18.03.2015

Zur Alltags-Pathologie der „Egoisten“ (Eggert-Blog)

Das gewöhnliche Bewusstsein zwischen Interesselosigkeit und Sich-den-Mund-Zerreißen


Inhalt
Fortsetzung eines Trauerspiels
Die unerkannten Widersacher und das Urteilen
Was ist Anthroposophie?


Fortsetzung eines Trauerspiels

In den letzten Tagen habe ich mich intensiv mit Christian Clements Herangehensweise an die Anthroposophie auseinandergesetzt und in mehreren Aufsätzen auf entscheidende Punkte aufmerksam gemacht, an denen sehr deutlich wird, wie zweifelhaft diese Herangehensweise ist – bzw. wie fadenscheinig die Möglichkeit ist, mit ihr die Anthroposophie und den ganzen Rudolf Steiner wirklich zu erfassen und lebendig zu begreifen.

Irgendwann, vorgestern, tauchten dann auf dem Eggert-Blog, wo Clement seit längerer Zeit immer wieder Beiträge schreibt und mit-bloggt, zwei Bemerkungen von Michael Eggert auf, in denen er sich flapsig-arrogant über die „falsche“ Zweiteilung von Denken und Offenbarung und noch manches andere äußerte, was er alles den Kritikern Clements in die Schuhe zu schieben gedachte. Im zweiten Kommentar, in dem auch ich namentlich genannt wurde, sprach er von einer „Verteufelung des Intellektuellen“ und brachte dies mit den unmenschlichen Regimen der Nazis und eines Pol Pot in Beziehung.

Daraufhin habe ich in einem langen Aufsatz jedes einzelne „Argument“ Eggerts auf seinen eigentlichen Inhalt hin untersucht und widerlegt. Ich habe deutlich gemacht, inwiefern und warum der Begriff „Offenbarung“ notwendig ist; warum man ohne eine tiefere Betrachtung des Hochmutes und des heutigen menschlichen Denkens überhaupt nicht auskommt, wenn man Clements Ansatz und dessen Un-/Fruchtbarkeit im Verhältnis zur Anthroposophie beurteilen will; warum dasjenige, worauf ich aufmerksam mache, nichts mit einer „Verteufelung des Intellekts“ zu tun hat, sondern geradezu mit dem Gegenteil ... und so weiter.

Nachdem ich auf dem Eggert-Blog auf diesen Aufsatz hingewiesen hatte und Eggert dazu aufgefordert hatte, mir künftig nie wieder vorzuwerfen, ich würde „den Intellekt verteufeln“, geschah nichts – keinerlei Eingehen auf irgendeinen der Punkte, die ich in meinem ausführlichen Aufsatz oder überhaupt in den Texten der letzten Tage berührt hatte. Sie wurden einfach nicht beachtet. Stattdessen Eggerts Kommentar: „Meine Demut, Meister.“

Auch die anderen Blogger, die doch an anderer Stelle so eifrig über die SKA, Clement und dessen Fragen mitdiskutieren, zeigten nicht das geringste Interesse an den aufgeworfenen Fragen. Die einzige Reaktion auf meinen kurzen Beitrag auf dem Eggert-Blog war eine „Kakophonie der Sinnlosigkeit“, die ich im Anhang zu meinem Aufsatz dokumentiert habe.

Heute Morgen löste dies wiederum neue Reaktionen aus: 

Stephan BirkholzMittwoch, 18. März 2015 um 07:12:00 MEZ
Habe mit (oder auch ohne) Erstaunen festgestellt, dass Herr Niederhausen auf seiner Internetseite einzelne Komentare (u. a. auch meine) wiedergibt und kommentiert.
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Ich frage mich manchmal schon beim Posten, ob das nicht auch etwas Zeitverschwendung hier ist.
Aber einzelne Kommentare hier rauszukopieren und auf der eigenen Seite einer Interpretation (mit immer gleichem Tenor) zu interpretieren, bietet dann doch mehr als nur eine Nabelschau (O-Ton H.N.) auf die Persönlichkeitsdispositionen dessen, der eigentlich anderen zeigen will, wo' s Leben langläuft.
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Scheint ihn alles mächtig zu beeindrucken hier bei den Egoisten - der Hauch des Verbotenen, Verruchten, Unerhörten...

