11.01.2018

Vom Verstehen des Anderen

Ein Eintauchen in das Mysterium des Erkennens.


Inhalt
Von den verschiedenen Wahrheiten
Vom Wesen des Verstehens
Vom Wesen des Erkennens
Vom reinen Erkennen
Von der Wandlung
Die Rückkehr der Erkenntnis
Die Lüge über die Frau
Kommentare mit dem Hammer
Erkennen und Verehrung
Totschlagargument oder Wahrheit
Urteilen mit dem Hammer
Was das Mädchen lehren kann


Von den verschiedenen Wahrheiten

Ingrid Haselberger hat auf der Seite der „Egoisten“ den zweiten Aufsatz im Anschluss an ihr Studium zweier Bücher politisch rechts und links gerichteter Menschen veröffentlicht. In diesem Aufsatz weist sie auf den US-Psychologen Jonathan Haidt hin, der die These vertritt, dass die innere Haltung eines Menschen von rationalen Argumenten kaum verändert werde. Er vergleicht diesen grundlegenderen inneren Menschen mit einem Elefanten und das rationale Selbst mit dessen Reiter und sagt in einem Interview:

Die moralischen Intuitionen kommen zuerst, die strategischen Überlegungen folgen. […] Wir sind gewissermaßen nur die Pressesprecher unseres tieferen, verborgenen Selbst.

Dem entspricht das psychologisch wohlbekannte Phänomen, dass in einer Diskussion die Argumente des „Gegners“ sehr oft nicht etwa wirklich angehört oder gar nachempfunden werden, sondern nur strategisch gerastert – auf Schwachstellen und auf mögliche kurze Pausen, in denen er unterbrochen werden kann, um zum Gegenangriff (ebenfalls „Argumente“ genannt) übergehen kann.

Ingrid beschreibt weiter, dass Haidt nach einem längeren Aufenthalt in Indien mit einer Art erweitertem Bewusstsein zurückkam – denn nun verstand er auch grundlegend andere Anschauungen: Er erkannte, dass man ganz real andere Grundprämissen haben kann, die zu einer anderen, ebenso berechtigten Weltanschauung und damit Anschauung über verschiedenste Fragen führen. Er erkannte, in seinen Worten:

[…] liberal and conservative policies as manifestations of deeply conflicting but equally heartfelt visions of the good society.
Jonathan Haidt: The Righteous Mind. Why Good People are Divided by Politics and Religion, Pos 1921.

Und sie zitiert in diesem Zusammenhang Rudolf Steiners Grunderkenntnis von der (Teil-)Wahrheit der verschiedenen Standpunkte:

Jede Ansicht kann eine wahre sein, wenn sie treu das Beobachtete wiedergibt. Und sie ist erst dann widerlegt, wenn nachgewiesen ist, daß ihr eine andere berechtigterweise widersprechen darf, welche von demselben Gesichtspunkte aus gegeben ist. Ein Unterschied hingegen von einer Ansicht, die von einem anderen Gesichtspunkt aus gegeben ist, besagt in der Regel nichts.
Anthroposophie, Ein Fragment, GA 45, S. 16.

Vom Wesen des Verstehens

Ich kann einen Menschen nur verstehen, wenn ich ... den guten Willen habe. Aber der gute Wille ist ein Mysterium – es ist der umgekehrte Wille, jener Wille, der von sich selbst ganz absieht, um sich dem anderen hingeben zu können, allem anderen.

In meinem Buch „Vom Wiederfinden des Fühlens“ versuche ich in einem ganzen Kapitel, das kurze Märchen von den Sterntalern in seiner Tiefe erlebbar zu machen. Darin heißt es in einem dieser unscheinbaren Sätze: „Es war aber gut und fromm.“ Allein in diesen wenigen Worten liegen Welten – unendliche Welten, die die Seele wieder kennenlernen könnte, wenn sie eintauchen würde. Und dieses Mysterium des „Guten“ erweist sich eben in der Hingabe – das Mädchen gibt alles hin... Um einen anderen Menschen zu verstehen, bräuchte man „nur“ seinen guten Willen hingeben, und auch diesen nur für das Verstehen – hier dann aber ganz...

Damit ist also kein rationales Verstehen gemeint, das trotz allen Verstehens auf dem eigenen Standpunkt und zugleich nur im Kopf verbleibt, sondern ein Eintauchen. In diesem Sinne sagte Rudolf Steiner in Bezug auf das Verstehen des Kindes:

Mit dem Kinde müssen wir innerlich zusammenleben können! Wir müssen so das Menschliche lebendig in uns aufgenommen haben, daß wir mit dem Kinde lebendig zusammenleben können. Bloßes Verstehen des Kindes nützt gar nichts.
1.7.1923, GA 304a, S. 89.

Jonathan Haidt tauchte in die indische Kultur ein, indem er längere Zeit in Indien lebte – er lebte mit Indern zusammen. Dies veränderte sein Denken. Er begann, das indische Denken zu begreifen, aus dessen Voraussetzungen heraus.

Rudolf Steiner aber spricht von einem radikalen Verlassen des eigenen Standpunktes. Er spricht im Grunde davon, innerlich das Kind werden zu können – denn nur so kann man wirklich mit ihm zusammenleben. Aber er spricht zugleich von dem wahrhaft Menschlichen, das man lebendig in sich aufgenommen haben müsse, damit dies möglich wird. Dieses wahrhaft Menschliche aber ist das heilige Geheimnis der Anthroposophie selbst. Das lebendige Menschenwesen, das seelisch-geistige Wesen des Menschen, sein heiliges Geheimnis, lebt nicht in Abgrenzung, Selbstbezug und Antipathie – sondern dieses heilige, übersinnliche Leben und Wesen des Menschen ist: Erkenntnis und Liebe.

