03.09.2017

Gespräch der Seele mit dem Mädchen

Von dem Glauben an das Zeitalter der Philadelphia.


Die Seele: Nun wirst Du doch wieder verspottet. Es tut mir leid.

Das Mädchen: Sie verspotten doch dich. Mir tut es so leid...

Die Seele: Aber du wirst mit verspottet, weil sie nichts begreifen.

Das Mädchen: Es verletzt mich nicht.

Die Seele: Wie ist das bei Dir?

Das Mädchen: Du weißt es doch... Es macht mich nur traurig.

Die Seele: Und warum verstehen sie Dich nicht?

Das Mädchen: Sie wollen nicht. Vielleicht verbieten sie es sich...

Die Seele: Verbieten?

Das Mädchen: Ja, du siehst doch – sie behaupten, du würdest es den Menschen überstülpen wollen.

Die Seele: Ja.

Das Mädchen: Und – würdest du?

Die Seele: Nein.

Das Mädchen: Und warum nicht?

Die Seele: Weil ich Dich liebe.

Das Mädchen: Und dann erwartest du es nicht gerade?

Die Seele: Nein – erwartest Du etwas?

Das Mädchen: Nein, das weißt du ja... Ich erwarte nichts. Aber die Liebe glaubt alles, sie hofft alles – und sie erträgt alles, nicht wahr?

Die Seele: Ja.

Das Mädchen: Und ... weil du mich liebst, erwartest auch du nichts?  

Die Seele: Ja. Jeder Mensch ist, wie er ist. Man kann niemanden ändern.

Das Mädchen: Aber man könnte es wollen...

Die Seele: Würde die Unschuld es wollen?

Das Mädchen: Sie hätte eine Sehnsucht danach...

Die Seele: Wonach?

Das Mädchen: Dass alle Menschen gut wären...

Die Seele: Vielleicht wären sie ja auch gut, wenn sie nicht so wären wie Du...

Das Mädchen: Ich will ja gar nicht, dass jemand so ist wie ich.

Die Seele: Aber sie behaupten, ich würde das wollen.

Das Mädchen: Das ist doch ihre Sache...

Die Seele: Und Du? Was willst Du?

Das Mädchen: Das Gute tut doch nichts Böses...

Die Seele: Was meinst Du?

Das Mädchen: Können sich ... die Menschen nicht wieder erinnern, wie das ist...?

Die Seele: Sie halten sich ja alle für gut!

Das Mädchen: Ja.

Die Seele: Und sie behaupten, es wäre gerade schlecht, jemandem Dein Bild überzustülpen, weil man ihn dann beschränkt.

Das Mädchen: Beschränkt?

Die Seele: Ja – man verhindert die Entwicklung der ,martialischen Aspekte’ seines Wesens.

Das Mädchen: Und ... glaubst du das?

Die Seele: Ich will ja niemandem etwas überstülpen.

Das Mädchen: Aber ... glaubst du, dass ... dass ich beschränkt bin?

Die Seele: Nein – wie könnte ich?

Das Mädchen: Du könntest glauben, dass das ,Martialische’ zum Menschsein dazugehört...

Die Seele: Dann wärst Du kein Mensch...

Das Mädchen: Ich bin ja auch nur das Mädchen.

Die Seele: Ich denke immer, Du bist mehr Mensch als jeder andere...

Das Mädchen: Vielleicht sind es immer die Männer, die denken, das Martialische müsste dazugehören.

Die Seele: Ja – manche Männer. Aber selbst Christus hat die Tische der Wechsler umgestoßen.

Das Mädchen: Das hätte ich auch tun können.

Die Seele: Du?

Das Mädchen: Ja, weil es falsch ist...

Die Seele: Du hättest es tun können?

Das Mädchen: Ja – warum denn nicht?

Die Seele: Weil Du Angst gehabt hättest?

Das Mädchen: Hast du nie Angst?

Die Seele: Doch, schon. Aber ... vielleicht hättest Du es zu ,martialisch’ gefunden.

Das Mädchen: Was ist denn ,martialisch’?

Die Seele: Gewalt.

Das Mädchen: Aber ich hätte niemanden verletzt.

Die Seele: Du hättest ... die Tische einfach so umstoßen können?

