24.10.2016

Das kalte Herz – auch der Kinogänger?

Eine Kritik der Kritik. | Trailer.


Eine Märchenverfilmung mit Altersfreigabe ab 12 Jahren – das ist etwas Besonderes.
Aber diese Einstufung ist absolut berechtigt, denn der Film hat etwas Düsteres. Er ist außerordentlich gut in die Moderne umgesetzt – und gibt dennoch ganz die Stimmung eines tief im Wald gelegenen Dorfes, in dem der arme Köhler Peter Munk und die schöne Holzhauertochter Lisbeth einander heimlich lieben, ohne dass ihr reicher Vater je sein Einverständnis geben würde.

Ich beginne wieder mit einer Filmkritik. Darin heißt es:

Abgesehen von den Tannenbäumen mistet Johannes Naber den ganzen Schwarzwaldkitsch aus seiner Neuverfilmung aus. [...] Johannes Naber und sein Filmteam haben also vieles richtig gemacht, indem sie mit gewohnten Dingen und Erwartungen brechen, die Klischees der Story und den Kitsch des echten Schwarzwalds meiden.
Doch leider haben sie den einen Kitsch durch anderen ersetzt: dem zu dick aufgetragenem Wald- und Naturkitsch und dem übergeigten Fantasy-Pathos. Vater ist tot? Ein überaus fehlbesetzter Wuschelhund taucht statt seiner auf. Lisbeth ist tot? Ein kleines Vögelein schwebt nun durch die Lüfte. [...] Doch selbst wenn man geneigt ist, dem Film den Fantasy-Kitsch zuzugestehen – es ist und bliebt schließlich ein Märchen –, so fragt man sich, was denn die Ansätze von Splatter-Kitsch sollen, wenn Peters Herz madenbevölkert beim Holländer-Michel hängt und Käfer computeranimiert darüber hinwegkrabbeln.
Daher bleibt am Ende die große Frage: Für wen ist dieser Film gemacht? Wer soll dafür ins Kino gehen und wem soll der Film gefallen? Für den anspruchsvollen Kinogänger ist der Film zu platt und kitschig, für den älteren Zuschauer mit ZDF-Erfahrung ist er optisch zu überladen, für kleinere Kinder ist der Film auch nicht geeignet (FSK12), Gruselfans hingehen lachen müde. Für Action-Fans gibt es keine Action und für Fantasy-Fans vermutlich zu wenig Kitsch und Fantasy.
Der Film hat von jedem etwas, vieles zu viel und vieles zu wenig. Obwohl er vieles richtig macht, macht er leider auch vieles falsch. Das Herz der meisten Kinogänger dürfte sich bei diesem kalten Herz nicht wirklich erwärmen.


Da hat man wieder das Problem unserer Zeit: Für die einen hat der Film zu wenig „Action“, für die anderen zu wenig „Kitsch“ – und für Dritte schon wieder zu viel... Hieran kann man doch wunderbar sehen, dass das Problem nicht der Film, sondern die „Ansprüche“ der Seele sind. Und es wird doch auch wörtlich gesagt: „Das Herz der meisten Kinogänger dürfte sich ... nicht wirklich erwärmen.“ Das Problem ist also gerade das kalte Herz!

Was ich gesehen habe, war ein Film, in dem auf wunderbare Weise – und dank der entsprechenden Abwandlung der Vorlage von Wilhelm Hauff – das Heiligste überhaupt zum Thema werden durfte: das Mysterium des menschlichen Herzens und der Liebe. Eindrücklich zeigt der Film, was geschieht, wenn dieses Mysterium ... nicht erkannt und geheiligt wird.

Die Art der Verfilmung ist gerade ein Zugeständnis an die heutigen Gewohnheiten – denn wer würde noch einen schlicht inszenierten Film ohne Spannung, ohne Düsternis und so weiter anschauen? Und nun ist es „für den anspruchsvollen Kinogänger“ noch immer nicht gut genug, noch immer „zu platt und kitschig“. Man möchte meinen, dieser Kinogänger hat ebenfalls überhaupt kein Herz mehr.

Was ist denn Kitsch? Kitsch ist, was nicht wahr und tief und echt empfunden wird. Auch dies kann wieder das Problem des Kinogängers selbst sein. Denn wenn man tief empfinden kann, ist dieser Film überhaupt nicht kitschig, sondern zeigt einfach nur tief den Gegensatz zwischen der reinen Liebe und ... dem Fehlen solcher tiefen Empfindungen, bis hin zum kalten Herz.

Die Rollen von Peter Munk (Frederick Kauf) und Lisbeth (Henriette Confurius) sind hervorragend besetzt und gespielt. Ihre zarte, heimliche Liebe und das, was ihr entgegensteht, berührt die Seele. Die brutale Verachtung der Holzfäller für die armen Köhler ist wie ein Spiegel der heutigen Gesellschaft mit ihrer schleichend, aber extrem zunehmenden neuen Spaltung zwischen Arm und Reich.

Dass die im Film sichtbaren Herzen das Mysterium des menschlichen Herzens viel zu materialistisch darstellen, ist in der heutigen Zeit vorauszusehen. Das Bild der Maden in dem Herzen, dessen Besitzer herzlose Taten begangen hat, ist jedoch tief eindrücklich und ein echtes Wahrbild. Nur muss man eben wirklich empfinden können, dass es zugleich Bild für etwas ist – für etwas sehr Reales. Das kann man ohne ein spirituelles Menschenbild natürlich nicht mehr – und dann erscheint es nur wie „Splatter-Kitsch“.

Der Gegenpol ist das Bild des Rotkehlchens, das im Grunde nun die Trägerin von Lisbeths Seele ist. Auch dies ist ein tief eindrückliches Element in dem Film. Denn man sieht, wie tief trotz allem sogar nach ihrem Tod Lisbeths Liebe zu Peter ist: sie ist unerschütterlich, und so steht sie ihm noch im Tode ganz und gar bei. Wer dann noch Selma Lagerlöfs Legende vom Rotkehlchen kennt, der empfindet gerade aufgrund dieses Vogels unendlich viel.

Und tatsächlich ist Lisbeth Peters eigentliche Retterin. Es ist ihr liebendes Herz, das über den Tod hinaus Peter aus den Händen des Widersachers errettet. Und als sie durch die Opferkraft des Glasmännleins wieder zum Leben erweckt wird, strahlt für Momente ein sonnenhelles Licht aus dem ganzen Haus – auch dies ist wieder ein Bild für die unendliche Kraft der Liebe dieses einen Menschen und seines reinen Herzens.

Man kann dies alles als Kitsch abtun – aber dann liegt es eben daran, dass man die reale, übersinnliche Wahrheit hinter diesen Bildern nicht mehr empfinden kann und vielleicht auch gar nicht mehr empfinden will. Man kann keine Bilder mehr empfinden, man kann keine tiefen Inhalte mehr empfinden – und das alles bedeutet aber doch nur, dass man selbst immer mehr an die äußerlich-sinnliche Welt gefesselt wird und die Wärme des eigenen Herzens immer weniger und immer oberflächlicher wird.

Dieser Film trifft eine zentrale Wahrheit unserer eigenen Zeit – aber der „anspruchsvolle Kinobesucher“ hat gar nicht mehr die Fähigkeit, zu erkennen, wie sehr hier sein eigenes Schicksal dargestellt wird...