20.04.2017

Eine weibliche Kultur

Gedanken zu Gegenwart und Zukunft – als Entgegnung an die Egoisten.


Inhalt
Die Dominanz des Männlichen
Der Westen und sein Wesen
Der leuchtende Westen...
...und seine „dummen“ Kritiker
Und Marx hatte Recht...
Spötter gegen den Christus-Impuls
Eggerts biografische Notiz
Ratio oder Weisheit
Eine weibliche Kultur


Die Dominanz des Männlichen

Ich habe in meinen Aufsätzen schon öfter auf einen wesentlichen Punkt hingewiesen: Unsere heutige Welt ist von Männern dominiert. Dies wirkt sich auf alles aus – auf die ganze Gestaltung der Welt, des Weltgeschehens, der Abläufe. Auf das Denken, das Fühlen und das Wollen – und auch das Nicht-Wollen. Und auf das Nicht-Können – auf ganz konkrete Fähigkeiten und Unfähigkeiten. Wir leben in einer männlich dominierten und vom Männlichen durchtränkten Welt.

Worin zeigt sich das? Nun ... ein weibliches Wesen bräuchte nur sein Herz zu öffnen und würde es fühlen. Der männliche Kopf dagegen will Argumente, Beweise, Fakten – und ist sofort bereit, zu widersprechen, die soeben geäußerte Meinung zu bekämpfen, überhaupt den ganzen Unsinn der Fragestellung zu bekämpfen ... und einfach so weiterzumachen, männlich, wie bisher, stur und unbeirrbar.

Ein weibliches Wesen bräuchte nur sein Herz zu öffnen und würde es fühlen. Was würde ein solches Herz fühlen? Es würde fühlen, dass in unserer Welt die Macht regiert – dass es um Macht geht, Macht und Stärke. Dass es um Einfluss geht, Einfluss und Kontrolle. Um Machbarkeit. Um Fortschritt, egal um welchen Preis. Um Profit. Um Kosten-Nutzen-Kalküle. Und dann ist diese Welt geprägt von Kälte – Machbarkeit, Profitdenken und Kalkül sind kalt. Sie lassen das Herz hinter sich, wie einen lästigen Irrtum der Evolution. Das Herz ist aber das Geschenk Gottes. Und es ist das Auge Gottes. Nur das Herz sieht den wirklichen Wert von allem – und dieser Wert lässt sich nicht in Zahlen messen, er besteht in Schönheit.

Sicher, der Kopf kann auch die moderne, machtvolle Hochleistungsmedizin erfinden – aber was nützt das, wenn dann der Mensch nach Standardprotokoll behandelt wird, wenn die Belegung von Krankenhausbetten gemanagt wird, der ,Turnover’ an die Profiterwartungen angepasst wird und der Mensch nur noch ,Patient’ und der ,Patient’ nur noch Fall ist? Fall A mit Krankheit B bedeutet Behandlung C, Entlassung in gebessertem Zustand, der nächste Fall wartet schon.

Der Profit herrscht – und er herrscht mit kaltem Kalkül. Monsanto hat kein Problem damit, die Bauern zu verklagen, deren Felder durch die Gensaat des Konzerns verunreinigt wurden. Die großen Konzerne haben kein Problem damit, Naturzerstörung zu betreiben, Menschen zu vertreiben und bis aufs Blut auszubeuten – und ihr Image mit millionenteuren Hochglanz-Kampagnen aufzupolieren. Die Lüge regiert. Und die ,große Politik’ deckt dies alles, erlaubt den wahren Herren dieser Welt ihr Treiben und treibt mit. Staat kämpft gegen Staat, was die Profitmaximierung angeht. Konkurrenzfähigkeit – darum dreht sich alles. Was ist dies anderes als der männliche Gedanke schlechthin?

Der Westen und sein Wesen

Die „Egoisten“ [o] sehen nun das Aufkommen nationalistischer Impulse, sehen die Kleptokratie in Russland und anderswo, und heben angesichts dessen das in Europa Erreichte, den Rechtsstaat mit all seinen Errungenschaften, in den Himmel – oder stellen ihn als eine bedrohte, gefährdete Insel dar.

