11.04.2017

Die Passionszeit der Anthroposophie

Das Leiden des Wahrheits-Wesens.


Inhalt
Der Ur-Impuls
Der verlorene Geist und der Anti-Geist
Rudolf Steiners „Jugendkurs“
Eggerts neue Angriffe
Verschwörungen
„Wiederum dazu kommen...“
Eggerts schwarze Logik


Der Ur-Impuls

Schon als Rudolf Steiner noch lebte, litt er an all jenen Anthroposophen, die die Anthroposophie nicht verstanden – sei es, dass sie sie zu intellektuell, sei es, dass sie sie zu mystisch-genüsslich nahmen ... oder sei es, dass es weder zu Intellektualität noch zu Mystik reichte.

Nach Steiners Tod ging diese Entwicklung weiter. Dennoch gab es viele Menschen, die ihn noch erlebt hatten und mit bewundernswerter Hingabe Großes leisteten. Ich denke an Waldorflehrer, Ärzte, Priester – und viele andere. Hier wurde etwas in die Welt gestellt, von dem man unmittelbar staunend berührt sein konnte, um in seiner ganzen Seele zu fragen: So kann Pädagogik sein? So kann ein Arzt behandeln und heilen? Solche Religion ist möglich?

Wenn man die Lebenserinnerungen dieser frühen Waldorflehrer oder Priester liest, kann etwas erlebbar werden von dieser ungeheuren Aufbruchsstimmung, von diesem reinen Geisteslicht, das hier mitten in eine geistleer gewordene Welt gefallen war. In einzelnen Menschen lebte das neue, tiefe Verständnis des Kindes – und sie wurden Waldorflehrer, an die sich eine ganze Generation erinnerte, Erinnerung an beglückende Jahre der eigenen Kindheit und Jugend. In ihnen lebte ein tiefes Verständnis des Christus-Wesens und des Christus-Impulses und sie wurden Priester der Christengemeinschaft – Teil eines wachsenden Priesterkreises, der mit Hingabe danach strebte, durch den Kultus und das eigene Sein und Werden, das eigene Denken, Fühlen und Handeln ganz diesem kosmischen Liebe-Wesen zu dienen und ihr eigenes Wirken in Wahrhaftigkeit und Ernst ganz Seinem Wirken zu verbinden.

All dies waren Menschen, die in ihrem eigenen Wesen tief fühlten, empfanden, erlebten, wie sehr sich hier die Wahrheit offenbarte – das wahre, das volle Sein der Dinge, nicht nur der äußere Schein. Mochten die Angriffe, der Spott, die Verständnislosigkeit der Umwelt noch so groß sein – das eigene Herz als Wahrheitsorgan wusste, was es erkannt hatte, und das Denken konnte begreifen warum...

Doch diese Begeisterung, dieser Enthusiasmus, dieses unmittelbare und tiefe Erleben verglomm – so, wie in viel längeren Jahrhunderten ebenfalls der Enthusiasmus, die Verbindung mit einer göttlichen Welt allmählich verglommen war (en-theos = Gott in mir). Das Begreifen nahm ab, aber vor allem die Begeisterung, das ,Ergriffensein’. Immer weniger ließ sich das Herz ergreifen – und so wurde das Denken über die und auch das Denken der Anthroposophie lahm, beliebig, distanziert. Oder es verband sich mit selbstbezogenen Empfindungen, mit der Eitelkeit eines Amtes, mit scheinbar tief ernstem Esoterik-Spielen, mit einem Herabblicken auf alle, die weniger ,bedeutsam’ waren als man selbst und so weiter. Die Grundbedingungen jeder Esoterik und damit auch der Anthroposophie wurden nicht ernst genug genommen: Begeisterung, Wahrhaftigkeit, Ernst, Demut – man könnte auch sagen: tiefe Moralität.

