungslosen Grundeinkommens! Was würde passieren, wenn man nach Jahren der Ausbeutung und des Zwanges einen Sklaven frei ließe? Er würde so schnell wie möglich weglaufen und sich nie wieder blicken lassen!

So auch der Mensch. In die Arbeitsverhältnisse des Zwanges wird er nicht mehr zurückkehren. Aber früher oder später wird er dorthin gehen, wo er einen Sinn sieht. Denn der Mensch sucht Sinn – und er bringt einen einzigartigen individuellen Impuls mit. Dies beides kann zusammenkommen, wenn der Mensch durch das bedingungslose Grundeinkommen Zeit zur Be-sinn-ung bekommt. Doch diese Freiheit zu dem Neuen, dem Eigenen, das dann für den Anderen geschehen kann, sieht Aregger nicht und traut er dem Menschen nicht zu.

Wir sind in einer heillosen Situation. Aregger selbst gibt zu, dass die meisten Menschen heute nicht freiwillig arbeiten. Aus dieser Situation ist kein Entkommen, denn der Zwang zur Arbeit macht immer nur noch verzweifelter. Im Grunde ist schon der Begriff „egoistischer“ falsch, denn für immer mehr Menschen geht es heute gar nicht mehr um ein „Für-sich-Arbeiten“, sondern nur noch um ein „Für-das-Überleben“ arbeiten. Im Grunde ist dies, obwohl man „für sich“ arbeitet, schon ein zutiefst selbstloses Arbeiten, denn man verzichtet auf nahezu alles, um „über die Runden zu kommen“. Diejenigen Menschen, die an einer solchen Situation nicht verbittern, machen eine echte Schule der Selbstlosigkeit durch.

Viele verbittern aber doch – und für sie gilt eindeutig, dass sie im heutigen System für sich arbeiten. Aber nicht nur das: Sie hassen auch. Sie hassen ihre Arbeit, sie hassen die Vorgesetzten, sie hassen alle, die mehr verdienen, sie hassen die ungerechte Verteilung der Einkommen, sie hassen vielleicht alles und jeden. Glaubt Aregger etwa, daran würde sich auch nur irgendetwas ändern, wenn diese Menschen ihre 1.000 oder 1.200 Euro netto nicht am Monatsende, sondern am Monatsanfang erhalten würden?

Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen arbeiten nur noch die, die arbeiten wollen. Aber nun werden viele Menschen arbeiten wollen. Nur nicht unbedingt da, wo sie früher gearbeitet haben... Wenn aber die Menschen arbeiten wollen, dann können sich allmählich auch brüderliche Arbeitsverhältnisse herausbilden. Sonst ist dies völlig utopisch.

Wenn aber diejenigen Menschen, die sich mit ihrem bedingungslosen Grundeinkommen egoistisch zurückziehen und nichts weiter tun, nun sehen, wie viele Menschen freudig und aktiv tätig sind, wird auch in vielen von ihnen der Sinn für die Arbeit und ihre inneren Impulse erwachen.

Es geht um das Erwachen moralischer Verantwortung, selbstloser Arbeit. Gerade das bedingungslose Grundeinkommen kann dies impulsieren. Aregger selbst verweist darauf, dass die wirkliche Moralität erst in langen Zeiträumen wachsen wird. Warum darf man dann nicht auch dem bedingungslosen Grundeinkommen diese langen Zeiträume zugestehen? Warum dürfen nicht viele Menschen zuerst auf die „Suche nach sich selbst“ gehen? Am Ende dieser Suche werden sie (in sich) ganz sicher einen Menschen finden, in dem auch die sozialen Impulse leben können...

Wir brauchen keine Angst zu haben, dass mit einem bedingungslosen Grundeinkommen die Gesellschaft zusammenbricht. Wir haben heute unendlich viel sinnlose Arbeit. Welche Arbeiten werden wohl wegfallen, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt? Die vielen sinnvollen Arbeiten? Oder die vielen sinnlosen Arbeiten, prekären Stellen, Niedriglohnjobs, die in den letzten Jahren entstanden sind?

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine gesellschaftliche Revolution, denn in der Arbeitswelt wird auf einmal der Mensch im Mittelpunkt stehen. Ganz im Sinne des Gesetzes von Angebot und Nachfrage wird der Mensch auf einmal „Mangelware“ sein, denn seine Arbeitskraft wird überhaupt nicht mehr Ware sein. Deswegen wird nur noch da gearbeitet, wo man einen Sinn sieht – und deswegen muss die Arbeit sinnvoll werden!