Das mag alles sein. Es mag sein, dass das Menschliche sich nur auf einem hauchdünnen Eis und schmalen Grat befindet – und dass gerade Europa oder „der Westen“ das Bollwerk dessen ist. Aber darüber darf nicht vergessen werden, dass dieser „Westen“ sich nie zu schade war, seine Wohlstands-Errungenschaften als exklusiv zu verteidigen und machtvoll gegen alle zu kämpfen, die hier zu ihm aufschließen wollten. Bis auf den heutigen Tag fließen Netto-Finanz-Ströme vom Süden zum Norden, noch immer saugt der Norden den Süden aus, der reiche Teil der Welt den armen. Es ist eine männliche, kalte, mitleidlose, bewusst ausbeuterische Welt, die kein Interesse an einer Änderung hat, bei der sie oder ein Teil von ihr den ersten Schritt machen müsste...

Es ist eine soziologische Grundwahrheit, dass mit Wohlstand und Bildung auch Kultur und Zivilisation einhergehen. Aber wieviel davon war der reiche Teil der Welt jemals bereit, abzugeben? Stattdessen entstanden so perverse Erfindungen wie „Steueroasen“, die unerschütterlichen Standbeine der obersten Geldmacht-Elite, und mit ihrer stetig wachsenden Macht saugt sie die übrige Welt weiter aus, überall. Vor diesem Hintergrund treibt dann etwa Zuchtmeister Deutschland sogar das Geburtsland der Demokratie, Griechenland, in das tiefste Elend hinein, immer weiter, mitleidlos, visionslos. Der sogenannte „rechtsstaatliche“ Westen vernichtet selbst seine eigene Grundlage. Das Beschwören des westlichen Rechtsstaates nützt gar nichts, wenn dieser sogenannte Rechtsstaat durch die Macht und das Primat des Profits immer weiter ausgehöhlt wird. Dass die Politiker dagegen nichts tun, vielmehr diesem ungehinderten Primat selbst jahrzehntelang den Boden bereitet haben, das hat eine ganze Schicht „Abgehängter“ geschaffen – und damit den Boden für alle heutigen neurechten, identitären, repressiven, freiheitsfeindlichen und sonstwie ebenfalls männlichen Strömungen.

Der männliche Kopf setzt auf Kampf und Konfrontation. Er setzt auf Informationskrieg, Zum-Schweigen-Bringen und absolute Macht. Aber das sind nicht nur die neurechten gefährlichen Strömungen – es ist auch unsere gegenwärtige Welt. Schäuble zwingt Griechenland zu Boden. Monsanto zwingt zahllose Bauern zur Aufgabe. Europa hat mit seiner landwirtschaftlichen Überproduktion ganze Landstriche in Afrika in den Ruin gezwungen. Der Krieg in den Köpfen und in dem, was einfach geschieht, weil es planvoll und bewusst in die Wege geleitet und umgesetzt wird, bestimmt das Weltgeschehen. Und es gibt kein Recht mehr da, wo der Stärkere „gleicher ist als die anderen“. Die Macht des Geldes sitzt immer mehr überall am längeren und am längsten Hebel. Was nützt alles Recht, wenn die menschlichen Verhältnisse längst ins Unmenschliche treiben? Nützt mir das Recht auf medizinische Behandlung etwas, wenn ich mich nicht mehr als Mensch fühlen darf, weil ich nur noch Kostenfaktor bin? Wieviel ist der Rechtsstaat wert, wenn ein „Hartz-IV-Empfänger“ sich täglich demütigen lassen muss?

Im Vergleich zu anderen Teilen der Welt jammern wir auf hohem Niveau. Aber die Wahrheit ist, dass unser Teil der Welt eine Mission gehabt hätte – eine Mission und die Möglichkeit, sie wahrzumachen. Und diese Mission hieß und heißt immer noch: Menschlichkeit. Wahrmachen kann sie aber nur das Herz...

Der leuchtende Westen...

Der „Egoisten“-Blog warnt mit Recht vor den neurechten Strömungen – aber vor diesem Hintergrund hebt er den sogenannten Westen in ein Heiligen-Licht, das er nie hatte. Es ist schon erstaunlich: Gerade die „Egoisten“, die einen Rudolf Steiner mit aller Macht auf ihr Niveau hinunterzerren, heben diesen Westen, eine Mischgestalt aus schal werdenden Idealen und knallhartem Pragmatismus, in einen neuen Himmel! Und so behauptet etwa der Blogger Mischa [o]:

Die zivilisierten Staaten führen Kriege, um dieses Leitbildes willen: Freie und selbstbestimmte Inidividuen, wo immer dies möglich. 


