17.06.2017

Zwischen All-Geist und Liebe

Weitere Gedanken zu wesens-verschiedenen Arten der Erleuchtung.


Inhalt
Die Erleuchtungserfahrung von Hau
Das Erleben des All-Seins
Der blinde Fleck
Rudolf Steiner über das indische Bewusstsein
Rudolf Steiner über das wahre Ich
Die wahre Erleuchtung ist mehr als All-Geist
Auf den Spuren der wahren Erleuchtung
Unvorbereitete Wege und innere Entwicklung
Christus und das wahre Ich
Gott und Mensch


Die Erleuchtungserfahrung von Hau

Gestern schrieb ich über die Erleuchtungserfahrung von Felix Hau und versuchte, erlebbar zu machen, warum diese luziferisch ist.

Er schrieb daraufhin auf dem Eggert-Blog Weiteres dazu:

Ich bin Holger Niederhausen einmal mehr dankbar für seine selbst unter diesen Steinbruch-Umständen ziemlich genaue Beobachtung und das begleitende Verstehenwollen. [...]
Bei mir gibt es - wie bei Steiner und Freud :-) - eine Dreiteilung des Ich in das Alltags-Ich, das höhere Ich und das wahre Ich. Die Begriffe markieren natürlich nicht drei wesentlich verschiedene "Iche", sondern sie bezeichnen unterschiedliche Arten der Identifikation, wobei ich da weitgehend mit Steiner einig bin.
Holger Niederhausen verteidigt in seinem Text das höhere Ich (das ich eben bislang nicht als solches erwähnt habe) - zu recht. Es ist das Ich, das man in Anlehnung an die christliche Tradition das "Sohn-Ich" nennen könnte, das Mitte behauptende und wahrende individuelle und selbstbewusste Ich, das unter anderen Ichen in der Welt und mit diesen und jener in Beziehung tritt. Es ist das in stetiger Entwicklung und Läuterung begriffene *eigentliche* ich des menschlichen Individuums.
[...] Es handelt sich um den mehr oder minder gelingenden Versuch, aus allen dem Ich zunächst fremden Einflüssen - sowohl aus der Welt der Triebe und Begierden als auch aus der Welt des Geistes und der Moral - eine eigenständige, integere, handlungs- und urteilsfähige Persönlichkeit zu entwickeln.
Das kann dieses Ich aber nur, weil es "von Geburt an" über einen verlässlich unpersönlichen „kosmischen“ Kern verfügt - der nicht und niemals vollständig in ihm aufgeht. Dieser Kern ist "nicht von dieser Welt". Steiner bezeichnet ihn als "wahres Ich". Die Identifikation mit diesem "wahren Ich" - das nicht von dieser Welt ist, das der Weinstock ist, an dem man Rebe ist, das die Tür ist, durch die man eingehen und Weide finden kann, das das Licht, die Wahrheit und das Leben, das der Quell allen Seins ist - kann sich vollziehen, wenn man alle Erlebnisse, die man in der physischen und auch diejenigen, die man in der geistigen Welt haben kann, hinter sich lässt. Wenn man an der Schlucht alles Bekannten steht und springt. Dann allerdings ist man nicht mehr Person und auch nicht mehr individuell.
Und genau das ist Erleuchtung. Und sonst gar nichts.

Zur Demut schreibt Hau dann:

Demut im Erkenntnis- und Erleuchtungsgeschäft ist das völlig falsche Werkzeug. Ich vermute hier auch das tragische existentielle Problem von Holger Niederhausen, denn an der ausgezeichneten Beobachtungsgabe und dem uneitlen Verständnisbemühen kann’s nicht liegen, dass er immer kurz vor der Bushaltestelle Vollgas gibt und deshalb nie ankommen wird, wenn er so weiter macht.

Einschieben möchte ich, dass sich dann auch immer wieder Stephan Birkholz zu Wort meldete, dessen Äußerungen längst ein Niveau erreicht haben, das unter Null geht. Ich begreife nicht, wie sehr eine Seele von Hass, Verachtung, Niedertracht und Spott zerfressen sein kann, ohne es überhaupt zu merken.

Stephan Birkholz – 16.06.2017 11:44
Alles andere, was Niederling als Eigenkreation hervorbringt, ist die übliche, nährwert- und sinnlose Buchstabensuppe eines dauerfrustrierten Wurzeltroll:
Beispiel:
'Anzunehmen ist, dass er sich selbst für Gott hält – und damit sehr eng bei der substanzlosen Steiner-Deutung von Christian Clement ist, die ich seinerzeit ebenfalls in ihrer Nebelhaftigkeit entlarvt habe.'

Felix Hau erwiderte darauf:

@Stephan: Die zitierte "Buchstabensuppe" ist ja im Kern völlig wahr. Man muss einfach nur die alberne Camouflage wegnehmen, die Niederhausens christliches, auf Inhaltsfülle, Demut und Leid geeichtes Hintergrundrauschen stets verursacht.
Ich wäre z.B. gespannt, was er mit dem ersten Satz anfängt, wenn ich ihm entgegne, dass der im Grunde zutrifft, ich allerdings nicht an Gott glaube.
Die weitgehende Übereinstimmung mit Christians Steiner-Interpretation in der SKA ist völlig korrekt beobachtet. Dass die "substanzlos" sei, kann man wiederum nur behaupten, wenn man als spiritueller Materialist die eigene Geilheit nach Fülle nicht kontrollieren kann. :-)

Ein anderer Blogger wendet ein, Hau habe „einen etwas festen und unflexiblen Begriff von Erleuchtung“, der an die Sehnsucht erinnere, „im All-Einen aufgehen zu wollen, das lästige, anstrengende Alltags-Ich durch einen gekonnten Sprung in den Abgrund endgültig hinter sich zu lassen“. Andere spirituelle Lehrer gäben dagegen Wege, die egozentrischen Anteile seines Ich zu überwinden, wobei die unverwechselbare Individualität aber erhalten bleibe. Dem entgegnet Hau:

Das hat, wie gesagt, rein gar nichts mit Erleuchtung zu tun. Dabei handelt es sich um eine "Aufgabe", die für jedes Individuum vollständig innerhalb des bekannten Lebens liegt und auch mit seinen üblichen Mitteln zu bewerkstelligen Ist. Das ist die beschriebene Entwicklung des "höheren Ichs".

Bei der Erleuchtung dagegen handle es sich um das Erleben der...

"Umstülpung" der gesamten Welt - von außen nach innen, von der ausgedehnten Perspektive in diejenige des Zentrums, vom Stehen im Sturm ins Auge des Orkans.
Es gibt nichts Festes mehr, keinen Raum, keine Zeit, keine Biographie, keine Persönlichkeit, keine Anderen, kein Gegenüber, kein "Ding an sich". Es ist alles ein einziges tumultarisches, ausdehnungloses, tosendes Ereignis – das Zusammenschnurren der Welt in einen geometrischen Punkt, der dann implodiert. Und dann ist "man" allein. Ganz allein.
Und dieser Zustand lässt sich eben *nicht* in das diasporische Leben transponieren, man kann ihn nicht in die Vereinzelung des Menschen unter Menschen, in die Welt "mitnehmen". Weil er bereits substanziell deren Wesen ist und rein gar nichts Persönliches hat.
Sobald "man" wieder etwas denken, fühlen oder sagen kann, ist man "raus", auf der anderen Seite der Wirklichkeit, in Raum und Zeit und Vielfalt. Dort, wo die Implosion „einen“ schlussendlich hinbefördert.

Diese Erleuchtung sei unmöglich in das Alltagsleben zu integrieren, wie verschiedene spirituelle Lehrer es versuchen würden:

Was diese ganzen Leute tun [...], ist, ihre Erinnerung an das Erleben irgendwie in einen ihnen bekannten weltlichen Kontext zu fassen, es vor dem Hintergrund des diasporischen Lebens moralisch zu bewerten und das Ergebnis dieser ganzen Prozedur dann "zugänglich" zu machen.
Kann man tun, muss man aber nicht. Und zu Erleuchtung führt es allenfalls durch Zufall. Der beste Weg - ich wiederhole mich - ist nach wie vor der des radikalen Zweifelns. Oder, wie Jed McKenna sagen würde: "Halt den Mund, setz' dich hin und frage dich, was wirklich wahr ist. Frage es dich so lange, bis du es weißt."

Das Erleben des All-Seins

Sowohl Rainer Herzog als auch Ingrid Haselberger haben darauf aufmerksam gemacht, dass hier ein Erleuchtungserlebnis beschrieben wird, das gleichsam im All-Geist aufgeht oder sogar meint, dieser All-Geist zu sein. Die Nähe zu den mittelalterlichen Arabisten ist deutlich.