Das übersinnliche Menschenwesen kann in alles eintauchen, und es kann mit allem zusammenleben, dieses werdend, dieses von innen heraus verstehend, ganz und gar, sogar in tiefer Liebe, in Liebe zum Sein und Werden an sich, in Liebe zu allen Unterschieden, in Liebe auch zum anderen Sein, denn Liebe richtet sich immer auf das andere... Die Quelle der Liebe ist das Ich (in letzter Hinsicht das kosmische ICH, das zugleich das größte Opfer-Wesen ist, die Liebe schlechthin) – und das Ziel der Liebe ist das Nicht-Ich...

Die Liebe kann nicht nur verstehen, sie will auch verstehen – sie hat nur ein Ziel, und das ist das Andere.

Vom Wesen des Erkennens

Erkennen ist nur in Liebe möglich. Deshalb heißt es im Alten Testament: „Und sie erkannten einander“, wo es um die Liebe geht – bis in den Leib hinein.

Aber wenn ich das Andere so sehr lieben würde, dass ich es im Grunde selbst werde, jedenfalls mein Eigenwesen völlig verliere, dann hätte ich das Andere erkannt, würde aber nicht mehr erkennen, wer ich selbst bin – und auch nicht mehr das Verhältnis zu allem übrigen, denn nun würde ich mit den Augen des Anderen schauen, überwältigt, über-weltigt, eingetaucht in die Welt des Anderen, aber einschließlich all seiner Schwächen, toten Winkel, möglicherweise sogar Antipathien. Dann hat das Wesen des Anderen von mir Besitz ergriffen – und mit ihm auch alle Gegenmächte, die in seinem Denken, Fühlen, Wollen leben.

Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg – in ihr geht es um das wahre Mysterium des Erkennens. Es erfordert wahre Selbstlosigkeit und Hingabe, was Liebe ist. Aber was ist das Geheimnis dieser Hingabe? Es ist Hingabe an das zu Erkennende – aber es ist zugleich Hingabe an das heilige Mysterium des Erkennens selbst. Die tiefste Liebe muss also dem Erkennen gelten – nur dann darf man hoffen, sich dem Wesen der Wahrheit anzunähern.

Diese Liebe zum Erkennen und damit auch zur Selbstlosigkeit im Erkennen ist dann auch von selbst das Geheimnis – denn sie macht selbstlos. Liebe zum Erkennen bedeutet: Ich gebe ganz auf, was ich selbst „erkannt haben möchte“, also das Ergebnis, das ich noch nicht kenne. Ich liebe nicht meine „Wahrheit“, sondern die Wahrheit – also das, was immer wieder erst zu erkennen ist. Das, was sich offenbart, wenn ich selbstlos genug mich hingeben kann, als Suchender, als Liebender der Wahrheit, die sich mir zeigt – und nicht die ich besitze oder an mich reiße oder beanspruche, behaupte, verwalte oder was auch immer.

So ist es gleichsam ein Liebesverhältnis zur Wahrheit – die Wahrheit ist die Geliebte, die als solche ganz und gar unverfügbar ist. Nicht sie gibt sich mir hin, sondern ich gebe mich ihr hin – und erst dann tut sie es auch...

Das bedeutet auch, dass Wahrheit niemals eine „Waffe“ oder so etwas ist. Wenn man sich gegenseitig „Argumente“ um die Ohren schlägt, wandelt man nicht die Wege der Wahrheit, sondern die des Streites. „Die zur Wahrheit wandern, wandern allein“, schrieb Morgenstern. Aber warum wandern sie allein? Weil es Liebende sind! Sie würden die Wahrheit nie missbrauchen, um mit ihr einen Mitbruder zu erschlagen. Es wäre eine Schändung und Vergewaltigung der Wahrheit selbst. Die Wahrheit ist etwas Heiliges – und der Umgang mit ihr muss es auch sein, sonst liebt man sie nicht, sonst ist es keine heilige Liebe. In dieser Liebe liegt Ehrfurcht, Verehrung, es ist wirklich – tiefste Liebe.

Vom reinen Erkennen

Was bedeutet dies nun? Die Wahrheit ist der heilige Zusammenklang von allem. Als Erkennender kann man immer nur einen bestimmten Standpunkt einnehmen – aber das heilige Erkennen kann zugleich diesen eigenen Standpunkt erkennen und vollkommen erkennend wechseln. Es erkennt nicht nur das zu Erkennende, sondern auch sein eigenes Verhältnis dazu. Ganz im Sinne der Worte Goethes:

Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige.

Aber dies ist hier jetzt nicht intellektuelle Erkenntnis, sondern übersinnliche Erfahrung. Das Erkennen tritt erst in seine Wirklichkeit, wenn es ein ganz und gar realer, übersinnlicher Prozess ist, voll bewusstes Tätigsein des erkennenden Wesens. Es ist das Ich, aber nicht mehr bloß gespiegelt, sondern sich selbst in Tätigkeit setzend, die Seelenkräfte entfaltend und mit ihnen tastend, lebend, sich hinauslebend. Die Seele vereinigt sich mit dem Geistigen...

Das Geheimnis ist, dass das Erkennen nicht mit dem Kopf stattfindet, sondern mit der Seele. Um zu einem wirklichen Erkennen zu kommen, als heiliger, übersinnlicher Prozess, muss man also zuerst die Seele wiederfinden, das wirkliche Leben der Seele als erlebte innerliche Realität, als reales inneres Leben und Sein – und immer innerlicher. Und dieses Seelensein erhebt sich dann mit leise wachsenden Flügeln des Erkennens in das Erkennen, wird durch seine Hingabe immer mehr eins mit dem Prozess des Erkennens selbst. (Wer nun sagte, es sei das Ich, muss nur bedenken, dass das Ich der Mittelpunkt der Seele ist – oder sein soll, nicht der Mittelpunkt des Kopfes).