Der verlorene Geist und der Anti-Geist

Heute sucht man seit Jahren Anschluss an die akademische Wissenschaft – aber in den meisten Fällen ist man selbst längst bloßer Akademiker geworden, zwar noch hantierend mit den Inhalten der Anthroposophie, aber ohne jede Ahnung von ihrem Wesen. Die Trennung von einer geistigen Welt wird ein zweites Mal vollzogen. Die Idee der Wiederverkörperung darf dann vielleicht noch sein, aber man lasse sie nur schön abstrakt und allgemein so stehen, um ja nicht den festen Boden unter den Füßen zu verlieren... ,Wissenschaftlich’ ist ja selbst sie schon nicht mehr...

Und die bodenlose Angst, die selbst Anthroposophen befällt, wenn sie sich der allgemeinen Welt gegenüberstehend finden, worin liegt sie? Was steht einem da gegenüber?

Es ist eine Welt, die den Geist ganz verloren hat. ,Du hast verloren den Geist, der dich wecket’, heißt es in der Menschenweihehandlung der Christengemeinschaft in der Passionszeit. Menschheits-Passion ist es, in der wir leben. Andere Geister als jener, der den Menschen wecken könnte, führen die Seelen – und die Seelen lassen sich führen, denn sie schlafen ja, auch wenn sie meinen, wach zu sein. ,Du hast verloren den Geist, der dich wecket’. Das müsste die ganze Menschheit wie zu sich gesprochen empfinden...

Wir leben in einer Welt, die bestimmt ist von Profit und von Selbstbezug. Dahinter stehen jene Geistesarten und Geistesmächte, denen die Seele heute unterworfen ist. Für diejenige Macht, der es um die Macht selbst geht, braucht es immer nur wenige Menschen, die ihr verfallen. Denn eine machtgierige Seele kann ja unzählige andere unterdrücken. Ein kleines Volk reicht zur Unterdrückung der ganzen Welt, ein Konzern reicht zur Unterdrückung der halben Welt, ein Mensch zur Unterdrückung Tausender. Nur wer fest die Augen verschließt, kann leugnen, dass das Prinzip Profit immer schamloser und immer schonungsloser durchgreifend das gesamte menschliche Leben ergreift – von der Zerstörung und Vernichtung der Natur ganz abgesehen. Die meisten Menschen sind hier nur Rädchen, die mitmachen. Aber Einige setzen es durch, setzen es ins Werk, treiben es voran ... und profitieren.

Im Irakkrieg praktizierten die USA das Prinzip des „embedded journalist“ – berichten und informieren durften nur noch jene, die „eingebettet“ waren. Gelenkte, vorgegebene, kontrollierte, fremdbestimmte Berichterstattung. Aber wir alle sind heute „embedded“ in eine Welt, die immer machtvoller suggeriert, was allein ,wahr’ ist und was nicht. Profit etwa ist ,wahr’, und das heißt immer auch: ,ohne Alternative’ (man denke an Margaret Thatchers legendäres Dogma: ,There is no alternative’, abgekürzt TINA). Die Machtverhältnisse sind ohne Alternative. Alles ist ohne Alternative – es ist, wie es ist, und die Macht derer, die es aufrechterhalten und täglich reproduzieren, ist längst so unüberwindlich geworden, dass es wirklich so ist: ohne Alternative. Das wird täglich suggeriert. Die nackte Existenz des Profit-Wirkens weltweit, jeden Tag, jede Sekunde, übt diese Suggestion aus. Aber auch jede kleine Werbung suggeriert dies: Das ist deine Welt. Es geht um Profit. Aber es geht auch um dich: also genieße! Fremdbestimmte Ermutigung, ein „Individuum“ zu werden – inmitten einer Welt, in der doch alles nur nach Zahlen gemessen wird und in der der Mensch nichts weiter ist als ... Konsument, verwalteter Bürger, Humanressource, Pluspunkt im Konkurrenzkampf der Wirtschaftsnationen. Absatzmarkt oder Ressource – aber nie Mensch, nie wirkliches Individuum jenseits von Profiterwartung oder Produktionsmittel.