Natürlich gibt es diese Art von Erleuchtungserlebnissen – und es ist zweifellos, dass man danach glaubt, die höchste Stufe erreicht zu haben, denn was soll es darüber hinaus noch geben? Man ist doch bereits Alles, wirklich Alles. Wenn einem dann jemand erzählen wollte, es gäbe höhere oder weitreichendere Erleuchtung, könnte man diesen armen Erdling doch nur auslachen – und genau das tut Hau ja. Er blickt auf alle Einwände so, dass sie seiner Erkenntnis der Erleuchtung nicht das Wasser reichen können, sondern wie blind und taub noch immer im Nebel herumstochern.

Die Erleuchtung des All-Seins, All-Eins-Seins und Allein-Seins ist prinzipiell unübersteigbar. Danach gibt es nichts mehr. Es ist das absolut Letzte. Das ist die Erleuchtung, die Hau beschreibt.

Und, natürlich, wenn man sich selbst im All-Eins-Tosen und im Auge des Orkans erlebt hat – dann kann man zwar gnädig, fast mitleidig, auf jene hinblicken, die sich noch mühen, ihr individuelles Ich zu läutern, aber das alles ist eine Welt weit, weit unter der wahren Erleuchtung. Man kann das alles tun, muss es aber nicht. Es ist eine völlig andere Ebene, die absolut irrelevant wird, wenn das All-Erlebnis in Betracht kommt. In diesem ist der auf Erden Erleuchtetste auch nichts anderes als der Mörder oder der Kieselstein am Wegrand, der Adler oder die Ameise. Das alles sind Formen, Gestalten, ewig wandelbare Erscheinungsformen des wahren, einen Einzigen. Dieses eine, wahre Ich geht durch alle Gestaltungen hindurch, füllt die Lücken, die sich auftun, wandelt sich von neuem und wieder von neuem – und bleibt doch immer das Eine.

Natürlich. Diese Ebene gibt es. Solche Erleuchtungserlebnisse dürften gar nicht so selten sein – und bestimmte spirituelle Strömungen streben sie geradewegs an, weil sie dies als das Höchste und Letzte vermeinen.

Die entscheidende Frage ist, ob hiermit aber auch tatsächlich das Höchste und Letzte erreicht, erfahren wird bzw. wurde. Und die Antwort ist Nein.

Um dies zu begreifen – und, wie ansatzweise auch immer, auch zu erleben –, muss man versuchen, sich dem von Hau beschriebenen Erleuchtungserlebnis ebenfalls erlebend zu nähern. Man braucht dafür nur Unbefangenheit und Hingabe – und eine vertraute Kenntnis von Rudolf Steiners Grundwerken. Etwa jener Stellen, wo Steiner mit einer Art heiliger Begeisterung darauf verweist, dass der Mensch im Denken immer schon das all-eine Wesen ist. Und dass selbst das Ich zunächst ganz von des Denkens Gnaden lebt. Denn könnte ,ich’ nicht denken, wäre ,ich’ ja gar nicht da... Das all-eine Wesen ragt also in jeden individuellen Menschen hinein und macht ihn so überhaupt erst ... zu einem Ich.

Wenn man nun aber darüber hinauskäme, mitten hinein in dieses Universelle, in den wirbelnden, tosenden Ort der Nicht-Trennung, des All-Umfassenden, des Einzig-Einen ... dann ist man vorgedrungen zu dem wahren ICH, der einzigen, der höchsten Wirklichkeit. Und, wie schon der alte Inder wusste: Tat Tvam Asi – das bist du...

In diesem Zustand scheint das Moralische nicht zu existieren. Der All-Geist ist entweder die Moral – oder es gibt sie überhaupt nicht.

Und so kann etwa Krishna den Arjuna belehren, der davor zurückschaudert, dass Brüder und Verwandte einander töten. Für den höheren Blick ist all dies irrelevant, es ist Karma, es ist Werden, Entwicklung, Wandel der Formen...

Der Erleuchtete lebt im Schauen der Notwendigkeit, aber auch der Beliebigkeit – und der Freiheit. Die im Erdensein Verstrickten verstricken sich in Schuld, in Angst, in Skrupel, in Gedanken und Empfindungen und Taten allerlei Art. Der Erleuchtete ist frei davon. Er ist eins mit allem – und doch nichts von allem, frei von allem. Und das Moralische ist etwas, was erst weit unterhalb Gültigkeit gewinnt, ja, überhaupt ins Dasein tritt. Die höchste Sphäre der Erleuchtung ist zunächst – reines Sein, reines Bewusstsein, völlige, tiefste Freiheit, von allem und zu allem...

Die Freiheit ist unhintergehbar. Alles, was die Freiheit eingrenzen wollte, im Sinne einer vorgegebenen Moral oder eines auch nur sanften Dranges in irgendeine Richtung im Sinne eines real Moralischen, widerspricht der absoluten Freiheit. An diesem Punkt der absoluten Freiheit existiert Nichts – oder Alles, alles zugleich, ohne Unterschied, denn die Freiheit selbst ist das Höchste. Das Göttliche, das alles geschaffen hat, wie sollte es selbst irgendetwas unterliegen? Es ist alles – und allem, was es aus sich herausgesetzt hat, steht es frei gegenüber.

Die Freiheit muss ja das Höchste sein, denn nur die vollkommene Freiheit ist auch die vollkommene Potenz, Potenzialität. Frei von allem, frei zu allem. Alles konkrete Werden oder Bestimmtwerden ist bereits nicht mehr die vollkommene Freiheit, also weniger als dieser höchste, absolute Punkt.

Der höchste Punkt und das höchste Sein ist das Alles – jenes Alles, das alles umfasst und zugleich Nichts ist, weil es in keinem Einzigen all dieses Einzelnen aufgeht.

Einen höheren Punkt gibt es also nicht. Es ist der Punkt der All-Macht – weil alles möglich ist und weil sogar alles gleichzeitig ist und weil ,man’ selbst dies alles ist.

Der blinde Fleck

Und doch hat diese Erleuchtung einen blinden Fleck. In ihr kommt die Liebe nicht vor. Es ist eine Erleuchtung ohne Liebe. In dieser Erleuchtung sind Freiheit und Liebe sozusagen Gegensätze. Die volle Freiheit ist nur möglich, wenn die Liebe noch nicht existiert, denn sie würde ja bereits in eine ,Richtung’ drängen – und sei es richtungslos, in alle Richtungen. Das volle Eins- und Einzig-Sein und Erleben ist nur möglich, wenn noch nicht die Liebe da ist. Reines Sein, höchstes Bewusstsein, frei und rein sogar von der Liebe selbst...

Hier, an diesem Punkt, liegt auch der Unterschied, ja, volle Gegensatz zwischen der Anthroposophie und zum Beispiel Ken Wilber. Mieke Mosmuller hat diesen Gegensatz in ihrem Buch „Arabeske“ eindrücklich und tiefgründig erlebbar gemacht. In wenigen Worten liegt der Gegensatz darin, dass Ken Wilber und viele Andere Bewusstseinsstufen beschreiben, die sich – mit zunehmender Erleuchtung – immer weiter von allem entfernen, in eine immer größere Überschau, gleichsam unabhängige Göttlichkeit. So lange, bis das kosmische Bewusstsein jenes All-Ein-Erlebnis bildet, aber in einer unendlichen Entfernung und Indifferenz, obwohl mit allem vereint und über alles hinausgehend, alles seiend und durchdringend und doch nichts von allem seiend. Kosmisch – allmächtig – allseiend – und doch völlig indifferent. Buchstäblich abgehoben...

Und nun muss hinzugenommen werden, wie die Erleuchtung tatsächlich zustande kommt. Es ist ein ,schönes’ Gerede, zu sagen, das höchste Göttliche erkennt sich auf einmal selbst. Aber das ist Unsinn – und schmeichelt nur demjenigen, der diese Erleuchtung dann wieder in sein Alltagsbewusstsein mitnimmt, wenn auch nur als eine Art Erinnerung. Wenn man hier einmal den nötigen Ernst walten lassen könnte, würde man sich selbst sagen müssen: Der Urgrund hat sich längst in alles Einzelne ausgegossen (so Steiner!). Von nun an kann nur noch das Einzelne zurückahnen zu diesem Ursprung. In jener Art der Erleuchtung erfasst es etwas davon. Gleichsam auch wieder eine Art Erinnerung, wenn auch als reales Erleben – und doch ist es eine Illusion, denn es ist luziferisch gefärbt. Ein Stück weit wird der gewöhnliche Egoismus mitgenommen – und diese Tatsache färbt das gesamte Erleben, und sei es noch so grandios und alles erfüllend, alles umfassend.

Man kann diese Dinge kaum noch beschreiben, sie müssen erlebt werden. Tatsache ist aber, dass die Mensch-heit ja vereinzelt wurde – und dass in das Menschenwesen der Egoismus, der Selbstbezug eingezogen ist. Der vereinzelte Mensch ist auf sich selbst bezogen, und dies gerade ist sein Egoismus, sein Mangel an Liebe, sein Überschuss an Selbst-Liebe. Und gerade dies wird in jenes Erleuchtungserlebnis, das Hau beschreibt, mitgenommen.

