22.12.2017

Wenn die VT-Gegner selbst Verschwörungstheoretiker werden

Über die strukturelle Kurzsichtigkeit und das bequeme Totschlag-Denken.


Inhalt
Kommentieren mit dem Hammer
Die Struktur von VT und des „Egoisten“-Blogs
Verschmutzung der Seele


Kommentieren mit dem Hammer

Gestern äußerte ich mich in einem langen Artikel über Hate Speech, übersteigerte Political Correctness, über verächtliches Schweigen, über das reine Denken und den guten Willen, die Weihnachtsbotschaft und ihren wahren Gehalt und über das Mädchen.

In diesem Aufsatz erwähnte ich in dem Abschnitt über das Schweigen, wie bei den „Egoisten“ Themen nie zu Ende geführt werden, sondern immer nur an den Punkt kommen, wo die kleine eingeschworene Gemeinde dann gedenkt, als Karawane weiterzuziehen. Was danach noch zum Beispiel von mir geschrieben wird, darauf wird dann nicht mehr eingegangen – oder nur noch so rudimentär-verfälschend, dass es für jeden denkenden Menschen eine Schande ist.

Es ist das Recht jeden Bloggers, zu schreiben, was er will – aber er steht damit immer an einem bestimmten Punkt. Bei den „Egoisten“ ist dies nicht der Punkt der Wahrhaftigkeit. Es ist Schnoddrigkeit und extreme Blickverengung, die hier praktiziert, um nicht zu sagen zelebriert wird.

Der einzige Kommentar zu meinem sehr langen, sehr vieles berührenden Aufsatz, lautete:

Ton Majoor – 22.12.2017 08:44
Niederhausen, in einem neuen Aufsatz über Hate Speech und Political Correctness, zitiert zustimmend den Dramaturg Bernd Stegemann auf eine anti-amerikanische Website. Stegemann hat ein Buch über Populismus geschrieben (SZ, 27.04.2017: ‘Ein pathetisches Gemisch aus Trivialmarxismus, Systemtheorie und wilden Verurteilungen‘), augenscheinlich Surkowsche Kreml-Propaganda.

Das ist der völlige Stil des Hammers – für den Hammer ist alles ein Nagel. Oder anders gesagt: Der Nagel kriegt jetzt noch eins drauf. Die eigene Sichtweise ist immer schon felsenfest gegeben, man lässt ein weiteres Mosaiksteinchen fallen – und der nächste Schlag sitzt. Ein Mensch wird an das Kreuz der immer einheitlicheren Blog-Meinung geschlagen.

Für die Beurteilung eines etwa zehnseitigen Aufsatzes reichen dem „Egoisten“-Blogger zwei Sätze. Er braucht ja nur eine Schublade – das reicht ihm. Dazu greift er sich eine extrem böswillige Rezension des Buches, auf das ich mich unter anderem beziehe, die er irgendwo im Internet bei „Perlentaucher“ aufgegabelt hat, gibt sogar noch einen eigenen Deutungsvorschlag hinzu – und das war’s.

Die Struktur von VT und des „Egoisten“-Blogs

Solche Kommentare übertreffen selbst meine schlimmsten Negativvermutungen! Was hier geschieht, ist genau das, was der Blogger „Bobby“ als Verschwörungsdenken charakterisiert hat. Er schrieb nämlich nur zwei Stunden zuvor:

Bobby – 22.12.2017 06:30
Hier geht es aber [...] nicht um Wahrheitssuche sondern vielmehr um ideologisch motivierte Verstellung der Meinungsbildung. Das ist entscheidend. Wahrheitswidrige, häufig politisch motivierte Propaganda ideologisch verbogener Weltanschauungen. Vor allem aber: Andersartigen werden zu bösartigen Feinden herabgestuft. Das findet seine Darstellung in der angeblichen Verschwörung der Feinde. [...]
Es geht dabei meistens auch um Macht und um Mobilisierung von Menschen die zu Verschwörungsmythen verführt werden. Suggestion und Emotionen des Hasses statt Argumentation und Tatsachen werden dabei zu Trägern der Einflussnahme und Machtentfaltung. Immer auf Kosten der Menschen die als Opfer entwürdigt werden.

