15.03.2015

Symptomatische Äußerungen Clements

Kernaussagen Clements, die sein Verständnis und seine Haltung zu Rudolf Steiner, der Anthroposophie und anderen Haltungen zeigen.


Inhalt
Keine geistige Welt – immer nur Selbsterfahrung
Allenfalls etwas Allgemein-Göttliches
Clements Haltung gegenüber Rudolf Steiner
Clement über andere Haltungen, die Rudolf Steiner auch nach 1902 ganz ernst nehmen
Clement über kritisches Denken und modernes Bewusstsein
Clement über sich selbst


Keine geistige Welt – immer nur Selbsterfahrung

Clements Grundthese (und Grund-Interpretation Steiners) ist, dass sämtliche Vorstellungen des Menschen letztlich Selbst-Erfahrung sind, dass es also auch nie eine Erkenntnis geben können wird, die über den Menschen hinausgehen könnte:

Vor diesem Hintergrund können die Schriften der Jahre 1901 und 1902 so verstanden werden, dass Steiner hier nun nicht mehr das allgemeine Grundprinzip des Erkenntnisaktes als solchem untersuchte, sondern das Prinzip der Entstehung von konkreten Vorstellungen im Verlauf der Kulturgeschichte. Man könnte dieses Prinzip vereinfachend auch das Gesetz von der Entstehung der menschlichen Gottes-, Jenseits- und Naturvorstellungen als verdinglichenden Projektionen der Selbst-Erfahrung nennen.
SKA 5, XLI.


Und:

[...] mit Steiner kann man verstehen lernen, dass und warum ein JEDES Weltbild, auch jedes anthroposophische, nur eine Projektion ist und sein kann; und dass es daher nicht darauf ankommt, das richtige Weltbild zu finden und es gegen andere, falsche Weltbilder zu verteidigen, sondern darauf; sich auf dasjenige einzulassen, was jedem Aufbau und Abbau und Wiederaufbau der verschiedenen Weltbilder zugrundeliegt. Nur in dieser Tätigkeit als solcher wird ein Wirkliches ergriffen; in den von ihr erzeugten Vorstellungen und Weltbildern hingegen immer nur eine Projektion.
12.3.2015, 20:03 Uhr. o


Was Clement nicht sieht, ist, dass diese Kraft, die letztlich in Vorstellungen hineinstirbt, auch ein Wesentliches und Wirkliches erfassen kann. Nicht nur sie selbst ist ein Wirkliches, sondern sie ist dasjenige Lebendige, das anderem Wirklichen lebendig begegnen kann... Das gerade ist Anthroposophie.

Für Clement aber gibt es nur dieses eine, alles andere sind Vorstellungen, Phantasien, bloße Imaginationen. Es gibt also in Wirklichkeit auch keine höheren Wesenheiten. So werden dann auch Äußerungen Steiners entsprechend (um-)gedeutet:

Wenn also nach [...] Aussage Steiners [„daß der, welcher sich zu dem Freiheitserlebnis durchringt, dann in der Umgebung des geistigen Menschen, den er dann wahrnimmt, die Hierarchien findet. Denn sie sind alle im Menschen, und im geistigen Schauen erscheint, was im Menschen ist, als geistige Umgebung.“, Wiedergabe von Rudolf Steiners Aussage durch W.J. Stein, H.N.] in den „geistigen Hierarchien“ dem Menschen im geistigen Schauen tatsächlich nichts anderes als sein eigenes Wesen entgegenkommt, ist es dann nicht legitim anzunehmen, dass das auch für alle sonstigen „Wesen“ gilt, die sich sonst noch im „anthroposophischen Wesenszoo“ tummeln? [...] Steiner hingegen zu unterstellen, er habe sich [...] irgendwann zu einem „Glauben“ an eine Transzendenz bekehrt, welche von „Wesen“ bevölkert wird, die als solche unabhängig vom demjenigen Wesen existierten, welches sie und in welchem sie erkennend erlebt werden, scheint mir [...] die Steinersche Esoterik dem Vorwurf eines naiven metaphysischen Realismus auszusetzen.
21.11.2014, Eine Replik auf Ansgar Martins Kritik an der Einleitung zu SKA 7. o


Ein wesentlich tieferes Verständnis bewies W. J. Stein selbst, einer der engsten Mitarbeiter Rudolf Steiners (der auch Steins Dissertation nach Kräften unterstützte):

