13.02.2017

Demut kann man nicht fordern

Über die neusten Entstellungen des wütenden „Egoisten“ Eggert.


In seinem neuesten Beitrag zieht Michael Eggert wieder über jemanden her – diesmal über Lorenzo Ravagli, der in seinen gründlichen Aufsätzen auf Anthroblog versucht, dem Leser wesentliche Aspekte der Anthroposophie und der Biografie ihres Begründers erlebbar zu machen. Eggert schreibt, vom ersten Satz an mit spottendem Sarkasmus:

Die moralischen Bedingungen - gewissermaßen das Treibhaus, in dem der anthroposophische Christus- Geist gedeiht- hatten schon immer etwas moralin- Saures, zutiefst Spießiges, einen implementierten Code des Verhaltens, Denkens und auch Empfindens, inklusive spezifischer exklusiver Anleitungen zum Unglücklichsein. Nur dann, wenn die moralischen Bedingungen erfüllt wären, die in sich unmöglich zu realisieren sind („Habe gefälligst Demut“) kann in die reine Seele des Anthroposophen der beseligende Christus- Geist einziehen und ihn erleuchten und intuitiv befruchten. [...]
Die reine Seele, freilich, hat es nicht leicht. Nicht nur Gegner und Feinde des Geistes bevölkern die Gegenwart, auch leichtfertige, lotterhafte Steiner- Interpreten, die sich dieser Moral nicht anschliessen wollen. Sie weigern sich einfach, Rudolf Steiners spirituelle Weltsicht als Katechismus zu begreifen, picken sich einzelne Aspekte aus dem Werk des Meisters heraus und weigern sich, andere anders als zeitgebunden anzusehen. Das sind die lauwarmen Geister, die keine wirkliche karmische Grundlage besitzen, kein wirkliches, umfassendes anthroposophisches Verständnis, keine Liebe für den Schulungsweg und die Vollendung in Christo. Sie verwässern das Werk, indem sie intellektuell auffassen, was doch in strenger Moral und konsequenter, aufopfernder Lebensführung verwirklicht werden sollte. Sie gehören nicht in unsere Gruppe der Platoniker und Aristoteliker des wahren Geistes.
Falls der geneigte Leser sich den Moralisten anschliessen möchte, kann er das durchaus bei Autoren der Gegenwart tun. Sie finden die Auffassung vom anthroposophischen Moral- Treibhaus, in dem die guten Absichten wuchern, sogar bei Repräsentanten von einigem Rang, wie z.B. Lorenzo Ravagli, der noch die Gelegenheit ergreift, wieder einmal dem Katholiken Helmut Zander den wahren „Weg der Transformation des Menschen“ vor die gläubige Stirn zu stossen: „Die Selbsterziehung ist moralische Selbsterziehung. Was Helmut Zander abschätzig als »Tugendkataloge« bezeichnet, ist in Wahrheit eine Schilderung der Seelenverfassung, die derjenige erzeugen muss, der dem lebendigen Christus einen Zugang zu seinem Herzen gewähren will. Dass der katholische Theologe dieser Seelenverfassung mit solcher Häme begegnet, zeugt nur davon, wie sehr er sich von jenem Wesen entfernt hat, dem er aufgrund seiner Profession verpflichtet sein sollte. Das vollendete Wesen der Liebe kann in eine Seele, die von Hass oder Neid, von Missgunst oder beißender Kritik zerfressen ist, nicht eintreten. Sie muss das Brautgemach erst zubereiten, in das ihr himmlischer Bräutigam einziehen soll.“
Zu den systemischen Paradoxien von Hardliner - Anthroposophen wie Ravagli gehört, dass sie, die sich in der offenbar vorliegenden Gewissheit sehen, in der sie exklusiv „dem lebendigen Christus einen Zugang“ zu ihrem Herzen gewähren können, ihre eigene Bescheidenheit, das Fehlen von Hochmut und ein Höchstmaß von Demut als gegeben voraussetzen: „Die erste moralische Anforderung ist daher, dass sie sich vom Hochmut befreit, so wie Christus selbst sich vom Hochmut befreite, indem er sich zum Diener und Erlöser aller Wesen erniedrigte, indem er seinen Jüngern die Füße wusch, zu den wüstesten Anklagen schwieg, sich auspeitschen und verhöhnen ließ usw.“ Ja, der karmisch erlesene Anthroposoph weiß in seiner Eigenwahrnehmung, dass er in seinen Beschimpfungen der Gegner vielmehr eigentlich „das Wesen des Christus, die selbstlose Liebe“ praktiziert. [...]
Und was ist, wenn die Menschen und Wesen sich weder belehren noch befreien lassen wollen von den edlen, reinen Geistesschülern, die sich für sie aufzuopfern behaupten? [...] Was ist, wenn die Formeln von der „mystischen Vereinigung des Menschen mit Christus in der intuitiven Erkenntnis“ sich in phrasenhafter Leere entzaubert und entlarvt haben? Was ist, wenn der „lebendige Geist“ längst in der Welt ist und es nicht für nötig befindet, sich in einem moralisierenden System von Belehrung und Selbstvergottung gefangen zu sehen, das sich für seinen legitimen und exklusiven Verwalter hält? Was ist, wenn die anthroposophische Attitüde einen Widerspruch in sich selbst darstellt, der nichts als Neurosen und verkorkste Biografien züchtet?

