23.01.2020

Das Problem mit der Wahrhaftigkeit

Gedanken zur politischen Landschaft, zu Gegenwart und Zukunft der Menschheit.


Inhalt
Im Interesse der Menschen – oder der Macht?
Habeck über Trump
Die Reaktionen
Die Diplomatie-Falle
Trump – der personifizierte Missbrauch
Eine verlogene Diskussion
Szenenwechsel – zu Gerd Müller
Was Wirtschaft ,darf’ und was nicht
Weltweite Verantwortung – hier und jetzt


Im Interesse der Menschen – oder der Macht?

Heute war in der Zeitung eine Karikatur: Eine Menge von Menschen mit Mundschutz, Stichwort ,Corona-Virus in China’. Und es stand dort sinngemäß: ,Die Regierung ist sehr besorgt ... dass die Gesichtserkennung jetzt nicht mehr funktioniert.’

Eine Karikatur nimmt die politische Wirklichkeit mit scharfer Feder auf. Hier ist die Botschaft: Eine Staatsmaschinerie und Regierung wie in China schert sich wenig um das Wohl der Menschen – weniger jedenfalls als um ihre Überwachung. Man kann auch auf dem Standpunkt stehen, dass man für die Bürger nur gut sorgen könne, wenn man sie überwacht.

Aber hier beginnt die essenzielle Frage bereits: Hat eine Regierung ein wirkliches Interesse am Wohl ihrer Bürger – oder tut sie nur so? Es geht hier ganz zentral um die Frage der Wahrhaftigkeit. Und diese Frage ist nicht getrennt von der anderen nach dem Moralischen überhaupt. Wahrhaftigkeit ist ein Aspekt des Moralischen, aber man kann sagen: Auf dem Boden der Wahrhaftigkeit baut sich das übrige Reich des Moralischen überhaupt erst auf. Oder anders gesagt: Wer wahrhaftig ist, ist nicht unbedingt auch im Übrigen bereits moralisch. Aber – wer nicht wahrhaftig ist, ist definitiv nicht moralisch.

Eine Regierung könnte sehr wahrhaftig begründen, warum sie es für nötig hält, ihre Bürger zu überwachen. Es gibt gute Gründe dafür – allerdings muss man sie dann auch ehrlich zugeben. Dann kann jeder Einzelne beurteilen, was er von diesen Gründen und von der Regierung überhaupt hält.

Wahrhaftigkeit und Offenlegung der eigenen Gründe des Handelns und Planens sind die Grundlage für jede Auseinandersetzung, jeden Diskurs. Wer seine Gründe verheimlicht, dem geht es nicht um Offenheit, sondern gerade um Macht. Je weniger man offenlegt, desto mehr kann man täuschen. So haben repressive Regime ein extremes Interesse daran, die besten Absichten und auch entsprechende Erfolge vorzutäuschen. Sobald man behaupten kann, die ergriffenen Maßnahmen seien notwendig und sogar hilfreich, wird jeder Diskussion darüber der Wind aus den Segeln genommen. Viele Argumente aber sind gar nicht wahr, sondern nur vorgeschoben, geschönt und propagandistisch verzerrt. Sie dienen nicht der Wahrheitsfindung, sondern gerade der Verschleierung der Wahrheit – nämlich zum Beispiel, dass den Bürgern mit einem ganz anderen Vorgehen unendlich viel mehr gedient wäre.

Habeck über Trump

Nun hat Grünen-Chef Robert Habeck die Rede von US-Präsident Trump auf dem ,Weltwirtschaftsforum’ in Davos kritisiert. Er sagte, die Rede sei ein Desaster für die Konferenz gewesen. Nun sei noch klarer, dass man die Richtung wechseln müsse – Trump stehe auf der anderen Seite. Er stehe ,für all die Probleme, die wir haben’.

Es folgte eine Diskussion, in der es überhaupt nicht mehr um das ging, was Trump gesagt hat – sondern nur noch um das, was Habeck gesagt hat. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen äußerte, Habeck habe damit ,mindestens eine erschreckende außenpolitische Einfältigkeit’ offenbart. Trump sei kein ,Gegner’, sondern ,der demokratisch gewählte Präsident des Landes, das das Rückgrat unserer eigenen Sicherheit bildet’.