Und diese gigantische, immer weiter in die Klauen der ahrimanischen Macht geratende Welt, wird nicht hinterfragt. Nicht von den Politikern, die vielmehr vor TINA kuschen, die allenfalls selbst bei dem „global play“, dem für alle inszenierten Theater Ahrimans, um ein ansehnliches Stück vom Kuchen mitspielen (genannt „Geopolitik“). Nicht von den Medien, die immer schüchterner zusammenrücken und ängstlich schauen, was der andere schreibt, um nur ja nicht zu weit davon abzuweichen und brav die vorgegebene „Wahrheit“ zu berichten. Die gegenseitigen Konventionen sind extrem genau abgesteckt, jeder weiß, was er darf und ab wann er rote Linien überschreiten würde, unsichtbare Linien, die aber doch jeder kennt. Und dann die Phrasen der Politiker, der Talkshows, der Medien, der Stammtische. Immer radikaler und immer feiner, chirurgischer, wird die Sprache manipuliert, um genau das hinzustellen, was dann als „Wahrheit“ gelten soll. Da wird aus einer krassen Verschiebung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums zu Lasten der Ärmsten mal schnell eine „Reform“. Da werden aus fanatischsten Dschihadisten eben positiv konnotierte „Rebellen“, die nur noch fanatischen sind dann bereits „gemäßigte Rebellen“ und so weiter. Zu den Phrasen gehört auch das, was standardmäßig verschwiegen wird, unter eine meterdicke Betondecke verborgen wird. Dass etwa diese Terrorbringer von Staaten finanziert wurden und werden, die leider zu den eigenen Verbündeten gehören... [Mehr zu Syrien in diesem augenöffnenden grandiosen Artikel von Robert F. Kennedy Jr.].

Die Wahrheit wird überall verschwiegen, sobald sie nicht mehr ganz so angenehm ist. Überall regiert die Phrase – die nahtlos in die absolute Unwahrheit übergeht und selbst schon Unwahrheit ist. Und all das ist eingebettet in ein grundsätzliches Niemals-Hinterfragen der längst vorgegebenen und bedingungslos akzeptierten „Wahrheiten“: Profit ist wahr, gut und ohne Alternative. Opfer gibt es immer. Sie sind aber keine wirklichen Opfer. Krieg ist wieder ein Normalzustand. Er ist notwendig – im Sinne der Geopolitik, des eigenen Wohls und auch des Wohls der dadurch Geretteten. Die Phrasen nehmen kein Ende. Unsere moderne Welt besteht aus Phrasen. Endlos wiedergekäut von oft genug wirklich ahnungslosen, immer aber mutlosen Politikern, Journalisten, „Experten“ und so weiter.

Rudolf Steiners „Jugendkurs“

Phrase, Konvention, Routine – das sind die eisernen Klauen, in denen die Gegenmacht des wirklichen Menschentums die moderne Welt im Griff hat. Gegen eben jene Klauen ist die gesamte Anthroposophie gerichtet gewesen und ist es noch immer, als dasjenige Wesen, das das wahre Wesen des Menschen ist. Und wie eine Brandfackel in die Herzen der Menschen, gerade der jungen Menschen, warf Steiner damals den Vortragszyklus „Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation“, der auch als der Pädagogische Jugendkurs bekannt ist. Und ein Jugendkurs ist er wirklich – nicht nur gerichtet an junge Menschen, sondern auch selbst reine Jugend enthaltend, jene Feurigkeit, die sich ein Mensch, der sich in Ahrimans Klauen befindet, längst abgewöhnt hat, weil sie ihm abgewöhnt wurde.

Jeder Mensch sollte diese Vorträge einmal selbst lesen – und sei es nur den ersten –, und er würde ein unmittelbares Gefühl dafür bekommen, wer Rudolf Steiner eigentlich war, jenseits von allen Urteilen über ihn.

In diesen Vorträgen macht er erlebbar, wie die Welt allmählich in der Phrase, in der Konvention und in der Routine versank, wie sich diese Kräfte wie ein Mehltau über die lebendigen Kräfte der menschlichen Seele legten. Aber dann macht Rudolf Steiner eben auch erlebbar, was der Mensch tun kann, um sich von diesen Mächten wieder zu befreien. In diesen Vorträgen lebt im Grunde die ganze Anthroposophie, denn in ihnen lebt ihr Wesen. In ihnen lebt jene Kraft und der feurige Hinweis auf jene Kraft, die der Mensch verloren hat, weil er sie selbst finden soll: ,die Kraft, die dich wecket...’