Ingrid H.Mittwoch, 18. März 2015 um 07:49:00 MEZ
Was ist langweiliger als Fischen?
- - -
Zuschauen beim Fischen...
:-)
LG, i. 

ValentinMittwoch, 18. März 2015 um 07:57:00 MEZ
"Scheint ihn alles mächtig zu beeindrucken hier bei den Egoisten - der Hauch des Verbotenen, Verruchten, Unerhörten..."
Ja, das scheint so und das Traumgespräch zwischen Steiner und Clement zeigt wohl seine Angst vor dem eigenständigen Denken (welches Steiner nie scheute, teils auch forderte)...

Jostein SætherMittwoch, 18. März 2015 um 08:55:00 MEZ
EINE HUMORESKE FÜR EURYTHMIE UND BLASORCHESTER
Überm Egomoor liegt theosophisch Nebel.
Kommt der Niederhausen mit dem Hebel
und versucht die Festgefahrenen zu heben;
er braucht sie für sein geistiges Leben eben.
Unser Adel lässt sich einfach nicht belehren;
weiß man doch Bescheid, kann sich wehren
vor solch humorloses, spießig Glumpert
sowohl Herzog, Ingrid und der Fahrer Eggert.
So steigt der aus Utah heimgekehrte Bibliophil
aus dem überfüllten Perpetuum Mobil;
er meint, eigens mit seiner Software-Hilfe
brauchen keine des Doktors Entwicklungshilfe.
Wollen alle nun aus dem Fahrzeug steigen,
um den armen Holger ihre Zähne zeigen.
Birkholz hält die Zahncreme schon bereit;
Mellett kommt nachdem es hat geschneit.
Mit so vielen weißen Zähnen friert das Moor,
die Anthropotanten kriegen Angst vor dem Terror,
der die ganze Anthro-Szene übersät mit Glatteis;
so wird‘s endlich heimisch für Kees und Matthijs.
Sæther zieht sich lieber zurück auf seine Alm;
er mag weder Anonymes Lied noch Majoors Psalm.
Wird nun Butty diese Egoistengesellschaft retten
oder Michaela mit ihrem Schau; wer will wetten?

Die unerkannten Widersacher und das Urteilen

Was also geschieht hier? Noch immer geht es mit keinem Wort um die für das ganze Verständnis der Anthroposophie grundlegenden Fragen, die ich in meinem letzten Aufsatz (und auch in den vorherigen) thematisiert hatte – nein, es geht ausschließlich um genüssliche Interpretationen meiner angeblichen moralisch-innerlichen Konstitution.

Wenn man jede einzelne dieser Reaktionen auf sich wirken lässt, bekommt man ein lebendiges Erleben davon, wie eigentlich „Mobbing“ funktioniert und abläuft. Und wo schon das Pol-Pot-Regime erwähnt wurde: Jedes Terrorregime lebt davon, dass einzelne Menschen ent-menschlicht werden, dass man sie im übertragenen Sinne (das reicht schon) bis auf die Haut auszieht – und sie mit den eigenen Deutungen und Urteilen überschüttet. Spott und Hohn – das ist das Lebenselement jedes Terrorregimes, und ein solches Regime des tief Anti-Humanen beginnt schon in den kleinsten Winkeln des scheinbar normalen Alltags.

Man merkt das gar nicht – und das haben die Widersachermächte so an sich, dass man sie zunächst nicht bemerkt. Vielleicht denkt man auch: ‚Dieser arrogante Niederhausen, der kann so was vertragen, der verdient das.’ Nur dass man fortwährend alles verwechselt: Arroganz mit Ernst, Ernst mit Humorlosigkeit, Humor mit Angst vor selbstständigem Denken etc. etc. Die Unterstellungen, die mir in den letzten Stunden begegnet sind, sind in ihrer Vielzahl und Leichtfertigkeit unglaublich – und doch ist gerade dies die menschliche Normalität: dieses leichtfertige, saloppe Urteilen über andere Menschen.