In klaren Worten heißt dies nicht anderes als: Man darf sich nicht gegen Trump stellen, denn damit würde man sich gegen die USA stellen, diese aber wiederum sei für ,unsere eigene Sicherheit’ unverzichtbar. Dies sind Äußerungen, wie sie einem kleinen Vasallenstaat entsprechen, der von Schurkenstaaten umgeben ist und daher das Lied seines Herrn singen muss. Sei dieser auch der größte Clown (so wurde Trump neulich auch in einer Tageszeitung bezeichnet) – er ist immer noch besser als die ,Schurken’.

Diese Argumentation macht korrupt – sie korrumpiert die eigene Wahrhaftigkeit. Denn so könnte jeder Zuhälter argumentieren: ,Baby, ich bin besser als alle anderen, und das weißt du. Wenn du mich nicht mehr hast, bist du wirklich am Arsch...’ Dies kann sogar der Wahrheit entsprechen – aber das macht die Sache nicht besser. Man kann sich derart verleugnen und verbiegen, dass man nicht mehr man selbst ist – sondern nur noch ein schäbiges Rädchen im großen Ganzen, ausgenutzt nach Strich und Faden. Wer sagt denn, dass Trump sich nicht allabendlich ins Fäustchen lacht über all die braven Idioten, die brav nicken, weil er nun einmal der Chef dieses ominösen ,Rückgrats unserer Sicherheit’ ist, auf das alle starren wie das Häschen auf die Schlange?

Wenn man nicht mehr sagen darf, was man denkt, nur weil das größere Übel droht, dann nur heraus mit der Wahrheit: Dass wir in einer Welt der Falken und Wölfe leben – und die Menschheit es bis heute nicht geschafft hat, einen Grundkonsens rudimentärer Zivilisiertheit zu finden. Heraus mit der Wahrheit, dass wir glauben, Russland würde uns sofort erobern, wenn es könnte – und Amerika würde es mit Russland ebenso machen, wenn es könnte, allein schon als Präventivschlag. Wenn das die ganze Wahrheit unserer Zivilisation ist – dann heraus mit ihr! Öffentlich ausgesprochen. Denn nur so kann auch hier wiederum ein Diskurs darüber beginnen, ob dies wirklich die ganze Wahrheit ist – oder auch nur die halbe.

Solange niemand den Mund aufmacht, kommen wir zu nichts und wieder nichts. Aber vielleicht ist das ja gerade dasjenige, was einige Leute wollen. Vielleicht haben einige Leute größtes Interesse daran, dass sich nichts ändert. Und sei es nur aus Angst. Angst war aber schon immer der schlechteste Ratgeber.

Die Reaktionen

Die konservative ,Welt’, die der ,Transatlantikbrücke’ gleichsam treuen und bedingungslosen Gehorsam geschworen hat, posaunt natürlich gleich folgende Schlagzeile in die Welt: ,Habecks lose Zunge wird langsam zum Problem’.[1] Weiter heißt es dort:[1]

Mit seiner Kritik an Trump steht er in Davos und in der deutschen Politik nicht ganz allein da, wohl aber mit der impulsiven Art, sie sofort zu äußern.

Und weiter weiß der Schreiber, sich wie eine ,Benimmdame’ gerierend, oder wie eine Queen, die ihrem noch minderjährigen Prinzen ,Etikette’ beibringt, wenn er einmal Regent werden wolle:[1]

Für Habeck, den möglichen deutschen Außenminister oder Kanzler, hätte es gereicht, sehr bestimmt und sehr knapp zu sagen: Trump hat seine Meinung, ich habe meine. [...] Robert Habeck, viel zu leichtfertig als Kanzlerkandidat gehandelt, fängt an, ein Problem zu werden.

Ein Problem für wen? Für Trump? Für uns? Wer ist ,uns’? Für die ,Welt’? Für die hörigen Verteidiger der ,transatlantischen Freundschaft’? Welche Freundschaft? Oder geht es nur um nackten Utilitarismus? Um die ewige Angst vor den Russen, der ja schon damals alle deutschen Frauen vergewaltigt hat? Um was geht es wirklich? Und was ist wirklich wahr? Auch hier kommen wir ohne Wahrhaftigkeit – und diese beginnt schon mit der bedingungslosen Wahrheitssuche – keinen Schritt weiter, sondern verrennen uns nur immer weiter in die Korrumpierung des eigenen Denkens und Handelns.