Wie deutlich und wie aufrufend Steiner gerade in diesen Vorträgen auf die Entwicklung eines anderen, eines wieder mit der Wirklichkeit verbundenen Denkens hinweist, zeigt diese Auswahl von Zitaten.

„Die Leute kämpfen heute kontra Anthroposophie – und manchmal auch pro – recht materialistisch, das heißt geistlos, während es sich darum handelt, daß man mit dem Erleben des Geistes ernst macht. [...] Das muß der Blitz werden, der in unser totes Kulturleben hereinschlagen muß, um es wiederum zum Leben zu entzünden.“

Das könnte als Motto über dieser ganzen Reihe von Vorträgen stehen.

Eggerts neue Angriffe

Und nun haben wir demgegenüber die Menschen, die sich heute über die Anthroposophie auslassen und sich dazu berechtigt fühlen, weil man sich ja heute über alles auslassen kann – sei es geistlos, sei es geistvoll.

In seinem neuen Artikel spricht Eggert von dem „süßen anthroposophischen Brei“, der wie im Märchen immer weiter kocht und überhaupt nicht mehr gestoppt werden kann. Er beginnt seinen Artikel bereits suggestiv mit folgendem Satz:

Ähnlich - und nicht selten mit identischen Auswirkungen bis über den Kopf hoch- wuchern seit jeher manche Aussagen Rudolf Steiner, seine Bildwelten und kosmischen Weltbilder- manchmal konstruktiv, manchmal breitgetreten und missbraucht bis zur Beliebigkeit heutiger Esoterik und politischer Positionierungen.


Negativ konnotiert ist hier alles – „manche Aussagen“, seine Bildwelten und kosmischen Weltbilder; hier schon nicht mehr „manche“, sondern überhaupt seine „Bildwelten“ und „Weltbilder“. Man denkt mit: Bild als Gegensatz von Gedanke, mystisch-verschwommen im Gegensatz zu klar, subjektiv-phantastisch im Gegensatz zu objektiv-real. Dann: manchmal konstruktiv, manchmal breitgetreten. Wie können denn Aussagen und Bildwelten „konstruktiv wuchern“? Eggert missbraucht hier schon die Sprache, weil er im Detail jede Sorgfalt vermissen lässt. Getrieben von der Aussage, die er schon fertig im Kopf hat, setzt er sich hin und schreibt los. Da fehlt dann sogar das Genitiv-s bei Rudolf Steiner, da fehlen Leerzeichen vor den Bindestrichen, manchmal sind sie da, manchmal nicht... Aber das alles ist nur Symptom. Eggert missbraucht die Sprache selbst – für seine Zwecke.

Dann bringt er das Beispiel eines Interviews mit Hans Bonneval, der darauf hinweist, wie Anthroposophie für den Menschen einen Weg eröffnet, wieder mit eigener Kraft die Wahrheit zu erkennen. Und der darauf hinweist, wie das fortwährende Leben in Unwahrheit (das heißt auch: in der Phrase) das wirkliche Menschenwesen fortwährend krank macht. Doch nicht etwa darauf richtet Eggert seinen Blick, sondern auf die mehr politischen Aussagen Bonnevals. Und für dieses Politische ist Eggert ja seit einiger Zeit Fachmann – hetzt er doch gleichsam gegen jeden, der eine andere Sicht hat als er. Erinnern wir uns: „Ihr Rest-Demokraten, aufgewacht“, hat er uns im Januar zugerufen. Nun – ein Aufwachen für die Verhältnisse in Russland mag Eggert mit seinen Ausfällen vielleicht bringen. Den ,Geist, der dich wecket’ wird man bei ihm vergeblich suchen. Dafür ist er viel zu sehr zum Gegner Rudolf Steiners konvertiert.

