14.03.2015

Clements Steiner von 1902 und die Geisteswissenschaft

Die entscheidenden Denkfehler von Clements Grundthese und die Frage höherer Wesenheiten.


Inhalt
Die entscheidende Frage der höheren Wesenheiten
Clements Denkfehler und Entstellungen...
...und das wahre Wesen von Geisteswissenschaft
Die Frage nach dem Christus-Wesen


Die entscheidende Frage der höheren Wesenheiten

Durch Clements Einleitungen zur SKA ist die Frage, um was es sich bei den Schilderungen höherer Wesenheiten durch Rudolf Steiner eigentlich handelt, voll aufgeworfen – und wird künftig von entscheidender Bedeutung sein.

Clement versteht Steiner (den frühen und so auch den späten) so, dass alle Formen und Inhalte des Bewusstseins „auf eine einzige geistig-seelische Grundgestalt“ zurückzuführen seien. Laut Clement sah Steiner diese Grundgestalt, „diesen ‚Proteus‘ aller menschlichen Vorstellungsbildung, [...] in der Selbsterfahrung des Geistes im Denk-Erlebnis bzw. im Ich-Erlebnis des Menschen.“ (SKA V, XXX).

Clement weist auch darauf hin, dass Steiner in „Das Christentum als mystische Tatsache“ die alten Mysterien so schildert, dass in ihnen der Myste die in ihm wirkende „götterschaffende Tätigkeit“ schauen sollte. Rudolf Steiner schreibt hier (ausführlicher von mir hier zitiert):

Dieselben Naturkräfte, dasselbe göttliche Element, die in der Natur schaffen, schaffen auch im Mysten. Und in ihm erzeugen sie Göttervorstellungen. Er will diese götterschaffende Kraft schauen. [...]
Durchtränke deine Phantasie mit religiösem Gefühl; du kannst die Bilder von Wesen schaffen, die du für Götter halten magst, doch dein Verstand zerpflückt sie dir, denn er weist dir nach, daß du sie selbst geschaffen und dazu den Stoff aus der Sinnenwelt entlehnt hast. Sofern du als verständiger Mensch die Dinge um dich herum betrachtest, mußt du Gottesleugner sein. Denn Gott ist nicht für deine Sinne und für deinen Verstand, der dir die sinnlichen Wahrnehmungen erklärt. Gott ist eben in der Welt verzaubert. Und du brauchst seine eigene Kraft, um ihn zu finden. Diese Kraft mußt du in dir erwecken. Das sind die Lehren, die ein alter Einzuweihender empfing. [...] Der Mensch blickt nun in sich. Als verborgene Schöpferkraft, noch Dasein-los, wirkt das Göttliche in seiner Seele. In dieser Seele ist eine Stätte, in der das verzauberte Göttliche wieder aufleben kann. Die Seele ist die Mutter, die das Göttliche aus der Natur empfangen kann. Lasse die Seele von der Natur sich befruchten, so wird sie ein Göttliches gebären. [...]
GA 8, 35ff.


Weiterhin weist Clement darauf hin, dass Rudolf Steiner gegenüber W. J. Stein geäußert habe, dass die Hierarchien alle „im Menschen“ seien. Und seine Interpretation ist hier:

Wenn also nach dieser Aussage Steiners in den „geistigen Hierarchien“ dem Menschen im geistigen Schauen tatsächlich nichts anderes als sein eigenes Wesen entgegenkommt, ist es dann nicht legitim anzunehmen, dass das auch für alle sonstigen „Wesen“ gilt, sie sich sonst noch im „anthroposophischen Wesenszoo“ tummeln? Ich denke, das lässt sich widerspruchsfrei annehmen. Und wenn das Solipsismus sein sollte: war dann nicht auch Steiner Solipsist? – Steiner hingegen zu unterstellen, er habe sich, entgegen seinen tiefinnersten Überzeugungen im Frühwerk, irgendwann zu einem „Glauben“ an eine Transzendenz bekehrt, welche von „Wesen“ bevölkert wird, die als solche unabhängig vom demjenigen Wesen existierten, welches sie und in welchem sie erkennend erlebt werden, scheint mir mit Steiner selbst nicht belegbar zu sein, ja es scheint mir die Steinersche Esoterik dem Vorwurf eines naiven metaphysischen Realismus auszusetzen.
21.11.2014, Eine Replik auf Ansgar Martins Kritik an der Einleitung zu SKA 7. o 


Die entscheidende Frage, mit der Clements Deutung der Anthroposophie steht und fällt, ist also die Frage der Existenz derjenigen höheren Wesenheiten, von denen Rudolf Steiner gesprochen hat – und wie diese zum Wesen des Menschen stehen!

