18.12.2017

Das Mädchen bei den Egoisten

Eine (halbe) Begegnung.


Darf ich eintreten?

Bei uns darf jeder fast alles.

(Das Mädchen sieht sich um)

Gefällt dir was nicht? Bei uns ist es nicht unbedingt sehr ,Waldorf’.

Ich habe mich nur umgesehen...

Und warum bist du hier?

Ich trage das Heilige mit mir...

Muss das sein? Dich hat sicher der Teufel geschickt, äh, Luzifer, äh, der Niederhausen!

Nein, das stimmt nicht. Ich bin von selbst gekommen.

Und wozu das? Wir nehmen nichts.

Das ist traurig.

Aber du ziehst jetzt nicht auch die Masche von Niederhausen ab, oder?

Welche Masche?

Die Ihr-müsst-euch-alle-entwickeln-Masche.

Sagt er das so?

Er sagt doch nichts anderes!

Ich habe das noch nie gehört.

Dann mach mal deine Ohren auf – oder lies mal seine Webseite!

Die kenne ich doch.

Und – was liest du da, rauf und runter?

Dass es ihm um die Läuterung geht.

Läuterung – genau! Bim-bam – da läuten bei mir die Alarmglocken.

Warum?

Jahrzehntelange Anthro-Erfahrung, scheinheilig, abgehoben, missionierend.

(Das Mädchen schweigt).

Da sagst du nichts mehr, nicht wahr? Nagel auf den Kopf getroffen...

Für einen Hammer...

...ach, plapperst du dem Niederhausen nach, ja?

Aber es stimmt doch.

Was stimmt? Das ist doch offensichtlich – bist du blind?

Nein, ein Hammer ist blind, aber du glaubst mir ja doch nicht.

Was soll ich dir nicht glauben?

Dass man Ernst auch Ernst meinen kann.

Dann soll er machen – aber nicht noch predigen!

Ihr predigt doch auch.

Was? Nie gehört. Was sollen wir denn predigen?

Dass, was ihr eben glaubt. Denkt ihr, ihr predigt weniger?

Aber hallo – wir sind sozusagen die Anti-Prediger vor dem Herrn.

Ein Hammer denkt wahrscheinlich auch nicht, dass er ein Hammer ist.

Sehr witzig, reite ruhig noch ein wenig darauf herum, wenn es dir gefällt.

Ich finde es nicht witzig. Ihr denkt immer, ihr seid so ,weit’ – aber euch selbst seht ihr nicht.

Was willst du uns denn sagen, Mädchen – bist du denn so unglaublich weit?

Einer von euch hält mich ja sogar für die russische Sophia.

Das sagt ja gar nichts. Aberglaube im Putin-Reich.

So seht ihr das also.

Ich sehe das so – die anderen können sehen, was sie wollen. Wir sind ja freie Geister.

Authentisch meinst du?

Nein, frei.

Frei von was?

Frei von allen guten Geistern.

Ja, das mag sein.

Das war ein Witz, Schätzchen!

Ich bin kein Schätzchen.

Ach, nein – ich dachte, du bringst die große Rettung?

Und warum verkleinerst du mich dann?

Weil ich an die große Rettung nicht glaube – was für ein Irrsinn sich der selbsternannte Meister da ausgedacht hat!

An was glaubst du denn?

An meinen großen Zeh.

Darf ich etwas fragen?

Tu dir keinen Zwang an.

Ich meine es wirklich: kannst du nicht anders, als so zu reden?

Ist dir das wieder nicht ernst genug? Heilig? Weihrauchmäßig und so?

Also stimmt es...

Was?

Du kannst gar nicht mehr anders...

Ich kann sehr wohl anders, aber, verstehst du, in gewissen Zusammenhängen will ich nicht anders.

Und warum nicht?

Weil mir das, einmal salopp werdend, auf den Senkel geht, dieses Weihrauchgeschwenke!

Dir liegt daran nichts.

Nein, und wenn ich mal Lust drauf kriege, gehe ich in die katholische Messe, da brauche ich Herrn Niederhausen nicht!

Aber er ist doch gar nicht da.

Stimmt, aber du wirkst wie sein Sprachrohr.

Vielleicht ist es ja umgekehrt...

Er dein Sprachrohr? Das ist amüsant. Das muss ich meinem Dackel erzählen – wird ihm gefallen. Treib’s nicht zu wild mit dem Armen.

Bei etwas Heiligem kriegt du einen inneren Ausschlag, nicht wahr?

Mädchen, es ist einfach so – ich such mir das Heilige lieber selbst, das Vorgesetzte finde ich etwas abgeschmackt.

Du willst es einfach nicht.

Ich will es weder von Oberanthroposophen noch von Obermädchen, die direkt aus einem Abziehbildchenhimmel gestiegen sind!

So philosophiert man heute mit dem Hammer...

Nein, so erkennt man wertloses Phantasieren als alter Hase des Destruktiven.

Destruktiv, ja...

Ich meine, es erkennt doch der Dümmste, dass du einfach nur Niederhausens idealisierender Phantasie entspringst.

Ach ja? Und trotzdem kann ich jetzt so vor dir stehen?

Ja, meine Güte – man sollte solche Freisetzungsversuche wirklich verbieten.