Man mag über das Interview Bonnevals denken, wie man will. Darum geht es mir hier nicht. Auch ich denke nicht, dass nach diesem Interview irgendjemand empfinden können wird, was Anthroposophie wirklich ist, dafür ist es viel zu sehr referiert, völlig angepasst an die Interview-Situation, eine Art Talkshow zu zweit. Wenn man Rudolf Steiners Jugendkurs auf sich wirken lässt, kann man sehr deutlich empfinden, dass Anthroposophie etwas völlig anderes ist als jegliche Abstraktheit und jegliches „An-den-Mann-Bringen“ von Aussagen Steiners. Auch in einem solchen Interview regiert noch viel zu sehr die Phrase und die Konvention. Und allein das kann schon Missverständnisse über Missverständnisse aufeinanderhäufen, ganz abgesehen von den sonstigen Urteilen der Menschen, die dieses Interview sehen.

Was Steiners Aussagen zu den angloamerikanischen Impulsen angeht, so braucht man nicht ständig von einer bevorstehenden Weltherrschaft zu reden, die dunkle Mächte planen – diese Weltherrschaft ist längst Realität. Steiner beschreibt sehr genau, wie das Denken der Engländer und der Amerikaner viel mehr ins Wirtschaftliche und Pragmatische drängt als etwa das der Deutschen, Franzosen oder Russen. Es geht hier um Phänomene, die überhaupt erst einmal wertfrei zur Kenntnis genommen werden müssten – um Aussagen Steiners, die in völliger Seelenruhe und Besonnenheit einmal mit den Phänomenen zusammengehalten und so innerlich geprüft werden müssten, bevor man sie in irgendeiner Weise „abtut“.

Tatsache ist, dass das britische Weltreich mit seinen Kolonien historisch seinesgleichen sucht. Tatsache ist auch, dass der Siegeszug des Amerikanismus ebenfalls seinesgleichen sucht. Heute ist selbst das Bildungswesen im Land der Dichter und Denker (!) eingezwängt in „Bachelor“ und „Master“, englische Berufsbezeichnungen suggerieren eine Wichtigkeit, hinter der die Macht der Phrase unmittelbar erlebbar wird etc. etc. Es ist angloamerikanisches Denken, das den Einzug der Ökonomie in jeden Bereich des menschlichen Lebens erzwingen will. Wall Street, Finanzmärkte, der Star-Kult – all das sind die Symptome dieses Denkens und seine realen Auswüchse. Nicht umsonst sagte US-Präsident Coolidge kurz vor Steiners Tod: „Amerikas Geschäft ist Geschäft.“ (so zitiert in dem wunderbaren Film „Captain Fantastic“). Ein Gefühl für diese jedes Maß sprengende Finanzwelt gibt zum Beispiel dieser Artikel.

Verschwörungen

Wenn jetzt „Verschwörungstheorien“ einen großen Aufwind erleben, so hat dies sein Spiegelbild in der Realität selbst – in dem radikalen Anspruch Amerikas als „einzige Supermacht“ und als „Weltpolizist“. In der Geschichte der USA ist historisch bereits so viel aufgedeckt und wissenschaftlich belegt, dass man sagen könnte, dass die Verschwörungstheorien überhaupt nicht hinterherkommen, wenn man die Wirklichkeit nimmt. Anders gesagt: Alles, was heute als Verschwörungstheorien und Hypothesen daherkommt, tut dies als Karma etwa der realen CIA-Machenschaften früherer Jahrzehnte. Ich habe in meinen letzten Aufsätzen Beispiele dafür gegeben. Vieles ist nicht aufgeklärt und wird es vielleicht nie werden – das haben „Geheimdienste“ so an sich. Speziell die US-Geheimdienste sind längst eine Art Staat im Staat geworden, unkontrollierbar, mit einer ungeheuren Eigendynamik. Würde alles einmal ans Licht kommen, was allein diese Geheimdienste getan haben, müsste die US-Geschichte wahrscheinlich völlig neu geschrieben werden. Aber allein das, was heute bekannt ist, reicht, um bleibend ein tiefes Misstrauen zu behalten.