Das mag paradox erscheinen, sind in diesem Erleuchtungserlebnis doch gerade alle Unterschiede aufgehoben, Persönlichkeit und Individualität doch gerade völlig ver-nichtet. Es gibt weder Sympathien noch Antipathien, keine Selbstliebe, nichts. Aber das ist gerade die Frage. Denn etwas ist dennoch mitgekommen und hat hier den höchsten, subtilsten Punkt erreicht. Und das ist genau dieses eine: Der Mangel an Liebe.

Wenn alles Bewusstsein ist, dann ist die einzig entscheidende Frage: Wie erfüllt ist dieses Bewusstsein von Liebe? Ist es überhaupt davon erfüllt? In irgendeiner Weise? Oder hat es nichts davon?

Natürlich ergibt sich hier die Schwierigkeit, dass ein Bewusstsein, das sich eins mit allem weiß, wenn es Liebe entfalten würde, doch wiederum nur Selbstliebe hätte – und wenn es Liebe zu etwas anderem entfaltet, doch bereits nicht mehr alles selbst ist... An genau diesem Punkt müsste man einmal lange verweilen.

Der Gedanke – oder das Erleben –, dass Liebe ,nicht nötig’ wäre, wenn man das All-Ich-Erleben hat, ist bereits sehr entlarvend. Einerseits entspringt dies gleichsam der gesunden Empfindung, die gegen eine allzu starke Selbstliebe gerichtet ist. Andererseits entspringt es aber eben dem realen Mangel an Liebe im Menschenwesen, wie es geworden ist. Und das reine Bewusstsein schließlich, das ganz in sich selbst genug ist, in einer Art ewigem Frieden, in einer absoluten Vollkommenheit, reines Sein – dies ist im Grunde eine Art allerhöchster Egoismus. Noch immer ein reiner, wirklicher Mangel...

Rudolf Steiner über das indische Bewusstsein

In diesem Zusammenhang wollen wir einmal Rudolf Steiners Worte auf uns wirken lassen, mit denen er das indische Denken und Erleben in Zusammenhang mit der Bhagavad Gita und der Begegnung zwischen Krishna und Arjuna schildert:

Im Beginn stehen sich die beiden feindlichen Heere kampfbereit gegenüber. Arjuna der Held läßt seinen goldenen, mit weißen Rossen bespannten Wagen in die Mitte des Kriegsfeldes lenken, um sich die kampfbegierigen Feinde näher zu betrachten. Als er aber in ihren Reihen Blutsverwandte entdeckt, Väter, Söhne, Enkel, Vettern und Brüder, die wutentbrannt sich gegenseitig morden wollen, da erbebt sein edles Herz in wildem Weh, und von Mitleid überwältigt, entfällt ihm der schon gespannte Bogen. Er schaudert vor dem Gedanken einer Blutschuld zurück, lieber will er auf Ruhm und Herrschertum verzichten, als diese Sünde auf sich laden; lieber möchte er von ihrer Hand sterben, als den Tod eines seiner Verwandten verschulden. Doch Krishna naht sich dem Verzagten und schlichtet den Kampf in seinem Innern, indem er ihn über seine Pflichten als Krieger, über sein Dharma aufklärt. Arjuna der Held ist der Mensch, und sein Inneres ist das Schlachtfeld, auf, dem die harten Kämpfe der Seele ausgefochten werden. Schwankend zwischen dem irdischen und dem himmlischen Teile unseres Gemütslebens, im Widerstreit der Gefühle, von bangen Zweifeln geplagt, wissen wir oft nicht, wohin wir uns wenden sollen, was unsere Pflicht ist. Denn jedes Sonderwesen hat seine eigene besondere Pflicht, sein Dharma, das er erkennen muß.
[...] Dharma ist das Gewordene, das Resultat des vergangenen Karmas, der vergangenen Tätigkeit, und Dharma ist das gegenwärtige schaffende Prinzip in uns und erzeugt wieder das Karma der Zukunft. Dharma ist die Richtkraft unseres eigenen Denkens und Handelns, unsere eigene, persönliche Wahrheit. Es bezeichnet unsere innere Natur, charakterisiert durch den erreichten Grad der Entwicklung; es ist das Gesetz, welches das Wachstum für die zukünftige Entwicklungsperiode bestimmt, der fortlaufende Lebensfaden. Wie Ring an Ring reiht sich Inkarnation an Inkarnation, eine kontinuierliche Kette. Dharma ist unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich und wirkt in uns als Vater, Mutter und Sohn. Der Vater als Übersein, als höheres Selbst, als seine Wahrheit und sein Gesetz; die Mutter als das sich entwickelnde Wesen und der Sohn als das Künftige. Eine Inkarnation ist wertlos und verloren, die nicht durch Tätigkeit eine Übergangsstufe zur höheren Entwicklung wird; ebenso zwecklos ist das Streben, der Wunsch nach einer Vervollkommnung, die nicht durch vorangegangene Tätigkeit erworben ist. [...]
Sommer 1903, GA 88, 160f.


Schon hier zeigen sich die verschiedenen Ebenen – einerseits das große, hohe, überpersönliche Wirken und Sein, andererseits die individuelle, einzelne Entwicklung. Die Letztere ist aber keineswegs unwesentlich, sondern in ihr liegt gerade ein tiefer Sinn, und alles daran ist auf das Moralische gerichtet. Man kann sagen, das Moralische ist gerade das Ziel des Höheren. Steiner weiter:

Wir können ja nur einen Teil jener großen, ewigen Wahrheit erkennen, in dem Umfange und der Größe, als wir durch unsere eigene Tätigkeit, durch unser Karma, in uns zur Offenbarung gebracht haben. Leben für Leben steigert sich in unserem Entwicklungsgang dieser Umfang, wir schreiten in Wissen und Erkenntnis fort, denn unsere Bestimmung ist es, den ganzen Ideeninhalt unserer Welt, unseres Kosmos, nach und nach in uns aufzunehmen. Wir können das nie, ohne stufenweise in uns den ganzen Reichtum der Erscheinungswelt als Erfahrung zu durchleben. Die Natur lebt in uns, wenn wir sie ganz erfassen. Ruhe, Friede und Zufriedenheit mit seinem Lebenslose muß jeden überkommen, der klar erkennt, daß er in den Kreis hineingeboren ist, für den er sich durch sein vergangenes Karma selbst vorbereitet hatte und den er nun mit der ganzen Treue auszufüllen und dessen ganzen Umfang er durch seine Tätigkeit zu erschöpfen hat. Damit hat er durch eigenes Erleben ein Wissensgebiet sich errungen und arbeitet nun in seiner eigenen Linie an der Erweiterung desselben, um sich höhere und bessere Daseinsbedingungen für künftig zu schaffen. So wird er auch dem Bruder, der unter ihm auf der Stufenleiter der Wesen emporzuklimmen versucht, in liebevollem Verständnis die Hand reichen, um ihm zu helfen, denn er selbst stand ja vor kurzem noch auf derselben Sprosse und rang sich mühsam empor, die Hände ausstreckend nach den Brüdern, die ihm voraus emporgeschritten waren.
Ebd., 161f.


Hier wird noch deutlicher, was eigentlich der tiefe Sinn der Entwicklung ist. Das überpersönliche Dharma ist keineswegs einfach nur das ,Walten’ irgendeiner blinden Entwicklung. Der tiefe Sinn dahinter ist das langsame, allmähliche Wachsen einer unendlich wesentlichen Frucht... Und so kann Steiner über die alten Inder weiter sagen:

Die Kasteneinteilung der alten Inder entspricht ganz der natürlichen Einteilung des Menschengeschlechts. Jeder wird durch sein eigenes Karma in die ihm gemäße Kaste hineingeboren, er hat erst den ganzen Umkreis der Pflichten innerhalb derselben zu erfüllen, ehe er für eine neue Inkarnation in die nächsthöhere Kaste reif wird. Solange auf einer niederen Stufe das eigene Urteil noch unentwickelt ist, muß der Mensch Gehorsam lernen, er muß im Dienen die Tugenden der Treue und Ergebenheit erwerben, und so bildet die Kaste der Sudra die Schule für unbedingten Gehorsam und Unterordnung – diese geübten Tugenden, die erst für Selbstbezwingung, Selbstbestimmung und eine liebevolle und milde Herrschaft befähigt machen.
In der zweiten Kaste, den Vaisya, wird der Mensch, Ackerbau und Viehzucht treibend, in innigsten Zusammenhang mit der umgebenden Natur treten. Er wird im Schweiße seines Angesichts den Mutterboden bearbeiten lernen, er wird säen und ernten und so die Nahrung für seine Mitbrüder erzeugen; er wird alle Tugenden eines Ackerbauers üben. Sodann wird er als Kaufmann Handel und Gewerbe treiben, Reichtümer sammeln und viele Untugenden seines Standes durchmachen müssen. Durch Selbstsucht und Geiz wird er oft erst weise Ökonomie erlernen und die richtige Verwendung seines Reichtums zum Nutzen und Frommen seiner Mitbürger. Hat er bis zur Vollkommenheit seine Lektion auf dieser Stufe erlernt, so wird er in der folgenden Inkarnation ein Kshatriya und in die Kriegerkaste hineingeboren. Hier muß er seine Kräfte zum Schutze und zur Verteidigung seines Vaterlandes einsetzen; durch Mut und Tapferkeit und Selbstverleugnung Stärke gewinnen, um jeder Gefahr gewachsen zu sein. Das kann er nur, wenn er jeden Augenblick bereit ist, sein Leben der Pflicht zum Opfer zu bringen. Der Krieger muß das physische Leben hingeben, dann erwirkt seine Seele den Geist der Selbstentäußerung und ist Schöpfer eines Ideals. [...] Der Krieg ist die Schule, die durchgemacht werden muß, um in jene höchste Kaste der Brahmanen zu gelangen, für die – auf ihrer Stufe der Entwicklung und Erkenntnis – Kampf und Tötung eine Todsünde ist.
Ebd., 163f.