Über dem Menschenbewußtsein des Alltags entfalten sich höhere Bewußtseinszustände, die in dem Alltagsbewußtsein keimhaft veranlagt sind. [...] Das Erleben dieser höheren Bewußtseinsstufen, das heißt das Entfalten der im menschlichen Bewußtsein gelegenen Keime, führt zum Erleben der Bewußtseinswelten höherer Hierarchien. Was ein Engel oder ein Erzengel ist, oder was Wesenheiten sind, die man mit dem Namen der Geister der Persönlichkeit, der Archai oder Urbeginne bezeichnet, davon hat man erst eine rechte Vorstellung, wenn man etwas weiß, wie solch eine Wesenheit sich selbst erlebt. [...] Die Darstellungen Rudolf Steiners geben eine Schilderung der eigenen Bewußtseinszustände der Hierarchien, und der Erkenntnisweg, den er leitet, führt zur Entfaltung der in jedem Menschen schlummernden Keime, durch deren volle Ausbildung der Mensch Bewußtseinszustände erlangt, die in das Innenleben der Hierarchien führen.
Zitiert nach Meyer, a.a.O., S. 280ff, so schon abgedruckt im „Europäer“ Oktober 1997. o


Für Clement ist dies alles nur „Märchenstunde“, und so kommt er folgerichtig zum Vergleich mit dem „Weihnachtsmann“:

Aber es wurmt mich schon, wenn Leute, die noch an den Weihnachtsmann glauben, daran rummäkeln, dass ich ernsthaft versuche, denn Sinn und die Bedeutung der Idee vom Weihnachtsmann zu verstehen – und die sich dabei auch noch einbilden, an der vordersten Front der Bewusstseinsentwicklung zu stehen. Und wenn diese Leute sich dann noch wer weiß wie tolerant dabei vorkommen, wenn Sie mir zugestehen, dass meine Arbeit vielleicht ja doch einen Wert hat, weil ja die Hoffnung besteht, dass ich irgendwann herausfinde, dass es den Weihnachtsmann tatsächlich gibt.
10.3.2015, 16:17 Uhr. o 


Und, in dritter Person über sich selbst:

Vielleicht macht ein Vergleich es deutlicher:
Herr Clement gibt Texte zur Theorie des Weinachtsmanns heraus und schreibt dazu eine Einleitung, in der er sich Gedanken macht über Sinn und Bedeutung der Idee des Weihnachtsmanns. Da kommt Kees Kromme und schreit: Aber Herr Clement hat den Weihnachtsmann noch nie selber gesehen! Er war doch noch nie am Nordpol!! Wie kann er sich anmaßen, ein Buch darüber schreiben zu wollen!!!
10.3.2015, 18:48 Uhr. o


So verschwimmt folgerichtig auch die Christus-Wesenheit in der Deutung Clements bis zur Unkenntlichkeit:

Der Kern und das Einzigartige des Christentums bestanden daher für Steiner [...] in dem, was der ‚kosmische Christus‘ tatsächlich tue bzw. zu tun sich bestrebe: nämlich in der Verwirklichung der mystischen Selbst-Erkenntnis im Menschen zu sich selbst zu kommen und somit ‚aufzuerstehen‘.
SKA 5, LV.


Und:

Steiners Geist-Begriff hat [...] eine ähnliche Metamorphose durchgemacht, wie sein Christus-Bild: Was in der philosophischen Diktion seiner frühen Darstellungen primär als im Menschen sich realisierendes immanentes Prinzip erschien, wurde später gewissermaßen von außen angeschaut bzw. als einem Äußeren immanent vorgestellt: Der logos ‚inkarniert‘ sich in Jesus, der Geist ‚manifestiert‘ sich in der Natur. Die steinersche Esoterik kann als eine zum Zweck der Anschaulichkeit vorgenommene ideelle Umstülpung seiner Philosophie verstanden werden, in welcher dasjenige, was zuvor Inneres war, als Äußeres angeschaut wird, und umgekehrt.
SKA 5, LXIII f.


Das heißt: „Märchenstunde“ zum Zwecke der Anschaulichkeit. In Wirklichkeit geht es nur um die Bewusstwerdung des menschlichen Selbstes. Christus wird zum Bild, zur Metapher.

Auf die Zusammenhänge zu Karl Ballmer und Karen Swassjan, der Clement offenbar eine Art Vorbild ist, habe ich an anderer Stelle verwiesen und bin dort ausführlich auf diese Gedankenrichtung eingegangen.