Weit davon entfernt, dies zuzugeben, scheint für Eggert die USA wirklich der leuchtende Hort der Freiheit zu sein, als den die Politiker dieses Land gern hinstellen – ignorierend die Spur der Verwüstung, den die reale US-Politik hinterlassen hat und noch tagtäglich hinterlässt.

Aber in seinem unterschwelligen Hass auf alles, was misstrauischer ist als er und was nicht so fixiert das Böse allein dort sieht, wo er es sieht, wettert er gegen den „politischen Schamanismus“ derer, die wild herumassoziieren, sich irgendwie auf Steiner berufend, ohne dass mehr als bloße Behauptungen herauskommen. Diese Kritik mag ja oft sehr berechtigt sein – aber nicht nur rechtfertigt Eggert damit immer auch die US-Politik, die um so weißer und strahlender dasteht, je mehr auf alle Kritiker geprügelt werden kann. Nein, im Kern seines Aufsatzes geht es schließlich um den Angriff auf Steiner selbst. Es sind ja seine Aussagen. Und er hat schon seine Anhänger damit irregeführt und dem heutigen Verschwörungsdenken und haltlosen Assoziieren den Boden bereitet.

Und gewiss findet man den [politischen Schamanismus] auch bei Rudolf Steiner selbst, dessen Geheimgesellschaften, Jesuiten, Freimaurergesellschaften und amerikanisch- englischen Umtriebe sich ebenso durch sein Werk ziehen wie offen rassistische Zuordnungen.


Also die absolute Keule: Steiner war teilweise Rassist und der Prototyp des modernen Verschwörungstheoretikers. Haltloser Schmarrn, politischer Schamanismus nach Art des Kaffesatz-Lesens, Sand-in-die-Augen-Streuens, Pseudomystik, theosophischer Nebel. Das alles kann alles gar nicht sein, so Eggert. Weder waren Politiker jemals Jesuiten oder Freimaurer, weder hatten Jesuiten oder Freimaurer jemals weltliche Interessen noch haben sie jemals allein oder in geheimer Absprache nach solchen Interessen gehandelt. Es gibt diese geheimen Umtriebe nicht – und wer etwas anderes denkt oder gar zu wissen behauptet, der ist nicht ganz richtig im Kopf oder ein Lügner, Scharlatan, Verführer, Aufhetzer. Man könnte sagen: Eggert schläft den naiven Schlaf der Gerechten. Aus Angst vor den möglicherweise ausufernden Wirkungen lässt er solche Gedanken lieber gleich ganz sein. Und um ganz sicherzugehen, prügelt er auf Steiner ein: Diese Lügen und Phantastereien eines Steiner – ich distanziere mich davon, als braver Mensch, der auf der richtigen Seite steht...

Spirituell-real wäre es außerordentlich interessant, zu untersuchen, was alles unbewusst in einer Seele mitspielt, die so handelt... Man würde Welten finden, wirklich ganze Welten.

„Wiederum dazu kommen...“

Aber damit ist es bei Eggert noch nicht genug. Es geht weiter:

Gewiss findet man bei Rudolf Steiner auch populistische Impulse, etwa wenn er „die Jugend im zwanzigsten Jahrhundert“ anspricht mit „Die Menschen müssen wiederum dazu kommen, stark fühlen zu können: schön - hässlich, gut- böse, wahrhaftig- verlogen“ (2) statt „herzlose Gedanken anzustreben“.


Eggert bringt sich also diensteifrig auf Linie mit dem „modernen“ Sprachgebrauch und wendet ein weiteres Unwort auf Rudolf Steiner an: populistisch. Das ist heute fast schon so todbringend wie das „Rassismus“-Verdikt. Ein Populist – das ist ein ganz schlimmer. Ein Rattenfänger. Einer, der an die dumpfesten Empfindungen und Gefühle der Menschen appelliert – ohne dass sie es merken! Einer, der auf der Klaviatur der Seele spielt, um seine Anhängerschaft zu rekrutieren. Populisten nehmen es mit der Wahrheit nicht genau. Sie versprechen, was sie nicht halten. Sie übertreiben, überziehen, verdrehen, pauschalisieren, polarisieren – und alles, um ihre Zwecke zu erreichen.

