19.01.2017

Weitere Gedanken zu Gut und Böse

Unzeitgemäßes zwischen Amerika-Liebe und Putin-Hass.


Inhalt
Über die „freie Welt“...
...und ihre Selbstvernichtung
Was auch der freien Welt fehlt
Das heilige Geheimnis


Über die „freie Welt“...

Die Welt des Internets ist ein Sammelbecken der Urteile und Meinungen. Und diese entfalten sich nicht in einem Gespräch, einer Begegnung, sondern gleichsam narzisstisch, mit dem urwüchsigen Glauben, dass die eigene Meinung die richtige sei. Schon in der wirklichen Welt ist es eine Seltenheit, dass ein Mensch einem anderen wirklich mit reinem Herzen und ruhiger Seele zuhört. Das Internet ist, gerade was die Blog-Welt angeht, oft nur ein Gewitter von Monologen.

Erschreckend ist, wie jetzt Menschen, die den Anspruch haben, selbstständig zu denken und sich freizuhalten von Dogmatismen, Rassismen, Esoterismen, Kollektivismen, Fanatismen, und die auf der einen Seite aber nichts anderes tun, als eine aggressive anti-spirituelle Weltsicht zu vertreten (Ansgar Martins) oder aber mit Sarkasmen und Geschmacklosigkeiten alles an Spiritualität zu zerstören, was sie privat vielleicht noch zu pflegen meinen (Kühlewind-Anhänger Michael Eggert) – wie jetzt diese Menschen ins gleiche Horn blasen und etwa Putin verteufeln und die schwindende Insel der Freiheit (Amerika und Europa bzw. USA und EU) beschwören.

Was daran so erschreckend ist, ist ein Mehrfaches.

Man muss nicht beschönigen, dass Putin erfolgreich daran arbeitet, Russland wieder zu einer geopolitischen Weltmacht zu machen. Und dass gewisse Ideologen um ihn von einem Großrussland träumen, in dem Europa dessen Kolonie wäre. Umgekehrt jedoch braucht man sich nur Werke von Brzezinski und anderen amerikanischen Ideologen anschauen, um zu erkennen, dass auch diese Ideologen, Hardliner und Falken seit Jahrzehnten nichts anderes wollen, als die Welt zu einer Kolonie und einem Vorhof der amerikanischen „einzigen Weltmacht“ zu machen. Und nun wollen Martins, Eggert und Co. Putin zu dem übelsten Übeltäter und Amerika zu dem reinsten Hort edler Freiheitsliebe machen? Tatsache ist doch, dass die „freie Welt“ unter Führung Amerikas sich nicht gescheut hat, internationales Recht zu brechen, wo auch immer dies opportun schien – während es Putin ist, der nicht müde wird, sowohl internationales Völkerrecht und Verständigung zu betonen. Man muss sich seine Reden einmal anschauen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wer hier eigentlich auf Diskurs, Verständigung und Achtung des internationalen Rechts setzt – und wer auf Verteufelung, Sanktionen und Besserwisserei.

Man muss sich doch auch die deutschen Talkshows nur einmal anschauen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie da Moderatoren oder Moderatorinnen immer wieder versuchen, ihre vorgefasste Meinung durchzudrücken und dem Diskurs ihre Richtung aufzuzwingen. „Wir sind die Guten“ – immer und immer wieder. Und wenn dann Beobachtungen und Hinweise kommen, die dieses Bild ins Wanken bringen – ja, dann handelt es sich entweder um Idealisten, um Auf-einem-Auge-Blinde oder um „russische Trolle“. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die transatlantische Brücke steht, und ihr Weltbild darf nicht wanken – es ist der einzige Leuchtturm im Meer der Gewalt und des Chaos. Und die Atombomben, Armeen, Geheimdienste und ökonomischen Superwaffen des Westens dienen selbstverständlich nur der Verteidigung des Guten und der Freiheit – die identisch sind mit diesem Westen.

Das ist es, was an den eindimensionalen Reflexen von Martins, Eggert und Co. so erschreckt. Nicht nur ein Putin wird verteufelt, sondern auch Menschen wie Daniel Ganser, die Dinge aufdecken, welche das Idol des guten Westens zum Wanken oder sogar zum Einstürzen bringen. Also gehören auch diese „Verschwörungstheoretiker“ zur „Querfront“ oder gleich zu den ganz Rechten – jene, an die man nicht einmal zu denken wagt. Mit anderen Worten: Schon der wird verteufelt, der etwas anderes glaubt oder sogar belegt als man selber.