Gerade darum schreibe ich darüber und dokumentiere dies hier: Nicht etwa, weil mich irgendein „Hauch des Verbotenen, Verruchten, Unerhörten...“ berühren würde. Nicht etwa, weil ich irgendeinem dieser Blogger „zeigen will, wo' s Leben langläuft“. Nicht etwa, weil ich nichts Besseres zu tun hätte, als Anderen beim Angeln oder in sich selbst kreisenden Diskussionen zuzuschauen und dann irgendwelche Unvollkommenheiten zu entlarven. Sondern weil die Reaktion auf eine einzige Äußerung von mir symptomatisch ist – und weil auch dies wiederum zutiefst mit der Frage nach dem Wesen der Anthroposophie zu tun hat.

Ich hatte wie gesagt nichts anderes getan, als Eggert dazu aufzufordern, meinen Standpunkt nicht als „Verteufelung des Intellekts“ zu bezeichnen, und einen Hinweis auf meinen Aufsatz gegeben, auf den er nicht wieder nur mit einer saloppen Bemerkung reagieren möge, sondern in vergleichbarer Tiefe und Substanz. Alles was darauf kam, war – eine saloppe, tief sarkastische Bemerkung ... und dann der Sturzbach der anderen Blogger, die sich gegenseitig darin übertrumpften, auf die von mir aufgeworfenen Fragen nicht einzugehen und sich, nachdem ich dies in einem Anhang auch auf meiner Seite dokumentiert hatte, auf meine angebliche Persönlichkeitsstruktur zu stürzen.

Warum mache ich dies öffentlich, warum ist mir dies so wichtig? Weil es zeigt, wie abgrundtief wenig Anthroposophie selbst in den Seelen derjenigen Menschen lebt, die meinen, sich in der einen oder anderen Weise der Anthroposophie verbunden zu fühlen. Da wird von dem ganzen „fürchterlich Anti-Humanen“ von Pol Pot und überhaupt der Post- und Anti-Intellektuellen geredet – aber man erlebt überhaupt nicht, wie es in einem selbst steckt, in jedem Einzelnen. Das Anti-Humane, das Leichtfertige, das Spöttische, Höhnende.

Was ist Anthroposophie?

Das Menschliche, was in der Anthroposophie lebt, ist kein Konsumartikel, den man „haben“ und auf Zeit abrufen kann, wenn man sich gerade in der Stimmung dazu fühlt – es lebt im Menschen entweder als Substanz, oder es lebt noch überhaupt nicht wirklich. Es ist eine allgemeine Gesinnung, die alles durchzieht – und in der man Menschen dann auch begegnet; auf einer viel tieferen Ebene als sonst. Es hat nichts mehr von dem gewöhnlichen Erleben, es ist ein durch und durch verwandeltes Erleben. Da aber, wo das Gewöhnliche vorherrschend bleibt, fehlt jegliches Organ für dieses Andere, dieses Neue.

Dem gewöhnlichen Bewusstsein erscheint dies dann als eine Art übermäßiger Ernst oder gar Arroganz. Hier zeigt sich dann das unmittelbare, absolut subjektive Urteilen des gewöhnlichen Bewusstseins. Denn es erlebt die wahre Natur des anderen Erlebens überhaupt nicht – und es verwechselt alles, ja geht zu einem fast beliebigen, wahllosen Urteilen über. Ernst, Arroganz, Humorlosigkeit, pompöses Gehabe, aufgeblasene Rechthaberei, Hatz, schwammiges Herzdenken, anti-humane Anti-Intellektualität ... so könnte es sicherlich immer weitergehen.

Derjenige Ernst, der in einem lebt, wenn man sich diesem tief Menschlichen der Anthroposophie verbunden fühlt, ist anderen Menschen nicht begreiflich zu machen – erst, wenn in der Seele selbst eine Sehnsucht danach zu wachsen beginnt, bildet sich ein Organ dafür, das nicht mehr willkürlich urteilt, sondern versteht, was dies für ein Erleben ist. Es ist ein Ernst, der es einem unmöglich macht, sich an oberflächlicher Blog-Gruppenseelenhaftigkeit oder an subtilen oder offenen Grabenkämpfen zu beteiligen. Es ist ein Ernst, dem es egal ist, was Andere denken, wenn man davon zu sprechen versucht – weil man hofft, dass diejenigen, welche es hören sollen, schon auch hören werden. Es ist ein Ernst, der einen anderen Menschen in seinen Äußerungen usw. scharf kritisieren kann, ohne jedoch jemals die volle Achtung vor seinem Menschentum und seiner Person zu verlieren.