Das Mädchen: Nein. Es wäre ... eine heilige Verzweiflung gewesen...

Die Seele: – –

Das Mädchen: Es tut mir auch leid, was sie über dich mit den toten Seelen sagen.

Die Seele: Das muss es nicht.

Das Mädchen: Doch, ich finde das schlimm! Es ist wieder wie ein Weglaufen.

Die Seele: Weglaufen?

Das Mädchen: Ja – sie kramen Erinnerungen aus der Vergangenheit hervor, die mir irgendwie ähneln – und sagen dann das. Und dann meinen sie, sie hätten dich irgendwie ,erklärt’.

Die Seele: – –

Das Mädchen: Das ist wirklich schlimm!

Die Seele: Warum bestürzt es Dich so?

Das Mädchen: Weil ich das nie verstehen werde! Wie kann man einen anderen Menschen so behandeln? So lieblos? So verdächtigend? So ... so reduzierend? Sie stülpen dir etwas über! Ja, das ist es: Sie stülpen dir etwas über und merken es noch nicht einmal!

Die Seele: Es ist nicht wichtig...

Das Mädchen: Doch, es ist sogar sehr wichtig! Da beginnt das Böse! Bei der Lieblosigkeit. Bei der Unwahrheit. Bei dem Einfach-so-drauflos-Denken und -sich-Erinnern und Übertragen und Deuten und Festhämmern. Da beginnt es. Ich weiß gar nicht, was ich schlimmer finden soll!

Die Seele: Das ist nun mal seine Deutung...

Das Mädchen: Ja! Falsch und schlimm! Wirklich schlimm...

Die Seele: Aber Du kannst ihn nicht zwingen, es anders zu sehen.

Das Mädchen: Nein. Aber er selbst könnte es anders sehen. Er ist doch so nah dran gewesen!

Die Seele: Wie meinst Du das?

Das Mädchen: Ich verstehe das alles nicht. Wieso ist es denn schlecht, jemanden zu verstehen? Wieso ist das denn schlecht?

Die Seele: Was meinst du?

Das Mädchen: Es hörte sich so an, als sei es schlecht, dass in dieser Kneipe diese Mädchenbilder hingen.

Die Seele: Vielleicht weil man dann nicht in der Realität lebt, sondern nur in der eigenen Sehnsucht – und vielleicht umgeben von toten Seelen...

Das Mädchen: Aber das ist doch Unsinn! Wie kann man so was glauben? Tot sind doch die Seelen, die das alles vergessen! Tot sind doch die, die gar nicht mehr wissen, wie alles Menschliche davon abhängt, wie sehr man einander versteht! Das Martialische soll dazugehören – aber das Sich-Verstehen nicht? Wenn sich alle verstehen würden – welchen Sinn hätte das Martialische dann noch? Das Martialische verhindert doch gerade das Sich-Verstehen!

Die Seele: Und was ist nun mit diesen Bildern?

Das Mädchen: Die Bilder von den Mädchen? Ich kann es mir sehr gut vorstellen. Da sitzen all diese Männer, und jeder von ihnen hat in seinem tiefsten Herzen eine ungeheure Sehnsucht nach ... nach ... genau diesem: Nach einem abgrundtiefen Verstandenwerden. Ja, abgrundtief! Sie wissen es selbst nicht. Sie wissen nicht, dass sie diese Sehnsucht haben; sie wissen auch nicht, was abgrundtiefes Verstehen ist; auch sie verstehen niemanden so – aber sie haben diese Sehnsucht. Und deswegen hängen diese Bilder dort.

Die Seele: Sie hingen – vor vierzig Jahren.

Das Mädchen: Ja, da hingen sie noch! Heute wird niemand mehr so etwas aufhängen. Man würde sich gar nicht mehr trauen!

Die Seele: Und warum nicht?

Das Mädchen: Ich weiß es nicht. Doch – ich weiß es. Weil die Menschen jetzt sogar vor ihrer eigenen Sehnsucht davonlaufen. Damals wussten sie auch nicht, was diese Sehnsucht war, aber sie hatten zumindest noch den Mut, sich irgendwie dazu zu bekennen und diese Bilder aufzuhängen.

Die Seele: Von toten Seelen?