Auf dem Eggert-Blog „Egoisten“ hat ein Teilnehmer, der aufgrund seiner scharfen Kritik an der SKA bzw. Äußerungen Clements auch außerhalb der SKA längst gemobbt und verspottet wird, auf verschiedene Zitate Rudolf Steiners hingewiesen, etwa dieses:

So erfassen wir jetzt Geisteswissenschaft in einem ganz andern Sinn. Wir lernen, dass sie etwas ist, was uns eine ungeheure Verantwortung auferlegt, denn sie ist eine Vorbereitung auf das ganz konkrete Geschehen des Wiedererscheinens des Christus.
25.1.1910, GA 118, S. 28.


Clement reagiert darauf wie folgt:

[...] Sie sind nach meinem Dafürhalten in einer geschlossenen Weltanschauung gefangen. Sie haben sich in Ihrem Denken, Fühlen und Wollen so eng an eine ganz bestimmte wörtliche Interpretation von Rudolf Steiners Aussagen gebunden, dass jegliches Ereignis oder jeglicher Mensch, der an diesem Weltbild rüttelt, eine existentielle Gefahr für Sie darstellt. Daher sind Sie unfähig, eine abweichende Meinung oder Deutung der Anthroposophie einfach so stehen zu lassen, sondern müssen solche alternativen Anschauungen bekämpfen. Und, wenn Sie sie nicht aus der Welt schaffen können, wenigstens als Falsch oder Böse entlarven.
Das ist für mich nichts Neues; ich lebe, wie Sie wissen, unter Mormonen und in meinem Bekanntenkreis hier leben in der gleichen geistigen Eingeschlossenheit, wie Sie. Und manche sind auf dem Weg, sich davon zu befreien. Ich weiß aus unmittelbarer Erfahrung, wie schwer, wie schmerzhaft und wie traumatisch es ist, wenn ein Mensch sich aus so einem selbstgeschaffenen Gefängnis befreit. Sie haben daher wirklich meine volle Sympathie und meine besten Wünsche, dass es gelingen möge. Mein Vergleich mit dem Mysteriendrama war durchaus ernst gemeint; ich sehe Sie ganz nahe an einer Schwellenerfahrung, gegen die Sie sich aber derzeit noch wehren. [...]
Ich hoffe, dass Sie es schaffen, sich daraus zu befreien. Gerade die Anthroposophie, in deren dogmatische Interpretation Sie sich so eingesponnen haben, könnte Ihnen dabei helfen. Denn mit Steiner kann man verstehen lernen, dass und warum ein JEDES Weltbild, auch jedes anthroposophische, nur eine Projektion ist und sein kann; und dass es daher nicht darauf ankommt, das richtige Weltbild zu finden und es gegen andere, falsche Weltbilder zu verteidigen, sondern darauf; sich auf dasjenige einzulassen, was jedem Aufbau und Abbau und Wiederaufbau der verschiedenen Weltbilder zugrundeliegt. Nur in dieser Tätigkeit als solcher wird ein Wirkliches ergriffen; in den von ihr erzeugten Vorstellungen und Weltbildern hingegen immer nur eine Projektion.
Wenn Sie also meine Interpretation Steiners, die natürlich genauso eine Projektion ist wie die Ihre, etwas erleben, was Ihr Weltbild ins Wanken bringt, versuchen Sie das doch einmal positiv aufzunehmen. Denn in diesem Wanken kündigt sich da jenes Lebendige und Wirkliche an, was Sie und ich suchen, und was, um mit Steiner zu reden, in der Verfestigung zu Vorstellungen und Weltbildern sich ablähmt, abstirbt. Nehmen Sie die SKA, nehmen Sie mich als Anstoss, gegenüber der wirklichen Ursache Ihrer Abwehrreaktionen mir gegenüber aufzuwachen.
Mit herzlichem, anthroposophischem Gruß.
12.3.2015, 20:03 Uhr. o