Das Erkennen ist ein zartes Hineinleben des Übersinnlichen, der Seele, in das zu Erkennende. Es ist ein zartes Leben im Übersinnlichen, als Seele, und dann dieses zarte Sich-Hineinleben in das Andere.

Übersinnlich leben kann die Seele nur selbstlos – denn die Selbstlosigkeit ist gerade der Weg in das Übersinnliche hinein, auch in die eigene Seele hinein. Die Seele findet sich selbst erst im Prozess der Hingabe – denn sie findet sich erst im Stillwerden, im Sanft-Werden, im Schweigen, im Suchen des Anderen...

Man kann zwar durch „Introspektion“ und bloße meditative Schweigeversuche das Seelische finden. Man kann auch Ich und Seele auseinanderreißen, indem das Ich die Seele beobachtet, aber dies bleibt ein letztlich kalter Prozess, weil die Seele zum bloßen Objekt gemacht wird und alleingelassen wird. Im Grunde wird sie „abgespalten“ – als Beobachtungsobjekt.

Es gilt aber, jenen Ort zu finden, wo die Seele bereits rein und heilig ist – und von ihm aus die heilige Reise des Erkennens und überhaupt der Verwandlung anzutreten, auf zarten Flügeln, die sich von Anfang an erheben, zu einem geheiligten Flug... Es geht um die Hochzeit des reinen Ich mit der reinen Seele, und gerade diese findet statt, wenn die Liebe zur Läuterung in der Seele geboren wird. Sie, diese Liebe, ist sozusagen die Priesterin, die die Hochzeit des reinen Ich mit der reinen Seele segnet und vollzieht. Und gemeinsam erheben sich die Geeinten zu ihrer heiligen Reise...

Von der Wandlung

Und wo ist bei so viel „Reinheit“ noch Läuterung und Wandlung nötig? So würden vor allem die Spötter fragen. Denn die Antwort auf diese Frage würde sich im Erleben selbst erweisen. Es gibt einen reinen Ort in der Seele – einen heiligen Kern, der ihr wahres Wesen ist. Aber das heißt nicht, dass der größte Teil der Seele nicht noch unverwandelt ist oder der (weiteren) Verwandlung harrt – er tut es. Und es heißt auch nicht, dass jenes Ich, das sich mit der geliebten, heiligen Seele (Sophia) zu seiner Reise erhebt, irgendetwas mit dem gewöhnlichen Alltags-Ich zu tun hat. Sondern dieses Alltags-Ich steht vor der Aufgabe, dieses andere Ich erst zu werden. Man kann an den Korintherbrief denken:

Dieses Verwesliche wird Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche wird Unsterblichkeit anziehen – und so werden wir verwandelt nach demselben Bilde...
1. Kor. 3,18.

Das Ich-Seele-Wesen weiß selbst, wann es an seinem heiligsten Ort, in seiner heiligsten Verfassung und seinem heiligsten Tun ist – und wann überall es diesen Ort, diese Verfassung, dieses Tun verlassen hat oder überhaupt noch nicht erreichen kann. Und es weiß sogar, dass das Heiligste unendliches Wachstum kennt. Zarte Flügel sind noch nicht gereifte Flügel, ein Schweben kurz über dem Boden ist noch nicht der Flug eines Engels ... und ein bisschen Hingabe ist noch nicht geheiligter guter Wille...

Die Sehnsucht nach Läuterung, die Liebe zu ihr, bleibt also eine heilige Begleiterin dieses ganzen Weges. Sie ist nicht nur die Priesterin am Beginn dieses Weges, sondern sie bleibt für immer dessen Hüterin.

Das Geheimnis des „Nicht ich...“ ist das heilige Signum dieses ganzen Werdens. Also auch: „Nicht ich, der ich jetzt bin, sondern der, der ich werden kann, werden will...“ (Man erlebe in diesem Zusammenhang auch einmal das wunderbare Gedicht von Juan Ramón Jiménez).

Dies hat nichts mit einem calvinistischen oder pseudo-anthroposophischen „Leistungsgedanken“ zu tun, sondern es ist wahrhaftige Liebe. Die Liebe zur Läuterung ist kein Zwang, es ist ein in Liebe empfangendes Kind der Freiheit. Auch hier liegt ein Liebesverhältnis vor – und die Geliebte ist die Läuterung, und damit letztlich das „Geisteskind“, das erst geboren werden will. Und wenn sich das Kind die Eltern selbst sucht, so sucht der Zukunftsmensch, der ich erst werden werde, mich und die Läuterung als Eltern und verbindet beide in Liebe...

Die Rückkehr der Erkenntnis

Aber nun muss die Erkenntnis von ihrem heiligen Flug auch wieder zur Erde zurückkehren. Das bedeutet nicht, dass sie diesen heiligen Flug dann aufgibt – sie dringt nur vor auch in das Dunkle, das Trübe, das Nebelige, das Unklare, Verworrene, Komplexe der irdischen Verhältnisse und Zusammenhänge, zerrissenen Zusammenhänge auch...

Was bedeutet dies dann? Das Erste, was man sich klarmachen muss, ist, dass Erkenntnis nie wertfrei ist. Sie ist ganz und gar eingetaucht in Moralität – und dies beginnt schon bei ihrer Geburt. Denn die Empfängnis und die Geburt der Erkenntnis findet statt im heiligen Reich der Selbstlosigkeit. Und sie geschieht in Hingabe. Nie ist die Erkenntnis getrennt von dem Geheimnis des guten Willens. Sie ergibt sich ja nur diesem.