...und ihre Selbstvernichtung

Es mag sein, dass es sich in Amerika und Europa, Deutschland, freier lebt als überall sonst auf der Welt. Aber es ist auch so, dass diese „Supermächte“ die übrige Welt durch einen ganz anderen diktatorischen Druck als die Diktaturen dieser Welt in Armut, Elend und Perspektivlosigkeit getrieben haben. Die „freie Welt“ hat sich nie gescheut, ihre ökonomische Macht mit allen damit verbundenen Hässlichkeiten voll auszuspielen. Eines der letzten Kapitel war das Exempel, das an Griechenland statuiert wurde. Man muss nur ein wenig in die Zusammenhänge eintauchen, um zu erkennen, dass hier mit Vorsatz und voller Härte ein ganzes Land ruiniert wurde. Was jetzt im Geburtsland der Demokratie geschieht, davon wird sich dieses Land jahrzehntelang nicht erholen, vielleicht nie wieder. Und während das Staatsvermögen, Flughäfen etc. zu Billigpreisen an deutsche und andere Nutznießer verramscht wird, nur um einen Bruchteil jener Schulden zu bezahlen, in die das Land durch ausländische Finanzmarktspekulationen geriet, fehlt es der Bevölkerung immer mehr am Nötigsten, während faschistische Gruppierungen wie die „Morgenröte“ auf dem Vormarsch sind.

Dies war kein russischer Angriff – dies war das Agieren der von den USA dominierten Institution IWF und der eigenen EU-Bürokratie. Es existiert hier überhaupt kein Bezug mehr zu den menschlichen Notwendigkeiten, keinerlei Vision einer wahrhaft menschlichen Welt – es existiert nur noch kruder Zwang und Durchsetzung der reinen Lehre und des harten Dogmas. Und natürlich das gnadenlose Exempel gegen eine linke Syriza-Regierung, die eine Hoffnung auf eine neue Art des menschlichen Zusammenlebens und des menschlichen Denkens ökonomischer Zusammenhänge war.

Wer Amerika als Demokratie bezeichnet, muss sich doch einmal fragen, wie ein Milliardär Trump an die Macht gekommen ist. Er muss sich auch fragen, ob seine Herausforderin Clinton wirklich ein Hort der Freiheit und Demokratie gewesen wäre – oder nicht vielmehr auch ein Machtmensch, der hier nur einen Gipfel seiner Karriere erreichen wollte und der auch mit Russland keineswegs die Verständigung gesucht hätte, geschweige denn, sich um ein menschlicheres Antlitz der übrigen Welt gekümmert hätte. Wer von Demokratien spricht, muss sich darüber klar sein, dass die Demokratie auch in der „freien Welt“ zunehmend nur der Lack ist, der über eine Welt gelegt wird, in der das Geld, der Profit und die Einflussmacht der Reichsten den Gang der Geschehnisse bestimmt. Demokratie in Zeiten des Turbokapitalismus und des immer schonungsloseren „Wettbewerbs“ und ökonomischen Überlebenskampfes ist nichts anderes als eine Demokratisierung der Verelendung. Rudolf Steiner wies mit aller Kraft darauf hin, dass Egoismus, der unserem gesamten Wirtschaftssystem zugrunde liegt, immer nur das Elend aller vergrößern kann. Dies sehen wir jetzt in großem Maßstab. Dass dies noch nicht radikal erkannt wird, liegt daran, dass fast alle Menschen solange blind dafür sind, wie es ihnen selbst noch gut geht – und später aus Sorge um den eigenen Abstieg sich auch nicht mehr um diese Fragen kümmern können.

Insofern ist Demokratie ohne Dreigliederung – und das heißt zugleich: ohne wirkliche Menschlichkeit und Brüderlichkeit – eine Lüge, eine Farce, immer mehr nur ein Vehikel für die Geldmacht, ihr Programm weiter zu entfalten. Natürlich darf dann die Demokratie so lange da sein, wie sie noch geeignet ist, die Massen ruhig zu halten. Und sie darf sogar glauben, die Herrin im Lande zu sein. Bis die Wogen über allem zusammenschlagen. Die Superreichen werden ihre Schäfchen dann ins Trockene bringen. – Was ist das für eine Demokratie, die ihre eigenen Existenzbedingungen nicht erkennt? Die zahm und blind zulässt, dass der brutale Gott Mammon den Ast absägt, auf dem sie überhaupt nur leben kann? Die EU-Bürokratie hat es mit hässlicher Gleichgültigkeit – ja geradezu Lust – sogar mit der Wiege der Demokratie exerziert. Die „freie Welt“ braucht überhaupt keinen Putin, um sich selbst zu vernichten!