All das wendet Eggert auf Steiner an, wenn er sagt, man finde bei ihm „populistische Impulse“, wenn er die Jugend dazu aufruft, wieder stark fühlen zu können. Man fühlt sich erinnert an entsprechende Propaganda der Nazis. Aber was ist nun eigentlich der Fall? Glaubt Eggert wirklich, was er hier sagt? Ist es ein weiterer Schutzmechanismus, sich abzusichern gegen alles, was er der Süßen-Brei-Fraktion vorzuwerfen hat? Eine Lust an der Vernichtung des Eingeweihten? Oder allen Ernstes ein radikales Nicht-Verstehen, eine Dummheit ohnegleichen?

Was Steiner hier ausspricht, ist der wirkliche Kern der Anthroposophie. Es ist der Aufruf, das Vollmenschliche, den ganzen Menschen mit dem zu verbinden, was die Seele tut (hier: zu fühlen). Ohne diesen entscheidenden Schritt gibt es keine Anthroposophie. Ohne diesen Schritt gibt es nicht einmal irgendeine wahre Spiritualität, Esoterik oder Religion. Ohne diesen Schritt gibt es nämlich den Menschen nicht. Es ist der Schritt aus der Abstraktheit, aus der Phrase, aus der Seelenentfremdung, der Abtrennung des eigentlichen Menschenwesens hin zu diesem wahren Menschenwesen, in einem ersten, aber bereits entscheidenden Schritt.

Eggert kann diese Worte offenbar selbst nur abstrakt, herzlos und intellektuell lesen. Damit aber und mit seinem Urteil über diese Sätze beweist er in völliger Klarheit, dass er Anthroposophie nicht erfassen kann. Er ist nicht fähig dazu, weil er den entscheidenden Schritt völlig verkennt – und verleumdet.

Wenn er dann behauptet, dass „der Intellekt .. das automatische Fortdenken (sei), nachdem man von der Welt abgeschnürt ist“ (4), dann möchte man ihn korrigieren, dass die atavistisch- verschwörungstheoretischen Vorstellungen ebenso wie das bloße, unkritische Fortspinnen anthroposophischer Bilder und die simplen, rückkoppelnden Assoziationen ungleich gefährlicher sind als ein kritischer Realismus es je sein könnte.


Hier häuft Eggert neue Beweise für seine Unfähigkeit und seine Impulse zusammen. Steiner „behauptet“ – das heißt, auch diesen Satz kann Eggert in seiner Realität nicht erfassen. Aber er behauptet, zu wissen, dass Steiners Satz eine bloße Behauptung sei – und stellt es auch so hin. Was für ein Hochmut! Gerade dieser Satz Eggerts beweist, dass der Intellekt ein solches völlig abgeschnürtes Fortdenken ist – denn obwohl Eggert nichts von der Wahrheit dieses Satzes erfasst, denkt und schreibt und behauptet er in einem fort und fort...

Eggerts schwarze Logik

Dann weiter: Eggert möchte Steiner korrigieren. Gedeckt noch durch das „man“. Ah, wie wohl das tut! Einen Eingeweihten korrigieren – der ja doch nur ein politischer Schamane ist, einer, der all dem Wischiwaschi der heutigen Zeit, die Verschwörungstheorien ausheckt, statt den bösen Putin in seiner wahren Natur zu erkennen und Amerika und Europa als Garanten der Freiheit anzubeten und innig zu danken – der also all dem den Boden bereitet hat.

Und schließlich unterstellt er Steiner, er habe nicht gesehen, dass „unkritisches Fortspinnen“ und „simple Assoziationen“ ungleich gefährlicher seien, als es ein kritischer Realismus je sein könnte. Dieser eine einzige Satz, wie er oben zitiert ist, ist in einer knappen Minute hingeschrieben – hingeschnoddert, könnte man sagen –, aber wieviel Bosheit steckt allein in diesem einen Satz! Wie sehr hat Steiner gegen alles Unkritische und Schwammige gekämpft! Und wie sehr hat er immer die Notwendigkeit des Sorgfältigen, des Genauen betont, unterstrichen, angemahnt – ja sogar die gewöhnliche Wissenschaft immer wieder voll anerkannt, insoweit sie dieses Prinzip einhielt. Wie sehr hat er gerade die Anthroposophen da kritisiert, wo sie nicht diese Notwendigkeit sahen. Eggert wirft Steiner genau das vor, wovor Steiner immer gewarnt hat.