Es ist immer und immer wieder entlarvend, wie sehr die „Egoisten“ in dieselbe Schiene geraten, in die sie andere Menschen stecken und zu stecken versuchen. Es ist sehr lobenswert von Bobby, die Gefahren der VT-Szene aufzudecken, aber die „Egoisten“ selbst zeigen vielfach habituell ein Verhalten, was dem eklatant entspricht. Das genau ist es, was ich in meinem gestrigen Aufsatz (und in vielen davor) auch zu zeigen versuchte: Die Verengung des Blickes, vor allem aber die Verschmutzung der Seele mit dem immer stärkeren Gift der Gegenmächte. Jacques Lusseyran sprach einst von der „Verschmutzung des Ich“. Und Thoreau schrieb in seinem Essay „Leben ohne Prinzipien“: „Aus den innersten Bezirken des Geistes eine Kneipe machen, als ob der Staub der Straße uns so lange beschäftigt hätte – ja die Straße selbst mit ihrem Verkehr, Gehaste, Dreck über den Altar der Gedanken hinweggegangen wäre! Wäre das nicht geistiger und moralischer Selbstmord?“

Es ist aber das Verhalten des Pöbels der Straße und der Kneipen, zu allem ein schnelles und widerwärtiges Urteil zu haben, ohne auch nur einmal die Sache selbst zu studieren. Ton Majoor ist immer schnell mit Verweisen und Deutungen bei der Hand. Dass er auch einmal die Sache selbst studiert, erlebe ich bei ihm nicht. Weit entfernt davon, dass etwa der Autor des Buches selbst zitiert wird – oder gar meine eigenen Gedanken dazu, denn um meinen „neuen Aufsatz“ ging es ja doch! – liefert er aus dritter Hand eine aufgegabelte Rezension und gibt aus vierter Hand seine eigene Deutung hinzu, mit den definitiven Totschlagworten („Kreml“, „Propaganda“).

Ein kleines Beispiel noch: Er erwähnt eine „anti-amerikanische Webseite“ als Linkquelle. Er hätte auch sagen können, dass sie anthroposophisch orientiert ist. Er hätte auch sagen können, warum er sie „anti-amerikanisch“ findet oder was dieser Begriff eigentlich für ihn bedeutet, ob er schlecht oder gut ist und wann etwas nicht „anti-amerikanisch“ ist, kurz: er hätte es nicht bei Schlagworten belassen müssen, die innerhalb der „Egoisten-Welt“ immer schon die nachfolgenden Gedankenmuster „einrasten“ lassen. Aber das alles ist eigentlich unwesentlich. Denn der Grund der Linkquelle liegt einzig und allein darin, dass ich den Artikel dort öffentlich gefunden habe – während das Original bei „Makroskop“ kostenpflichtig war [inzwischen habe ich auch dort einen Direktlink gefunden und hinzugefügt]. Diese Seite wird herausgegeben von Heiner Flassbeck, einem international anerkannten Finanzexperten, der zehn Jahre lang Chefvolkswirt bei der UNCTAD (UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung) war. Natürlich kann man im Sinne des Verschwörungsdenkens als „Egoist“ auch hier einfach den Stempel „anti-amerikanisch“ draufdrücken, und das war’s dann. Aber solche Beispiele gibt es bei den „Egoisten“ unzählige – Verkürzung, Ausblendung, Verallgemeinerung, Selbstabschottung.

Aus der großen Themenfülle greift Majoor ein Einziges heraus, und seine in zwei kurzen Sätzen ablaufende, hochsuggestive Assoziationskette ist: HN zitiert zustimmend Stegemann > Quelle eine „anti-amerikanische Webseite“ > eine Rezension spricht von „Trivialmarxismus“ > also „augenscheinlich Kreml-Propaganda“. – Das müsste man als hervorragendes Beispiel wirklich einmal meditativ besinnen! Mit zwei, drei, vier Gedankensprüngen kann man in Riesenschritten alles dämonisieren – wirklich alles und wirklich dämonisieren. Bobby nimmt den Menschen das Denken nicht ab – Majoor tut es.

Die bei den „Egoisten“ immer wieder zu findenden Mechanismen, die identisch sind mit denen der VT- und Truther-Szene, sind:

- Extreme Verkürzung der Tatsachen bis zur Unkenntlichkeit.
- Selbstsicherer Hochmut, im Besitz der Wahrheit zu sein.
- Verzicht auf Prüfung der Tatsachen, Kochen im eigenen Saft, Bezug auf Querverweise aus zweiter, dritter Hand.
- Vorwegnahme des „richtigen Urteils“, Verhindern eigener Denkprozesse.
- Ideologisch motivierte Verstellung der Meinungsbildung („HN ist ja nun mal – wir wissen es alle – ...“).
- Wahrheitswidrige Propaganda.
- Angebliche Verschwörung der Feinde (von Elsässer über Ganser, Jebsen, Häring, Hecht-Galinski bis Albrecht und Wimmer wird alles in einen Topf geworfen und über einen Kamm geschoren, man fühlt sich „von Lügen umgeben“) .
- Ausblendung aller anderen Sichtweisen (bezüglich Russland zum Beispiel das aktuelle Buch „Eiszeit“ von Gabriele Krone-Schmalz).
- Mobilisierung (und sei es nur blog-interne Selbstbestätigung und die davon ausgehende Außenwirkung).
- Geschlossene Gesellschaft, wer anders denkt, wird verspottet und stigmatisiert.
- Suggestion und Emotionen des Hasses statt Argumentation und Tatsachen (darauf weise ich immer wieder hin).
- Immer auf Kosten der Menschen, die entwürdigt werden.