Clement offenbart hier also eine absolute Selbstgewissheit, die alle Kritiker pathologisiert und gleichsam therapierend zu der „richtigen Anschauung“ führen will. Clement empfindet sich durch und durch als den Retter der „wahren“ Anthroposophie, wie Rudolf Steiner sie stets selbst gemeint habe – und weist auf denjenigen Punkt hin, an dem sich dies aus seiner Sicht zeige.

Clements Denkfehler und Entstellungen...

Die Denkfehler, die Clement macht, sind Folgende:

Rudolf Steiner spricht 1902 von einer „götterschaffenden Tätigkeit“. Im Menschen wirkt etwas Göttliches, was auch die menschlichen Vorstellungen von Göttern hervorbringt. Der Mensch kann sich aber dieses Göttlichen in sich bewusst werden, die Seele kann den „Gottesspross“ gebären. Dies ist das Erlebnis der Mystiker.

Die „götterschaffende Tätigkeit“ führt zu Vorstellungen, die schon nicht mehr das Eigentliche sind, sondern nur ein Ausdruck des Eigentlichen – sie gehen aus dem eigentlichen, im Menschen selbst wirksamen Göttlichen hervor, und dieses Göttlichen wirklich in unmittelbarem Bewusstsein erlebend inne zu werden, ist eine reale Geburt dieses Göttlichen in der menschlichen Seele.

Diesen Gedanken hat Clement mehr oder weniger nachvollzogen – und nun setzt er ihn absolut. Damit aber spielt er den späteren Steiner gegen den früheren aus. Der spätere Steiner soll nichts anderes getan haben, als Vorstellungen von Wesenheiten zu schildern – offenbar, um den Menschen die „götterschaffende Tätigkeit“ unmittelbar und eindrücklich vor Augen zu führen, bis sie eines Tages auch seine frühen Schriften verstehen könnten – und einsehen, dass es immer der Mensch ist, der sich Vorstellungen macht; dass es immer nur Bewusstseinsphänomene des Menschen selbst sind.

Clement reduziert den späteren Steiner in dieser Hinsicht also wirklich auf eine Art „Märchenonkel“, der neue Mythen in die Welt setzt, und sei es in spirituell-pädagogischer Absicht. Was Clement bisher trotz all seiner Hinweise auf das „kritische“, selbstreflexive moderne Bewusstsein noch nicht gelungen ist, ist, seine eigene absolut-setzende Tätigkeit zu hinterfragen oder sogar lebendig innerlich erlebend anzuschauen. Auch das wäre ja beginnende Esoterik.

Rudolf Steiner spricht 1902 von einem allgemeinen Göttlichen, das der Mensch in sich wirksam erleben kann. Er spricht von dem mystischen Erleben dieses allgemein Göttlichen – und von der Geburt eines Gottessprossen in der menschlichen Seele. Dieses Erleben des Göttlichen bleibt zunächst ein Allgemeines – und es bleibt ein Erlebnis dessen, was im Seelischen geschieht und geschehen kann.

Was Clement nicht berücksichtigt bzw. erfassen oder ernst nehmen kann, ist die Tatsache, dass Geisteswissenschaft nun noch wesentlich weiter geht. Geisteswissenschaft ist nicht Mystik. Geisteswissenschaft kann durch und durch erfassen, was im mystischen Erleben eigentlich geschieht, aber sie geht darüber hinaus noch wesentlich weiter.