Was aber ist das Gute in tiefstem Sinne? Was ist der Unterschied zwischen den guten und den bösen Mächten? Das Böse besitzt den Selbstbezug, das Gute eine reinste, allertiefste Liebe zur Entwicklung, mit einer Harmonie des Ganzen immer als letztem Ziel. Es ist das Geheimnis der „Apokatastasis“, der „Wiederherstellung“ des Ur-Guten als heiligem Ur- und Endzustand. Alpha und Omega...

Das Böse ist geleitet von Selbstsucht und Verführungs- und Vernichtungswillen. Das Gute ist geleitet von Liebe, und diese Liebe enthält, umhüllt und hütet alles andere... Es ist Liebe zu allem anderen, aber zugleich Liebe zum Guten selbst, Liebe zur Entwicklung, nicht „wertfrei“, sondern Entwicklung zum Guten und im Guten...

Dies ist dann auch die Grundfeste des Erkennens in der irdischen Welt. Das Erleben des Mysteriums des Guten und der Liebe der Seele zu diesem.

Diese heilige Ur-Liebe der Seele lässt sie (lässt uns) die Bedenklichkeiten von allem erkennen. Mit dieser Liebe wird das Wesen einer Diktatur erkannt. Mit dieser Liebe wird das einer Sache innewohnende Böse erkannt. Ob es nun die Kreuzzüge waren, die Gulags oder die Unterdrückung der Frau. Diese Liebe sieht, wo das Wesen der Frau in der Gegenwart unterdrückt und unfrei gemacht wird – und sie ist sich sowohl des Wertes der Freiheit bewusst als auch der Tatsache, dass es dort, wo sie sich jetzt verkörpert hat, vor noch nicht allzu langer Zeit auch eine solche Unterdrückung gab – wenn nicht immer noch.

Eine Kultur und ein Denken, Fühlen und Handeln von Menschen innerhalb dieser Kultur zu verstehen, heißt nicht, es gutzuheißen oder zu akzeptieren. Aber die heilige Frage ist: Wie kann sich etwas zum Guten hin weiter entwickeln? Helfen Verurteilungen? Abwehr? Hass? Bomben?

Die Frage ist: Wie können sich Seelen von bloß tradierten kulturellen Zusammenhängen lösen, wenn diese längst der wirklichen Entwicklung des Menschlichen entgegenstehen? Wo liegen die Ansatzpunkte zur Befreiung hin zum wahrhaft Menschlichen? Aber umgekehrt kann die erkennende Seele auch den Blick der anderen Kultur auf die eigene verstehen – liegt das wahrhaft Menschliche etwa in der Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die Herrschaft Ahrimans, das Ökonomische? Liegt es in der Ent-wertung? In der Betonung des Leiblichen, in der Sexualisierung?

Die Erkenntnis richtet sich auf alles – und findet so erst den wahren „Standpunkt“. Dieser wahre Standpunkt liegt im Herzen des Menschlichen selbst, es wäre die Vereinigung mit dem übersinnlichen Anthropos, letztlich sogar kosmisch verstanden, den „Himmel“ umfassend.

Die Lüge über die Frau

Ingrid zitiert aus dem rechtsgerichteten Buch „Mit Linken leben“ die folgende Passage (S. 258):

Daß in unserer Gesellschaft dezidiert rechte Frauen seltener als linke sind, dafür hat auch die feministische Propaganda mit ihren Schwarzweißmärchen über die »Unterdrückung der Frau« in der Weltgeschichte und ihrer Verteufelung »patriarchaler Rollenklischees« gesorgt – und bis zu einem gewissen Grad die Natur selbst. Harmoniesucht, warmes Gefühl statt kalter Vernunft und ein angeborener Unterordnungstrieb machen Frauen zu perfekten Mainstreamgutmenschen: Die Bewertung durch andere Frauen ist ihr Maßstab.

Dieser kleine Absatz strotzt nur so von Abwertungen und Verurteilungen. Will man ihn aus dessen eigenen Voraussetzungen verstehen, so ist das Weltbild des Schreibers: Die Frau wurde nicht unterdrückt, und die Rolle des Mannes (patri-arch = Vater-Herrschaft) ist berechtigt.

Wenn dies aber so ist, dann muss dieses Recht einen Ursprung haben. Es ist entweder von Gott oder von der Natur so gegeben. Und es ist gut. Eine solche Anschauung kann (noch) nicht die Erkenntnis fassen, dass das Gegebene auch dazu da sein könnte, um überwunden, verwandelt oder weiter entwickelt zu werden... Dass es möglich sein könnte, dass es einen Zeitpunkt gibt, wo das Gegebene umschlägt in das Böse, das Nicht-Gute, das Zukunft und Werden Verhindernde.

Im Grunde betrachtet die obige Anschauung die Frau als ein Objekt, ein Natur-Objekt, dessen Wesen genügend und ausreichend damit beschrieben ist, dass man ihm Prädikate beilegt, von dem es, das Objekt, sich niemals befreien kann – wie man es ja auch mit „dem Schwarzen“, „dem Feind“ usw. immer gemacht hat. Die Frau sei gefangen in ihrer „Harmoniesucht“, in ihrem „angeborenen Unterordnungstrieb“ und so weiter. Und so sei dies ihre naturgemäße, wunderbare Rolle: eine Hüterin des Heims unter der Aufsicht des Mannes.

Der angebliche Trieb der Frau wird benutzt und missbraucht, um sie sich tatsächlich unterzuordnen und sie als ein untergeordnetes Wesen zu betrachten.

Hier fehlt völlig das Empfinden des Menschlichen selbst – dass die Frau in gewisser Hinsicht nichts anderes ist als der Mann, nämlich Mensch. Und dass erst dann alle anderen Unterschiede hinzutreten. Und dass es nicht die Aufgabe des Mannes sein kann, zu definieren, was die Frau ist, sondern nur sie selbst erkennen und bestimmen kann, was sie ist. Steiner hat dies schon im vorletzten Jahrhundert unnachahmlich beschrieben. Natürlich wird dies alles zunichte gemacht, wenn man der Frau abspricht, dass sie erkennen und sich selbst bestimmen könne – wenn man von „bloßem Gefühl“ oder „angeborener Unterordnung“ spricht. Dann definiert man etwas, was eine Lüge ist.