Allenfalls etwas Allgemein-Göttliches

Clement hat nun aber selbst doch auch eine Gottesvorstellung:

Dasjenige, was ich mir unter dem Begriff "Gott" denke, lässt sich vernünftigerweise gar nicht leugnen, da mein "Gott" eher der des Aristoteles ist, des Meister Eckhart, des Jakob Böhme oder derjenige Spinozas und Fichtes - nicht aber der anthropomorphe Gott der Religionen, über dessen Projektionscharakter ich, wie gesagt, ganz mit Rudolf Steiner übereinstimme und den wir als denkende Menschen daher doch wohl am besten zu den Akten legen sollten.
30.10.2014, 07:05 Uhr. o


Seltsam ist nun, dass er denjenigen, die auch den Rudolf Steiner ab 1902 ernst nehmen, offenbar vorwirft, eine anthropomorphe Gottesvorstellung bzw. eine anthropomorphe Vorstellung höherer Wesenheiten zu haben. Sind die Schilderungen dieser höheren Wesenheiten durch Rudolf Steiner anthropomorph? Ist Clement nicht bekannt, dass zum Beispiel auch Jakob Böhme von Engelwesen gesprochen hat? Traut er den Anthroposophen nicht zu, um den Unterschied zwischen der Imagination und dem eigentlichen, nicht in Worte zu fassenden Wesen einer höheren geistigen Wesenheit zu wissen?

Clement aber verabsolutiert nun einmal den frühen Rudolf Steiner. Die differenzierte Schilderung der geistigen Welten und ihrer Wesenheiten, die Steiner erst später gibt, darf daher in Wirklichkeit nicht existieren. Übrig bleibt für Clement ein unerkennbares allgemein Göttliches – das schließlich ganz im Menschen aufgeht:

[...] das Umhülltsein, das Geführtwerden, das Inspiriertsein von höheren, geistigen, unbegriffenen Mächten und Kräften, das Wissen um das rechte Handeln durch biologische, soziale, religiöse Instinkte - das ist heute mehr und mehr im Verschwinden. Und es verschwindet, weil der Mensch sich durch seine Entwicklung zum autonomen Individuum, zum selbständig Denkenden und Handelnden immer mehr von den Quellen dieser alten Instinkte abschneidet. Also ja: "Gott" ist "tot"; genauer, die Mordtat dauert noch an, in jedem Akt der Individualisierung und Rationalisierung und Autonomisierung eines Menschen.
Aber das ist recht so. Denn der so Ermordete kann neu auferstehen, im "Ich", durch das "Ich", als "Ich".  [...]
[...] Von da aus gesehen wären die 360 Bände der GA zu verstehen als Schilderung der "Auferstehung Gottes" im Bewusstsein Rudolf Steiners, genauer: als Bewusstsein Rudolf Steiners. Wer diese Schilderung dann aber versteht als Schilderung DER geistigen Welt (und eben nicht Steiners geistiger Welt), d. h. als Offenbarung im Sinne der traditionellen Religionen, [...] der sieht meiner Auffassung nach den Wald vor lauter Bäumen nicht, er sieht vor lauter steinerschen Imaginationen die zentrale Botschaft Steiners nicht mehr.
2.11.2014, 18:59 Uhr. o


Das ist gleichsam original Karl Ballmer. Fraglich bleibt nur, warum es einen Unterschied geben muss – zwischen „Rudolf Steiners“ geistiger Welt und einem Erkennen der geistigen Welt. Diesen Unterschied gibt es nur, wenn Steiners Schilderungen keine wirklichen Erkenntnisse, sondern bloß schöpferische Kreationen wären, die zwar möglicherweise eine Wirklichkeit erfassen, dieser aber sofort einen individuellen, ja subjektiven Anstrich geben.

Selbstverständlich wollte Rudolf Steiner, dass am liebsten jeder Mensch seine eigene „Philosophie der Freiheit“ schreiben würde – dennoch hat er andererseits immer betont, dass die Ergebnisse zweier Geistesforscher sich immer begegnen würden. Selbstverständlich war es Rudolf Steiners Individualität, die in den geistigen Welten erkennend tätig war und das Erkannte dann in Imaginationen und in Worte der menschlichen Sprache gebracht hat. Doch soll man auch hier trotz der individuellen Bäume den Wald nicht vergessen. Ein Geistesforscher schildert so objektiv wie möglich. Welchen Hochmut muss ein „kritisches Denken“ besitzen, dies alles von vornherein zu verwerfen?