Hier liegt der Punkt, an dem Clement nicht mehr folgen kann und will. Clement will den Gedanken nicht fassen, dass es dem Menschen möglich ist, geistige Erkenntnisorgane zu entwickeln, durch die es ihm möglich ist, eine geistige Welt zu erkennen, die seinem Erkennen bisher verschlossen geblieben ist – und die über den Menschen hinausgeht. Er will nicht erkennen, dass das Erleben des Göttlichen in der eigenen Seele, der „götterschaffenen Tätigkeit“ und die Geburt des Gottessprossen nur die ersten Vorboten einer geistigen Welt sein könnten, dass also der Mensch zunächst nur ein allgemein Göttliches und auch dies nur in der eigenen Seele zu erleben imstande ist, dass es aber noch weitere Stufen des Erkennens geben könnte.

Clement will also nicht erkennen und akzeptieren, dass es dem späteren Steiner absolut ernst ist mit der Schilderung der drei Erkenntnisstufen der Imagination, Inspiration und Intuition und mit der Schilderung der höheren geistigen Welten – ebenso ernst, wie es dem frühen Steiner war, der die „götterschaffende Tätigkeit“ beschrieb.

Clement will nicht erkennen, wie es möglich sein kann, dass man sehr wohl schon bei dem Schritt von der Imagination zur Inspiration in eine ganz andere Erlebenswelt eintritt. Bei der „götterschaffenden Tätigkeit“ ist der Schritt hin zur Vorstellung gerade ein Sich-Entfernen von dem eigentlich Göttlichen, das aber ein in der eigenen Seele wirkendes, in gewisser Weise noch allgemein bleibendes Göttliches ist.

Beim Übergang von der Imagination zur Inspiration wird das Persönlich-Subjektive gerade verlassen; es ist ein Schritt zu einer sich steigernden Wirklichkeit, ja das wirkliche Betreten einer geistigen Welt, die sich einem bis dahin noch nie bewusst offenbart hatte. Und dieses Betreten, dieses Erleben gewinnt nun eine immer größere Differenziertheit.

Sämtliche Stellen, in denen Clement in seiner Einleitung zur SKA 7 auf diese höheren Erkenntnisstufen eingeht, bleiben seltsam blass und auf seine eigene Grundthese orientiert – und alle Stellen, in denen Steiner auf diesen entscheidenden Übergang zwischen Imagination und Inspiration hinweist, blendet Clement systematisch aus.

Clement behauptet, Steiner selbst habe die Sache so dargestellt, „dass die von ihm geschilderten imaginativen und inspirativen Phänomene, als solche, nichts als ‚Halluzinationen, Visionen und Illusionen’ (SE, 251) sind“ (SKA 7, XXIX). Dies ist eine eklatante Unwahrheit, die an dieser entscheidenden Stelle typisch für Clement ist. Was nämlich schreibt Steiner wirklich? Er spricht hier nur von der Imagination, und selbst deren Subjektivität schränkt er nochmals ein. Und dann beschreibt er das Entscheidende der Inspiration – was bei Clement überhaupt nicht mehr vorkommt.

Auf den Grund der Gefahr innerhalb der imaginativen Erkenntnis ist ja in meiner Schrift ‚Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?’ bereits hingedeutet worden. [...] Hat jemand Wahrnehmungen ohne äußere Ursache, so spricht man von abnormen, krankhaften Zuständen. Man nennt solche ursachlose Wahrnehmungen Illusionen, Halluzinationen, Visionen.
Nun zunächst ganz äußerlich betrachtet besteht die ganze imaginative Welt aus solchen Halluzinationen, Visionen und Illusionen. [...] Durch das Hinlenken des Bewußtseins auf ein Samenkorn oder auf eine absterbende Pflanze werden gewisse Gestalten vor die Seele gezaubert, die nichts weiter zunächst sind als Halluzinationen. Die ‚Flammenbildung’, von der dort gesagt wurde, daß sie in der Seele auftreten kann durch die Betrachtung einer Pflanze oder dergleichen und die sich nach einer Zeit ganz loslöst von der Pflanze, ist, äußerlich betrachtet, einer Halluzination gleich zu achten. [...] Die Wahrnehmungen lösen sich los von allen äußeren Dingen und schweben frei im Raume oder fliegen darinnen herum. Und man weiß dabei doch ganz genau, daß die Dinge, die man da vor sich hat, diese Wahrnehmungen nicht hervorgebracht haben, daß man sie vielmehr ‚selbst’ verursacht hat. [...] Zur Hervorrufung der imaginativen Erkenntnis aber kommt es gerade darauf an, zunächst Farben, Töne, Gerüche usw. zu haben, die ganz losgelöst von allen Dingen ‚frei im Raume schweben’.
[...] Es bemächtigen sich neue Dinge und Wesenheiten dieser Vorstellungen. [...] Es spricht etwas durch sie zu dem Beobachter, was dieser eben nur innerhalb der imaginativen Welt wahrnehmen kann. [...] Und man wird gewahr, daß Wesen durch sie zu uns sprechen. [...]
[...]
Nun liegt der Grund zu einer Gefahr, welche dem Menschen von dieser Welt droht, darin, daß er die Äußerungen der ‚geistigen Wesen’ wahrnimmt, aber nicht diese Wesen selbst. Es ist das nämlich so lange der Fall, als er nur in der imaginativen Welt bleibt und zu keiner höheren aufsteigt. Erst die Inspiration und die Intuition führen ihn allmählich zu diesen Wesen selbst hin.
Rudolf Steiner, Die Stufen der höheren Erkenntnis, GA 12, S. 40ff.