Wahr ist, dass in der Frau – vom Wesen her, nicht unbedingt in der einzelnen Individualität – mehr Gefühl lebt als im Mann. Genauer: dass das Verhältnis von Ratio und Gefühl tatsächlich mehr in Richtung Gefühl verschoben ist als beim Mann. Aber das kann gerade ein unendliches Gut sein. Den Wert und die Bedeutung dieser Tatsache zu erkennen, das wäre – eben erst die Aufgabe der Erkenntnis. Man kann nicht schon deuten, werten und sogar umdeuten und umwerten, bevor überhaupt begonnen wird, zu erkennen!

Nur Machtwille oder Dummheit will nicht erkennen, sondern deuten, werten und herrschen – aus eigener Selbstherrlichkeit und eigener Verblendung.

Möglicherweise gab es eine Zeit, in der die Ratio herrschen sollte, zum Beispiel, um sich entwickeln zu können, um zur Herrschaft zu kommen, wegen was auch immer. Aber auch das alles wäre überhaupt erst zu erkennen! Und wie soll das erkannt werden? Dafür bräuchte man eine umfassende Erkenntnis möglicher Ziele der Menschheitsentwicklung, möglicher Ziele höherer Wesen, die diese lenken und leiten – oder aber gelenkt haben bis zu dem Punkt, an dem diese Menschheit sich selbst zu lenken beginnen sollte... All das sind Erkenntnisaufgaben – und Fragen können nicht beantwortet werden, bevor man erkannt hat, wie umfassend sie eigentlich sind...

Und selbst wenn diese Ratio emporkommen sollte, liegen Welten zwischen der Erkenntnis, dass dies so ist, verbunden mit einem heiligen Bemühen, diese Ratio in heiliger Weise weiter zu entwickeln – und einem selbstherrlichen Machtanspruch der Ratio, die wild um sich schlägt, beginnt, Gott zu leugnen, zu spotten, die Frau zu unterdrücken, die Natur zu zerstören und, und, und... Denn die volle Entfaltung der Ratio würde diese ja auch die Bedeutung der anderen Kräfte, die nicht sie selbst trägt, erkennen lassen. Die volle, wahre Entfaltung der Ratio würde diese selbst weise werden lassen – und zu einer Wiederverbindung (Religio) mit den anderen Kräften führen, auch jenen, die vor allem die Frau gehütet hat...

Kommentare mit dem Hammer

Immer wieder ist es also der gute Wille, der Erkenntnis überhaupt möglich macht. Selbstsucht kann immer nur vernichtend und unterdrückend wirken. Wer wirklich das Erkennen sucht, darf nur die Wahrheit selbst lieben – die sich ihm erst im Erkennen ergibt. Und wer über der Liebe zur Wahrheit nicht auch das Gute liebt, sollte zumindest so weise sein, dass er auch dies – erkennt.

Stephan Birkholz kommentierte zu einem Artikel von Michael Eggert, in dem dieser unter anderem eine von Ehrfurcht getragene Rede von Marie Steiner zitierte, in der es kurz vor drei kultischen Hammerschlägen am Ende hieß: „In seinem [Rudolf Steiners] Geiste versammeln wir uns heute, bittend, daß er unsere Schwächen und unsere Unzulänglichkeiten mit dem Glanze seines Wesens überdecke. In seinem Namen rufen wir an den Erzengel, dessen Dienst er uns geweiht hat, trachtend, den Hüter zu erkennen, der vor dem Tore steht des Tempels zum jenseitigen Reiche.“:

Stephan Birkholz – 30.12.2017 08:00
[…] Symbolkultisch wird durch 3 Hammerschlägen […] zum Ausdruck gebracht, wie BEHÄMMERT man sich dabei eigentlich fühlen muss...

Dieses Abwertende, dieses Seelenlose, dieses alles immer und immer wieder Vergiftende ist es, was ich meine, wenn ich sage: Vom „Egoisten“-Blog geht immer wieder nichts Zukunftsschaffendes aus, nur Vernichtung. Und wenn es, wie zum Beispiel durch die Gedanken von Ingrid, einmal anders ist, wird auch dies gleich wieder zertreten – wie wenn in ein heiliges Schweigen hineingeblökt wird, nicht von einem Schaf, das vielleicht nicht anders kann, sondern von einem Wesen, das Mensch werden sollte...

Bernhard Albrecht, einer der Stillen im Lande der „Egoisten“, schrieb daraufhin:

Bernhard Albrecht – 09.01.2018 23:11
[...] Wenn Du selber nicht im Kern Wohnung nehmen kannst und willst, weil Du … wie der Teufel das Weihwasser zu fürchten scheinst […] dann kannst Du das nur „so“ sehen. Ich kann ganz gut nachempfinden wie behämmert „Du“ Dich da fühlen musst, Du … in Deinen inneren Fluchten in den Zynismus - der Dämmerung des falschen Bewusstseins, wie es Peter Sloterdijk nennt (Kritik der zynischen Vernunft, Edition Suhrkamp 1099). [...]

Selbst diese Worte eines Blog-Mitmenschen ließen Birkholz nicht einmal kurz innehalten, sondern er erwiderte in seiner typischen Art:

Stephan Birkholz – 10.01.2018 01:56
Ich habe meine Wohnung im Kern längst bezogen,
während Du offensichtlich noch bei irgend welchen Hilfsanthroposophen zur Untermiete wohnst.
Lies einfach nochmal den Text oben,dann schnallst Du vielleicht auch, wo hier der Hammer hängt.