Sollte man diesen Satz vielleicht gleich in die Geschichtslehrbücher übernehmen? Er könnte würdig Seite an Seite mit den glanzvollen Aussprüchen eines George W. Bush stehen... Im übrigen kann man sogenannte Kriege „für das freie selbstbestimmte Individuum“ natürlich immer sehr schön führen, wenn dabei nebenbei vorteilhafte Geopolitik herausspringt; wenn man daneben ganz legal weltweite Wirtschaftskriege führen darf und nebenbei noch illegale Geheimdienstoperationen, mit denen man missliebige Staatschefs ganz ohne Krieg loswerden kann.

Aber diese Doppelbödigkeit des Westens, die nun zu dem so extrem dünnen Boden der „Demokratie“ geführt hat, ist den „Egoisten“ in umgekehrter Weise ein Ärgernis. Ihnen scheint jeder Hinweis darauf eine Nestbeschmutzung für ihr neues Heiligtum zu sein – und darum muss jeder Kritiker des Westens verteufelt werden, entweder als „rechts“ oder als „dumm“, weil er eben den Rechten damit in die Hände spiele.

Wenn dieses Argument stimmte, dann hätten ja schon immer die schärfsten Kritiker der Gegenseite in die Hände gespielt. Oft genug aber ist das Gegenteil wahr. Oft genug werden gute Impulse dadurch überrollt, weil sie nicht wahrhaftig genug waren und sind.

...und seine „dummen“ Kritiker

Aber sobald bei den „Egoisten“ zum Beispiel Ingrid auf das Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“ [o] von Fabian Scheidler [o] hinweist, setzt bei den dortigen Männern (es bloggen sonst dort wirklich nur noch Männer!) sofort der angedeutete Reflex ein:

Für Mischa gehört das Buch „zum Genre der Zivilisations- und Technik-Kritik, ein florierender Markt, gerade in populistischen Zeiten“ [o]. Mit anderen Worten: Es wird in eine Schublade gesteckt, selbst wiederum mit Profit und darüber hinaus mit Populismus assoziiert. Mit Händen und Füßen wird abgewehrt, dass es irgendetwas an unserer heutigen Zivilisation zu kritisieren oder zu verändern geben könnte! Und wie wird es abgewehrt? Mit den gleichen populistischen Gehirnwäsche-Techniken, die man dem Gegner vorwirft! Totschlag-Argumente – an die offenbar sogar noch selbst geglaubt wird. Es wird überhaupt nicht mehr nachgedacht. Reflexartig kommt die Abwehr, das Abwinken, das entwertende Urteil.

Und dann kommt doch noch eine „Begründung“ [o]:

[...] es bleibt uns nichts andres mehr übrig, als asphaltierte Straßen und Gehwege zu nutzen, die PCs, I-Phones etc. .. diese Welt läßt uns ja sonst nichts andres übrig, außer Klosterleben und Obdachlosen-Schicksal, denn das "freie Land"? Es ist verteilt, parzelliert, umzäunt.
Die dem menschlichen Gedanken auch als Reflex entsprungene Technik, sie läßt sich nicht mehr einfangen, und sie ist Schicksal der Menschen, ist Teil der Evolution.


Mit dieser wahrhaft armseligen Gedankenführung wird also „begründet“, warum man ein Buch wie das von Fabian Scheidler unbesehen auf den Müll werfen kann. Die Gedankenführung ist: Die Technik ist unentrinnbar. Technologie-Kritik ist sinnlos, rein populistisch, allenfalls noch ein profitabler „Markt“.

Diese Gedanken sind nichts anderes als eine Absage an die menschliche Fähigkeit, die Welt zu gestalten, schlechthin. Sie beweisen gerade, dass die Technik eine „Megamaschine“ geworden ist – aber sie leugnen die Fähigkeit des menschlichen Geistes, den Lauf der Welt zu bestimmen. Es ist eine zutiefst resignative, im Grunde nihilistische Weltsicht. Und diese Weltsicht ist zutiefst männlich – denn das Herz kann überhaupt niemals nihilistisch sein.