Und dann sagt Steiner:

So sehen wir, wie jede Entwicklungsstufe ihr eigenes Dharma erfüllen muß. Was auf der einen Stufe als gut gilt, hat die andere als böse zu meiden. Gut und Böse hat in der ewigen Weltordnung seinen Platz; in ihr verlieren sie jene Bedeutung, welche wir ihnen beilegen. Sie sind notwendig, denn sie sind die Pole der Entwicklung, sie sind aus einem Ursprung hervorgegangen. Gut und Böse, Wirkung und Gegenwirkung, bedingen und ergänzen sich wie Schlaf und Wachen, wie Ruhe und Tätigkeit, wie Licht und Schatten, wie Hell und Dunkel, und sie gehören zueinander wie Geist und Materie. Es ist Atma als reinstes Licht, Urquell alles Seins, und Atma als Spiegelbild, dunkelster Punkt und Keimkraft in der dichtesten Materie, welches den Anstoß zur Entwicklung und Verfeinerung der Materie in ewigem Wechsel der Formengebilde gibt, bis sich die Gegensätzlichkeit zur Lichtquelle des Geistes emporgerungen hat und in Nirwana sich mit seinem Ausgangspunkt wieder vereinigt. Aus der ursprünglichen Einheit der Weltharmonie, des ewigen Grundes aller Dinge, des Seins, löst sich die Gegensätzlichkeit los – das ewige Werden der Materie, die sich in zahllosen wechselnden Formen aus sich heraus und hinauf entwickelt zur Erfüllung, um aus der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, dem Vielen, wieder zu einer Einheit zu verschmelzen, bereichert mit den unzähligen Erfahrungen der getrennten Einheiten. Mit Nirwana schließt sich der Kreis: Ausgang und Rückkehr zum ewigen Urgeist.
[...] Nirwana ist das Nichts von Karma; es kann kein Karma mehr entstehen, weil Dharma offenbar geworden ist.
Ebd., 164f.

Rudolf Steiner über das wahre Ich

Wenn Felix Hau schreibt, bei ihm gebe es wie bei Steiner „eine Dreiteilung des Ich in das Alltags-Ich, das höhere Ich und das wahre Ich“, so geht dies an Steiner völlig vorbei. Deswegen möchte ich hier einige wesentliche Aussagen Steiners über das höhere bzw. wahre Ich zusammenstellen:

Der Mensch trägt in sich ein „wahres Ich“, welches einer übergeistigen Welt angehört. Dieses „wahre Ich“ ist in der Sinneswelt wie verdeckt durch die Erlebnisse des Denkens, Fühlens und Wollens. Selbst noch in der geistigen Welt wird der Mensch dieses „wahren Ich“ erst bewußt, wenn er die Erinnerungen an alles in sich austilgt, was er durch sein Denken, Fühlen und Wollen erleben kann. Aus dem Vergessen des in der Sinnes-, der elementarischen und der geistigen Welt Erlebten taucht das Wissen von dem „wahren Ich“ auf. (GA 17, 90).


Steiner unterscheidet hier das wahre Ich vom astralischen Leib: „Durch ihn ist der Mensch das Glied einer geistigen Welt. In ihm liegt das ,andere Selbst’ des Menschen, welches sich in den wiederholten Erdenleben zum Ausdrucke bringt. Nach dem Tod trennen sich ja auch Astralleib und wahres Ich – und:

Die im „wahren Ich“ sich erlebende Seele hat dann innerhalb der geistigen Welt um sich dasjenige, was sich in ihr während des Sinnesseins als Seelenerlebnisse gebildet hat. Innerhalb der Welt, welche hier als diejenige der Gedankenlebewesen geschildert ist, findet die Seele zwischen Tod und neuer Geburt alles, was sie selbst in ihrem Innensein durch ihr Sinneswahrnehmen und durch ihr Denken, Fühlen und Wollen im Sinnessein erlebt hat. (GA 17, 94).


Entscheidende weitere Sätze stehen in dem grundlegenden Band „Philosophie und Anthroposophie“ (GA 35). Hier unterscheidet Steiner das gewöhnliche und das reine Denken. Letzteres kann zu einer Realität werden, wenn es durch den Willen zum Leben entfacht wird. In diesem Zusammenhang heißt es dann:

[...] daß durch nichts anderes das wahre Ich erlebt werden kann als allein durch das reine Denken. Es ragt eben in das reine Denken, und für das gewöhnliche menschliche Bewußtsein nur in dieses, das wirkliche Ich herein. Wer bloß denkt, der kommt nur bis zu dem Gedanken des ,Ich’; wer erlebt, was im reinen Denken erlebt werden kann, der macht, indem er das ,Ich’ durch das Denken erlebt, ein Wirkliches, das Form und Materie zugleich ist, zum Inhalte seines Bewußtseins. Aber außer diesem ,Ich’ gibt es zunächst für das gewöhnliche Bewußtsein nichts, was in das Denken Form und Materie zugleich hereinsenkt. Alle anderen Gedanken sind zunächst nicht Bilder einer vollen Wirklichkeit. Doch indem man im reinen Denken das wahre Ich als Erlebnis erfährt, lernt man kennen, was volle Wirklichkeit ist. Und man kann von diesem Erlebnis weiter vordringen zu anderen Gebieten der wahren Wirklichkeit.
Dies versucht die Anthroposophie. [...] Das gewöhnliche Bewußtsein schaltet sie mit Ausnahme des im reinen Denken erlebten Ich für die Zwecke ihrer Forschung aus. Und sie setzt an dessen Stelle ein solches Bewußtsein, das sich in seinem vollen Umfange so betätigt, wie das gewöhnliche Bewußtsein dies nur dann zustande bringt, wenn es das Ich im reinen Denken erlebt. Um das so Angestrebte zu erreichen, muß die Seele die Kraft erwerben, sich von aller äußeren Wahrnehmung und von allen Vorstellungen zurückzuziehen, die im gewöhnlichen Leben der menschlichen Innenwelt so anvertraut werden, daß sie in der Erinnerung wieder aufleben können.
Philosophie und Anthroposophie, GA 35, 103f.


Hier wird ganz deutlich, dass das reine Denken etwas völlig anderes ist als das schattenhafte, bloß abbildhafte gewöhnliche Denken. Ebenso deutlich wird, dass das im reinen Denken zu findende wahre Ich keineswegs die alleinige Wirklichkeit ist, sondern dass von ihm ausgehend noch ganz andere Gebiete der wahren Wirklichkeit gefunden werden können. Das wahre Ich lebt in einer Welt ebenso wahrer anderer Wesenheiten...

