21.01.2017

Der verborgene Schatz in Trumps Antrittsrede

Eine Hinführung zum Möglichen.


Inhalt
Die Reaktionen
Die wirklichen Worte
Was sagt Trump also wirklich?
Worum es nicht geht
Der verborgene Schatz


Die Reaktionen

Es ist interessant, wie die Presse auf Trumps Rede reagiert hat. Überall heißt es, der Tenor sei: „Amerika First“. Diese Aussage an sich ist absolut nichtssagend.

Einige Reaktionen auf die Rede:

Sigmar Gabriel (SPD-Bundesvorsitzender): „Der meint es bitterernst. Das waren heute hoch nationalistische Töne. ... Der meint es wirklich ernst, und ich glaube, wir müssen uns warm anziehen.“

Jürgen Trittin (Grüne, Mitglied Auswärtiger Ausschuss): „Amerika zieht sich von der Weltbühne zurück. Donald Trump [...] zeichnet ein düsteres, völlig verzerrtes Bild von einem Amerika am Boden. [...] Er macht Amerika nicht groß, sondern klein. Protektionismus wird Programm. [...] Angesichts dieses Rückzuges muss Europa zusammenstehen und einstehen für unsere multilaterale Weltordnung.“

Jürgen Hardt (CDU, Koordinator für Transatlantische Beziehungen im Auswärtigen Amt): „Amerikas Wohlstand und Weltgeltung werden nicht wachsen, sondern schwinden, wenn das Land sich abschottet. Immerhin hat er sich dazu bekannt, Allianzen zu stärken.“

Die wirklichen Worte

Doch was hat Trump wirklich gesagt? Ich zitiere aus seiner Rede:

„Der 20. Januar 2017 wird als der Tag in der Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder zu den Herrschern dieser Nation wurde. Die vergessenen Männer und Frauen unseres Landes werden nicht mehr vergessen sein. Alle hören jetzt auf euch. [...]
Im Zentrum dieser Bewegung steht die entscheidende Überzeugung, dass die Nation da ist, um ihren Bürgern zu dienen. Amerikaner wollen tolle Schulen für ihre Kinder, sichere Wohngegenden für ihre Familien und gute Jobs für sich selbst. [...]
Doch für zu viele unserer Bürger gibt es eine andere Realität: Mütter und Kinder, die in unseren innerstädtischen Problemvierteln in Armut gefangen sind; verrostete Fabriken, die wie Grabsteine über die Landschaft unserer Nation verstreut liegen; ein Bildungssystem, das genug Geld hat, das aber unsere jungen und schönen Schüler jeglichen Wissens beraubt; und das Verbrechen und die Banden und die Drogen, die zu viele Leben gestohlen und unserem Land so viel unerfülltes Potenzial genommen haben.
Dieses Massaker Amerikas endet hier und jetzt. [...]
Wir haben Billionen und Aberbillionen von Dollar im Ausland ausgegeben, während die amerikanische Infrastruktur zerfallen ist. Wir haben andere Länder bereichert, während sich der Reichtum, die Stärke und das Selbstbewusstsein unseres eigenen Landes sich über dem Horizont aufgelöst hat.
Eine Fabrik nach der anderen schloss und verließ das Land, ohne auch nur einen Gedanken an die Millionen und Abermillionen amerikanischer Arbeiter zu verschwenden, die zurückgelassen wurden. Der Reichtum unsere Mittelklasse ist von ihr gerissen und in der ganzen Welt verteilt worden.
[...] Vom heutigen Tag an wird eine neue Vision unser Land regieren. Vom heutigen Tag an wird es nur noch Amerika zuerst heißen, Amerika zuerst.
Jede Entscheidung zum Handel, zur Besteuerung, zur Einwanderung, zur Außenpolitik wird zum Wohl der amerikanischen Arbeiter und amerikanischen Familien gemacht. Wir müssen unsere Grenzen vor der Verwüstung schützen, die andere Länder anrichten, die unsere Produkte herstellen, unsere Unternehmen stehlen und unsere Arbeitsplätze zerstören. [...]
Wir werden neue Straßen und Autobahnen und Brücken und Flughäfen und Tunnel und Bahnstrecken quer durch unser wunderbares Land bauen. Wir werden unsere Leute aus der Sozialhilfe holen und wieder zur Arbeit bringen, unsere Nation mit amerikanischen Händen und amerikanischer Arbeit wieder aufbauen.
Wir werden zwei einfachen Regeln folgen - amerikanisch kaufen und Amerikaner anheuern.
Wir werden uns bei den Nationen der Welt um Freundschaft und Wohlwollen bemühen, aber wir tun dies in dem Verständnis, dass es das Recht aller Nationen ist, ihre eigenen Interessen vorneanzustellen. Wir streben nicht danach, jemandem unsere Lebensweise aufzuzwingen, sondern, sie als Beispiel leuchten zu lassen. Wir werden leuchten, damit uns alle folgen.
Wir werden unsere alten Allianzen verstärken und neue bilden und die zivilisierte Welt gegen radikal-islamischen Terrorismus vereinen, den wir vom Erdboden auslöschen werden.
Die Grundlage unserer Politik wird eine absolute Loyalität zu den Vereinigten Staaten von Amerika sein, und durch unsere Loyalität zu unserem Land werden wir die Loyalität zueinander wiederentdecken. Wenn ihr euer Herz dem Patriotismus öffnet, dann gibt es keinen Platz für Vorurteile. [...]
Es ist Zeit, sich an die alte Weisheit zu erinnern, die unsere Soldaten niemals vergessen werden – dass, egal ob wir schwarz, oder braun oder weiß sind, in unseren Adern dasselbe, rote Blut von Patrioten fließt. Wir alle genießen dieselben glorreichen Freiheiten und wir alle salutieren der gleichen, großartigen amerikanischen Flagge.
Und egal, ob ein Kind um Großraum von Detroit geboren wird oder auf den windgepeitschten Ebenen von Nebraska, sie blicken auf zum gleichen Nachthimmel, sie haben dieselben Träume im Herzen und sie werden vom gleichen allmächtigen Schöpfer mit dem Hauch des Lebens durchdrungen.
Alle Amerikaner in jeder Stadt, nah und fern, groß und klein, von Berg zu Berg, von Ozean zu Ozean, hört diese Worte. Ihr werdet niemals mehr ignoriert werden. Eure Stimme, eure Hoffnungen und eure Träume werden unser amerikanisches Schicksal bestimmen. Und euer Mut und eure Tugend und Liebe wird uns für immer auf diesem Weg leiten.“