Mischa nimmt also das parzellierte, umzäunte Land hin – und da dieses Land zum Beispiel Monsanto gehört, bleibt entweder nur das Obdachlosen-Schicksal oder der Kampf um einen Platz auf dem Asphalt und um ein iPhone und so weiter... Dies ist eine Weltsicht, die sich ganz unter die Herrschaft Ahrimans gebeugt hat.

Und es wird fast direkt ausgesprochen, warum in seiner Weltsicht nichts anderes möglich ist: Menschliche Gedanken sind im Grunde nur Reflexe. Darum lässt sich das Entsprungene auch nicht mehr einfangen. Denn dafür müsste ein neues Denken allem Entsprungenen voraus seinselbst den neuen Lauf der Dinge bestimmen. Ein Selbstgestalter des Schicksals werden. Das kommt in Mischas Weltsicht nicht vor. Er leugnet die Möglichkeit der Anthropo-Sophia.

Bobby, ein weiterer Blogger, bringt einige Links zu dem von Fabian Scheidler mitbegründeten Nachrichtenmagazin „Kontext TV“ [o o o] und fasst seinen „Eindruck von Autor und Fernsehmedium“ mit folgenden Worten zusammen [o]:

Eine weitgehend oberflächliche, wirklichkeitsfremde und verzerrte Darstellung wird da geliefert. Das meiste kann mühelos Satz für Satz entlarvt werden.


Es wäre wirklich für jeden Menschen empfehlenswert, die verlinkten Artikel und Interviews einmal selbst zu lesen und sich selbst ein Urteil darüber zu bilden, inwieweit, wo und in welchem Maße die großen Medien die Wahrheit beschönigen, färben, verschweigen, unter den Tisch fallen lassen, korrigieren, interpretieren und so letztlich korrumpieren.

Und Marx hatte Recht...

Bobby schreibt weiter [o]:

Ein Art Neo-Marxismus: Das Geld der Herrschenden ist natürlich an allem schuld. "Die" Medien werden mal wieder als Manipulationsanstalt der Eliten der Privilegierten dargestellt.


Vor dem Hintergrund dieser salopp alle Kritik vom Tisch fegenden zwei kurzen Sätze, sollte man sich mit einem klaren Denken und auch einem fühlenden Herzen einmal sehr genau überlegen, inwieweit wir nicht wirklich in einer solchen Zeit leben. Marx hatte zu seiner Zeit mit seiner Analyse zutiefst Recht. Seitdem haben sich die Strukturen der Ausbeutung und des Profits gewandelt, aber die Tatsache selbst ist geblieben. Also ist auch die Analyse keineswegs widerlegt. Man kann sie höchstens diskreditieren („eine Art Neo-Marxismus“, als ob schon im Wort das Übel läge!).

Wenn also das Primat des Profits und die damit einhergehende Ausbeutung eine Realität ist – und wenn die Medien nicht den Mut und den Biss haben, auf diese Realität hinzuweisen, dann sind sie faktisch „Manipulationsanstalten der Eliten“. Sie müssen dafür gar nicht instrumentalisiert werden, sie sind es schlicht durch die Art ihrer Berichterstattung und durch das, was sie nicht berichten.

Abgesehen davon ist schon das bloße Berichten systemstabilisierend, denn es verstärkt nur das Wissen, damit aber oft genug auch die Resignation. Was berichtet wird, ist Realität, und mit der Realität muss man sich abfinden. Marx aber wusste, dass man die Wirklichkeit nicht nur interpretieren oder gar nur zu einer berichteten machen darf, sondern dass es darauf ankommt, sie zu verändern.

Das Höchste der Gefühle bei den „Egoisten“ ist aber, nach unzähligen Blog-Beiträgen, das Bewahren des Status Quo – gegen die Gefahren der undemokratischen Horden. Dass es mehr geben könnte als den „heiligen Rechtsstaat römischen Ursprungs“, der zugleich so korrumpiert ist von dem römischen Machtimpuls, der im Wirtschaftssystem des kalten, neoliberalen Turbo-Kapitalismus zu einer grandiosen Herrschaft gekommen ist – dass es noch ein ganz anderes, ein dann erst wahrhaft menschlich zu nennendes Zusammenleben geben könnte, das geht bei den „Egoisten“ völlig unter.

Spötter gegen den Christus-Impuls

In diesem Zusammenhang wird dann auch das Christliche direkt diffamiert und bekämpft – was das Wesen ihrer Äußerungen weiter offenbart.