...und das wahre Wesen von Geisteswissenschaft

Clement will nicht einsehen, dass es auch eine Umkehrung der götterschaffenden Tätigkeit geben kann, ja dass die ganze Geisteswissenschaft diese Umkehrung ist. Nicht mehr bleibt die götterschaffende Tätigkeit etwas Unbewusstes im Menschenwesen, sondern sie, die nichts anderes als das Denkvermögen, die Denkkraft, die Intelligenz selbst ist, verwandelt sich von Grund auf, um ein Organ, eine Kraft zu werden, in der sich die göttlichen Welten, Prozesse, Wesen selbst aussprechen können.

Indem das Denken durch und durch geläutert, gereinigt, erkraftet und verwandelt, indem es ganz und gar spiritualisiert wird, wird es zu jener Kraft, die sich nun ihrerseits im realsten Sinne einer „götterschaffenden Tätigkeit“ zur Verfügung stellen kann – nun aber sind es die „Götter“ selbst, die das Denken so gestalten und plastizieren, dass ihr ureigenes Wesen sich darin offenbaren kann – und vom Menschen erkannt werden kann.

Dies sind heiligste und erschütterndste Erlebnisse von Kommunion – und sie gehen weit über das hinaus, was der frühe Steiner 1902 als das Gemeinsame aller Mystik beschrieb. Die „götterschaffende Tätigkeit“, die zu Göttervorstellungen kommt, und das Bewusstwerden dieser Tätigkeit ist nicht das Ende des Weges, sondern der Anfang. Hier beginnt Geisteswissenschaft erst. Sie beginnt überhaupt erst mit dem vollen Ergreifen desjenigen im Menschen, was dieser götterschaffenden Tätigkeit zugrunde liegt – und sie beginnt mit einer vollkommenen Verwandlung dieser im Menschen selbst tätig werden könnenden göttlichen Fähigkeit.

Abstrakt kann man darüber jahrelang sprechen und schreiben. Dass hier aber wirklich der Übergang zur Geisteswissenschaft liegt und dass dies alles ein durchgreifend reales Geschehen werden kann, das macht, soweit ich es überblicke, derzeit nur ein Mensch ganz deutlich: Mieke Mosmuller. Sie schreibt nicht über diese Dinge, sie schreibt aus voller Erfahrung von diesen Dingen, insbesondere von der „götterschaffenden Tätigkeit“ und ihrer Verwandlung – und davon, welche Erlebnisse dann möglich werden und wie all dies mit dem Christus-Wesen in Zusammenhang steht.

Rudolf Steiner hat selbst immer wieder sehr deutlich gemacht, dass das, was man von den Wesen der geistig-göttlichen Welten schildern kann, immer in eine menschliche Sprache gebracht werden muss – dass also auch „auf dem Rückweg“ Imaginationen als Versuch, das geistig Erlebte überhaupt in Worte zu fassen, niemals eine direkte Beschreibung sind, wie wir sie im Sinnlichen geben könnten. Die Erlebnisse der Intuition können eben nur imaginativ in Worte gefasst werden – die sich dann wieder in feste Vorstellungen verwandeln können, welche natürlich nicht das Wesen selbst sind, aber doch einen Weg angeben, in welcher „Richtung“ sein Wesen zu suchen ist.