Dieses wahre Ich ist dasjenige, was durch die Inkarnationen hindurchgeht:

Indem aber dieses, was wir kennenlernen als unser eigenes Astralisches, als unser eigenes Seelisches, in dieser Welt an uns herantritt, fühlen wir uns ja eigentlich als kosmischer Mensch, und unseren eigenen astralischen Leib, unsere eigene Seele fühlen wir nur als ein Glied des Kosmos. Aber wir fühlen es als ein Glied nunmehr nicht des ätherischen, sondern des seelischen Kosmos, und wir wissen jetzt: der Kosmos, er hat eine Seele. [...]
Und noch weiter kann fortgesetzt werden jene innere Konzentration, jene innere Meditation [...].Dann dringt man durch den menschlichen Astralleib, der sich eigentlich darstellt als aus der Peripherie der Welt sich gegen unser menschliches Zentrum hin entwickelnd, der sich darstellt als ein Glied des ganzen astralischen Kosmos. Man gelangt von diesem aus in das eigentliche wahre Ich, von dem man ja im gewöhnlichen Leben nur einen Schatten hat, zu dem man ,Ich’ sagt, man gelangt zu demjenigen, was man als Ich nunmehr objektiv anschaut, wie man sonst äußere Dinge objektiv anschaut. Denn dasjenige, was man auf dem Erkenntniswege durchmacht, das hat einen aus der eigenen Leiblichkeit herausgebracht, und was jetzt wiederum einzieht in die eigene Leiblichkeit, das ist nicht das Ich, das man im gewöhnlichen Leben hat, das ist ein reales Ich.
Dieses reale Ich hat zunächst nichts zu tun mit vielem von dem, was uns aus dem Kosmos heraus als menschlichen Organismus gestaltet, was in uns wirkt und lebt aus der Welt, die wir vor der Geburt oder vor der Empfängnis im geistig-seelischen Reiche durchgemacht haben. Dieses Ich stellt sich dar als ein Objektives, als dasjenige, das gewissermaßen die Summe darstellt all derjenigen Iche, die wir durchlebt haben in unseren abgelaufenen Erdenleben.
Das wird erreicht auf der Stufe des Intuitiven, des wahrhaftigen Intuitiven. Da wird dasjenige, was in anthroposophischer Menschenerkenntnis geschildert werden kann als die wiederholten Erdenleben, da wird das zu einer Weisheit. [...]
[...] Diese Anschauung von den wiederholten menschlichen Erdenleben ist eben keine Theorie, sondern sie ist etwas, was auftritt als eine Erkenntnis gleichzeitig mit der Anschauung des wahren Ich, das wir im Grunde genommen im gewöhnlichen Leben so vor uns haben, wie wir unser Seelenleben vor uns haben zwischen dem Einschlafen und Aufwachen.
24.8.1921, GA 77b, 67-70.

Die wahre Erleuchtung ist mehr als All-Geist

Indem man all dies zusammennimmt, die ganzen, differenzierten Schilderungen Rudolf Steiner, alle bisherigen Überlegungen, auch die des vorherigen Aufsatzes, müsste eigentlich im inneren Erleben immer klarer werden, dass die von Hau beschriebene Erleuchtung diesen einen Mangel hat, der im eigenen Erleben immer wesentlicher werden müsste: als ein Mangel, als etwas, was dieser Erleuchtung fehlt, was sie zu einer Illusion macht – zu einer Erleuchtung in einer bestimmten Sphäre.

Rudolf Steiner beschreibt die Fülle der geistigen Welt in unzähligen Vorträgen. So etwa in dem Vortrag „Die menschliche Erkenntnisfähigkeit in der ätherischen Welt“, wo er sagt:

Und wenn wir uns so weit erkraftet haben, wenn wir uns innerlich so durchleuchtet haben, und uns gewissermaßen in dem zweiten Menschen, in dem Bildekräfteleib erleben, dann treten wir auch ein in die Welt, die sich uns wenigstens zunächst in ihren Bildern offenbart, in die Welt der Angeloi, Archangeloi, Archai.
Es ist so, daß, wenn man gewissermaßen durchbricht in diejenige Weltsphäre, in der der Ätherleib oder Bildekräfteleib für uns ansichtig wird, dann innerhalb der flutenden Bilderwelt, in die man da eintritt, die Offenbarungen jener Wesenheiten erscheinen, die der dritten Hierarchie angehören: Angeloi, Archangeloi, Archai. [...]
Wenn wir uns dann durch die Kraft unseres Erkenntnisvermögens aufschwingen dazu, unseren eigenen astralischen Leib zu überblicken, also das, was von uns vorhanden war, ehe wir zum Erdendasein heruntergestiegen sind, was wir wiederum an uns tragen werden, wenn wir durch die Pforte des Todes geschritten sind, dann wissen wir: das ist eine weitere Welt, aber eine Welt, die wir auch nicht im Äther des Kosmos finden, die hinter dem Tor der Geburt und des Todes liegt. Es ist eine weitere Welt, die wir da betreten. Es ist die Welt des Astralischen.
[...] Aber ebenso, wie wir die dritte Hierarchie treffen, wenn wir uns zu unserem Bildekräfteleib hinauf organisieren, ebenso treffen wir in dieser Welt, in der für uns ansichtig wird unser eigener astralischer Leib, die zweite Hierarchie: Exusiai, Kyriotetes, Dynamis. Und diese zweite [...] erscheint uns so, daß sie uns einzelne Bedeutungen innerhalb des die Welt durchwellenden Logos verkündet und offenbart. Sie spricht zu uns.
Will man andeuten, wie man sich zu diesen Welten verhalten kann nach Erlangung der entsprechenden Erkenntniskräfte, will man das so andeuten, daß man Worte, an die man gewöhnt ist, zu diesen Andeutungen verwendet, Worte, die natürlich dann nicht mehr ihre ursprüngliche Bedeutung für die Sinneswelt haben, aber aus denen man doch etwas entnehmen kann für dieses Verhältnis zu den höheren Welten, so muß man sagen: Für die Ätherwelt wird das innerlich lebendige Denken eine Art Tastorgan. [...]
Kommen wir dann in die Welt hinein, der unser eigener astralischer Leib gewissermaßen angehört, so können wir nicht mehr von dieser astralischen Welt sagen, daß wir sie nur berühren, sondern wir müssen sagen: Diese Welt verstehen wir als Offenbarung der Wesen der zweiten Hierarchie. Jede einzelne Äußerung verstehen wir als ein Glied, als einen Teil des Weltenlogos. Durch das tiefe Schweigen kommt die Sprache der Geistwesen. Also nach der Berührung die Sprache, die Mitteilung.
Und wenn wir uns in der Art, wie ich das gestern angedeutet habe, hindurchringen zum Erleben des Ich, das von Erdenleben zu Erdenleben geht, und dazwischen die anderen Leben durchmacht zwischen dem Tode und einer neuen Geburt jeweilig, dann betreten wir eine Welt, die die eigentliche Geistwelt ist, die höhere Geistwelt. In dieser Welt ist es ja zunächst so, daß wir in ein ganz besonderes Verhältnis zu unserem wahren Ich kommen. Dasjenige Ich, das wir hier erleben innerlich im Erdendasein zwischen Geburt und Tod, das ist ja an die physische Leiblichkeit gebunden. [...]
Aber wir finden dann das wahre Ich in der angedeuteten Weise, wie es von Erdenleben zu Erdenleben geht. Wir finden dieses wahre Ich so, daß es uns zunächst vorkommt wie ein ganz anderes Wesen. Wir sagen uns: Hier stehe ich innerhalb dieses Lebens zwischen Geburt und Tod im irdischen Dasein. Ich blicke zurück durch das Stück Ätherwelt, das mir erscheint, bis zu meiner Erdengeburt hin. Dann blicke ich weiter durch in Welten, in weite Gefilde, die eigentlich nur zeitliches Dasein haben, wo vom Räume zu sprechen im Grunde genommen ein Unding ist; aber es erscheint mir wie eine weite Perspektive die Welt mit all ihrem Inhalt, wie sie um uns herum lebt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Indem ich durch den Äther hindurchschaue, durch die Welt der dritten Hierarchie, indem ich durch das Astralische hindurchschaue, in dem ich war zwischen dem Tode und einer neuen Geburt wie in einer in der Offenbarung des Logos lebenden, wie sich selbst durch die Weltensprache offenbarenden übersinnlichen Welt, indem ich durch das alles hindurchschaue, schaue ich endlich hin zu einem zunächst weit von mir entfernten Wesen, zu demjenigen, was mein Lebensinhalt im vorigen Erdenleben war. [...] Ich schaue zunächst wirklich mein lebendes wahres Ich wie ein fremdes fernes Wesen. Und ich erkenne mich wieder in diesem mir zunächst erscheinenden gleichsam fremden Wesen.
In diesem Satze müßte eigentlich jedes Wort ganz intensiv genommen werden, denn jedes einzelne Wort hat in diesem Satze eine ganz besondere Wichtigkeit. Zu dem ganzen Erleben gehört es, daß man sich aus der Wahrnehmung des eigenen Ich wie eines zunächst Fremden durchringt dazu, daß man sich sagt: Das, was dir da zunächst als Fremdes erschienen war, das bist du ja selbst. Dir ist es so erschienen, als ob in ferner Vergangenheit ein anderes Wesen gelebt hätte, aber du bist es ja selbst.
Und dann wird man gewahr, wie dieses Selbst eben hergeströmt ist vom vorigen Erdendasein in dieses Erdenleben herein, wie es aber jetzt gewissermaßen in diesem Erdenleben zugedeckt ist, und nur erscheinen würde, wenn all die Ereignisse, die zwischen dem Einschlafen und Aufwachen vorkommen, vor die Menschenseele hintreten würden. Dadrinnen webt und lebt weiter dasjenige, was aus dem vorigen Erdenleben, durch Astral- und Ätherwelt durchströmend, bis zu uns gelangt ist.
22.4.1923, GA 84, 136-141.