Im aktuellen Heft von „Die Drei“ schreibt Stephan Eisenhut in enger Anlehnung an Rudolf Steiners „Nationalökonomischen Kurs“ den Aufsatz „›Die Christenheit‹ oder ›Europa‹. Über die Entstehung von Machtstrukturen und wie sie überwunden werden können“ [o]. Wie gesagt – fußend auf den wirklichkeitsgesättigten Begriffen Rudolf Steiners führt Eisenhut hier aus, wie das heutige Wirtschafts- und Gesellschaftswesen durch die in ihm wirkenden Impulse fortwährend antichristlich wird – und wie es demgegenüber christlich werden könnte.

Stephan Birkholz, ein weiterer „Egoist“, schreibt darüber [o]:

Was für ein dilettantischer [...] Jenseitsschmarrn! Das Christentum missbraucht für das große Amerika-Bashing, gewürzt mit märchenonkelhaftem Finanzexpertenwissen auf Monopoly-Niveau...


Dieser Blogger zeichnet sich ohnehin durch zutiefst unchristliche, triefend spottende Kommentare aus. Über Fabian Scheidlers Buch „Das Ende der Megamaschine“ schreibt er [o]:

Könnte wohl unter dem Hash-Tag #blödmannsheil vertwittert werden...


Dann kann man die teilweise international bekannten Stimmen, die sich über dieses Buch sehr positiv äußern [o], sicher mit dem gleichen Hash-Tag entsorgen...

Was ist die Erkenntnis dieser neuen „Egoisten“-Kommentare? Die „Egoisten“ sind bis auf Ingrid, die eine ganz andere, ausgleichende Stimme vertritt, ein Verein alter Männer, die einseitig den heilen, heiligen Westen in den Himmel heben und für alle anderen Stimmen nur Spott und Besserwisserei übrig haben. Selbst Rudolf Steiner und das Christliche ist ihnen nur Besserwisserei und Spott wert. Sie wissen es alles besser – und mit kalter Besserwisserei urteilen sie, sei es in spöttischen Ein- oder Zweizeilern, sei es in gescheit wirkenden Ausführungen, deren Urteil schon zu Beginn feststeht.

Eggerts biografische Notiz

In diesem Zusammenhang kann einen eine biografische Notiz in Michael Eggerts aktuellem Aufsatz sehr betroffen machen. Er schreibt unter dem Titel „Der süße Schatten. Einige schauerliche Anmerkungen“ [o] zunächst von einem Bekannten, bei dem der von Eggert so genannte „anthroposophische Reflex“ der „Positivität“ besonders deutlich wurde, was sich zu dem „süßen Schatten“ des „Gutmenschentums“ verdichtete. Eggert ist überzeugt, „dass er heute mit den anti-elitären Hunden dieser Szene heult, gegen EU, CIA-Verschwörer, Globalisten und Banken.“

Auch hier zeigt sich wieder, dass Eggert zwischen wahrer und falscher Anthroposophie überhaupt nicht unterscheiden will. Wie Positivität zu Kritik an EU, CIA, Globalisten und Banken führen kann, erklärt er auch nicht. Er zieht bloß eine Linie von „anthroposophischem Reflex“ über „Gutmenschentum“ zu EU-CIA-Globalisten-Banken-Kritik – und weil das alles negative Konnotation hat, ist klar, dass die Kritik an der EU, den Banken, der CIA oder der Globalisierung nur einem unreflektierten Reflex entstammen kann... Die heutigen ernsten Zeiten würden ganz Anderes verlangen – ein Schließen der Reihen gegen die Feinde der Demokratie, ein Verteidigen der EU, der CIA, der Globalisierung und der Banken... Zwischentöne gibt es bei Eggert hier nicht...

Aber das, was wirklich betroffen machen kann, ist das, was Eggert dann schreibt – über sich selbst:

Ich weiß, dass ein ganz anderes Gift, das mich umtreibt, der natürliche Mangel an Fokussierung ist. Ein verträumtes Kind, ein Kind mit magischen Augen, ein leichtgläubiges Wesen, dessen Mutter von Aberglauben und dessen Vater von Nachkriegs- Illusionen getrieben war. Knapp unter der Oberfläche brütete ein Grauen, das ohne Konturen war, aber nach dem zehnten Lebensjahr seine Schatten so warf, wie es Günther Uecker unnachahmlich ausdrückt: „[...] den Gedanken, daß der eigene Schatten sich schauerlicherweise nachts mit der Dunkelheit der Erde verbindet, um in den Morgenstunden wunderbarerweise wieder individuell zu werden. Denken Sie nur an die Angst, die einen abends überkommt. Als einzelgängerisches Kind erlebte ich solche Momente sehr intensiv. [...]“ [...]
[...] Für mich selbst war das - auch ohne Künstler zu werden- mit der inneren Indifferenz und dem kindlichen Grauen ganz ähnlich. Für mich war in der anthroposophischen Arbeit ein Element gegeben, einen diffusen Mystizismus ins klare Licht zu holen, die Schattenwelt zu durchleuchten, zu fokussieren und zu stabilisieren, ohne das existentiell Brüchige zu leugnen, in Lethargie oder Selbstgerechtigkeit zu verfallen.


Als Kind war Eggert stärker als viele andere Kinder mit realen Weltenkräften verbunden – und erlebte sich von ihnen bedroht. Die Anthroposophie half ihm, diese Erlebniswelt „zu stabilisieren“. Nun, dass er sich von jedem Mystizismus befreit hat, ist deutlich. Deutlich ist aus seinen Blog-Beiträgen aber auch, dass er in seinem Sich-Abstoßen von dieser Erlebniswelt so weit gekommen ist, in den kalten Bereich der Intellektualität zu geraten, die auch die Realität der Herzens-Wärme-Kräfte verleugnet und sich statt dessen den Spott-Kräften verwandt fühlt. In der Tat geben diese Sicherheit und Stabilität. Die Frage ist nur, um welchen Preis...

Ratio oder Weisheit

In ihrem Roman „Königsweg“ schildert Mieke Mosmuller das Leben eines Eingeweihten, Philippe. In einem Kapitel, das noch aus der Sicht seiner Mutter geschildert ist, geht es um die Angst des kleinen Jungen. Seine Mutter redet jeden Abend mit dem Jungen, bis er äußerlich Ruhe findet. Sein Vater aber blickt tiefer und sieht, was diese Intellektualität ihrerseits wiederum anrichten kann. Er sagt:

‚Die Ratio scheint das beste Heilmittel gegen die Angst zu sein, die irrational ist. Du bringst ihn mit Hilfe der Ratio in ein Element, wo man die Angst wegargumentieren kann. Aber damit verlässt du zugleich das Geheimnisvolle, das Künstlerische, das Religiöse. Ich finde, dass ein Mensch imstande sein muss, mit Angst zu leben, nicht sie wegzuargumentieren.’


Der Vater beginnt nun einen völlig anderen Weg – den der Homöopathie. Er gibt kein Gegenmittel gegen die Angst, sondern etwas Ähnliches. Er erzählt dem Jungen Märchen, Sagen und Legenden und lässt sie sich von ihm dann auch in eigenen Worten nacherzählen. Für ihn liegt die Kraft, die die Angst besiegt, in der wachsenden, durch all diese Geschichten genährten Gewissheit, dass das Gute letztlich immer siegt.

‚Ich glaube, meine Liebste, dass unser Junge im Kleinen durchmacht, was die Menschheit im Großen durchgemacht hat. [...] Wir sind durch die Vernunft erleuchtet, und damit haben wir all diese merkwürdigen Erlebnisse, die wir in den alten Schriften finden, vollkommen verloren. Das will nicht heißen, dass all diese Wesen nicht mehr existieren, wie wir es uns mit unserem Verstand sehr komfortabel weismachen. Sie sind sehr wohl da, aber wir überstrahlen sie durch das scharfe Licht unserer Vernunft. Nur wenn es dunkel wird, werden sie wahrnehmbar, jedenfalls für einen sensiblen Menschen, und ganz sicher für ein sensibles Kind, in dem die Ratio noch nicht scheinen kann – und darf.’


Die Angst dieses sensiblen Kindes hatte einen realen Hintergrund. Seine Mutter wollte die Welt der Fantasie trockenlegen, sein Vater aber versuchte, das Kind durch die Geschichten das eigentliche Wesen dieser Angst erweckenden Welt erleben, empfinden zu lassen. Nicht, dass die Bilder die Wirklichkeit wären, aber durch die Bilder spricht sich die höhere Wirklichkeit aus.