Tatsächlich sprach auch Eggert von einem „Guruismus“, der „zwischen Kult und Selbstkasteiung“ schwanke. Dessen ungeachtet und nur auf die Art von Birkholz selbst eingehend, antwortete Albrecht diesem:

Bernhard Albrecht – 10.01.2018 14:07
Stephan, wer so auf den "eigenen(?)" Hammer verweisen muss und zugleich mir nichts anderes zu sagen weiss, als dass ich "offentsichtlich" bei irgendwelchen Hilfsanthroposophen zur Untermiete wohne, der erweckt in mir die Frage, wie weit er dem "Innehalten" in sich schon wirklich auf die Spur gekommen ist. [...]

Birkholz entgegnete:

Stephan Birkholz – 10.01.2018 22:25
Ihr ganzer Sermon auf meine fehlenden Zugangsmöglichkeiten zum geistigen Kern der Dinge zeigt mir eben, dass Ihre ganze mentale Struktur nach diesem hier im Beitrag hinlänglich behandelten Totschag-Hammerargument getaktet ist:
„Theosophists ended up with classic no-win logic: “if you had reached enlightenment, you would agree – therefore if you do not agree, clearly you have not yet reached enlightenment”
Mit Ihren anderen Ausführungen kann ich ja ganz gut leben, aber aus ihren eigenen zarten Geistesbemühungen heraus über Beschränkungen anderer Zeitgenossen zu philosophieren, ist eben nichts als der typische Anfängerfehler derjenigen, die in der geistigen Welt gerade etwas das Blinzeln anfangen...

Erkennen und Verehrung

Versuchen wir jetzt einmal, einzutauchen in den Prozess des Erkennens selbst, wie er sich uns soweit wie möglich ergeben konnte - und alle Unzulänglichkeiten und Einseitigkeiten fallen natürlich immer wieder auf den Schreiber selbst zurück. Aber versuchen wir, das Erkennen so weit wie möglich rein wirklich wahrzumachen.

Das Eine ist der Text von Eggert. Um diesen soll es hier aber nicht so sehr gehen. Dennoch: Hat Eggert denn je versucht, Marie Steiner von ihrem Standpunkt aus zu verstehen? Mit ihren Augen zu sehen, mit ihrem Herzen zu fühlen, mit ihrem guten Willen zu wollen? Das wäre der Maßstab, aus dem heraus ein solcher Text empfunden und beurteilt werden müsste. Und schon dazu gehört Demut – Demut davor, seine eigene Meinung fallenzulassen. Ehrfurcht – Ehrfurcht vor dem Wesen des anderen Menschen, der seine Voraussetzungen hat und aus diesen handelt, nach bestem Wissen und Gewissen.

Man kann alles mit der Ratio beurteilen oder mit der eigenen Abneigung vor jedem Gurutum – aber vielleicht sieht man das Gurutum gerade in etwas hinein, wo es gar nicht lebt. Denn worum ging es Marie Steiner? Etwa um die Betonung der sündigen, unfähigen kleinen Menschlein – oder um ein Trotz allem? Um ein Bewusstsein der eigenen Kleinheit und um ein mutvolles und machtvolles Sich-Bemühen um ein Wachsen und Werden, um die Entfaltung dessen, was sich entfalten sollte...?

Wie etwa soll man das „Stehen vor dem Menschensohn“ (Lk 21,36) verstehen? Betont man die absolute Unwürdigkeit? Betont man die angebliche Augenhöhe? Oder betont man die Wahrheit – die einerseits in einem unendlichen Abstand besteht, andererseits in einer unendlichen Nähe, weil dem Menschenwesen zugemutet wird, sich unendlich, wirklich unendlich zu verwandeln und zu entwickeln?

Wer aber in seiner Seele eine Allergie gegen die Stimmung des Verehrenden trägt, der kann nicht erkennen, dass man zugleich verehren und stehen kann... Und wer einfach nur sagt, dass Steiner nicht verehrt, sondern erkannt werden wollte, der erkennt nicht, dass es eine Verehrung nach der Erkenntnis gibt. Und dass es eine Verehrung gibt, die man gar nicht verhindern kann, weil man erkannt hat.

Aber all diese Unterschiede und Realitäten kann nur eine Seele empfinden, die sowohl die Erkenntnis als auch die Verehrung nicht abwehrt, sondern die bereit ist, sich hinzugeben. Hingabe ist die erste Grundbedingung der inneren Entwicklung. Ohne diese kann der Selbstbezug nie aufgelöst werden. Wirkliche Hingabe aber führt nicht zur Selbstaufgabe, sondern ... zu Erkenntnis.

Wirkliche Hingabe führt nur zur Aufgabe desjenigen niederen Selbstes, das immer nur sich im Mittelpunkt sehen will, an seinen eigenen Grundhaltungen, Meinungen, Lieblingssichtweisen und anderem mehr festhalten will. Verehrung hat mehr mit Erkenntnis zu tun als ihr Mangel. Sogar mit Größe. Wenn der Ritter sein Haupt neigt, bedeutet dies unendlich viel mehr als das Niederknien des Knappen. Manche Menschen können sich ihr Leben lang nicht vor einem Größeren neigen, weil sie zu verliebt in ihre eigene „Größe“ sind, eine Selbstverliebtheit, die sie blind macht.

Totschlagargument oder Wahrheit

Worum es nun aber ginge, wäre die Erkenntnis der Selbstverliebtheit – denn diese färbt ja alles andere Erkennen und Urteilen. Wenn diese Selbsterkenntnis aber so einfach wäre, hätte sie jeder. Sie ist also nicht einfach, und Luzifer verbirgt sich in allen Winkeln und Ecken der Seele. Und selbstverständlich ist das Erste, was der hochmütige „Geheimschüler“ behauptet, die Selbsterkenntnis. Was die Wahrheit ist, kann immer nur das wahrhaftige Eintauchen zeigen – etwa das Eintauchen in die Früchte, die er hervorbringt. Denn es heißt wortwörtlich: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

Man kann sich in seinen Äußerungen nicht verbergen. In ihnen „äußert“ man sich, man setzt sein eigenes Wesen nach außen. Und in der Regel will man das auch – alles andere wäre Verstellung.