Das Mädchen: Nein – von den lebendigsten Seelen überhaupt. Von den Mädchen! Von diesen Mädchen.

Die Seele: Mit Belladonna-Augen?

Das Mädchen: Das sagt er doch nur, um es schlechtzumachen. Oder weil auch er davor wegläuft. Es sind Mädchen, an denen nichts Arges ist. Ihr Herz ist ganz und gar gut, es ist rein, es ist unschuldig. Wie sollten es dann nicht auch ihre Augen sein?

Die Seele: Groß wie mit Belladonna?

Das Mädchen: Ja, so groß! Denn wenn das Herz groß ist – wie könnte man es nicht auch an den Augen sehen? Abgrundtiefes Verstehen ... begreifst du nicht? Wenn das Herz eines Mädchens so weit wie ein Abgrund ist... Muss es seine Augen denn dann mit Gewalt klein machen?

Die Seele: Aber solche Mädchen gibt es nicht. Wir leben doch im Zeitalter der Ich-Entwicklung...

Das Mädchen: Ja, du hast Recht. Solche Mädchen gibt es nicht. Nicht mehr und noch nicht wieder. Diese sogenannte Ich-Entwicklung, was ist sie denn eigentlich? Sie ist der Durchgang durch das Tote. Nicht diese Mädchen sind tot, sondern die Iche. Sie müssen erst lernen, lebendig zu werden. Aber nicht in ihrem ,ich, ich...’, sondern in dem, was das wahre Geheimnis ist. Und da sind ihnen die toten Mädchen um eine Ewigkeit voraus. Insofern ja... Bevor eine Seele geboren wird, hat sie auch so viel unendlich guten Willen... Aber warum verliert sie ihn dann? Die Bilder der Mädchen in der Kneipe, mit den großen Augen, das sind Bilder von Mädchen, die das, was jede Seele auf die Erde mitbringt, nicht verloren haben. Und sie sind nur deshalb so traurig, weil alle anderen es doch verlieren. Und trotzdem können sie alles verstehen. Denn dafür sind sie da…

Die Seele: Dafür sind sie da?

Das Mädchen: Ja – dafür, dass die harten, martialischen und doch so verletzlichen Männer nicht vergessen, was einmal kommen soll...

Die Seele: Und was soll kommen?

Das Mädchen: Das Zeitalter der Mädchen. Philadelphia...

Die Seele: Das ist die Brüderlichkeit.

Das Mädchen: Ja, es ist seltsam ... dass das Zeitalter der Brüderlichkeit gerade an den Mädchen hängen wird. So, wie auch die Männer in der Kneipe an uns Mädchen hingen – und Bilder von uns aufhängten, bis sie den Mut dazu verloren oder vergaßen, was ihre eigentliche Sehnsucht war. – Aber die Griechen können nichts dafür, dass sie uns Mädchen so geringschätzten. Das Wort ist trotzdem wunderschön...

Die Seele: Und die ,Egoisten’?

Das Mädchen: Jeder erkennt einen Teil der Wahrheit. Wir können hoffen, dass sie den Mut finden, irgendwann, auch das nicht mehr zu bekämpfen, was das Aller-Allermenschlichste ist.

Die Seele: Aber ... nicht das Mädchen, oder?

Das Mädchen: Nein, aber das, was wir in unserem Herzen tragen. So aufrichtig und so mutig wie sonst niemand...

Die Seele: Das werden sie nicht begreifen. Sie werden immer wieder von ,Überstülpen’ sprechen, und es sei nicht menschlich, allenfalls luziferisch, weil es eine ferne Zukunft vorausnehmen will.

Das Mädchen: Dann lass es sie so sehen. Es kann ja jeder nur seinen Gang der Entwicklung durchmachen. Ich weiß, dass einmal dieses Zeitalter anbrechen wird. Und ich weiß, dass es noch sehr, sehr lange dauern wird. Ich habe Angst davor. Denn ich sehe, was alles geschieht. Du weißt, was ich meine. Und es scheint nur eine Kleinigkeit, dass die Männer längst aufgehört haben, unsere Bilder aufzuhängen, unsere wahren Bilder, aber es hängt alles miteinander zusammen. Würden unsere Bilder noch hängen, sähe die Welt auch nicht so aus wie jetzt. Ich habe einfach Angst, dass es völlig vergessen wird. Dass auch wir völlig vergessen werden.