Für Hau und seine Erleuchtung ist das alles nicht wesentlich. Ganz nach Art der heutigen New-Age-Spiritualität tut er dies ab und meint, in ,seiner’ Erleuchtung gleich auf die höchste Stufe gesprungen zu sein. All-Eins gewesen zu sein. Wozu dann noch verschiedene Erdenleben, wobei schon das wahre Ich des früheren Erdenlebens einem zunächst ganz fremd ist und man erst eine tiefe Entwicklung durchmachen muss, um zur Realität vorzudringen? Und wozu hohe geistige Wesenheiten, die all diese Geheimnisse des Menschenwesen tragen – Ätherleib, Astralleib, ja sogar das Ich, auch das wahre Ich des Menschen? Das alles ist für Hau nicht wesentlich. Das All-Erlebnis reicht. Es braucht keine höheren Wesenheiten, keine tiefgehende, schrittweise Entwicklung. Und auch die verschiedenen Erdenleben sind nichts als ein ,Füllen von Lücken’ durch das ein-einzige ,wahre Ich’. So einfach ist das ... mit der ganz von luziferischer Schlichtheit durchtränkten Erleuchtung.

Auf den Spuren der wahren Erleuchtung

Die Erleuchtung von Hau mag ein noch so grandioses Ereignis gewesen sein – es ändert nichts daran, dass sie grandios von Luzifers Sphäre ausgeht. Auch das gottgleiche, ja ,gott-identische’ Freiheits-Erleben ist ja nichts anderes als Luzifers Impuls. Er war ja der Erste, der ganz frei sein wollte von allem übrigen Göttlichen. Hau erlebte genau dies: das luziferische Gott-Sein. Zurückgekehrt in das individuelle Sein macht ihn dies nicht weniger hochmütig...

Wenn Hau mir dann vorwirft, dass man in seinem oder auch in Clements Ansatz Substanzlosigkeit nur dann behaupten könne, wenn man „als spiritueller Materialist die eigene Geilheit nach Fülle nicht kontrollieren kann“, so offenbart dies nur ein weiteres Mal seine seelisch-geistige Arroganz und auch Vulgarität. In meinem vorherigen Aufsatz habe ich gerade versucht, deutlich zu machen, dass solche Seelenstimmungen wie die Demut oder die Ehrfurcht diese Fülle gerade finden. Und sie tun dies gerade, weil sie selbst das genaue Gegenteil von Geilheit sind, nämlich ein (bewusstes, gewolltes) Sich-Zurücknehmen, ein Still-Werden, ein Schweigen und Warten. Hier ist alles gewollt, ,kontrolliert’, und man ist auch kein spiritueller Materialist, sondern ,Myste’, wie Steiner sagen würde – und nur einer solchen ,Mystenstimmung’ kann sich die wahre geistige Welt offenbaren.

Wie soll sich einem Clement oder Hau diese wahre geistige Welt überhaupt offenbaren können? Sie sind doch bereits erfüllt von luziferischen Theoriegebäuden (Clement) oder Erleuchtungserlebnissen (Hau). Es ist gar kein Platz mehr für eine andere, wahrere Erleuchtung. Ohne wirkliche Demut wird dieser Platz auch nie da sein können...

Die wahre Erleuchtung ist nicht ohne moralische Entwicklung zu erlangen – und das wussten sogar schon die alten Inder. Aber Rudolf Steiner hat es ganz deutlich gemacht. Und er sagt es ausdrücklich auch in der Fortsetzung des zuletzt zitierten Vortrages. Dort heißt es dann weiter:

Sehen Sie, es liegt eine Welt von irdischen Widersprüchen und himmlischen Einklängen in diesem Sichdurchringen: Irdische Widersprüche so, daß man durch alles dasjenige, was man zunächst für das alltägliche Leben hier auf Erden hat, im Grunde genommen an dieses eigene wahre Ich nicht herangelangen kann. In diesem Erden-Ich lebt eigentlich nur das erste Rudiment der Liebe. Und schon dadurch ist dem Leben auf Erden ein Glanz verliehen, daß die Kraft der Liebe in dieses irdische Leben hereinstrahlt. Aber diese Liebe muß gesteigert werden. Diese Liebe muß so gesteigert werden, daß der Mensch fähig wird, durch die Steigerung der Liebe die Ätherwelt und die Astralwelt wahrzunehmen, und damit eigentlich dasjenige, was als sein Ich, als der Egoismus, als das Gegenteil der Liebe in ihm lebt, was im Leben als das Gegenteil der Liebe ihm die Möglichkeit gibt, als eigenes Ich sich zu empfinden innerhalb des Erdenlebens, das zu überwinden. Die Liebe muß so stark werden, daß man lernt, dieses Ich der Erde zu übersehen, es zu vergessen, nicht mehr achtend auf es hinzuschauen. Liebe ist das Aufgehen des eigenen Wesens in dem anderen. Das muß so stark sein, daß man des eigenen Ichs, wie es im irdischen Leibe lebt, nicht mehr achtet. Dann tritt der Widerspruch auf, daß man gerade durch Selbstlosigkeit, durch höchste Liebefähigkeit an das eigene wahre Ich herandringt, das in der Ferne der Zeiten dann uns entgegenleuchtet.
Man muß schon sein Erden-Ich verlieren, um sein wirkliches wahres Ich in der Anschauung zu bekommen. Und derjenige, der nicht diese Hingabe entwickeln würde, der kann eben an dieses wahre Ich nicht herankommen. Man möchte sagen: Das wahre Ich will nicht gesucht sein, wenn es erscheinen soll, wenn es sich offenbaren soll; und es verbirgt sich, wenn es gesucht wird. Denn es wird nur in der Liebe gefunden. Und Liebe ist Hingabe des eigenen Wesens an das fremde Wesen. Daher muß das wahre Ich wie ein fremdes Wesen gefunden werden.
Und in demselben Augenblicke, in dem man eintritt in dieses Ansichtigwerden des eigenen wahren Ichs, wird man zugleich ansichtig dessen, was nunmehr in einer weiteren Welt lebt, in der eigentlichen Geistwelt. Man trifft zusammen mit den Wesen der ersten Hierarchie: Seraphime, Cherubime, Throne.
Und geradeso, wie man da sein Ich wiederfindet, von dem man eigentlich nur einen Abglanz hier im irdischen Leben hat, so findet man für die ganze Welt der irdischen Umgebung deren wahre Geistgestalt. Man muß auch diese irdische Welt verlieren für diese Erkenntnis, um deren wahre Ursprungswelt zugleich mit unserem wahren Ich zu finden.
So daß man sagen kann: Was sich in der Geistwelt offenbart, ist Wiedererkennen, Berührung, Sprache, Wiedererkennen, aber Wiedererkennen von etwas, das man eigentlich vorher nur im Abglanz, im Abbild kennengelernt hat.
So lebt man sich, indem man den eigenen Menschen erlebt, mit der Erkenntnis des eigenen Menschen in die Totalität des Universums hinein. Und vollständig dargestellt ist diese Gliederung des Menschen im physischen Leib, Ätherleib, astralischen Leib und Ich eigentlich nur dann, wenn man zugleich schildert, wie diese einzelnen Glieder der Menschennatur mit den entsprechenden Welten des Universums zusammenhängen.
Das, was ich eben jetzt dargestellt habe, das muß gut verstanden und durchschaut werden, wenn man auf dasjenige kommen will, was da zugrunde liegt, wenn man überhaupt an die Aufzählung dieser vier Glieder der menschlichen Natur herantritt. Das ist schon durchaus einer derjenigen Punkte, wo sich recht deutlich zeigt, daß der Mensch nicht nur anderes denken muß, wenn er zur Wahrheit der geistigen Welt aufsteigen will, sondern daß er in anderer Art denken muß. Er muß das ganze Denken, das eigentlich nur ein Bildhaft-Totes ist innerhalb der bloß sinnlich-physischen Anschauung, in ein Lebendiges überführen.
22.4.1923, GA 84, 141-143.


In dieser Passage liegen eigentlich alle Punkte, die in der Erleuchtung von Hau die blinden Flecken darstellen. Auch wenn Hau eine solche All-Eins-Erleuchtung hatte, und sei es ohne Zeit und Raum, ist sie noch immer viel zu irdisch gewesen. Dies erweist sich nicht zuletzt daran, dass sein irdisches Denken und Sprechen nicht im Geringsten verwandelt ist – es bleibt gewöhnlich, hochmütig, sogar vulgär. Hau behauptet, dass die Erleuchtung mit der Moralität der irdischen Person überhaupt nichts zu tun habe, ja, dass beides überhaupt nicht in eine Verbindung miteinander zu bringen sei. Er geht bis zu der impliziten oder gar expliziten Aussage, dass alles Einzelne im Grunde ohnehin bedeutungslos und sinnlos sei. Und er unterstellt anderen dann eine ,Geilheit nach Fülle’. Das könnte er dann auch Steiner selbst vorwerfen. Nur isoliert er sich und seine Erleuchtung damit im Grunde selbst. Und offenbart auch dadurch wieder nur, dass sie ganz im Reich Luzifers liegt – auch er hat sich um der Freiheit willen isoliert. In einer absolut antipathischen Gebärde hat er alles zurückgewiesen, was nicht sein Eigen-Wille und Eigen-Erleben war.