Kritischer Realismus – was ist das eigentlich? Und: Kann er wirklich nicht gefährlicher sein als unkritisches Fortspinnen? Wieviel in unserer Zeit beruht auf völlig klaren Überlegungen, kalten Berechnungen und Abwägungen, die nichts mit bloßen Assoziationen zu tun haben? Die Entscheidungen globaler Konzerne, Zerstörungen von Natur und menschlichen Biografien in Kauf zu nehmen um des Profites willen – da spielen keine bloßen „Assoziationen“ mit, das ist knallharter Realismus. Selbst Geopolitik ist oft viel mehr Kalkül als Feindbilddenken. Kritisch-realistisches Abwägen der Optionen. Man möchte sagen: dieser kritische Realismus führt unsere Welt in den Abgrund.

Oder welchen kritischen Realismus meint Eggert? Steiner spricht von jenem Intellekt, der heute die Welt regiert und dennoch bloß automatisch fortdenkt, nachdem er von der Welt längst abgeschnürt ist. Steiner spricht hier nicht von kritischem Realismus – Eggert eröffnet also eine völlig falsche Alternative, auch wiederum ein Schachzug der suggestiven Meister. Steiner spricht vom völlig abstrakt gewordenen Intellekt, der einhergeht mit der Herrschaft der Phrase, der Konvention und der Routine. Einem Intellekt, der nicht mehr fühlt, ob etwas wahr oder unwahr ist, schön oder hässlich, gut oder nicht gut, sondern böse. Einem Intellekt, der, wo er dies noch fühlt, nicht mehr tief fühlt und trotz des Gefühls darüber hinweggeht... Eggert aber haut angesichts dieser Wahrheiten auf Steiner ein.

Eggert sieht und fühlt nicht die Unlogik und Böswilligkeit seiner ganzen Argumentation. Er fühlt und erkennt auch nicht, dass Steiners mahnende Worte auf alle Verschwörungstheoretiker, insofern sie bloß herumtheoretisieren, zunächst ganz ebenso zutreffen. Jedes bloße Assoziieren und Spekulieren ist eben auch nur das bloße Fortdenken des Intellekts, nachdem er vom Weltgeschehen längst abgeschnürt ist. Eggerts Darstellung entbehrt jeglicher Logik – aber sie trifft Steiner, und darauf kommt es ihm an. Sie trifft Steiner durch bloßes Assoziieren und willkürliches Zusammenstellen der gewünschten Gedankenversatzstücke. Vor Menschen wie Eggert hat Steiner immer gewarnt...

„Auch die konstruktiven, humanistisch geprägten Aussagen Rudolf Steiners im gleichen Vortragszyklus“ (man staune, Eggert lässt an Steiner ein gutes Alibi-Haar! Aber nur, um den Satz um so effektvoller zu beenden):

...entschuldigen nicht die Bodenlosigkeit seiner populistischen Entgleisungen zuvor.


Bodenlose Entgleisungen eines geborenen Populisten. Man meint den Schaum vor Eggerts Mund, den er so gern anderen vorwirft, förmlich zu sehen. Was waren diese angeblichen Entgleisungen noch gleich?

Es war die Substanz der Anthroposophie. Das Hineinkommen in das Vollmenschliche durch ein Wahrmachen der eigenen Seelenkräfte. In dem, was Eggert in seiner ihm eigenen bodenlos populistischen Art geißelt, lag und liegt gerade die Auferstehung des Menschenwesens. Was Eggert hier tut, hat eine Dimension, die kaum zu erfassen ist. Man erlebe einmal tief, was genau hier geschieht. Es ist nichts anderes als das reale Passions-Geschehen...