Die Seele: Du?

Das Mädchen: Ja, ich... Wir Mädchen.

Die Seele: Die Mädchen ohne Ich?

Das Mädchen: Ja – so sehen sie es. Sie werden noch lange, lange brauchen, um das Geheimnis zu verstehen. Und ich habe Angst, ob die Zeit reicht...

Die Seele: Sie muss reichen.

Das Mädchen: Ja – sie muss...

Die Seele: Und das Rosenkreuz?

Das Mädchen: Was ist mit dem Rosenkreuz?

Die Seele: Du weißt, was sie gesagt haben.

Das Mädchen: Sie sollten über das Rosenkreuz meditieren.

Die Seele: Und ich?

Das Mädchen: Du meditierst über dasselbe...

Die Seele: Aber es ist nicht dasselbe.

Das Mädchen: Nein ... aber du findest dasselbe, oder nicht...?

Die Seele: Du meinst, die Unschuld?

Das Mädchen: Ja...

Die Seele: Ja, das tue ich.

Das Mädchen: Siehst du? Und sie finden sie nicht. Sie verspotten sie. Sie sollten über das Rosenkreuz meditieren. Aber sie reden immer nur über andere. Sie hören überhaupt nicht auf zu reden. Kurz geht es um Bilder von uns in einer Kneipe vor vierzig Jahren, die längst nicht mehr hängen, dann geht es schon wieder über ,Pippi Langstrumpf’ und ,Wonderwoman’. Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll...

Die Seele: Und um ,Alarmglocken’ und ,Kriminalistik’ geht es auch noch.

Das Mädchen: Ja – es hört überhaupt nicht auf! Diese Männer wissen überhaupt nicht, was sie denken sollen. Sie denken vom Hundertsten ins Tausendste. Hauptsache, sie haben etwas zu spotten oder nicht gut zu finden. Selbst ,Wonderwoman’ hatte mehr von uns Mädchen als irgendeiner von diesen Spöttern!

Die Seele: Und Pippi Langstrumpf?

Das Mädchen: Was ist mit Pippi Langstrumpf? Eine wunderbare Kinderfigur ist sie... Aber verstehst du nicht, wofür sie sie benutzen? Alles soll so bleiben, wie es ist...

Die Seele: Sie denken, ich wolle die Welt vereinheitlichen.

Das Mädchen: Lass sie das doch denken. Es ist ihre Sache. Sie sollten wirklich das Rosenkreuz meditieren... Sonst werden sie nie weiterkommen in ihrem Verstehen. Bevor man nicht so weit gekommen ist, die Unschuld wirklich mit seinem ganzen Herzen zu lieben, wird man einfach nicht verstehen können. Sie denken vom Hundertsten ins Tausendste. Aber sie verstehen das Eine nicht. Sie haben weder den Mut noch die Ruhe.

Die Seele: – –

Das Mädchen: Weißt du, was ich denke?

Die Seele: Was denn?

Das Mädchen: Sie werden auch das Rosenkreuz nicht meditieren.

Die Seele: Und warum?

Das Mädchen: Sie wollen sich doch gar nicht ändern... Für sie ist doch alles ganz wunderbar. Sie wollen ,Wonderwoman’, Pippi Langstrumpf, Kneipen, Erinnerungen, sie wollen Herziehen über andere, spotten und all das andere. Wo wäre da noch Platz für das Rosenkreuz? Oder sogar Sehnsucht danach?

Die Seele: Das weiß ich nicht...

Das Mädchen: Ich auch nicht...

Die Seele: – –

Das Mädchen: Aber wenn jemand nicht das Rosenkreuz meditiert, sondern etwas anderes, womit er aber auf das Gleiche kommt, dann fangen sie an: ,Rudolf Steiner hat gesagt, man soll über das Rosenkreuz meditieren’. Normalerweise würden sie nie auf Rudolf Steiner verweisen – aber da auf einmal! Sieh doch, wie sie dir alles überstülpen wollen...