Ein anderer Kommentar in der ,Süddeutschen’ gibt für den Spitzenpolitiker der Grünen folgende Handlungsanweisung:[2]

Eine Möglichkeit zeigt sich im enigmatischen Minenspiel von Kanzlerin Angela Merkel während Presseauftritten mit dem US-Präsidenten. Trump kann vieles, aber er kann niemanden auf sein Niveau herunterzwingen. Die Grenze zur vertretbaren Zurückhaltung liegt erst dort, wo Trump sie als Zustimmung oder gar Anbiederung werten könnte. Sollte Habeck einmal in Regierungsverantwortung kommen und Trump dann noch Präsident sein, sollte auch ihm das die Richtschnur sein.

Mit anderen Worten: Man kann gute Miene zum bösen Spiel machen und trotzdem andeuten, dass man sich nicht unterwirft. Oder noch anders gesagt: Politiker sagen nie wirklich ihre Meinung – sie sind immer diplomatisch, denn ,das macht man so’, und überhaupt ... er ist nun einmal Führer unseres ,Sicherheits-Rückgrats’, Stichwort Zuhälter-Logik.

Die Diplomatie-Falle

Und niemand fragt sich, woher diese ,Diplomaten-Logik’ kommt. Nämlich aus einem vorletzten Jahrhundert, in dem es auch schon um größtmögliche Macht ging und nur um die Verfeinerung der Methoden, ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen. In Wirklichkeit ist ,Diplomatie’ in dieser Hinsicht nicht etwa die hohe Form der Staats- und Verhandlungskunst, sondern nichts weiter als erbärmliche Unwahrhaftigkeit, eine absolute Korrumpierung der eigenen Moralität. Wirklich nichts weiter. Die Einstellung, nicht zu sagen, was man denkt, wird zur Prämisse. Erbärmlich ist das! Und wir wollen im 21. Jahrhundert angekommen sein? Wir befinden uns noch immer in der Steinzeit von dem, was ,Menschheit’ und ,Menschsein’ bedeutet. Wölfe und Falken – und der schlaue Täuberich mittendrin, der aber sich selbst und seine Moralität auch für ein Linsengericht verkauft. Es ist um keinen Deut besser. Wahrscheinlich ist sein unterdrückter Traum auch nur, selbst einmal Falke zu werden.

Wenn es nicht so wäre, würden wir unendlich viel anders machen!

Natürlich sieht sich Merkel in ihrer Kunst des Nicht-Sagens und des diplomatischen Lavierens – und hintentrum still und leise doch ihre Standpunkte behauptend – gleichsam als globale Pädagogin, die allen zeigt, wie es auch gehen könnte, nämlich sanft und zivilisiert. Aber ich behaupte: Das macht es keinen Deut besser. Wir sind zivilisatorisch an einem Punkt angekommen, wo es nur in zwei Richtungen weitergeht – entweder ganz klar bergauf mit wahrer Menschlichkeit und dem Konzept der einen Menschheit ... oder aber in den Abgrund. Wir haben das Falken-Wölfe-Spiel lange genug gespielt. Inzwischen wissen viele gar nicht mehr, dass es auch etwas anderes gibt. Viele Staatschefs und Spitzenpolitiker sind von diesem ,Spiel’ abhängig geworden. Sie wollen nichts anderes mehr sein als Wölfe und Falken. Das ist nicht nur gefährlich – es ist tödlich. Aber jeder, der dieses Spiel weiter mitspielt, macht sich mitschuldig daran, dass dieses Spiel auch immer nur noch tödlicher wird.

Nur diejenigen, die ganz klar aus diesem ,Spiel’ aussteigen, werden noch an der Zukunft arbeiten – alle anderen arbeiten mehr und mehr an ihrer Verhinderung und an großen, auf uns zukommenden Katastrophen.

Der ganze Diplomatie-Quatsch wird der einen Fraktion mehr und mehr nur noch zur Durchsetzung ihrer knallharten Interessen dienen – und die andere Fraktion wird zunehmend nur noch glauben, dass sie den bestmöglichen Mittelweg wählt. In Wirklichkeit wird sie sich in einer Position des ,Appeasement’ befinden, deren Agieren mehr und mehr sinnlos wird.

Das Einzige, was heute noch zukunftsfähig ist, ist bedingungslose Wahrhaftigkeit. Alles andere bereitet nicht mehr der Vernunft den Weg, sondern nur noch den Falken und Wölfen. Denn die Taube zeigt sich nicht. Sie setzt selbst Masken auf und heult mit den Wölfen. Lügenhafte Tauben, die sich nichts trauen, haben aber noch nie den Frieden gebracht. Im Gegenteil, sie haben ihn schon immer verhindert.