Hau kennt bereits das lebendige Denken überhaupt nicht. Er weiß nichts und will nichts wissen von der weiteren geistigen Welt, der eigentlichen Geistwelt. Er will selbstzufrieden bei seiner ,höchsten’ Erleuchtung verharren – und blickt auf alle anderen herab, die ,noch nicht so weit sind’.

Steiner aber betont, dass für jede einzelne Stufe der Erleuchtung eine gesteigerte Kraft der Liebe notwendig ist. Eine Erleuchtung, die ohne Liebe erlangt wurde, ist daher unbedingt eine Wirkung der Gegenmächte. Wäre sie in Einzelfällen selbst eine Gnade der guten Mächte, so würde die Frucht dieses Erlebnis tief in das Einzelleben zurückstrahlen – und würde dieser Mensch dann durch dieses Gnadengeschehen die Liebe finden. Nur die Liebe führt zur wahren Einweihung – und die wahre Einweihung schenkt die Liebe.

Unvorbereitete Wege und innere Entwicklung

Hier sieht man, wie sehr Hau trotz seines umfassenden – in letzter Hinsicht aber zutiefst leeren – Erleuchtungserlebnisses von der Anthroposophie weit, weit entfernt ist.

Es ist deutlich, dass er von seinem Erleuchtungserlebnis aus von ,Weinstock’, ,Tür’, ,Weg, Wahrheit und Leben’ sprechen kann. Zugleich aber spricht er von dem ,Legenden-Götzen Christus’ – und offenbart allein schon in diesem einen Satz die volle Natur seiner Erleuchtung. Er empfindet seine Erleuchtung als ungeheuer hochstehend, weil er die Götzen zerschlägt – in Wirklichkeit versuchen Luzifer und Ahriman in ihm und durch ihn, Christus zu vernichten.

Wie gesagt, einem Hau kann man dies nicht erlebbar machen. Er wird weiterhin anderen ,Geilheit nach Fülle’ vorwerfen und seine Erleuchtung als das unübersteigbare Höchste ansehen. Andere aber werden die Unterschiede erkennen und empfinden können.

Wenn aber Rudolf Steiner immer wieder betont, wie schwierig es bereits ist, sich in der wahren geistigen Welt auch nur aufrechtzuerhalten – wie soll dann eine (noch dazu höchste!) Erleuchtung ,mal eben so’ möglich sein? Wieder kann es nur reiner Hochmut sein, dies zu glauben.

Über das aus dem ganz gewöhnlichen Egoismus heraus auftretende Schauen in der geistigen Welt sagte Steiner einmal:

Im Verhältnis zu einer wahren, richtigen Anschauung der geistigen Welten ist es leicht, überhaupt eine Anschauung der geistigen Welten zu gewinnen. Irgendwelche Eindrücke der geistigen Welt zu haben, ist eigentlich, besonders in unserem heutigen Zeitpunkt, nicht so ganz besonders schwierig. Aber in die geistige Welt so einzutreten, daß man sie in ihrer Wahrheit schaut, das macht notwendig, wenn es einem vielleicht auch erst spät aufbewahrt ist, die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle zu haben, daß man sich doch gut vorbereitet haben muß, um sie, wenn man sie haben kann, in der richtigen Weise zu erleben.
31.8.1913, GA 147, 138.


Wenn man aber von dem ganz gewöhnlichen Bewusstsein ausgeht:

[...] dann tritt einer von jenen Augenblicken ein, die sehr bedeutsam sind, die man beachten muß, wenn von den Erkenntnissen und Erlebnissen der höheren Welten gesprochen wird. Es wäre noch das beste, wenn der Mensch, sobald er hinaufkommt in die höheren Welten und nun in einer Sphäre von Widerlichkeiten ist, diese mutvoll und kühn anschauen und sich gestehen würde: Nun, du trägst eben so viel von Egoismus in die höheren Welten herauf. – Es wäre wirklich noch das beste, kühn und frank und frei sich diesem Egoismus gegenüberzustellen. Aber die menschliche Seele hat gewöhnlich die Tendenz, bevor noch diese Widerlichkeiten so recht zum Bewußtsein kommen, sie abzustreifen, sozusagen auszuhauen links und rechts, wie Rosse tun, und wegzustreifen diese Unannehmlichkeiten. In dem Augenblick, wo man das wegstreift, was Folgen des Egoismus sind, haben Luzifer und Ahriman ein leichtes Spiel mit der Menschenseele. Da können sie in ihrem Bündnis sehr leicht die Menschenseele in ihr besonderes Reich führen, wo sie ihr alle möglichen geistigen Welten vorführen können, die der Mensch dann für die wahren, echten, in der Weltenordnung begründeten geistigen Welten hält. Man darf sagen: Die Entwickelung wahrer, echter Liebe, ernsten und ehrlichen Mitgefühls sind zugleich gute Vorbereitungen für die Seele, die sich hellsichtig in die geistigen Welten hinaufleben will.
31.8.1913, GA 147, 143f.


Es kann sich die Frage stellen, wer es eigentlich ist, der das wahre Ich erkennt – wer ist in dieser Erkenntnis das Subjekt? Auf diese Frage gibt Rudolf Steiner im Zyklus „Initiations-Erkenntnis“ in Penmaenmawr folgende Antwort:

Wer ist es eigentlich, oder was ist es im Menschen, was nun dieses wahre Ich, das durch die wiederholten Erdenleben geht, erkennt, oder welches Glied im Menschen ist es? [...] Dieses Subjekt des Erkennens ist eben jenes Ich, das im gegenwärtigen Erdenleibe verkörpert ist, das schwingt sich dann auf zu der Erkenntnis. [...] Aber durch die Methoden, die ich geschildert habe, wird eben dieses höhere Ich, das man im Erdenleben trägt, indem es sich selber bis zur Selbstlosigkeit bringt, fähig gemacht, das wahre Ich zu erkennen.
Und bedenken Sie: Sie verändern ja während dieses Erkenntnisweges das Subjekt. Erstens haben wir es zu tun mit dem Ich, das zwischen Geburt und Tod lebt; das erkennt noch gar nicht das wahre Ich. Jetzt schwingt sich dieses Ich auf und ist zunächst der Erkenner des wahren Ich, das durch wiederholte Erdenleben geht. Dadurch identifiziert es sich in der Tat erkennend mit dem wahren Ich. Also, es wird, indem es eine Metamorphose durchmacht, dieses höhere Ich in das wahre Ich erhoben. Und dann, wenn es in das wahre Ich erhoben ist, kann es auch das wahre Ich erst erkennen.
So also können wir nicht fragen: Wer oder was im Menschen erkennt?, sondern wir müssen sagen: Was im gewöhnlichen Leben erkennt im Menschen, das wird an sich schon zu einem andern Ich gemacht, es geht durch eine Metamorphose, indem es eben aufsteigt von der Imagination durch die Inspiration zur Intuition. Dann aber ist es für das Erkennen ein verwandeltes Ich. Aber die Verwandlung ist gerade dazu da, um das wahre Ich zu erreichen.
20.8.1923, GA 227, 79f.


Es kann wie ein Widerspruch erscheinen, dass durch das Erkennen eine Metamorphose stattfindet, andererseits aber erst durch eine Metamorphose ein Erkennen möglich ist. Man erinnere sich aber an die Verse des zweiten Korintherbriefes:

Denn der HERR ist der Geist; wo aber der Geist des HERRN ist, da ist Freiheit. Nun aber spiegelt sich in uns allen des HERRN Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild von einer Klarheit zu der andern, als vom HERRN, der der Geist ist. (2 Kor 3, 17-18).

Höhere Erkenntnis ist immer auch ein Geburtsvorgang – und jeder seelisch-geistige Geburtsprozess führt zu einem höheren Erkennen. Erkennen ist von innerer Entwicklung nicht zu trennen.