Was sagt Trump also wirklich?

In seiner Rede geht es ihm um die Menschen. Es geht ihm um den amerikanischen Wohlstand und den amerikanischen Patriotismus, und er meint eine neue Einigkeit unter den Amerikanern – die spüren, dass es wieder um sie geht, in Nah und Fern, ob reich oder arm.

Das ist interessant – und auf ihre Art ist die Rede groß, wirklich groß. Und die Äußerungen der zitierten Politiker? Sie sind klein, reflexhaft, verängstigt, sie basieren auf Denkschablonen, die nur im Kopf und vom Kopf geäußert werden, ohne von Erleben gesättigt zu sein. Gabriels Bemerkung „Der meint es wirklich ernst, und ich glaube, wir müssen uns warm anziehen“ ist so armselig wie nichtssagend. Schon jetzt hat man Trump also nichts entgegenzusetzen, blickt wie ein verängstigtes Kaninchen auf diese Antrittsrede – und hat nicht das geringste Eigene zu sagen, keine eigene Vision...

Dabei hat Trump nichts anderes getan, als zu versprechen, sich mit jedem Atemzug für das Wohl der Amerikaner einzusetzen – für die Mittelschicht, für die Mütter und Kinder der innerstädtischen Problemviertel, für verrostete Fabriken, für die Schulen, für ein anderes Bildungssystem, für eine neue, blühende Nation.

Die Gesinnung, die daraus spricht – wenn sie aufrichtig ist oder wäre –, ist eine wunderschöne. Jeder Politiker sollte in dieser Konkretheit und wirklichen Leidenschaft das Wohl der Menschen im Blick und im Herzen haben. Ein Land sollte nicht mit Abstraktheit regiert werden, sondern mit Leidenschaft – mit Liebe zu den konkreten Menschen und ihrem Wohl. Wenn dies nicht mehr der Fall ist, dann entstehen bloße Systeme, Verwaltungen, Vorschriften etc., die noch immer dem Guten zu dienen behaupten, aber längst den Menschen verloren haben und ihn zum Objekt ihrer selbst machen. In Trumps Rede wird dieser Dogmatismus und diese Abstraktheit durchbrochen. Er verspricht, jenseits unmenschlich werdender Eigendynamiken und Verwaltungsvorgänge mit den Menschen in Berührung zu bleiben.