Wer wirklich den Anspruch hat, eine Politik der (Friedens-)Tauben zu vertreten, der muss aufhören, seinen Mund zu verschließen und allenfalls diplomatisches Zeug zu plappern. Er muss den Mund aufmachen und klar aussprechen, wofür er steht – und er muss die Wölfe als Wölfe benennen.

Habeck hat das getan. Er hat sinngemäß klar geäußert, dass Trump untragbar ist, ein Gefahr und ein Schaden für die Welt. Er hat damit der Wahrheit einen Dienst erwiesen.

Trump – der personifizierte Missbrauch

Es ist doch unfassbar. In Davos kamen die Staats- und Regierungschefs sowie andere mächtige Männer zusammen, um über die Klima-Frage zu sprechen – und Trump tut nichts anderes, als zu rühmen, wie großartig Amerika ist, und zwar wohlgemerkt nicht in Bezug auf das Klima, sondern überhaupt und im allgemeinen. Einem Schüler hätte man gesagt: Thema verfehlt, setzen, Sechs!

Als er aus Davos wieder abreiste, wurde er auf die Worte Greta Thunbergs angesprochen und sagte: ,Unsere Werte – was die Luft angeht – sind sehr gut. Wir haben einen wunderschönen Pazifik, der mit Müll von anderen Ländern beladen wird’.[1, Kasten]

Trump ist ein monomaner Clown, der an der Wahrheit oder überhaupt an sinnhaften Sätzen nicht das geringste Interesse hat. Wer dies nicht glaubt, lese noch einmal den Kommentar in der ,Süddeutschen’. Dort wird Habeck nur vorgeworden, dass er die letzten Jahre hinter dem Mond verbracht haben muss, wenn er von Trumps Rede auch nur überrascht gewesen sei:[2]

Reden, triefend vor peinlichem Selbstlob, enervierender Egozentrik und beklemmender Wirklichkeitsferne, hat Trump auch schon vor den Vereinten Nationen gehalten.

Da haben wir es schwarz und weiß – das ,Rückgrat unserer Sicherheit’ wird von einem Autisten im schlimmsten Sinne des Wortes regiert. Und die Welt wird dies zur Kenntnis nehmen müssen: Es gibt Menschen, denen nichts heilig ist als ihre eigene grenzenlose Selbstüberschätzung. Solche Menschen aber sind eine Gefahr, denn sie sind letztlich wahnsinnig. Sie leiden an einer völligen Unfähigkeit, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen und sich irgendwie in dieser zu bewegen. Sie leben in einer buchstäblichen Blase, die mit unserer Welt nicht das Geringste zu tun hat.

Eine andere Karikatur dieser Tage zeigte Trump, wie er, in der einen Hand sein Handy, mitten am twittern, die andere Hand am roten Knopf, der Atombomben, Bomber oder was auch immer losschickt, und der Untertitel in etwa: ,Upss… Aus Versehen die falsche Taste...’ Das charakterisiert Trump sehr genau. Man kann es nur wiederholen: Dieser Mann ist eine Gefahr für die gesamte Welt.

Und der Kommentar in der Süddeutschen hat absolut Recht, wenn er thematisch der Amerika-hörigen ,Welt’ entgegnet: ,Trump hat also neue Regeln aufgestellt: Er darf beleidigen, aber nicht beleidigt werden.’[2] Trump ruht sich auf seiner Rolle als ,mächtigster Mann der Welt’ aus – und lacht sich tatsächlich ins Fäustchen, dass er buchstäblich verbal scheißen kann, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, während alle anderen kuschen, denn er weiß: ,Das Rückgrat bin ich’. Ganz im Sinne des einstigen Absolutismus: ,L’état, c’est moi’.

Die Missbrauchs-Diskussion schlägt seit Jahren hohe Wellen – und alle wissen, dass Abhängigkeitsverhältnisse Missbrauch vorprogrammieren. Nur auf politischer Ebene will dies niemand wahrhaben. Solange sich aber ein US-Präsident – und sei es nur im politischen Sinne – als ,alter weißer Mann’ geriert, als Patriarch, wie er im Buche steht, jovial und in voller Machtfülle, seine Hände schon am Hintern der Frau oder am Bombenknopf oder am Twitter-Button, mit seiner grenzenlosen Egozentrik, für den alle anderen letztlich nur Objekte und Schachfiguren sind – solange ist Missbrauch nicht nur vorprogrammiert, sondern geschieht in jedem Moment.