Ferner hat Steiner immer wieder betont, dass solche Schilderungen vom gewöhnlichen Bewusstsein verstanden werden können. Das ist etwas völlig Anderes, als eine imaginative Schilderung für das Wesen selbst zu nehmen.

Der Mensch begegnet nicht immer wieder nur sich selbst. Geisteswissenschaft markiert in gewisser Weise gerade den Beginn desjenigen Erlebens, wo der Mensch zum ersten Mal bewusst etwas Anderem begegnet als sich selbst.

Nicht mehr steht der Mensch unbewusst vor den Ergebnissen seiner eigenen „götterschaffenden Tätigkeit“, sondern er stellt sie, nachdem er sie bewusst ergriffen, dann völlig verwandelt und schließlich auch völlig zum Schweigen gebracht hat, zur Verfügung, damit nun die Götter selbst in ihr schaffend sich offenbaren können.

Nicht mehr götterschaffende Tätigkeit, sondern ein schaffendes Sich-Offenbaren der göttlichen Welt selbst – Offenbarung der geistigen Welt. Dies ist Geisteswissenschaft, denn sie weiß bis ins Kleinste in voller Selbsterkenntnis, wie sie bis zu diesem Punkt gekommen ist. Geisteswissenschaft ist die Wissenschaft der Offenbarung, die Wissenschaft des bewussten Sich-Annäherns an eine geistige Welt, die sich offenbaren wird, wenn man innerlich alle Bedingungen schafft, die dies möglich machen. In der Natur offenbaren sich die Naturgesetze in ähnlicher Weise. Die Bedingungen, die es der geistigen Welt und ihren Wesenheiten ermöglichen, sich zu offenbaren, sind nur andere, weitreichendere, viel innerlicher den Menschen selbst betreffende. Der Geisteswissenschaftler aber weiß, bis zu welchem Punkt er selbst die in ihm wirksame „götterschaffende Tätigkeit“ bringt – und ab wann die göttliche Welt beginnt, sich auszusprechen, sich zu offenbaren, wesenhaft mit ihm in einer Kommunion eins zu werden und sich intuitiv erkennen zu lassen...

Die Frage nach dem Christus-Wesen

Clement hält jedes Ernstnehmen von Steiners Schilderungen geistiger Wesenheiten bereits für einen Rückfall in das naive Bewusstsein. Er schüttet damit aber nur das Kind mit dem Bade aus – und macht sich blind für den Steiner nach 1902.

Sicherlich ist es durchaus sehr wahr, dass etwa die gewöhnliche Vorstellung von Christus wie jeder naive Realismus „erst einmal anständig zu ermorden“ wäre, wenn man „den anthroposophischen Christus verstehen will“ (so Clement am 10.3.2015 auf dem Eggert-Blog). Wenn Clement damit aber sagen will – und das will er –, dass der von Rudolf Steiner geschilderte Christus keine reale Wesenheit ist, zu deren realem Erleben und Erkennen Steiners Schilderungen gerade hinführen wollen, dann unterliegt er wieder seinen eigenen Beschränkungen, wirklich den ganzen Steiner immer wieder voll ernst zu nehmen.

Für Clement ist „der Christus“ nichts anderes, als das wahre Selbst des Menschen, der ihm in der meditativen Kommunion entgegentritt (so zitiert er Gerhard Wehr, und mehr sagt er darüber in seiner Einleitung zur SKA 7 nicht). In Clements Sicht verliert dieses Wesen, das für Rudolf Steiner und seine Anthroposophie derart zentral ist, jegliche Eigenwesenheit. Der Mensch ist das A und O, und „Christus“ nur das wahre Selbst des Menschen. Rudolf Steiner könnte etwas ganz Ähnliches in ähnlichen Worten sagen, und dennoch hätte es bei ihm eine grundstürzende andere Bedeutung.