Verschmutzung der Seele

Das alles wird von den „Egoisten“ kaum ernst genommen werden können – wie auch die VT-ler sich um solche Vorwürfe herzlich wenig kümmern werden. Die Selbstimmunisierung sitzt eben überall. Einzig Ingrid wird voll und ganz wissen, wovon ich spreche. Die übrigen werden allenfalls damit argumentieren, dass ein Blog ja kein akademischer Diskussionsverein sei – und weitermachen mit ihren Schmutzkampagnen, die ja gar keine Kampagnen sind, sondern nur die „ganz normale“ Spöttelei und Verkürzung, wie sie auf einem Blog „nun einmal nicht anders machbar“ ist. Aber gerade das ist es, was ich sage: Ein Blog nach Art der „Egoisten“, wo hochmütige Herabsetzung und Verspottung Anderer und extreme Verkürzung zur inneren Struktur geworden sind, ruiniert das Seelische bis ins Innerste. Dann gilt als normal, was spirituell gesehen eine Katastrophe ist. Vor einem stehen dann Menschen, die die tiefere Wahrheitsliebe und das Empfinden von Menschenwürde mehr oder weniger ausgerottet haben, obwohl sie das Gegenteil behaupten.

Selbst Mischa schreibt in einem neuen Kommentar, der eigentlich gegen den anonymen „Rudolf“ gerichtet ist und noch einmal den Streit mit Rainer Herzog erwähnt (der mich am 15.12. zu einem Aufsatz veranlasst hatte): „Es wurde zuviel aufgeklärt, auch Niederhausen ist der Angstkragen geplatzt. Zuviel Mut! Und Sarkasmus und Ironie dazu, nämlich eiserner Humor, um nicht bitter zu werden.“

Das ist pure Unwahrheit! Reine Ideologie, Verblendung, Gespenster-Kampf, oder ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Mischa weiß sehr genau, dass ich mich einfach nur gegen die ganze Art des Umganges gewandt hatte und dessen Unmenschlichkeit aufzeigen wollte. Er selbst bezeichnete mein Urteilen sogar noch als „milde“, und sein eigenes Platzen gegenüber Herzog tat ihm ja hinterher sogar selbst leid. Danach zeigte er auch tiefgehendes Verständnis gegenüber meinen Hinweisen auf die Gestalt des Mädchens. Nun aber flicht er in seinen Kommentar eine völlig andere Sichtweise ein: mir sei der „Angstkragen“ geplatzt. Wovor soll ich denn Angst gehabt haben?

Hat man einfach so das Recht, willkürliche Behauptungen in den Äther zu senden? Willkürliche Begriffe fallen zu lassen, die von neuem Deutungen vorgeben und festnageln? Was für ein Angstkragen? Wenn ich Aufsätze schreibe, geht es mir einerseits um die Wahrhaftigkeit und andererseits um die seelische Vertiefung und Läuterung. Was mich in Bezug auf die „Egoisten“ zum Schreiben bringt, wenn man beim „Kragen“ bleibt, ist also entweder eine extreme Einseitigkeit oder aber die „Verschmutzung der Seele“. Auch der willkürliche, völlig deplazierte Begriff vom „Angstkragen“ ist wieder ein solcher Schmutz. Mischa geht hier nur von sich aus, benutzt seine neuen (alten) Deutungen, um ein weiteres Mosaiksteinchen in Anschlag zu bringen – wohl wissend, dass die nur wenige Tage alte Geschichte ganz anders war.

Ich wünschte mir einmal den Mut! Den Mut der „Egoisten“ zu voller Wahrhaftigkeit – und zu einer Gründlichkeit, die ausreichend wäre, um der Wahrhaftigkeit überhaupt gerecht zu werden. Wahrhaftigkeit braucht übrigens keinerlei Sarkasmus und Ironie – und es gibt andere Methoden, nicht bitter zu werden. Sarkasmus ist auch schon Bitterkeit – und schlägt dem Anderen jedes Mal brutal ins Gesicht. Wenn das also der Begleiter des Mutes sein soll...