Clements Haltung gegenüber Rudolf Steiner

Clements Haltung gegenüber Rudolf Steiner geht aus Zitaten wie dem folgenden hervor:

Ich fühle mich heimisch in Steiners Texten, aber nur, wenn ich sie kritisch lese (als Offenbarungstexte finde ich sie unsäglich und peinlich) – und diese Erfahrung möchte ich an die akademische Welt vermitteln. Warum fallen mir dabei immer wieder ausgerechnet Anthroposophen ins Wort [...] und ermahnen mich, dass man Steiner "so" nicht lesen darf? Man möcht sich jedes Haar einzeln ausraufen. Ich bin sicher, dem Rudolf geht es ähnlich (und er hat nicht mal mehr Haare, die er sich ausraufen könnte).
11.3.2015, 02:13 Uhr. o 


Diese joviale, herabsetzende Art gegenüber Rudolf Steiner setzt sich da fort, wo Clement sogar in der SKA selbst in seinen Einleitungen schwere Verständnisfehler begeht – die eigentlich nur absichtlich geschehen können, weil alles andere seine eigene Grundthese umstürzen würde:

Schwierig erweist sich etwa die bildhafte Weise der Darstellung. Steiner schildert ausführlich, welche seelischen und geistigen Erlebnisse der Schüler als Ergebnis seiner meditativen Arbeit erwarten kann. Die Schilderungen dieser inneren Erlebnisse erinnern in ihrer Bildlichkeit oft an die Sprache des Mythos, adaptieren teilweise sogar vollständig den mythischen Gestus, etwa wenn die beiden „Hüter der Schwelle“ ihren Auftritt haben und ihre Monologe halten [...]. [...] Diese in traditioneller mystischer und esoterischer Literatur nicht unübliche Veranschaulichung und Verdinglichung innerer Erlebnisse hat unzweifelhaft den Vorteil der Konkretheit und Fasslichkeit und bindet Steiners Text an bestehende Traditionen an, wirft jedoch beim kritischen Leser die Frage auf, ob und inwieweit Steiner hier mit seiner eigenen intellektuellen Vergangenheit und mit allen Gepflogenheiten eines kritisch-philosophischen Diskurses gebrochen hat und möglicherweise in eben jenen „naiven metaphysischen Realismus“ verfiel, den er selbst zehn Jahre zuvor in seiner Philosophie der Freiheit so scharfsinnig charakterisiert und leidenschaftlich bekämpft hatte. Muss man nicht, gerade im Sinne seines philosophischen Frühwerks, die von Steiner beschriebenen „Lotusblumen“, „Astralleiber“ oder „Schwellenhüter“ als Gestalten ansehen, die er selbst, wie Faust seine Helena, aus dem „Weihrauchnebel“ seiner eigenen Imagination hervorzauberte? Und fällt man nicht, wie der goethesche Geisterseher, in grenzenlose Verwirrung und Träumerei, wenn man diese selbstgeschaffenen Nebelgestalten in naiver Weise für „Wirklichkeiten“ hält?
Steiner sah diese Aporien sehr wohl und hat sich an bestimmten Stellen seiner Schrift auch durchaus bemüht, seinen Lesern klarzumachen, dass die von ihm geschilderten imaginativen und inspirativen Phänomene, als solche, nichts als „Halluzinationen, Visionen und Illusionen“ (SE, 251) sind, und dass das sogenannte „Geistige“ in diesen Bildern ebenso wenig steckt wie der Begriff in den gedruckten Buchstaben, durch die er zum Ausdruck kommt.
SKA 7, XXVIII f.


Dies ist eine eklatante Unwahrheit. Clement verwischt vollkommen den entscheidenden Übergang, der von der Imagination zur Inspiration geschieht – und er legt Steiner selbst falsche Worte in den Mund. Denn Steiner selbst spricht hier nur von der Imagination, und selbst deren Subjektivität schränkt er nochmals sehr differenziert ein. Und dann beschreibt er das Entscheidende der Inspiration, nämlich den Übergang zum Erleben einer realen Welt geistiger Wesenheiten:

Auf den Grund der Gefahr innerhalb der imaginativen Erkenntnis ist ja in meiner Schrift ‚Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?’ bereits hingedeutet worden. [...] Hat jemand Wahrnehmungen ohne äußere Ursache, so spricht man von abnormen, krankhaften Zuständen. Man nennt solche ursachlose Wahrnehmungen Illusionen, Halluzinationen, Visionen.
Nun zunächst ganz äußerlich betrachtet besteht die ganze imaginative Welt aus solchen Halluzinationen, Visionen und Illusionen. [...] Durch das Hinlenken des Bewußtseins auf ein Samenkorn oder auf eine absterbende Pflanze werden gewisse Gestalten vor die Seele gezaubert, die nichts weiter zunächst sind als Halluzinationen. Die ‚Flammenbildung’, von der dort gesagt wurde, daß sie in der Seele auftreten kann durch die Betrachtung einer Pflanze oder dergleichen und die sich nach einer Zeit ganz loslöst von der Pflanze, ist, äußerlich betrachtet, einer Halluzination gleich zu achten. [...] Die Wahrnehmungen lösen sich los von allen äußeren Dingen und schweben frei im Raume oder fliegen darinnen herum. Und man weiß dabei doch ganz genau, daß die Dinge, die man da vor sich hat, diese Wahrnehmungen nicht hervorgebracht haben, daß man sie vielmehr ‚selbst’ verursacht hat. [...] Zur Hervorrufung der imaginativen Erkenntnis aber kommt es gerade darauf an, zunächst Farben, Töne, Gerüche usw. zu haben, die ganz losgelöst von allen Dingen ‚frei im Raume schweben’.
[...] Es bemächtigen sich neue Dinge und Wesenheiten dieser Vorstellungen. [...] Es spricht etwas durch sie zu dem Beobachter, was dieser eben nur innerhalb der imaginativen Welt wahrnehmen kann. [...] Und man wird gewahr, daß Wesen durch sie zu uns sprechen. [...]
[...]
Nun liegt der Grund zu einer Gefahr, welche dem Menschen von dieser Welt droht, darin, daß er die Äußerungen der ‚geistigen Wesen’ wahrnimmt, aber nicht diese Wesen selbst. Es ist das nämlich so lange der Fall, als er nur in der imaginativen Welt bleibt und zu keiner höheren aufsteigt. Erst die Inspiration und die Intuition führen ihn allmählich zu diesen Wesen selbst hin.
Rudolf Steiner, Die Stufen der höheren Erkenntnis, GA 12, S. 40ff.


Hier hört Clements Verständnis auf. Er weigert sich einfach, dem Steiner nach 1902 noch weiter zu folgen...

Rudolf Steiner ist für Clement also letztlich nichts weiter als ein interessantes Forschungsobjekt. Er kann ihn nennen, wie er will – und er kann seine Texte verfälschen und missverstehen, wie er will.

Clement über andere Haltungen, die Rudolf Steiner auch nach 1902 ganz ernst nehmen

Menschen, die Steiners Schilderungen höherer Wesenheiten ernst nehmen, beschimpft Clement als „naive Realisten“ und schreibt:

Schlimmer noch: der naive Realist ist nicht nur unfähig, in das moderne Bewusstsein einzutreten; er ist auch unfähig, Esoterik zu verstehen. Wenn Sie's mir nicht glauben, glauben Sie dem Meister: "Wer die Bilder für die Sache nimmt, weiß nichts von Esoterik" (Rudolf Steiner). Das gilt für das Bild vom "inneren Gestandenhaben vor dem Mysterium von Golgatha", das Bild vom Christus und für alle anderen auch.
Wenn Sie glauben, Sie könnten mit Steiners Darstellungen seiner inneren Erlebnisse so umgehen, wie wir damals, als das naive Bewusstsein noch eine Berechtigung hatte, mit den Schilderungen der Propheten und Evangelisten umgegangen sind, dann haben Sie wenig von der Anthroposophie verstanden. Der Weg dorthin führt über Nietzsche. Wer den anthroposophischen Christus verstehen will, hat den Christus des naiven Realismus erst einmal anständig zu ermorden.
10.3.2015 13:38. o 


Clement missbraucht hier übrigens eine Äußerung des jungen Steiners, die dieser in einem kurzen Aufsatz machte, in dem er Wilhelm Schlübbe-Leidens Buch „Das Dasein als Lust, Leid und Liebe. Die alt-indische Weltanschauung in neuzeitlicher Darstellung“ kritisiert und selbst die Idee der Reinkarnation noch zurückweist:

Zeus im Frack mit weißer Binde, das ist der Eindruck, den uns die indische Evolutionslehre, als moderner Darwinismus drapiert, macht. Man braucht nur zweierlei Bedingungen zu erfüllen: die Esoterik der Inder grobanschaulich zu nehmen und den Darwinismus mißverständlich über das Reich der Körperwelt auszudehnen, dann kann man ein philosophisches Ungeheuer schaffen, wie es dieses Buch ist. [...] Wer im Individuum den Allgeist, im Einzelwesen die Summe von Existenzen, die dasselbe zu durchlaufen hat, erkennen will, der muß vor allen andern Dingen begreifen, daß dies nur durch Vertiefung in sein Inneres geschehen kann, nicht durch eine äußerliche Betrachtungsweise. Wer seine eigene Individualität als Menschenwesen versteht, der findet alle niederen Daseinsformen in sich; er sieht sich als oberstes Glied einer weiten Stufenleiter; er weiß, wie alles andere lebt, wenn er es nachzuleben, wiederzuleben versteht. [...] Diesen Gedanken als eine in der Zeitenfolge vor sich gehende Verkörperung des Individuums in verschiedenen, immer vollkommeneren Formen vorzustellen ist bloß bildliche Darstellung. So meint es die Esoterik. Wer die Bilder für die Sache nimmt, weiß nichts von Esoterik.
1891, GA 30, S. 510f.