Lohnsklaverei und Altruismus

Es wird aber auch immer noch Müllmänner und Straßenfeger geben. Nur sind dies künftig vielleicht die Berufe, die ähnlich viel verdienen wie Ärzte und Rechtsanwälte. Warum auch nicht? Ist das „Produkt“ des Müllmannes den Preis nicht wert? Und statt zu vermuten, dass die Menschen nur noch arbeiten, „wenn die Bezahlung stimmt“, könnte man auch anerkennen, dass heute viele Arbeiten ganz ungerecht bezahlt werden. Der grundlegende Wandel mit einem bedingungslosen Grundeinkommen führt dazu, dass die Gesellschaft denjenigen Menschen, die unangenehme Arbeiten freiwillig übernehmen, ganz besonders dankt. Auch das ist Entwicklung des Sozialen. Je gerechter aber der „Lohn“ ist, desto lieber wird die Arbeit verrichtet – letztlich für den anderen Menschen...

Aber es geht nicht nur um das (langsame) Erwachen moralischer Verantwortung. Es geht auch – und heute vor allem, zunächst – um die Überwindung der heutigen Lohnsklaverei. Sowohl in der Arbeitswelt, als auch im staatlichen Sozialsystem herrschen tief unmenschliche, kränkende Verhältnisse.

Dass der durch die Sozialhilfe vom Staat alimentierte und gedemütigte Mensch nicht frei und sozial werden kann, müsste eigentlich unmittelbar einsichtig sein. Sozialhilfe-Empfänger im heutigen Sozialsystem sind dem Staat oft nicht dankbar, sondern hassen ihn (weil sie im Grunde ausgestoßen sind) und wehren sich gegen die Bevormundung der „Jobcenter“. Sie wehren sich gegen das euphemistische „Fördern und Fordern“, gegen „Wiedereingliederungsvereinbarungen“ etc.

Das bedingungslose Grundeinkommen dagegen sagt bedingungslos „Ja“ zum Menschen – und dies ist ein ungeheures Signal. Selbst wenn es nicht ausgesprochen wird, liegt darin die Botschaft: „Du bist ein geistiges Wesen, das nicht bevormundet, auch nicht zur Brüderlichkeit gezwungen werden kann. Du bist frei und musst Deine höheren Impulse selbst finden.“

Genau das tut der fordernde Sozialstaat nicht. Sondern er versucht, die Menschen zur „Gegenleistung“ zu zwingen. Damit aber macht er sie nicht selbstlos, sondern hasserfüllt und egoistisch.

Die Menschen werden immer aus egoistischen oder aus unegoistischen Motiven arbeiten. Das ist heute so (wobei der Egoismus heute nahezu zu 100% erzwungen wird), und es ist auch mit einem bedingungslosen Grundeinkommen so, wobei hier die größtmögliche Voraussetzung geschaffen ist, dass Menschen etwas freiwillig und aus Erkenntnis heraus tun – für andere. Wollen muss der Mensch dies auch hier selbst. Aber er wird auch wollen können.

Heute ist das unegoistische Arbeiten so schwer, weil man arbeiten muss. Man kann zwar innerlich altruistisch arbeiten. Aber durch den Zwang zur Arbeit wird selbst dies entwertet. Und sogar seiner eigenen sozialen Impulse kann man nie sicher sein, wenn Ahriman einem einflüstert: „Du legst nur ein Mäntelchen Illusion darum, aber in Wirklichkeit arbeitest du doch nur, weil du gezwungen bist.“

Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen fällt dies weg. Das Soziale kann viel reiner und stärker in Erscheinung treten, und auch für die Welt in Erscheinung. Nun wird man bei jeder Arbeit wissen: Dieser Mensch tut das nicht, weil er muss, sondern weil er will (und selbst wenn er mehr verdienen will: Er müsste es nicht – und er könnte sich jede andere Arbeit suchen).

Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Dessert, „dessen Suppe noch gar nicht gekocht ist“. Jeder Mensch kann und wird sehr, sehr genau wissen, dass der gemeinsame Wohlstand immer wieder neu erarbeitet werden muss. Aber er wird es nun wollen können. Denn er wird die Gemeinschaft wieder empfinden können.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist keine Illusion. Es ist das „bis ins Physische“ sich offenbarende Vertrauen in den anderen Menschen. Und auf das Vertrauen wird in Zukunft alles ankommen. Genau dies können wir von Rudolf Steiner lernen.

Das bedingungslose Grundeinkommen allein wird die Welt nicht retten. Aber es kann von der richtigen Gesinnung begleitet werden und wird dann ein mächtiger Impuls sein, dieser Gesinnung immer mehr in jedem Menschen zum Durchbruch zu verhelfen.

Das, was Gerold Aregger fordert – in der Wirtschaft Neuanfänge zu wagen – wird auch mit bedingungslosem Grundeinkommen möglich sein, und nicht nur das: es wird real in größerem Maßstab nur und erst mit bedingungslosem Grundeinkommen möglich sein. Und so können wir mit zwei Sätzen Areggers schließen, in denen ich nur das Verneinende in das Positive umgesetzt habe:

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Befreiung, wobei die Menschen im befreienden Prozess die Arbeitsverhältnisse umgestalten würden. Darum aber geht es.