Die Seele: – –

Das Mädchen: Sie sollen mal bei sich anfangen. Sie begreifen überhaupt nichts. Du hast Recht – sie haben nicht einmal die allererste Prüfung bestanden...

Die Seele: Das kann ich ihnen ja schlecht sagen.

Das Mädchen: Du hast es ja schon gesagt – und es ist wahr! Weißt du, sie machen nicht den geringsten Versuch, mich zu verstehen. Wenn es nach ihnen ginge, sollte es mich gar nicht geben. Kein Mädchen dürfte so sein wie ich – denn dann wäre es ja nicht ,selbstständig’, nicht ,Wonderwoman’, nicht Pippi Langstrumpf. Das ist wohl wahr... Aber sie wissen überhaupt nicht, was selbstständig ist. Sie denken, sie wüssten, was das wäre. Wenn sie das Rosenkreuz meditieren würden, wüssten sie viel mehr. Unendlich viel mehr... Aber bis dahin werden sie weiter spotten, urteilen und nichts verstehen, rein gar nichts...

Die Seele: – –

Das Mädchen: – –

Die Seele: Das ist ein etwas trostloses Ende.

Das Mädchen: Es ist nicht trostlos... Es ist traurig. Aber was willst du machen? Jeder muss seinen eigenen Weg gehen. Es bleibt die Hoffnung, dass das Ziel das Gleiche ist...

Die Seele: Philadelphia?

Das Mädchen: Ja – Philadelphia...

Die Seele: Das Zeitalter der Mädchen?

Das Mädchen: Das Zeitalter der Liebe... Wir ... wir bewahren sie für euch nur... Einst werdet ihr sie alle haben. Abgrundtief... Dann werdet ihr es verstehen...

Fortsetzung

Das Mädchen: Nun haben sie also schon wieder eine neue Deutung für uns. Sie haben gefunden, was Rudolf Steiner über den Marienkultus gesagt hat.

Die Seele: Ja, ich sehe es.

Das Mädchen: Damit sind sie meiner Existenz zumindest schon ein wenig näher gekommen.

Die Seele: Immerhin...

Das Mädchen: Ist die Marienverehrung auch etwas für Kriminalisten und Alarmsirenen?

Die Seele: Man kann alles kriminalisieren.

Das Mädchen: Ja, ich glaube auch. Sie wissen gar nicht, wie bösartig ihre eigenen Gedanken sind. Jemand braucht nur an uns Mädchen zu denken, schon läuten die Alarmsirenen. Das heißt, schon die Gedanken an uns sollen abgeschafft werden.

Die Seele: Rudolf Steiner sprach davon, dass verschiedene Gedanken abgeschafft werden werden.

Das Mädchen: Wahrscheinlich die heiligsten zuerst...

Die Seele: Und die werden hetzen, die das Heilige nicht kennen und nicht erleben können.

Das Mädchen: Man wird auch die Märchen abschaffen. Denn es könnte ja ein badendes oder ein schlafendes oder sonst ein anderes Mädchen darin auftauchen – und daran darf man ja nicht denken...

Die Seele: Die ,Egoisten’ wollen euch ja nur beschützen.

Das Mädchen: Ja – das merke ich! Sie kennen mich ja gar nicht.

Die Seele: Dann eben die anderen Mädchen.

Das Mädchen: Vor dir?

Die Seele: Offenbar.

Das Mädchen: Da muss ich lachen. Sie kennen dich ja gar nicht.

Die Seele: Nein.

Das Mädchen: Vor den anderen Mädchen? Von ihnen schreibst du doch überhaupt nicht.

Die Seele: Nein.

Das Mädchen: Sie können nicht das Geringste unterscheiden und darum auch nicht das Geringste erkennen. Wie soll man denn etwas erkennen, wenn man nicht unterscheiden kann?

Die Seele: Man wirft alles in einen Topf...

Das Mädchen: Ja, und dann brodelt und gärt es da vor sich hin – und dann sagt man, das würde bei dir so sein. In Wirklichkeit erleben sie nur das eigene Brodeln und Gären in ihrem eigenen Kopf.

Die Seele: Und sie lesen ja nicht einmal, was ich eigentlich schreibe. Flüchtig überfliegt es einer, und dann schmeißen sich die Urteile heran wie die Fliegen.