Steiner hat unter vielem anderen vorhergesagt, dass die Christus-Wesenheit sich im Ätherischen ab 1933 wieder offenbaren wird. All dies kann Clement nicht ernst nehmen – und er setzt dies, wenn er es erwähnen muss, durchweg in Anführungszeichen. Wie konkret ein solches Erlebnis aber auch sein kann – weil gerade das Christus-Wesen sich eben bis ins Physische hinein mit der Menschheit verbunden hat –, das zeigt das Folgende der unzähligen Christus-Erlebnisse, die Menschen seit der von Rudolf Steiner vorhergesagten Zeit gehabt haben. Die englische Krankenschwester Joy Snell berichtet:

Es war drei Monate her, seit ich die Krankenpflege übernommen hatte, als ich zum ersten Mal mit der häßlichen Seite der Arbeit einer Krankenschwester in Berührung kam. Beim Anblick der scheußlichen Verheerungen, welche eine Krankheit erzeugte, die Verderbtheit und Laster hervorgerufen hatte, überkam mich Ekel und das Gefühl des Erbrechens. Mit Widerwillen wandte ich mich von dem Patienten ab. ‚Ich will und kann mich nicht besudeln durch die Berührung dieses Mannes’, sagte ich zu mir selbst. Darauf ergoß sich eine Flut von Licht über mich, und indem ich aufschaute, erblickte ich die Gestalt des Heilands, die sich über den Kranken neigte. Er wandte sein Haupt zu mir, blickte zu mir nieder, und indem er seine Hände über den von der Krankheit entstellten Sünder breitete, sagte er: ‚Alles, was ihr getan habt einem unter diesen, das habt ihr mir getan. In jedem Geschöpf, das eurer Obhut anvertraut ist, erblicket mich, und eure Arbeit wird leicht sein.’ Die Vision – wenn man es überhaupt so nennen konnte – verschwand wieder. Ich wandte mich wieder dem Kranken zu. Verschwunden war aller Ekel und Widerwille, den ich vor wenigen Augenblicken noch empfunden hatte.
Aus: Hans-Werner Schroeder. Von der Wiederkunft Christi heute. Urachhaus, 1991, S. 288f.


Kann eine Halluzination einen widerstrebenden Menschen auf so erschütternde und durchgreifende Weise zu seinem wahren Selbst führen? Nein, nur ein real existierendes Wesen kann dies, indem es sich selbst einem Menschen offenbart, der von dem wahren Ziel der Menschheit noch weit entfernt ist, wie wir alle. Das Christus-Wesen ist in gewisser Weise das wahre Selbst des Menschen, aber es ist zugleich unendlich wesenhafter, als Clement es je ahnen und akzeptieren würde. Der Weg des Menschen zu sich selbst ist kein bloßes Selbst-Erwachen, es ist zugleich ein Erlösungsgeschehen, in dem erbittert um den Menschen gekämpft wird. Sicher wird Clement Mittel und Wege finden, auch all dies auf seine Sicht zusammenzustauchen, die er auch weiterhin „modern“ und „kritisch“ nennen wird, die aber auch weiterhin unendlich blass bleiben wird im Vergleich zu dem, was derjenige empfinden, erleben und schließlich auch erkennen kann, der Rudolf Steiner zu jeder Zeit vollkommen erst nehmen kann.

Schließen möchte ich mit einem Spruch aus Rudolf Steiners „Seelenkalender“ (für die zweite Juni-Woche), den man zunächst überhaupt nicht verstehen muss, den man aber als Rätsel einmal meditieren kann, wenn man Steiner nicht nur 1902, sondern auch durch die mehr als zwei danach folgenden Jahrzehnte seines Lebens, Wirkens und Erkennens hindurch ernst nehmen will:

    Zu sommerlichen Höhen
    Erhebt der Sonne leuchtend Wesen sich;
    Es nimmt mein menschlich Fühlen
    In seine Raumesweiten mit.
    Erahnend regt im Innern sich
    Empfindung, dumpf mir kündend,
    Erkennen wirst du einst:
    Dich fühlte jetzt ein Gotteswesen.