Die tiefere Erkenntnis des Vaters erwies sich als richtig. Philippe wächst zu einem Mann heran, der gerade dadurch tief in die geistige Welt hineinwächst – mit einem starken, klaren Denken –, dass seine Fantasie nicht abgetötet wurde, sondern mit Wahrbildern genährt wurde, und schließlich, im Laufe des weiteren Lebens, eine Verbindung mit der realen Weisheit (Sophia) eingehen konnte. Die Kräfte der Fantasie sind kein Hindernis für die Geisteswissenschaft. Sie müssen nur von der Weisheit geführt werden – um nicht zu Illusionen zu kommen, sondern zu Imaginationen. Diese sind dann die erste Stufe der höheren Geisterkenntnis.

Eine weibliche Kultur

Der völlige Mangel an Mitleid, an Fühlen, an jeglicher Qualität des Herzens – kennzeichnet die treibenden Kräfte unserer Welt. Nur so ist es möglich, die Herrschaft der Phrase, des Machbarkeitsdenkens, der Ausbeutung, des Technokratischen und zugleich des Blendenden, Lügenhaften immer weiter zu treiben, während immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben, von dem Leiden der Natur ganz abgesehen.

Ein weibliches Herz würde diese ganze Entwicklung völlig umdrehen. Es würde an die Stelle der Phrase die Aufrichtigkeit setzen. An die Stelle des Machbarkeitsdenkens das Fühlen von Sinn und Schönheit. An die Stelle der Ausbeutung Mitleid und Hilfe. An die Stelle des Technokratischen das Pflegende und im Einklang Bleibende. Ohne den Kopf gibt es keine Entwicklung – aber ohne das Herz verliert alle Entwicklung ihren Sinn, denn sie verliert ihre Menschlichkeit. Es ist das Herz, das den Menschen menschlich macht – das auch seine Gedanken dem Verfall an die unmenschliche Macht entreißt und im Bereich der Liebe hält.

Das gerade ist es, was die weibliche Qualität ist: das Wesen des Herzens zum Bestimmenden zu machen. Alle Dinge mit seiner Qualität zu durchdringen. Das Wesen des Herzens macht dann auch die Gedanken rein, sich selbst ähnlich. Dadurch wird das Denken aus der Macht der Widersacher befreit. Es braucht dann nicht mehr zu spotten, es braucht nicht mehr besser-zu-wissen, es braucht nur noch zu erkennen – vorsichtig abwartend, was als Wahrheit offenbar wird. Alles, was dazu nötig ist, ist, dass das Herz wieder in einer tiefen, reinen Weise fühlen kann: schön – hässlich, gut – böse, wahrhaftig – verlogen. Das ist nicht „populistisch“, wie Michael Eggert Rudolf Steiner vorwirft, es ist das Wesen der Anthroposophie. Und ich möchte sagen: Es ist zutiefst weiblich.

Erst wenn die Seele tief und rein empfinden kann, kann auch die Erkenntnis sich zum Geist der Wahrheit und zur Wahrheit des Geistes erheben. Das ist die Vermählung des Weiblichen und des Männlichen. Die Grundlage aber ist die lautere Seele. Die Seele aber ist weiblich, anima... Ohne dass die Seele die zutiefst weiblichen Qualitäten wiederfindet, verliert sie ihr eigenes Wesen. Dann aber würde auch der Mensch sein Wesen verlieren, denn er ist nur Mensch, wenn er eine Seele hat. Der Mittelpunkt der Seele aber ist ihr Fühlen – und der Mittelpunkt des Fühlens ist das Herz. Das Herz aber ist das Reich des Weiblichen, das Weibliche hat die Genialität des Herzens.

Dies ist der Grund, warum die männliche Kultur vom Menschlichen wegführt. Eine weibliche Kultur würde zum Menschlichen hinführen. Sie erst würde die Grundlage geben, auch die Intelligenz wieder in einer heiligen Weise zu gebrauchen – statt sie zur Hure zu machen. Zuerst muss die Seele das Heilige in sich wiederfinden – dann kann sie von neuem das heiligen, was ihr anvertraut ist: die einst göttliche Intelligenz, und dann die ganze Schöpfung, die der Mensch mit eben dieser Intelligenz erkennen darf. Wann aber wird er mit seinem ganzen Wesen erkennen? Wenn er das Heilige wiederfindet. Wann findet er dies wieder? Das wahrhaft Weibliche ist heilig...