30.11.2018

Vom Blick des Mädchens

Holger Niederhausen: Vom Blick des Mädchens. Books on Demand, 2018. Paperback, 84 Seiten, 7,90 Euro. | Bestellen bei Books on Demand oder Amazon.


Soeben erschienen:

Ist es möglich, sich eine grenzenlose Unschuld vorzustellen? Und nicht nur dies ... sondern ihr auch wirklich zu begegnen? Einer absoluten Aufrichtigkeit? Einem zutiefst reinen Herzen? Und was wäre, wenn wir ihm begegneten? Könnte unser eigenes Herz diese Unschuld überhaupt fassen? Sich von ihr berühren lassen? Was würde geschehen, wenn wir von ihm getroffen würden? Von dem Blick des Mädchens...

Leseprobe


Wir sehen unsere eigene Sehnsucht nicht – und wir verleugnen sie auch. Es gehört zu der modernen Erziehung der Seelen, sich zu verleugnen. Denn die Seele selbst wird in unserer Zeit ebenfalls verleugnet. ,Psyche’ darf sie sich noch nennen, um die ,Psyche’ kümmert man sich. Sie darf auch krank sein, dann war man nicht ,stark genug’, den Anforderungen des Lebens nicht ganz ,gewachsen’. Das darf sein, es gibt Menschen, die sich dann um einen kümmern, die Gesellschaft ist ja nicht herzlos, sie ist im Gegenteil gut organisiert und darauf vorbereitet. Aber dass unsere Gesellschaft selbst krank sein könnte – sehr, sehr krank –, wer wagt das offen auszusprechen?

Die tiefste Krankheit ist es, die je denkbar war. Es ist die Krankheit, von der etwa die Bücher von Michael Ende handeln: ,Momo’ und ,Die unendliche Geschichte’. Es ist die Krankheit vom Verleugnen der Seele – und vom Verleugnen des Zartesten, was die Seele überhaupt hat: der Sehnsucht...

Eine Zeit, die die Sehnsucht zu leugnen beginnt, hat in demselben Moment begonnen, den Todeskeim in sich aufzunehmen – und dieser Keim wird sich von da an unaufhaltsam ausbreiten, weil ja dasjenige zu leugnen begonnen wurde, was das Leben selbst ist. Die Sehnsucht ist es, die das Leben der Seele ist. In ihr liegt das heilige Geheimnis verborgen. Das Geheimnis dessen, was noch alles werden kann. Was die Seele noch werden kann. Der Mensch noch werden kann. Das menschliche Miteinander noch werden kann. Was die Welt noch werden kann. Ein heiliger Ort. Ein Ort, wie ihn jetzt zunächst nur die Sehnsucht kennt – aber sie kennt ihn...

Es gehört zu der modernen Marter der Seele, zu ihrer Konditionierung in einer furchtbaren ,Gehirnwäsche’, dann, wenn sie von solchen Worten berührt zu werden ,droht’, sogleich dasjenige zu denken, was sie dann denken soll, weil die moderne Kultur es ihr beigebracht hat. Sie soll denken: fruchtloser Idealismus, sinnlose Phantasterei und Träumerei, die nicht geeignet ist, das Leben zu bestehen und den Anforderungen gewachsen zu sein. Sie ist nur geeignet, lebensuntauglich zu werden, entweder ein Träumer oder krank von den Verhältnissen. Und beide sind gleich lebensuntauglich – der Träumer und der Kranke, der Idealist und der Depressive.

Wie aber, wenn nicht diese Seelen krank wären, sondern unsere Welt? Wenn wir endlich erkennen würden, wie krank unsere Welt wirklich ist? Von Anfang bis Ende, unrettbar krank, nur noch von Grund auf zu erneuern? Und wie, wenn dieses ,von Grund auf’ bedeuten würde, zunächst einmal: von innen. Von ganz innen. Von der Seele her...

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