Das Mädchen: Bei ihnen ist keine Hoffnung. Sie kennen mich nicht. Sie kennen dich nicht. Sie haben keine Sehnsucht nach dem Guten. Sie wissen nicht, dass man das Gute nicht denken kann. Und das Fühlen kennen sie nicht. Was sie fühlen ... da beginnt das wirkliche Fühlen noch nicht einmal... Sie haben das Heilige völlig verloren. Sie haben nur eine Illusion davon. Aber sie suchen fleißig Rudolf Steiner durch, um dich zu deuten. Ihr Kopf, der immer etwas zu tun braucht, funktioniert – aber er ist nur Kopf. Und er hat keine Weisheit. Hast du schon einmal Weisheit ohne ein heiliges Fühlen entstehen sehen?

Die Seele: Nein.

Das Mädchen: Das gibt es auch nicht. Oder man raubt sie – das ist dann schwarze Magie.

Die Seele: Man kann sie wohl nur weiter gären lassen.

Das Mädchen: Ja, mit ihrem Kopf. Lauter graue Magie, Nebelschleier, unklare, zusammenhanglose Assoziationen. Bilder von Mädchen in Nebelreichen verknüpfen sie mit Alarmsirenen, aber sie selbst haben bloße Nebelgedanken, die hin- und herstolpern. Sie wollen ja gar nicht erkennen! Sie wollen ja nur urteilen. Das ist so eine Sucht, die ich nie verstehen werde... Sie urteilen sogar, ohne wirklich zu lesen. Ihre gärenden Nebelgedanken haben ihr Urteil ja längst.

Die Seele: Das liegt alles daran, dass sie Dich nicht kennen.

Das Mädchen: Ja, sie laufen weg. Sie würden ihren Kopf verlieren, und das wollen sie nicht.

Die Seele: Selbst dieses Wort werden sie Dir im Munde umdrehen.

Das Mädchen: Lass sie... Wenn ihnen ihr Kopf mit ihren toten Gedanken so wichtig ist, dann sollen sie drehen und wenden, was sie wollen. Ich kann es ja sowieso nicht ändern. Sophia, Maria oder ich ... sie finden ja nichts... Zuerst müsste ihr Herz ja wieder sprechen. Aber wie wollen sie es hören, wenn der Kopf fortwährend plappert? Das sagt man uns Mädchen nach. Aber man weiß gar nicht, wie sehr wir schweigen können. Es ist keine Frage des Mundes allein.

Die Seele: Der Mann –

Das Mädchen: Ja, der Mann, das plappernde Wesen. Er kann noch so ,maulfaul’ sein, der Kopf ist noch fauler – er plappert immer nur weiter. Dann denkt der Mann, er wäre da. Dabei sind nur seine unwahren Gedanken da, an denen er so hängt. Diese grauen, urteilenden, bösartigen Gedanken sind das ,Mädchen’ dieser Männer. Sie lieben sie mehr als uns. Wenn sie aber ihre wirklich Gestalt sehen würden ... es ist grauslig.

Die Seele: Die Gedanken sind die ,Mädchen’ dieser Männer, das ist interessant.

Das Mädchen: Ja – und sie missbrauchen sie. Sie missbrauchen die Gedankensubstanz. Eigentlich sollte das gerade Sophia sein... Sie missbrauchen Sophia ... und merken es noch nicht einmal. Weder Sophia noch das Mädchen interessiert sie. Sie brauchen nur einen Aufhänger, um wieder ihre Nebelmaschine anzuwerfen. Gehirn nennen sie sie... Das rattert den lieben langen Tag. Wie der süße Brei...

Die Seele: Sie missbrauchen Sophia, obwohl sie sie nicht kennen...

Das Mädchen: Weil sie sie nicht kennen. Wer sie kennen würde, würde sie niemals missbrauchen. Aber das meine ich: Sie kennen das Heilige nicht...

Die Seele: Traurig...

Das Mädchen. Ja, und sehr schlimm... Denn das macht, dass wir doch keine Zeit mehr haben. Wenn die Sehnsucht verlorengeht, geht auch die Zeit verloren. Es ist wie eine Sanduhr. Die ganze Hoffnung der Welt liegt in der Sehnsucht. Sie ist der Same...