Es ist ein Ernst und eine Liebe zum Menschlichen, die einen in einem Kneipenrestaurant auch einmal eine Wurst bestellen lassen kann (siehe Rudolf Steiner), die aber gegenüber den Menschen, die behaupten, eine Verbindung zur Anthroposophie zu empfinden, höhere Maßstäbe hat – und die höchsten natürlich dennoch immer gegenüber sich selbst.

Anthroposophie ist kein Diskussionsweg zum Geistigen, es ist ein Entwicklungsweg zum Geistigen. Wer keine tiefe Liebe zu einer immer weitgehenderen inneren moralischen Entwicklung empfindet, wird das eigentliche Wesen der Anthroposophie nicht finden können. Er wird aber auch den anderen Menschen nicht finden können – immer nur seine eigenen Urteile, mit denen er sich über den Anderen erhebt, in eine völlig falsche Richtung.

Denken und Offenbarung, Ernst und Ehrfurcht, vor allem aber die Frage, in welche Richtung das Denken verwandelt werden muss – das sind entscheidende Fragen, die aufgeworfen sind, wenn man erfassen möchte, was Anthroposophie eigentlich ist. Die meisten Menschen, die mit der Anthroposophie schnell „fertig“ sein möchten, werden auch diese Fragen im Handumdrehen, leichtfertig und salopp, sozusagen im Vorbeigehen beantworten. Mögen sie das tun – und mögen sie mich auch weiterhin für arrogant oder anti-intellektuell oder rechthaberisch oder was auch immer halten, es ist ihr Problem, mit dem sie da ringen, nicht meines.

Anthroposophie ist ein Entwicklungsweg hin zum wahrhaft Menschlichen, aber so umfassend und tief wie nur möglich verstanden. Ohne Ernst und Ehrfurcht ist es ganz unmöglich, dieses tiefe Verständnis überhaupt zu erreichen. Das wird jedem, der beginnt, das Wesen von Anthroposophie immer mehr zu ahnen, immer mehr klar werden. Wenn diese Tatsache nicht immer wieder lächerlich gemacht würde, bräuchte man auf sie überhaupt nicht hinzuweisen. Doch diejenigen, die mir Arroganz und Nabelschau vorwerfen, meinen immer noch, es könne und müsse „ohne“ gehen... Mögen sie ihre Alltags-Spiritualität weiter betreiben, auch sie ist besser als nichts.

Doch die Alltags-Pathologie des gewöhnlichen Bewusstseins wird auf dieser Stufe noch keineswegs überwunden, sie kann, wie man an obigen Kommentaren sieht, immer unvermittelt zuschlagen – und sich mit dem Hinweis auf den „Humor“ auch grandios tarnen. Der „Humor“ hat noch immer alles entschuldigen können. Die Menschen, die einen dann fragen, ob man denn auch schon einmal über sich selbst habe lachen können, sind die, denen das Andere vielleicht am meisten fehlt. Der für die Anthroposophie notwendige Ernst schließt dieses Über-sich-selbst-lachen-Können keineswegs aus, sondern ein. Letzteres relativiert, wenn es das richtige Gleichgewicht hat, das eigene Selbstbild, aber keineswegs den notwendigen Ernst. Wenn jedoch Andere einem unterstellen, man könne nicht über sich selbst lachen – oder sich sogar das Recht nehmen, jemanden lächerlich zu machen und völlig abwegig über ihn zu urteilen –, dann ist dies bereits wieder Teil der Alltags-Pathologie desjenigen unverwandelten Bewusstseins, das gründlich in eine Entwicklung kommen muss, wenn die Seele das Wesen der Anthroposophie wirklich lebendig in sich aufnehmen will.