10.06.2016

Der Kampf um die Wahrheit

Die geheimnisvolle Verbindung zwischen dem Wesen der Wahrheit und dem Wesen des Menschen.


Wie schon der Film „Spotlight“ den Kampf um die Wahrheit zum Thema hatte, so bringen diesen Kampf auch zwei weitere Filme zu einem eindrücklichen Erleben.

„Der Staat gegen Fritz Bauer“ schildert den einsamen Kampf des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer um die Bestrafung der Nazi-Verbrecher Ende der 50er Jahre – in einer Zeit, in der er von Menschen umgeben war, die diese Verbrecher deckten. Diesem einen Mann, Fritz Bauer, ist es zu verdanken, dass Adolf Eichmann in Argentinien gefasst werden konnte – und auch, dass es ab 1963 die Frankfurter Auschwitzprozesse gab. Tief eindrucksvoll zeigt der Film, welche innere Integrität dazu gehört, um die Wahrheit zu kämpfen, wenn „die eigene Behörde Feindesland“ ist. Die charaktervolle Darstellung von Fritz Bauer durch Burghart Klaußner ist meisterhaft. Nahezu ohne Freunde folgt Bauer seinem eigenen, inneren moralischen Kompass.

Ein zweiter Film heißt sogar „Der Moment der Wahrheit“. Es geht um die Aufdeckung von Beweisen dafür, dass sich Kriegspräsident George W. Bush vor dem Militärdienst drückte – mitten im Wahlkampf für die zweite Amtszeit. Doch nur Stunden, nachdem CBS im September 2004 in „60 Minutes“ die große Story gesendet hat, wird die Echtheit der Dokumente angezweifelt. Es beginnt eine Hexenjagd – an deren Ende der Sender die Journalistin Mary Mapes (gespielt von Cate Blanchett) entlässt, obwohl ihr in einer unglaublich harten und demütigenden Untersuchung keine journalistischen Schwächen nachgewiesen werden konnten. Mapes hatte zu diesem Zeitpunkt bereits jahrelang an der Seite der Ikone Dan Rather gearbeitet und wenige Monate zuvor auch über die Misshandlungen irakischer Gefangener in Abu Ghraib berichtet. Dan Rather selbst war damals bereits zwanzig Jahre lang als Anchorman von CBS berühmt. Auch sein Vertrag wurde 2006 nicht mehr verlängert.

Beide Filme sind sehr berührend – und das Berührende ist gerade der Kampf um die Wahrheit, sind das Leid und die Opfer, die um der Wahrheit willen von einzelnen Menschen gebracht werden. Das Berührende ist, dass Menschen in diesem Kampf bereit sind, auf alles zu verzichten, dass sie ihr Leben diesem Kampf widmen, eigentlich in den Dienst der Wahrheit stellen. Sie setzen ihr Leben ein – und manchmal bezahlen sie mit ihrem Leben...

Das Berührende ist, dass es diese Instanz im Menschen gibt – etwas, das so sehr die Wahrheit liebt, dass dies sogar die Neigung nach einem angenehmen Leben überwiegen kann. Eine Instanz im Menschen, die nicht nur da moralisch ist, wo es „nichts kostet“, sondern die um die Wahrheit selbst dann kämpft, wenn der persönliche Preis hoch ist, sehr hoch...

Filme wie diese können ein tiefes Empfinden dafür wecken, was eigentlich das Wesen des Menschen ist. Woher kommt diese tiefe Liebe zur Wahrheit? Dieser Ernst in dem Kampf um die Wahrheit? Diese Opferbereitschaft?

Wahrheit, Gerechtigkeit, das Gute... Das wahre, das übersinnliche Wesen des Menschen ist ein tief moralisches Wesen. Wir vergessen dies nur allzu leicht oder entdecken dies überhaupt nicht. An Filmen wie diesen könnte man für diese Frage aufwachen. Was ist das wahre Wesen des Menschen? Woher kommt die Liebe zur Wahrheit? Eine Liebe, die sogar die Liebe zum eigenen Leben übersteigen kann. Das Wesen des Menschen ist innigst mit einer moralischen Welt verbunden – und man muss diesen Begriff so tief und spirituell begreifen wie nur irgend möglich. Es ist eine geistige Welt, die zugleich durch und durch moralisch ist. Wahrheit, Gerechtigkeit, das Gute... All dies ist das Lebenselement des Menschen. Es ist sein Lebenselement, so wie die Luft das Lebenselement des Vogels ist, das Wasser dasjenige des Fisches. Das Lebenselement des Menschen ist das Moralische in seiner Realität.

Es geht nicht um Normen und Konventionen. Es geht um die innere Stimme des einzelnen, individuellen Menschen. Der Mensch wird da Mensch, wo er ganz mit dieser Sphäre verbunden ist. Und er verliert sein Menschsein, wo er die Verbindung mit dieser Sphäre verliert.

Der Kampf um die Wahrheit – als eine gleichsam heilige Verpflichtung empfunden – ist ein Teil des wahren Menschentums. Nicht nur die Wahrheit, sondern auch das Menschentum selbst wird dort vernichtet und geschändet, wo die Lüge regiert und die Wahrheit verdreht, unterdrückt, gebeugt oder auch nur belächelt wird. Viele Menschen nehmen dies heute nicht mehr ernst – und überlassen so der Lüge und der Beliebigkeit das Feld. Die Wahrheit aber braucht Menschen, die Mut und Ernst besitzen, denn nur diese Kräfte gehen mit einer Liebe zur Wahrheit einher, die auch Opfer zu bringen vermag. Wem das eigene, angenehme Leben wichtiger ist als die Wahrheit, der kann kein Diener und Freund der Wahrheit sein. Sie ist keine billige Gespielin – wer um sie nicht kämpfen mag, ist ihrer nicht wert. Wer aber die Wahrheit nicht mehr achtet als seine eigenen Bequemlichkeiten, verliert zugleich sein wahres Menschentum. Dieses ist mit seiner Wahrheitsliebe verbunden – nicht mit seiner Bequemlichkeitsliebe...

Liebe zur Wahrheit – die eine wesenhafte, übersinnliche Realität ist. Wenn der Mensch dieser Realität nachspürt – und zugleich seiner eigenen Liebe zu dieser Wahrheit ... dann lernt er auch sein eigenes Wesen immer tiefer kennen. Es ist, wie die Wahrheit, heiliger, als es der gewöhnliche Verstand je denken könnte.