Was aber, wenn die Äußerungen gerade Unverständnis offenbaren? Was, wenn zum Beispiel Michael Eggert einen Teil des Problems erkannt hat, aber nicht die Wahrheit dahinter – oder ihre andere Seite, Hälfte? Oder was, wenn er die Dinge in gewisser Weise wertet, dies aber nur seine Wertung ist? Was, wenn die Wahrheit (oder die Frage, wie die Engel auf diese Frage blicken) erst dahinter liegt – und eine noch größere Selbstlosigkeit des Erkennens erfordern würde?

Und wie ist es nun mit Birkholz? Er führt das Totschlag-Argument der „Erleuchteten“ an: „Wenn du erleuchtet wärst, stimmtest du mir zu – weil du aber nicht zustimmst, hast du ganz offenbar die Erleuchtung noch nicht erreicht.“ Und was tut er: Er nagelt Bernhard Albrecht mit derselben Methode fest. Denn er sagt: Weil Sie über Beschränkungen anderer Zeitgenossen philosophieren, offenbaren Sie mir, dass Sie in der geistigen Welt gerade mal mit dem Blinzeln angefangen haben.

Allein dies würde schon für sich erweisen, wes Geistes Kind Birkholz (noch) ist. Hochmütig beansprucht er eine viel weitreichendere Erleuchtung, die unter anderem mühelos erkennen kann, wie Albrecht angeblich noch „völlig in den Kinderschuhen steckt“. Aber betrachten wir erst einmal die andere Frage, die auch eine Erkenntnis-Frage ist. Ist es denn wahr, was er sagt? Oder, genauer, ist es immer wahr? Wohl ist es ein „Totschlag-Argument“, also ein solches, gegen das schwerlich etwas eingewendet werden kann. Dennoch können auch solche Aussagen wahr sein. Sie können eben nur von innen heraus widerlegt oder bewahrheitet werden. Aber das heißt, einen Zugang gibt es – und das ist der nach innen. Zwar werde ich dem nur angeblich „Erleuchteten“ nie klarmachen können, dass er nicht erleuchtet ist, hat er sich doch gerade in diesem unüberwindlichen Argument eingeigelt; aber ich (für mich) kann es erkennen – und auch anderen erlebbar machen.

Urteilen mit dem Hammer

Um die Wahrheit zu erkennen, muss man in das Gegebene eintauchen – das gerade ist der Weg nach innen. Und so tauchen wir also ein in die Worte von Stephan Birkholz: „Ihr ganzer Sermon“... „Ihre ganze mentale Struktur“... „getaktet ist“... „der typische Anfängerfehler...“

Daraus spricht überall und immer wieder Hochmut und Herablassung, Spott und Verachtung. Das ist die Innenwelt von Stephan Birkholz, insofern er diese Innenwelt offenbart und äußert. Er bezieht sich auf das von Eggert zitierte Wort vom Totschlagargument der Theosophen – und übernimmt es ohne weitere Erkenntnis-Durchdringung. Damit bewegt er selbst sich an der Grenze zur „gläubigen Verehrung“. Dieser Fehler in seiner eigenen Erkenntnis, gepaart mit dem Tappen in dieselbe Falle, gepaart mit Spott, Zynismus und Hochmut machen es sehr wohl möglich, zu erkennen, wo Birkholz innerlich, auch spirituell, steht – und wo andererseits Albrecht steht.

Es ist eben etwas anderes, „über Beschränkungen anderer Zeitgenossen zu philosophieren“ oder sie zu erkennen. Auch Steiner hat die Schwächen seiner Zeitgenossen mitunter ganz klar angesprochen. Der Einzige, der philosophiert, und zwar mit dem Hammer, ist Birkholz selbst. Denn er kommentiert kalt, spöttisch und selbstherrlich, wie „behämmert“ das sei, was Marie Steiner veranstalte. Selbst die Philosophie lässt er völlig fallen – und urteilt nur noch. Ohne Begründung, nicht einmal mehr den Ansatz von Argumenten findet man bei ihm. Es ist nur noch die völlige Selbstüberhebung und, darüber schrieb ich vor wenigen Tagen, Bosheit – in der Sprache, im Denken, in allem. Der ganze dahinterstehende Hochmut einerseits und Hass andererseits sind völlig unerkannt.

Weitere Hinweise sind das grobe „Wohnung längst bezogen“, während bei Albrecht sehr fein von „Wohnung nehmen“ die Rede ist. Man denke an das „Wohnung finden“ des Christuswesens. Als wenn der heilige Ort je dauerhaft bezogen werden könnte! Bei Birkholz sind diese ganzen feinen Unterschiede keinen Heller wert. In gleicher Weise schreibt er von dem angeblichen Vorwurf mangelnden Zugangs zum „Kern der Dinge“ (den er natürlich beansprucht), während es gerade um den eigenen Kern, den Kern der Seele ging. Nicht im "Kern der Dinge" schrieb Albrecht, sondern im Kern überhaupt. Auch dies ist von tiefer Bedeutsamkeit. Birkholz hobelt darüber hinweg, dass die Späne nur so fliegen. Grobklotzig, großkotzig, hohlköpfig und kaltherzig. Ohne alles...

Stephan Birkholz – 11.01.2018 22:59
Niederhausen hat mir schon wieder einen ganzen halben Aufsatz gewidmet:
Birkholz hobelt darüber hinweg, dass die Späne nur so fliegen. Grobklotzig, großkotzig, hohlköpfig und kaltherzig. Ohne alles... [...]
Da lese ich auch lieber die Bücher in meinem Regal...