Statt betroffener und verängstigter Standard-Reaktionen hätte diese Rede ein großartiger Anlass sein können, nun auch selbst grundsätzlich neue Fragen zu stellen – über das Leben, die Politik, die bewusst eingeführten und die unbewusst herrschenden Dogmen, die unser aller Leben bestimmen. Die Trump-Rede hätte Anlass gewesen sein können – und könnte es immer noch sein, radikale Fragen zu stellen. Jede Philosophie beginnt mit radikalen Fragen. Nicht nur Fabriken können rosten, auch Politik kann rosten, auch das menschliche Denken kann rosten – und zu lange haben sich Politiker nicht mehr gefragt, ob sie ganz grundsätzlich noch die richtigen Fragen stellen, radikal genug. Oder auch: ob sie noch die richtige Leidenschaft haben.

Eines hat Trump der Welt in jedem Fall gezeigt: Dass es möglich ist, Politiker zu sein, ohne mit stets wohl abgewogenen Standard-Antworten in die Kamera zu blicken und im Grunde die Kunst des Nichtssagenden zu üben.

Worum es nicht geht

Es kommt nicht darauf an, jetzt den Nachweis zu führen, dass Protektionismus die Welt allzuoft in Abgründe geführt hat, dass Nationalismus und Patriotismus immer wieder in Kriege gemündet hat, dass auch Hitler oder heutige Rechtsaußenpolitiker wie Höcke mit Leidenschaft sprechen und das gesamte Establishment verhöhnt und verachtet haben bzw. dies tun. Es kommt auch nicht darauf an, ob ein Multimilliardär wie Trump seine Worte wirklich aufrichtig ernst meint (was selbst Gabriel meint), oder ob er nur gekonnt auf der Klaviatur der Seele spielt und nach vier Jahren nichts anderes vorzuweisen hat, als vier Jahre lang Präsident gewesen zu sein, der „mächtigste Mann Amerikas“, sogar unabhängig von fremdem Geld, weil er genug eigenes hat.

Es kommt auch nicht darauf an, dass er sich im Wahlkampf bereits abfällig gegen nahezu jede Gruppe geäußert hat – Frauen, Ausländer und so weiter. Auch nicht darauf, dass er, wenn er seine Botschaft wirklich wahrmachen wird, sie auf seine Weise wahrmachen wird – und dann ein anderes Bildungssystem vielleicht Computer schon in den Kindergärten meint. Selbst eine Vision muss ja erfüllt sein – und die Frage ist, welche Gestalt sie konkret annimmt.

Aber die Trump-Rede könnte der Anlass sein, die Grundfragen, die er aufgeworfen hat, neu zu stellen: Was ist eigentlich eine Nation – oder könnte es sein? Was ist eigentlich Patriotismus, Liebe zum eigenen Land – oder könnte es sein? Was ist eigentlich das Wohl der Menschen – oder könnte es sein? Und wie kann man dieses Wohl erreichen?

Wir stehen vor zwei grundsätzlich verschiedenen Wahrheiten – die beide wahr sind. Protektionismus und Abschottung, die ja eine Form des Egoismus ist, führt zu allgemeinem Elend. Wie in dem Bild die Sünder in der Hölle nur an sich denken, anstatt mit ihren überlangen Löffeln einander zu füttern. Aber die Idee des Patriotismus nach innen gewandt führt, wie Trump richtig ausführt, gerade zu Liebe zum Mitmenschen. Es ist eine verbindende Vision. Und es ist dann nicht der abstrakte Patriotismus, der zum Wohlstand führt, sondern die konkret wirkende Gesinnung der Liebe – die den Menschen konkret für den Mitmenschen arbeiten lässt.

Der entscheidende Punkt ist, dass diese Liebe, die einer realen Idee entspricht („wir sind ein Volk, wir sind eine Nation) eine wunderbare Kraft ist, die nicht notwendigerweise in Abgrenzung und Kampf gegen Andere münden muss. Zunächst ist sie eine rein positive Kraft, ein „nicht ich, sondern wir“.

Wir leben in einer Welt, in der „Ich“ und „Wir“ überall in falscher Weise durcheinandergemischt sind. Das „Wir“ wendet sich gegen die Anderen – und zwar nicht erst im falsch verstandenen Nationalismus, sondern auf allen Ebenen. Denn die ganze Wirklichkeit ist dominiert von einem ökonomischen System (Kapitalismus), das auf dem Egoismus als Grundprämisse aufbaut. Immer geht es um Konkurrenz, nie um Zusammenarbeit – oder wenn doch, dann wieder gegen Andere. Allianzen werden geschlossen – gegen Andere. Und selbst innerhalb der Allianz vertraut man sich oft nicht wirklich, denkt auch hier vor allem an das eigene Wohl. Sprache und Denken, Aussagen und Handeln – alles fällt auseinander. Es wird kalkuliert, es wird am eigenen Einfluss gearbeitet, man verhandelt, aber nie ohne Hintergedanken und Eigeninteressen – und nirgendwo gibt es ein echtes „Wir“.