Christus und das wahre Ich

Das wahre Ich, von dem Rudolf Steiner immer wieder spricht, ist zutiefst mit dem Wesen des Christus verbunden:

Nach dem Mysterium von Golgatha war es so, daß der Mensch sein Seelisches hatte, aber das Vorgeburtliche erlebte er darin nicht mehr. Sein wahres Ich ist seit jener Zeit ein geistiges, das heißt, es gehört nicht der Erdenwelt, sondern der geistigen Welt an, und er hat den Abglanz dieses Ichs durch den physischen Leib, das Ichbewußtsein: „... und euer Ich ist von euch getrennt und vereinigt mit Christo in der Geistwelt.“ [Kol 3,3]
Der ist nun herabgestiegen auf die Erde, so daß diese geistige Welt durch ihn die Erdenwelt durchdringen kann. Aber der Menschen wahres Ich lebt nicht in der Welt, die mit Augen gesehen werden kann und an die man herankommen kann mit den drei gewöhnlichen Fähigkeiten, dem Denken, dem Fühlen und dem Wollen; es lebt in einer Welt, die seit jener Zeit die irdische durchdringt, aber es ist mit dem Christus vereint. Und von dem wahren Ich kann man nur wissen, indem man zugleich von dem Christus weiß; das wahre Ich kann man nur fühlen, wenn man zugleich das Wesen des Christus und das Wesen des Mysteriums von Golgatha fühlt; das wahre Ich kann einen nur durchkraften, wenn man zugleich sich durchkraftet fühlt von demjenigen Impuls, der von dem Mysterium von Golgatha ausgeht. [...]
[...] Mit der neueren Zeit ist immer mehr und mehr das in der Menschheit heraufgestiegen, daß der Mensch zu seinem Ichbewußtsein gekommen ist. Das bedeutet ja zunächst nicht eine innere Durchdringung mit dem wahren Ich. Zum Ichbewußtsein gelangen bedeutet eine Trennung von dem wahren Ich, ein Sich-heraus-Erleben von dem wahren Ich. Denn dieses wahre Ich ist eins mit der Welt des Christus. Diese Welt des Christus hat er durch das Mysterium von Golgatha in die Erde hereingetragen. Heute wartet er, daß er durch die entsprechenden Vorbereitungen [der Menschen] wiederum geschaut werde, daß er sich offenbare für die Menschen. Dann wird er begaben können das Ichbewußtsein mit dem innerlichen Erleben des wahren Ichs [...].
18.9.1922, GA 344, 119f.


Und sehr deutlich in Richtung aller, die dies so gerne anders sehen würden, sagt Steiner im Zyklus „Von Jesus zu Christus“:

Nur dadurch, daß die Christus-Wesenheit den Entschluß gefaßt hat, sich in dem Zeitpunkt der Ereignisse von Palästina mit einem Menschen zu vereinigen, in einem Menschen sich zu verkörpern und der Menschheit den Weg nach aufwärts möglich zu machen, nur dadurch wurde jene Entwickelung der Menschheit herbeigeführt, die wir jetzt nennen können eine Erlösung der Menschheit von jenem Impuls, der von den luziferischen Kräften gekommen ist, und der in der Bibel bildlich als die Erbsünde bezeichnet wird, als die Verführung durch die Schlange und Herbeiführung der Erbsünde. [...]
Das war eine Tat der göttlichen Liebe! Dessen müssen wir uns klar sein, daß keine menschliche Empfindung zunächst in der Lage ist, jene Intensität der Liebe zu empfinden, die notwendig war, um den Entschluß zu fassen für einen Gott, der dessen nicht bedurfte, in einem menschlichen Leib auf Erden zu wirken. Dadurch wurde - als durch eine Tat der Liebe - dasjenige Ereignis hervorgebracht, welches das wichtigste ist in der Menschheitsentwickelung. [...]
Hätte der Gott, der mit dem Namen des Vatergottes bezeichnet wird, es einst nicht zugelassen, daß die luziferischen Einflüsse an den Menschen herankommen konnten, so hätte der Mensch nicht die freie Ich-Anlage entwickelt. Mit dem luziferischen Einfluß wurde die Anlage zum freien Ich entwickelt. Das mußte zugelassen werden vom Vatergott. Nachdem aber das Ich – um der Freiheit willen – in die Materie verstrickt werden mußte, mußte nun, um von dem Verstricktsein in die Materie wieder befreit zu werden, die ganze Liebe des Sohnes zu der Tat von Golgatha führen. Dadurch allein ist Freiheit des Menschen, vollständige menschliche Würde erst möglich geworden. [...]
Den Freiheitsgedanken sollten die Menschen nicht ergreifen können ohne den Erlösungsgedanken des Christus. Dann allein ist der Freiheitsgedanke ein berechtigter. Wenn wir frei sein wollen, müssen wir das Opfer bringen, unsere Freiheit dem Christus zu verdanken! Dann erst können wir sie wirklich wahrnehmen. Und die Menschen, die ihre Menschenwürde beschränkt glauben, wenn sie sie dem Christus verdanken, die sollten erkennen, daß menschliche Meinungen gegenüber Weltentatsachen nichts bedeuten, und daß sie einmal recht gern ihre Freiheit als von dem Christus erworben anerkennen werden.
14.10.1911, GA 131, 227ff.


Das alles wird jemanden wie Hau nicht tangieren. Aber für alle anderen mag sich zeigen, wie sehr er Steiner nur dem Wort und dem eigenen Anspruch nach im Munde führt, ohne irgendetwas mit Steiner zu tun zu haben.

Gott und Mensch

Der einzelne Mensch kann sich durch die höchste Liebestat Gottes, nachdem er (der Mensch) ein Einzelwesen geworden ist, wiederum aus den Fängen der Widersacher, deren Wirken ihm sein freies Einzelsein schenkt, herausringen. Erst dann findet er die höhere Freiheit. Dann ist es nicht mehr die Freiheit von der göttlichen Welt, sondern die Freiheit von den Widersachern – und in immer tieferer Wiederverbindung mit der göttlichen Welt findet er in voller Freiheit auch immer mehr zur Liebe.

Aber die Liebe der göttlichen Welt ist so groß, dass sie die Freiheit des Menschen selbst da liebt, wo der Mensch die göttliche Welt verleugnet und verspottet, sich selbst an ihre Stelle setzend. Sie lässt Erleuchtungserlebnisse zu, in denen der Mensch sich selbst für Gott hält – und wartet...

„An Stelle Gottes den freien Menschen“, schrieb der junge Steiner einst. Auf seine volle Erkenntnis der Zusammenhänge brauchte die göttliche Welt nicht lange zu warten. Rudolf Steiner war einer ihrer allergrößten Sendboten. Und Steiners gesamte Anthroposophie ist eigentlich der Aufruf, zu erkennen, dass der freie Mensch gerade der höchste Wille Gottes ist. Er selbst muss sich mit dieser göttlichen Welt wiederverbinden, wenn dies geschehen soll. Damit aber ist die ganze weitere Entwicklung überhaupt in die Hand des Menschen gelegt. Findet der Mensch diese göttliche Welt nicht wieder, ist die Verbindung vollkommen unterbrochen.

       Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben;
       Werd ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben.
       (Angelus Silesius)

Der Mystiker Silesius hat das innige Geheimnis zwischen der heiligen Welt Gottes und der Menschenseele tief erfasst. Und auch wenn diese Worte an Hau erinnern mögen, liegt doch auch hier wiederum ein unüberbrückbarer Abgrund. Denn in Hau lebt die Hybris einer falschen Erleuchtung, während Silesius sich des wahren Mysteriums unendlich bewusst war.

       Dann wird das Blei zu Gold, dann fällt der Zufall hin,
       Wenn ich mit Gott durch Gott in Gott verwandelt bin.

Für Silesius war völlig klar, wer diese Wandlung zustande bringt – und das ist der entscheidende Punkt.

       Sobald durch Gottes Feur ich mag geschmelzet sein,
       So drückt mir Gott alsbald sein eigen Wesen ein.

Hau würde hier sagen: Da hat der gute alte schlesische Wandersmann die wahre Natur des wahren Ich eben noch nicht vollständig begriffen und es im Erleben noch immer aus sich herausgesetzt.

Hier eben öffnet sich die Kluft. Ein Hau will einfach an seiner gott-gleichen Erleuchtung festhalten. Ein Rudolf Steiner betont, dass wir dahin kommen müssen, unsere Freiheit dem Christus zu verdanken, wenn wir ihr wahres Wesen überhaupt erst wirklich wahrnehmen wollen. Was Hau erlebt hat, war eine luziferische Gottgleichheit – die wahre Gestalt der Freiheit hat er nicht erlebt. Er braucht noch ein Freiheitserleben, in dem er den Christus leugnen kann – und Christus selbst lässt es zu...

Das vollste, unglaublichste Freiheitserlebnis ist nicht unbedingt das wahrste. Die Wahrheit ist nicht, dass der Mensch Gott ist. Die Wahrheit ist, dass der Mensch sein Wesen einer göttlichen Welt verdankt. Bleibt der Mensch in dem Egoismus, dies abzuwehren, um ein noch viel gigantischeres Freiheitserlebnis zu haben (und eine entsprechende Erleuchtung schicken die Gegenmächte gern), kann er das wahre Wesen der Freiheit noch nicht kennenlernen. Es verhüllt sich vor ihm. Der Mensch ist dann wie Luzifer – aber nicht der Bruder Christi...

Wer sich für gottgleich hält, ohne eine unendliche Liebe zu empfinden – auch nach seiner Rückkehr in das Einzelsein –, der ist fern einer wahren Erleuchtungserfahrung, aber tief eingetaucht in eine Erleuchtung der Widersacher.

Das ist das Entscheidende: Gott ist nicht die Freiheit. Gott ist die Liebe...