09.03.2018

Der Verlorene und das Mädchen

Holger Niederhausen: Der Verlorene und das Mädchen. Roman. Books on Demand, 2018. Paperback, 104 Seiten, 9,90 Euro. | Bestellen bei BoD oder Amazon.


Soeben erschienen:

Ein Mann, eine der vielen verlorenen Seelen unserer Zeit, begegnet einem Mädchen, einer reinen Seele, und von da an plant er, besessen von dem Gedanken an sie, ein Verbrechen – um sie ganz und gar zu besitzen. Sein Plan gelingt ihm auch, und schnell lernt er die Lust an der Macht und der Begierde... Aber da ist auch die Macht der Ohnmacht und Unschuld, und doch bringt diese alle Dämonen gegen sich auf. Was geschieht, wenn diese Mächte unverhüllt aufeinanderprallen?

Leseprobe

Das Mädchen war eines jener reinen Gottesgeschöpfe, deren Seele auch im vierzehnten Jahr ihres Erdenlebens noch so himmlisch war wie die eines Kindes. Einst war noch manche Seele so gewesen, doch in der Zeit, in der sie lebte, gab es solche Seelen nicht mehr. Möglicherweise war sie die letzte...

Es zeichnete solche Seelen aus, dass sie am allerwenigsten um ihre Einzigartigkeit wussten. Alle anderen sahen das Leuchten, das von einer solchen Seele ausging – und eine solche Seele war wie das Gewissen der ganzen Menschheit. Doch die Menschen hatten längst verlernt, auf ihr Gewissen zu hören, lieber brachten sie es zum Schweigen.

Die Menschen, die dem Mädchen begegneten, fühlten sich immer seltsam beschämt. Aber die Seele ihrer Zeit lebte längst in der Gewohnheit, diese Gefühle in ihr Gegenteil zu verwandeln. Und dann wunderte man sich nur noch über das Mädchen, über seine Naivität, seine schreiende Unschuld. Ja, die Unschuld des Mädchens schrie zum Himmel. Für die gewöhnlichen Seelen war dies ein skandalon, etwas, das im Grunde lächerlich war, eine himmelschreiende Albernheit, etwas aus der Zeit Gefallenes. Aber vielleicht schrie die Seele des Mädchens ja wirklich zum Himmel. Vielleicht rief sie fortwährend den Himmel an, flehend und fragend, warum sie die Einzige war, die noch da war...

So war auch das Mädchen eigentlich eine Verlorene. Sie war wie aus der Zeit gefallen, die Letzte ihrer Art. Und sie war die Einzige, die es nicht wusste, denn die Unschuld weiß nicht, dass sie ausstirbt, sie denkt daran nicht, es ist nicht die Richtung ihrer Gedanken. Nur alle anderen wissen es, denn sie haben ihre Unschuld längst verloren, und etwas in einem trauert ihr nach, das große Übrige aber spottet ihrer, um den Verlust nicht zu fühlen.

                                                                                                                             *

Der Verlorene war nicht anders als die anderen Menschen. Er war vielleicht nur ein klein wenig verlorener als sie – wie auch sie es in naher Zukunft sein würden. Man merkte nicht, was vorging. Und so merkte auch der Verlorene nicht, dass er verloren war – oder was es bedeutete, verloren zu sein.

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