Der verborgene Schatz

Was in dieser Welt unbedingt notwendig ist, ist eine Entfaltung dieser zwei Grundkategorien: das „Ich“ und das „Wir“ – eine wirkliche Entfaltung, eine reine Entfaltung, die dann auch eine reine Verbindung werden kann. Die Waldorfpädagogik will eine Erziehung geben, in der sich die Individualität in einer Weise entfaltet, dass Ich und Wir sich nicht ausschließen, weil die Individualität die Welt immer mehr lieben lernt. Und umgekehrt kann jede Liebe zu einem Wir (ein anderer Mensch, eine Familie, eine Gemeinschaft, eine Nation) Ausgangspunkt für eine noch weiter wachsende Liebe sein. Eine wahrhaftige Liebe zum eigenen Land, ein herzenswarmer Patriotismus im besten Sinne, kann ein viel realerer Ausgangspunkt für eine Liebe zur Menschheit überhaupt sein als ein abstrakt angelerntes „Zivilisationsdenken“, das in Wirklichkeit wenig mehr empfindet als eine blasse Idee der einen Menschheit, die im nächsten konkreten Moment auch wieder nur von allen möglichen Egoismen überrollt wird. Denn man kann ein vermeintlicher „Humanist“ sein und dennoch dem Mitmenschen brutal die schlimmsten Unterstellungen an den Kopf werfen. Dann ist die Idee des Humanen eine reine Abstraktion. Viel realer ist dann der Beginn eines realen Patriotismus, der eine Art wirkliches Feuer im Herzen am Brennen hält.

Was unbedingt notwendig ist, ist, dass „Ich“ und „Wir“ wirklich eine Brücke zueinander finden. Das bedeutet zugleich, dass Denken und Fühlen eine Brücke zueinander finden müssen. Nicht auf abstrakte Umerziehung im Sinne von „Multi-Kulti“ und „Political Correctness“ geht es, sondern um wirkliche Liebe zum Mitmenschen – basierend auf einer real erlebten Idee von diesem Mitmenschen, und das heißt, auf einem wirklich spirituellen Menschenbild. Nur dann kann diese Liebe auf Dauer mehr sein als eine bloße Schimäre. Und nicht um dumpfe Antipathien gegen das Fremde und Nicht-Dazugehörende geht es, sondern um kristallklare Gedanken, um eine wirkliche Vision der einen Menschheit – und um die klare Erkenntnis, wie eine solche einige Menschheit werden und entstehen kann.

Der Mensch muss wahrhaft Mensch werden, selbst, und er muss im Mitmenschen wahrhaft den Bruder und die Schwester sehen. Liebe und Erkenntnis müssen zusammenströmen. Konkrete Erkenntnis und konkrete Liebe. Aber die Liebe wird Erkenntnis – und zugleich ist die Liebe aus der Erkenntnis geboren. Das ist das Zusammenwachsen von Ich und Wir – es ist die Geburt des Ich ... und dann daraus hervorgehend die Geburt des Wir. Das wahre Ich wird in Liebe und Erkenntnis geboren – und dieses wahre Ich kann und will nicht anders, als sich mit dem Anderen zu verbinden. In Freiheit, in Gleichheit und in Brüderlichkeit. In Liebe.

Man wird Trump wie jeden anderen Menschen an seinen Taten und seiner inneren Aufrichtigkeit messen. Aber das, was in seiner Rede liegt, ist etwas Konkretes – es sind keine allgemeinen Verlautbarungen, es ist eine Botschaft, ein Paradigmenwechsel. Es kommt nicht darauf an, was er daraus macht und wie er es letztlich auslegen oder benutzen oder was auch immer wird. Es kommt darauf an, dass gerade an einer so real in eine reale, konkrete Sphäre vorstoßenden Rede eigene radikale Fragen und Gedanken entzündet werden könnten.

Die Zeit ist reif, um sich nicht „warm anzuziehen“, sondern Gedanken zu entfalten, die der Welt eine völlig neue Wärme geben könnten. Und es ist egal, ob man bei der eigenen Nation anfängt oder woanders. Wichtig ist nur die Qualität der Wärme an sich. Es geht um den realen Schritt zu einem viel realeren „Wir“, als es heute verwirklicht ist – und um die Erkenntnis, mit welcher Qualität dies allein möglich ist. Es geht darum, diese Qualität in der Welt geboren werden zu lassen.