Später, als Steiner selbst über tiefste Fragen der Reinkarnation sprach, betonte er immer wieder, mit welcher inneren Haltung dies nur geschehen dürfe. Eine Grundhaltung ist es, die der gesamten Geisteswissenschaft als wirkliche Bedingung zugrunde liegt:

Wer geisteswissenschaftliche Resultate [...] gewinnen will, der muß vor allen Dingen mit einer heiligen Scheu, mit einer unbegrenzten Ehrfurcht dem gegenüber stehen, was Wahrheit, was Erkenntnis genannt werden kann. [...] Als unwürdig fühlt man es, wenn man unter Zugrundelegung der alltäglichen Seelenverfassung sich ein Urteil über die Wahrheit erlauben will [...].
19.3.1914, GA 63, S. 329f.


Menschen, die Rudolf Steiner auch nach 1902 vollkommen ernst nehmen, werden von Clement pathologisiert, wohlwollend versucht er, sie „auf den rechten Weg zu bringen“:

Sie sind nach meinem Dafürhalten in einer geschlossenen Weltanschauung gefangen. Sie haben sich in Ihrem Denken, Fühlen und Wollen so eng an eine ganz bestimmte wörtliche Interpretation von Rudolf Steiners Aussagen gebunden, dass jegliches Ereignis oder jeglicher Mensch, der an diesem Weltbild rüttelt, eine existentielle Gefahr für Sie darstellt. Daher sind Sie unfähig, eine abweichende Meinung oder Deutung der Anthroposophie einfach so stehen zu lassen, sondern müssen solche alternativen Anschauungen bekämpfen. Und, wenn Sie sie nicht aus der Welt schaffen können, wenigstens als Falsch oder Böse entlarven.
Das ist für mich nichts Neues; ich lebe, wie Sie wissen, unter Mormonen und in meinem Bekanntenkreis hier leben in der gleichen geistigen Eingeschlossenheit, wie Sie. Und manche sind auf dem Weg, sich davon zu befreien. Ich weiß aus unmittelbarer Erfahrung, wie schwer, wie schmerzhaft und wie traumatisch es ist, wenn ein Mensch sich aus so einem selbstgeschaffenen Gefängnis befreit. Sie haben daher wirklich meine volle Sympathie und meine besten Wünsche, dass es gelingen möge. [...]
[...] Gerade die Anthroposophie, in deren dogmatische Interpretation Sie sich so eingesponnen haben, könnte Ihnen dabei helfen. Denn mit Steiner kann man verstehen lernen, dass und warum ein JEDES Weltbild, auch jedes anthroposophische, nur eine Projektion ist und sein kann; und dass es daher nicht darauf ankommt, das richtige Weltbild zu finden und es gegen andere, falsche Weltbilder zu verteidigen, sondern darauf; sich auf dasjenige einzulassen, was jedem Aufbau und Abbau und Wiederaufbau der verschiedenen Weltbilder zugrundeliegt. Nur in dieser Tätigkeit als solcher wird ein Wirkliches ergriffen; in den von ihr erzeugten Vorstellungen und Weltbildern hingegen immer nur eine Projektion.
Wenn Sie also meine Interpretation Steiners, die natürlich genauso eine Projektion ist wie die Ihre, etwas erleben, was Ihr Weltbild ins Wanken bringt, versuchen Sie das doch einmal positiv aufzunehmen. Denn in diesem Wanken kündigt sich da jenes Lebendige und Wirkliche an, was Sie und ich suchen, und was, um mit Steiner zu reden, in der Verfestigung zu Vorstellungen und Weltbildern sich ablähmt, abstirbt. Nehmen Sie die SKA, nehmen Sie mich als Anstoss, gegenüber der wirklichen Ursache Ihrer Abwehrreaktionen mir gegenüber aufzuwachen
Mit herzlichem, anthroposophischem Gruß.
12.3.2015, 20:03 Uhr. o


Und diese Menschen, die Rudolf Steiner vollkommen ernst nehmen, versucht Clement dann noch als Randgruppe zu diffamieren. Einem Blogger antwortet er:

Ich verstehe wirklich nicht [...], warum du dasjenige, was ich ausdrücklich über die paar Dummköpfe und Fanatiker unter den Anthroposophen sage (und ich sage es nur, weil sie, obwohl Minderheit, in der Presse und in den Blogs immer die Lautesten sind), immer auf die Gruppe als Ganze beziehst. Ich bin doch, glaube ich, immer ziemlich deutlich, wen ich mit meinen negativen Charakterisierungen meine.
14.3.2015, 00:33 Uhr. o 

Clement über kritisches Denken und modernes Bewusstsein

Über das kritische Denken, das er offenbar als Speerspitze der Bewusstseinsentwicklung ansieht – und sich als vorbildlichen Vertreter dessen –, sagt Clement:

Hinter das kritische Denken können wir nicht zurückgehen. [...] Wenn sich Anthroposophie und kritisches Denken nicht vereinbaren lassen, dann hinweg mit ihr! Dann hat sie für den Menschen im Bewusstseinsseelenzeitalter keinen Wert und keine Existenzberechtigung, ist reiner Anachronismus, sentimentaler Balsam und Droge für die Seele, die nicht damit klarkommt, dass, in Nietzsches treffendem Wort, Gott tot ist.
[...] "Kritisch" ist ein Denken bzw. ein Bewusstsein, welches sich selbst versteht - oder zumindest sich darum bemüht - indem es nichts auf blosse Autorität hin anerkennt und auch nichts auf der gefühlhaften Basis des "Gefallens" oder "Nichtgefallens" anerkennt und verwirft. "Kritisch" ist das Denken, das sich auf sich selbst verlässt und nichts ungepfüft lässt, auch und vor allem die eigenen Voraussetzungen, Annahmen und Methoden.
2.11.2014, 15:46 Uhr. o


Auch hierauf bin ich an anderer Stelle bereits ausführlich eingegangen. Entscheidend ist, dass Clement selbst kritisches Denken und die Erkenntnis höherer Welten und geistiger Wesenheiten nicht miteinander vereinbaren kann – aber das ist sein eigenes subjektives Problem und Vorurteil. In den weiteren Sätzen Clements zeigt sich dann, dass er das, was Rudolf Steiner mit reinem Denken meint, nicht wirklich erfassen kann. So kann er auch nicht verstehen, dass das reine Denken sehr wohl zu einem Schauen der geistigen Welten kommen kann und dabei sehr wohl die ganze Frucht des „kritischen Denkens“ – volle, klare Bewusstheit und klares Unterscheidungsvermögen – in sich tragen kann.

Clement verwechselt auch fortwährend ein unkritisches, bloß auf Autorität hin anerkennendes und folgendes Denken mit einem sehr wohl kritischen und modernen Denken, das sehr wohl verstehen kann, was der Geistesforscher schildert, auch wenn es natürlich noch nicht dieselben Erkenntnisse hat. Dieses kritische Denken, mit dem Rudolf Steiner immer wieder gerechnet hat, kommt bei Clement überhaupt nicht vor...

Da, wo Clement sich dann über „kritische Anthroposophieforschung“ äußert, wird klar, dass die spirituelle Ebene im Grunde völlig ausgeblendet wird:

Die kritische Anthroposophieforschung liest einen Text Rudolf Steiners ähnlich, wie die kritische Bibelforschung heute einen Text von Jesaja oder Johannes liest. Wenn also in diesen Texten dargestellt wird, wie sich dem Verfasser „die Himmel öffnen“ und wie „Engel“ erscheinen, die ihnen eine „Schriftrolle“ überreichten, dann fragt die kritische Bibelforschung nicht "war Johannes tatsächlich ein Seher?" oder "öffnete sich wirklich der Himmel?", sondern sie versteht diese Schilderungen als symbolisch-imaginative Einkleidung, in welche der Autor seine persönlichen Ansichten und Erfahrungen und Intentionen kleidete. Man untersucht die Art und Weise, wie diese Autoren ihre Erfahrungen in Bilder kleideten, spürt den Ursprüngen dieser Bilder nach, untersucht, was diese Bilder in ihrem ursprünglichen Kontext bedeuteten und wie der Verfasser sie benutzt, um seine besondere Botschaft deutlich zu machen. Ferner untersucht sie das soziale, politische und kulturelle Umfeld des Verfassers, um zu verstehen, inwiefern dieses Umfeld den Text geprägt hat. Und vieles mehr. Genau das tut auch die kritische Anthroposophieforschung.
7.11.2014, Von Wölfen und Viren. o


Hier wird deutlich, was das Grunddogma der „kritischen Forschung“ ist: dass jede Schilderung im Grunde auf „persönliche“ Ansichten, Erfahrungen und Intentionen zurückgehen müsse. Dieses Dogma wird vom kritischen Denken selbst nicht mehr kritisch reflektiert oder gar hinterfragt...