Was auch der freien Welt fehlt

Wäre auch nur etwas in den Seelen wahr geworden, was Rudolf Steiner als Anthroposophie verwandelnd in die Welt zu tragen versucht hat – es wäre nicht zu dieser Welt des Chaos und des Aufeinanderprallens von immer mehr Polaritäten gekommen. Anthroposophie als Seelen-Realität hätte eine Mitte geschaffen, in der wirklich etwas aufgeleuchtet hätte, was den Namen „Menschlichkeit“ verdient. Erst das wäre dann Freiheit ohne Verlogenheit, Gleichheit ohne Doppelmoral und Machtdenken, Brüderlichkeit statt Kälte, Gleichgültigkeit, Anti-Spiritualität oder Sarkasmus. Das aber muss man fühlen. Man muss fühlen, was fehlt – und zwar auf allen Seiten.

Die Idee der Freiheit ist etwas Wunderbares. Und der Westen hat sich diese Idee auf die Fahnen geschrieben und viel dafür getan, sie auch zu verwirklichen. Die Menschenrechte, das Grundgesetz, die Vereinten Nationen – all das sind leuchtende Zeichen dafür, dass in der Seele des Menschen etwas lebt, was in der Lage wäre, die Idee und die Wirklichkeit des Menschlichen im allergrößten Sinne rein zu fassen. Und die erschütternde Tragik ist, dass diese Idee aber immer wieder missbraucht wurde, anderen Interessen beigeordnet wurde, nicht rein blieb, sondern vorgeschoben wurde, kompromittiert, halbherzig vertreten und so weiter und so weiter. Napalm, Hiroshima, die Ermordung von Salvador Allende, Guantanamo und all die anderen unauslöschlichen Schandflecken im Gewissen der sogenannten „freien Welt“ – sie sind diejenigen Punkte in der Menschheitschronik, an denen der Westen aufwachen muss für die Frage: was ist eigentlich die wahre Aufgabe, die von der Menschheit ergriffen werden muss?

Es ist das Menschsein selbst.

Die freie Welt ist nicht nur eingekreist von einem Menschen Putin, der sich angeblich, so die hysterische „freie Presse“, am liebsten den ganzen Globus unterwerfen würde. Sie ist auch eingekreist von einem ökonomischen Denken, das über Leichen geht. Von Milliardären, die sich einen Dreck um die Welt scheren. Von Waffenfanatikern, die am liebsten Wild-West spielen würden. Von „Politikern“, die zum einstigen Ruhm der eigenen Nation zurückkehren wollen. Von kulturell-religiösen Anschauungen, für die eine Frau kein Wesen gleicher Klasse ist. Von Menschen, für die ein Ausländer per se ein Schmarotzer und Frauenschänder ist. Von Menschen, die tatsächlich mit wüster Anspruchshaltung irgendwo ankommen und in Wirklichkeit Frauen schänden. Und diese Aufzählung könnte immer so weiter gehen. Die muslimische Welt muss sich fragen, was ihr Menschenbild ist. Die ehemals christliche Welt muss sich fragen, was das ihre ist und welche Götter sie heute anbetet.

Es gibt kein wahres Menschsein unter dem Druck von Macht und Interessen, welchen auch immer. Diktaturen lassen dem Menschen keine Freiheit. Fanatiker lassen ihm keine. Ökonomische Diktaturen lassen ihm eine Scheinfreiheit – es ist die Freiheit dessen, der doch auch auf der Straße leben kann, er ist doch frei? Freiheit ohne Brüderlichkeit endet im Sarkasmus, im Kampf aller gegen alle... Die Demokratie wird von egoistischen und sogar von Hasskräften ausgehöhlt und zerstört werden, wenn sie nicht eine nächste Stufe erreicht: von der formalen Demokratie zur gelebten Brüderlichkeit. Die „freie Welt“ wird nicht bestehen bleiben, solange sie nur frei bleiben will. Steiner wies darauf hin, dass die antisozialen Impulse sich immer weiter entfalten werden und dass ihnen etwas an die Seite gestellt werden muss, das auch die anderen Impulse entfalten würde. Und das, was so notwendig war und ist, das war im Grunde die Anthroposophie selbst. Wie auch immer man es nennen möchte. Es ist die Verwandlung der Seele. Ohne dies werden die Seelen Opfer der Gegenkräfte, in welcher Gestalt sie auch auftreten.