Ich entspringe gewiss nicht nur der Phantasie. Oder aber die Phantasie ist die wirklichste Kraft überhaupt.

Für Möchtegern-Anthroposophen, die es gern heilig um sich herum haben.

Nein, für alle, die nicht in den Klauen von Ahriman gefangen bleiben wollen.

Fängst du jetzt auch von dem üblen Herrn an?

Du nimmst nichts ernst – du kannst es nicht.

Es ist alles so abgestanden, ewig die gleiche Leier!

Du lenkst ab. Du nimmst es nicht ernst. Für dich existiert das nicht wirklich.

Mit dir spreche ich doch auch.

Ja, so halb. Aber mich erlebst du ja auch nicht wirklich.

Nein? Wie denn dann?

Nur so, wie alles, was du dir mit deiner Art vom Leibe hältst – während Er dich sehr am Kragen hat.

Ich muss gleich gähnen. Gib dir keine Mühe mehr, es wird langsam peinlich.

Du siehst mich nicht. Du siehst nur, was du sehen willst. In den Märchen offenbart das Mädchen seine wahre Gestalt auch nur dem Auserwählten.

Oh – jetzt ist Niederhausen also schon der Auserwählte, ja?

Viele sind berufen ... und eigentlich könnten alle auserwählt sein, aber – du selbst versperrst deine Seele.

Ja, die Geschichte kenne ich auch. Das ewige Predigen in tausendfacher Variante.

Du musst es innerlich doch selbst wissen?

Lass mal gut sein Mädchen, ich denke, es reicht jetzt. Mein Dackel hat Hunger.

Das Irdische und der Spott zählt für dich immer am meisten, nicht wahr?

Nur bei so liebreizenden Heiligenbildchen wie dir!

Und wenn ich jetzt um deine Seele weinen würde?

Dann würde ich wahrscheinlich sagen: Cooler Special Effect!

Jede Träne ist eine Perle vor den Augen der Engel.

Kann ja sein – mich interessieren deine Genossen da oben auch nicht besonders.

Und man wirft Perlen auch nicht ... einfach so hin...

Vor die Säue meintest du doch wohl.

Ja, aber ich ... bedauere es wirklich, dass ... sich daran nichts ändern lässt.

Du hast es zumindest schön artig versucht. Du kannst deinem Meister gern berichten, dass wir Egoisten unverbesserlich sind.

Er ist nicht mein Meister.

Dann sag’s ihm trotzdem – sonst versucht er’s in hundert Jahren noch.

So viel Zeit habt ihr ja nicht mehr.

Mir egal. Und er kann auch machen, was er will – soll er. Ein Gesamtkunstwerk ist er jetzt schon.

Es gibt welche unter euch, die könnten sich von mir berühren lassen – und tun es sogar...

Ich werd gleich sentimental.

Weißt du, wie es vom Himmel aus aussieht?

Von dem schönen, hellblauen Abziehhimmel aus?

Nein, von der ,geistigen Welt’, wenn dir das lieber ist.

Ja – wie sieht es da denn aus? Wir in den huhuuuu bösen Klauen von Ahriman? Darf jemand wie du das überhaupt schon gucken? Ist das nicht erst ab achtzehn?

Woher willst du wissen, wie alt ich bin?

Das sehe ich doch.

Du siehst nur, dass ich ein Mädchen bin, mehr nicht.

Also erzähl schon.

Von der geistigen Welt aus sieht es so aus wie ein Esel, der sich mit allen Vieren gegen etwas stemmt, was offenbar ganz furchtbar sein muss.

Und zwar?

Das weiß ich nicht. Da ist nichts. Ich bin ja die Einzige, die gerade vor dir steht...

Wiederum – sehr witzig. Den merk ich mir auch für meinen Dackel.

Das ist die Wahrheit. Und Ahriman hat zwar seine Klauen um dich geschlossen, aber er könnte dich gar nicht festhalten, wenn du es selbst nicht wolltest.

Amüsant. Und wo ist dann das Problem?

Dass ich dich nicht erlösen kann – obwohl ich es will.

Hast du es denn schon richtig versucht? Was hättest du denn noch auf Lager?

Die Perlen...

Nein, das heben wir uns für wann anders auf.

(Das Mädchen verstummt).

Nein – jetzt kommt nicht wirklich dein Special Effect, oder?

(Das Mädchen schüttelt mühsam den Kopf).

Nein – – und – ihr würdet mir – mein Mitleid – ja auch nicht glauben. Ihr würdet selbst dann nicht – –

Nichts empfinden?

Ja...

Doch, das schon. Es hat schon was, so ein Abziehbild, das um einen weint. Aber in die Arme der himmelblauen Sophienkirche würde ich deshalb trotzdem nicht zurückkehren.

Ich verlasse dich jetzt, weil du nicht verstehst...

Tu dir keinen Zwang an – du weißt ja noch, wie du reingekommen bist, oder?

Ja... Weißt du, Spott ist der Hammer der Seele. Aber in Wirklichkeit schlägt sie immer sich selbst...

Danke für diese kluge Lebensweisheit zum Abschied. Mein Dackel sammelt so was.

Ich werde wiederkommen, wenn du es möchtest...

Danke vielmals. Aber das reicht für eine ganze Weile. Mir ist schon ganz blau...

(Das Mädchen geht traurig).