Einschub dazu: Es ist klar, dass er "lieber" Bücher liest. Selbsterkenntnis ist nicht "angenehm". Es ist symptomatisch, dass er lieber Bücher liest, als für eine einzige, winzige Selbsterkenntnis innezuhalten; die eigene Seele zu lesen. Er spottet sich über alles hinweg – sogar über dieses Allerwichtigste. Aber er ist ja bereits erleuchtet, hat den Kern schon "bezogen"... Und so verbreitet er die reine Leere. Es gibt taube Nüsse – nach außen taub, nach innen hohl. Seine Kommentare lassen solche Bilder aufsteigen... Ein Trauerspiel, ein Armutszeugnis.

Ingrids Aufsätze auf dem Egoisten-Blog, sogar jeder kleine Kommentar von ihr, könnten eine tief heilsame Wirkung haben – wenn man sich auf den Weg machen würde. Das sind die Homöopathika auf dem Eggert-Blog, nicht die ebenfalls meist sehr verurteilenden Gedanken Eggerts, die dann vielleicht sogar noch nachgebetet werden.

Wenn man überhaupt zur Erkenntnis kommen will, ist der erste Schritt ein absolutes Stillwerden. Und der zweite wäre dann das sanfte Erwachen des Mysteriums des guten Willens...

Spott und Verachtung sind Feinde der Erkenntnis. Ihr Selbstanspruch ist das Längst-Erkannthaben – aber das ist eine Lüge, meist eben auch eine Selbstlüge. Das Erkannthaben ist genau dieses Totschlagargument, das keine weitere Begründung mehr braucht, um auf Anderes einzuschlagen. Aber – „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Es sind schlagende Beweise, die die ganze Art einer Seele von selbst offenbaren...

Was das Mädchen lehren kann

Es ist bezeichnend, dass gerade Birkholz mir die „zwanghafte Idee“ vorwirft, „alles in Beziehung zur Mädchenseele setzen zu müssen“. Ist er doch von dieser „Idee“ so weit entfernt wie kaum ein anderer, wehrt sie also offenbar mit noch weitaus größerer Kraft ab.

Es ist aber kein Zwang als vielmehr eine freie Tat. Der „Zwang“ ist nur das willkürliche, böswillige Urteil Birkholz’. Oder sind es unwillkürliche Urteile? Ist es bei ihm ein – Zwang zum (Ver-)Urteilen?

Das Mädchen und seine Seele können die unreinere Seele unendlich viel lehren. Ich habe dies unter anderem in meinem Buch „Der Weg des Mädchens“ erlebbar zu machen versucht.

Wer sich dagegen wehrt, ist in seiner Seele offenbar noch heute patriarchalisch veranlagt. In ihr herrscht dann noch immer der „Vater“ – das ist in diesem Fall: der kalte, urteilende, gefühllose oder aber hassende, abwertende, selbstherrliche Intellekt, unter dessen Herrschaft wir alle aufgewachsen sind und leben, immer mehr, je mehr unsere Kultur eine Unkultur wird und je mehr „männliches“ Denken die ultima ratio wird: Konfrontation, Kampf, Krieg, Konkurrenz, Abwehr, Verneinung und, und, und...

Das Mädchen, die Mädchenseele, wie Birkholz sagt, lehrt das Gegenteil. Sein Wesen ist das Gegenteil. Und dieses Gegenteil ist gerade das Leben. Überall da, wo es abgewehrt wird, stirbt die Seele – aber sie kann sich ja noch auf ihren Tod unglaublich viel einbilden. Sie kann meinen, die Spitze der Entwicklung erreicht haben, weiter zu sein als alle anderen, die „erst zu blinzeln anfangen“ – und mit ihrer ganzen Kälte und Leere eine Höhe erreicht haben, die sie unter sich begraben wird, wenn sie einmal in sich zusammenstürzen wird. Und dann ist nur die Frage, ob aus der Asche in Reue und Demut ein kleiner Phoenix geboren werden kann. Aber auch das kann jede Seele nur selbst für sich wissen.

Doch das Mädchen – es lehrt diesen Weg immer. Es ist ein Weg der Liebe – der Liebe und der Unschuld. Man kann ihn verspotten, weil man sich ja, ach, so viel weiter dünkt. Oder weil man meint, diese Unschuld ohnehin nicht mehr erreichen zu können (was Selbstmitleid und Faulheit ist). Oder man könnte denken, das Mädchen sei naiv – aber das ist es überhaupt nicht. Und ist es nicht so, dass der Weise noch von einer Mücke lernen kann? Aber der Stolze lernt nicht einmal von einem Elefanten – oder wähnt sich sogar obenauf.

Das Mädchen spottet darüber nicht. Es verurteilt es nicht einmal. Es geht weiter seinen Weg – aber es hofft, dass die Herzen doch irgendwann beginnen ... zu erkennen. Dass auch die Herzen einmal beginnen, Gedanken zu haben. Darauf wartet das Mädchen... Und dann wird auch es selbst erkannt werden. 

Wenn die Herzen beginnen, Gedanken zu haben, wenn sich Herz und Seele lebendig mit dem heiligen Reich moralischer Intuitionen verbinden, dann werden Welten wanken. Innere Welten erworbener Haltungen, groß wie Elefanten, ja, Berge. Und Berge werden versetzt werden, ins Meer stürzen, Abgründe zuschütten. Und das sanfteste Herz wird herrschen. Der Kopf wird nicht mehr die Haltungen der unverwandelten Seele „begründen“ – er wird vom Herzen in einen reinen Himmel geführt werden. Und gezähmte Drachen werden in Liebe ... dem Mädchen dienen.