Das heilige Geheimnis

Man muss ein Gefühl dafür bekommen – erst dann erkennt man das ganze Ausmaß. Die freie Welt hat sich (und auch die übrige Welt) längst dem Zwang des Mammon unterworfen. Sie gibt sich als Herrin und unterwirft selbst ihre Brüder innerhalb dieser freien Welt. Ein anderer Diktator ist die Gleichgültigkeit. Die Kälte. Der Spott und sogar der Hass in Bezug auf alles Geistige, was nicht bloß intellektuell bleibt. Es ist ein grausamer, aber allgemein anerkannter Diktator, dieser Spott, der alles Heilige zu entweihen sich selbst erlaubt. Wer Putin inmitten eines Rosenkreuzes abbildet, der kennt in seiner Seele schlicht nicht jene heiligen Kräfte, die das Menschentum in Zukunft brauchen wird, um den immer schlimmeren Realitäten verwandelnd zu begegnen. Er kennt sie nicht, aber er tritt sie dennoch in den Schmutz, genüsslich, mit einem Machtkitzel, einer geheimen Freude am Zertrampeln, Spotten und sogar Hassen.

Das Prinzip ist das Gleiche wie bei einem Attentäter – auch wenn es nur in Wort und Bild verwirklicht ist. Deshalb hält man sich für besser. Wie sehr man aber auch selbst den zerstörerischen Kräften dient, das kann man nicht erleben. Der einzige Weg in eine menschliche Zukunft führt aber über die Selbsterkenntnis, oder, wie Novalis sagte: Der Weg führt nach innen. Hier, im Inneren, liegt die Zukunft des Menschlichen – oder es gibt sie nicht.

Solange das Heilige nicht lieben gelernt wird, solange es nicht einmal gefunden wird, ja, solange es überhaupt nicht mehr gesucht wird, wird es für diese Welt keine Hoffnung geben – weder für die „freie Welt“ noch für irgendeinen anderen Teil. Die Hoffnung liegt nur in dem, was diese Welt immer weniger kennt und immer mehr abweist...

Aufklärer, Fanatiker, Spötter, Querfrontler, Hintergrundrecherchierer, Verschwörungstheoretiker, Möchtegern-Anthroposophen, Esoterikspieler, Intellektuelle, Stammtischredner, Neurechte und Reichsbürger – wen man alles auch aufzählen mag, sie alle weisen in gleicher Weise jene Kräfte ab, die heilend und heilig in der Seele ein neues Menschentum reifen lassen würden. Ohne diese Kräfte aber werden alle diese Gruppierungen sich einst die Köpfe einschlagen. Im übertragenen Sinne tun sie es schon jetzt – rücksichtslos und ohne irgendein Empfinden dessen, was das Heilige ist. Wenn man Rosa Luxemburgs Briefe aus dem Gefängnis liest, dann weiß man, weil man es fühlt, dass sie jenen einen berühmten Satz nicht nur so dahingesprochen hat. Es gibt Menschen, die besitzen eine tiefe, tiefe Menschlichkeit. Sie sind Vorgänger einer anderen Zukunft. Alle Übrigen können nur darum ringen, zumindest ihre Sehnsucht nach diesen heiligen Kräften wiederzufinden. Erst dann kann der Weg nach innen überhaupt beginnen...

Das Heilige... Wer kann es ernst nehmen? Wer kann erkennen, was das wirklich ist: das Heilige... Und wer kann seine Seele zu einem Ort machen, der nicht wüst und leer ist, sondern ein Ort eines heiligen Wachstums, ein fruchtbarer Boden für das unnennbare Geheimnis heiliger Kräfte... Es beginnt mit einer aller-aufrichtigsten Sehnsucht. Diese zu finden und wirklich ernst zu nehmen, wäre schon die allererste wirkliche Selbsterkenntnis. An diesem Punkt würde die Verwandlung beginnen.