Es ist erschreckend, wie weitgehend Eggert auf diese Weise gemeinsame Sache mit Helmut Zander macht – einem Mann, der etwa in seiner „Steiner-Biografie“ Seite für Seite tendenziöse Stimmungsmache betreibt – wie ich in meinem Werk „Unwahrheit und Wissenschaft“ detailliert nachweise. Aber was Eggert und Zander offenbar eint, ist, dass sie einen Menschen wie Steiner sichtlich überhaupt nicht ertragen können – demzufolge auch keinerlei Versuche einer kompromisslosen Darstellung, was die Anthroposophie eigentlich ist.

Was hat Eggert mit Ravagli überhaupt zu schaffen? Ravagli beschreibt sehr genau, wie Rudolf Steiner die Anthroposophie entfaltet hat und welche Voraussetzungen sie hat. Wenn eine solche Darstellung auf die Häme und den beißenden Spott Eggerts trifft, sagt dies einmal mehr wesentlich mehr über den Spötter aus als über den Verspotteten.

Wenn Ravagli das Wesentliche der Anthroposophie darzustellen versucht, sagt dies nichts über den eigenen Anspruch, alle Voraussetzungen in Vollkommenheit verwirklicht zu haben – es ist der Versuch, das Wesen der Anthroposophie in einer wahrheitsgetreuen Darstellung zu beschreiben.

Offenbar darf schon das heute nicht mehr sein – und ganz schlimm wird es, wenn auf die Bigotterie eines Zander hingewiesen wird. Dann wettert Eggert über Ravagli, diesen angeblichen selbsternannten Heiligen. Was Eggert einfach nicht ertragen kann, ist die Wahrheit von Ravaglis Sätzen.

Das Christus-Geheimnis und das Geheimnis der Demut gehören zusammen. Ravagli fordert von niemandem Demut – das zu suggerieren, ist einfach eine lügenhafte Darstellung von Eggert, die nur seinen eigenen Abwehrmechanismen zuzuschreiben ist. Das Moralinsaure liest Eggert nur selbst in eine Darstellung hinein, die wahrheitsgetreu und wissenschaftlich in ihrer Sorgfalt ist. Anthroposophie selbst ist durchdrungen von moralischen Bedingungen, weil sie ganz aus einer Wandlung der Seele besteht. Das Wort „muss“ ist dabei stets nur Wegweiser – und wird natürlich immer nur von denen verwirklicht werden, die gehen wollen. Bei Steiner hat das Wort „muss“ durch seinen ganzen Zusammenhang etwas Begeisterndes – nicht Ahriman, sondern Michael spricht da. Wer das nicht unterscheiden kann, kennt das „Tor der Demut“, aber auch das der aufrichtigen Begeisterung noch nicht – oder nicht mehr.

Das ist wohl das größte Leiden des modernen „Ich“, dass es weder das eine noch das andere mehr kennt. Unfähig zur Demut und unfähig zur Begeisterung kann es nur noch spotten und sich über jene erheben, denen es Bigotterie vorwirft, nicht erlebend, dass es in seinem ganzen Spotten selbst vor einer vollkommenen Leere steht.

Eggert und Zander sind ein perfektes Paar. Sie müssen das Wahrhaftige heruntermachen und entstellen. Auch hier feiern die „alternative facts“ Hochkonjunktur. Wahrhaftig wäre es, wenn Eggert offen Front machen würde gegen den schon in der Anthroposophie selbst angelegten unzeitgemäßen moralischen Rigorismus – denn so muss er es ja sehen. Stattdessen projiziert er den angeblichen Rigorismus auf Ravagli, bleibt in Bezug auf die Anthroposophie selbst diffus bis steinbruchartig-eklektisch und freut sich, dass er neben den angeblichen Putin-Freunden noch ein weiteres Feindbild hegen darf: den bigotten Erz-Anthroposophen.

Das satte, zufriedene Ich, das sich unglaublich weise dünkt in seiner Bigotterie-Entlarvung, in Wirklichkeit aber nur seine eigene Armut und Lieblosigkeit kaschiert, das ist die wahre Bigotterie in ihrer Essenz. Ein Ravagli kann die hochmütigen Seelen nicht von ihrem Weg abbringen. Nicht einmal Steiner konnte das. Nicht einmal Christus. Das Tor der Demut muss jeder selbst finden.

Das Gleiche gilt für die eigenen Bigotterien. Ravagli fordert von niemandem etwas. Er predigt nicht, sondern er stellt gewissenhaft dar. So etwas dann Bigotterie zu nennen, ist selbst bigott – vor allem, wenn man kurz zuvor einen Aufsatz über „erkennendes Fühlen“ veröffentlicht hat, in dem man den Anspruch erhebt, etwas vom Logos-Mysterium verstanden zu haben.

Dann wende man es doch einmal auf jene Texte an, denen man sofort Bigotterie vorwirft, weil man die eigenen seelischen Unreinheiten und Ungeklärtheiten nicht außen vor lassen kann. Wer nicht bereit ist, das reine Denken und Fühlen walten zu lassen, wittert überall Bigotterie und Selbsterhöhung. Wer einfach einmal all seine niedere Abwehr schweigen lassen kann, der würde zu einer Selbsterkenntnis kommen – wieviel „Reinheit“ und „Selbsterziehung“ er überhaupt zu ertragen gewillt ist.

Das fortwährende Ankämpfen gegen jene, die davon schreiben, ist eine bequeme Projektionsfläche, aber mehr auch nicht. Es ist bequeme Ausflucht, um sich nicht seinen eigenen Unwilligkeiten oder Unfähigkeiten stellen zu müssen. Das moderne Ich in all seiner Armut lässt dann grüßen. Der angebliche Erz-Anthroposoph wird zum willkommenen Prügelknaben für die eigene Selbstüberhöhung – und die Gretchenfrage bleibt: Wie hältst du es mit der Anthroposophie?