Clement weiter:

Die SKA fragt in der Tat nicht, ob Rudolf Steiner Hellseher war oder nicht; sie [...] sucht Steiners Aussagen dazu, sofern sie rational nachzuvollziehen sind, historisch und systematisch an vergleichbare Modelle in der abendländischen Geistesgeschichte anzuknüpfen.
Ebd.


Mit anderen Worten: Kontextualisierung. Welche Vorbilder oder Vorgänger hatte Steiner zum Beispiel in Jakob Böhme, in Fichte, in Schelling etc.? Nicht die reale Frage der Geisteswissenschaft oder der höheren Welten und ihrer Erkenntnis interessiert – sondern die rein äußere Ähnlichkeits- und „Quellen“-Forschung. Und wenn Fichte zum Beispiel keine Engelwesen kannte, der frühe Steiner aber manche Ähnlichkeit mit Fichte aufweist und zudem ebenfalls keine Engelwesen kannte, dann muss der spätere Steiner eben ein „Märchenonkel“ gewesen sein. Das ist also das kritische Denken, das Clement praktiziert... Das ist alles sehr nachvollziehbar, aber nur, wenn man sämtliche Brücken übersieht, die den späteren und den früheren Steiner durchaus gemeinsam verständlich machen.

Clement über sich selbst

Immerhin gibt es Aussagen Clements, in denen er öffentlich eingesteht, wie relativ und subjektiv auch seine Deutung ist – was interessant ist angesichts der selbstgewissen und hochmütigen Sicherheit, mit der er andere Standpunkte vielfältig diffamiert:

Auch als Herausgeber der SKA beanspruche ich nicht, mit meinem Verständnis der Anthroposophie deren "wahre" Gestalt herauszuarbeiten. Ich arbeite nur eine solche Gestalt heraus, die 1. meiner Individualität gemäß ist und 2. meiner Ansicht nach dialogfähig mit der Wissenschaft ist. Natürlich gehe ich davon aus, dass am Ende Anthroposophie nur in einer solchen Gestalt wirklich zukunftsfähig ist, weil das Religiöse und das Wischiwaschi irgendwann obsolet geworden sein wird. Aber das ist eben mein - - - Glaube.
29.10.2014, 16:52 Uhr. o


Selbst hier kann er nicht umhin, jeden anderen Standpunkt als „religiös“ oder „Wischiwaschi“ zu bezeichnen. Auch übersieht er völlig, dass Steiner sich nie um die „Dialogfähigkeit“ gekümmert hat, da er alle seine Werke als vollständig dialogfähig betrachtete und er nur darauf wartete, dass die „Wissenschaft“ sich dialogfähig machen würde – indem sie nämlich begreifen würde, unter welchen Bedingungen man Ergebnisse der Geistesforschung erwarten kann und unter welchen nicht. – In Bezug auf die Zukunftsfähigkeit kann man die Frage durchaus an die heutige Wissenschaft zurückgeben: Wie wird das Antlitz der Erde und der Menschheit aussehen, wenn noch einhundert Jahre so weitergeforscht und weitergelebt wird wie jetzt...?

Eine andere Aussage Clements:

[...] Ich plädiere mit der SKA für eine Haltung, welche an Steiners Aussagen ohne Vorverurteilung herangeht, mag dieses Vor-Urteil "Schmarrn" oder "Offenbarung" oder "bisher geheimgehaltenes hermetisches Mysterienwissen" heissen.
4.11.2014 11:28 Uhr. o


Das Problem ist nur, dass Clement, der ja inzwischen seine feste Meinung darüber hat, wie Steiner zu interpretieren sei, andere Standpunkte, die auf anderen Wegen – die mit dem kritischen Denken voll vereinbar sind – zustande kamen, heftigst verurteilt und diffamiert. Clement kam auf seinem Weg nicht weiter als bis zum Steiner des Jahres 1902. Von diesem Steiner aus beurteilt er alles. So findet er keine Brücke zu dem späteren Steiner – und bezeichnet alle, die Steiner auch hier noch folgen können, unterschiedslos als Religiös-Gläubige und als naive Realisten.

Man kann nur hoffen, dass genügend viele Menschen die ganze Haltung durchschauen können, mit der hier eine bestimmte Form des „kritischen Bewusstseins“ absolut gesetzt wird – und welche Fehler dieses Bewusstsein begeht. Es ist ein kritisches Bewusstsein, das keineswegs dasjenige ist, welches Rudolf Steiner gemeint hat, wenn er von einem solchen sprach. Doch urteils- und unterscheidungsfähig muss jeder einzelne Mensch selbst werden...