Donald Trump ist nichts anderes als der personifizierte Missbrauch. Der Missbrauch des Politischen schlechthin. In Schurkenstaaten ist dies zu erwarten. In einer Demokratie ist es der absolute Ruin der Verhältnisse. Das Volk hat sich selbst den Totengräber des Demokratischen gewählt. Trump macht das Politische selbst zur Karikatur. Er ist eine reine Witzfigur – aber sie ist real, und sie macht das Politische selbst zu einem bloßen Witz. Trump lügt wie gedruckt, und macht so die Politik selbst zur Lüge. Und korrumpierte ,Welt’-Redakteure bilden sich ein, in dieser Situation würde es noch reichen, wie Merkel zivilisiert mit den Augen zu rollen. Das ist ein Irrtum. Auf diese Weise wird auch die Wahrhaftigkeit noch zu Grabe getragen.

Eine verlogene Diskussion

In Maischbergers Wochenrückblick wurde ebenfalls darüber diskutiert, wie man ,mit einem Staatsoberhaupt umgehen’ soll, das ,bei einem internationalen Gipfel alle gesetzten Themen ignoriert und sich selbst [...] in den Himmel lobt’.[3] Auch dies steht in der ,Welt’! Bezeichnenderweise schrieb diesen Bericht eine Frau... In ihrem Bericht steht dann auch, dass ,Cicero’-Chefredakteur Schwenicke äußerte, Trumps Rede sei zwar peinlich gewesen, aber kein ,Desaster’, denn in Partei-Ortsverbänden würden weit schlechtere Reden gehalten. Mit anderen Worten: Der Chefredakteur des Politmagazins äußert sehr deutlich, dass Trump ein Polit-Clown ist, der gerade noch Ortsverbands-Niveau erreicht. Damit aber ist die politische Katastrophe sehr offen umrissen.

Und Kabarettist Schroeder fand die Diskussion um Habeck verlogen: Es werde immer kritisiert, dass Politiker nur Phrasen von sich gäben – Habeck dagegen habe emotional und betroffen reagiert, warum solle er das nicht machen?

Genau das ist der Punkt! Wir reden immer von der jungen Generation als unserer Zukunft – aber niemand, ich wiederhole: niemand dieser jungen Generation versteht, warum Politiker immer nur in Phrasen sprechen. Und doch konditionieren wir jede heranwachsende Generation immer wieder neu auf das Dogma: Das müsse so sein. Jemand, der sich nicht phrasenhaft versteckt, ist kein Politiker. Geht’s noch!? Während Trump schwätzt und zündelt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, soll ein deutscher, ein grüner Spitzenpolitiker nicht einmal klar sagen dürfen, was hier vorliegt? Und dies, obwohl es ohnehin schon alle Spatzen von den Dächern pfeifen?

Der Kaiser ist nackt – und Trump ist ein Clown. Er steht wirklich ,für alle Probleme, die wir haben’ – ja, mehr noch: Er ist die vulgäre Spitze ihres Eisberges. Damit ist nicht gesagt, dass wir ohne Trump keine Probleme hätten. Sondern nur: Er steht für alle Probleme, die wir haben. Das bedeutet: Er ist wie ihr Realsymbol. Und warum? Weil er dieser Super-Narzisst, dieser Egomane, diese selbstverliebte Dampfwalze ist – und damit alles, was diese Welt kaputtmacht auf die Spitze treibt und kristallklar spiegelt. Soll man dies nicht einmal aussprechen dürfen? Trump steht für alle Probleme, die wir haben. Das ist die Wahrheit. Er steht für Hass, Intoleranz, Sexismus, Ego-Wahn und absolute Blindheit für das, was er tut. Habeck hat absolut Recht – und es lässt tief blicken, wenn konservative deutsche Kommentatoren behaupten, ein Politiker, der offen ausspricht, was der gesunde Menschenverstand sagt, sei nicht mehr tragbar. Haben wir aus der Hitler-Zeit so wenig gelernt?

Szenenwechsel – zu Gerd Müller

Szenenwechsel – aber es wird noch spannender. In derselben Maischberger-Sendung kritisierte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller scharf die Preise importierter Lebensmittel:[3]

Lebensmittel seien zu billig in Deutschland, so Müller. Der CSU-Politiker möchte mit einem neuen Lieferkettengesetz dafür sorgen, dass deutsche Lebensmittel soziale und ökologische Mindeststandards erfüllen, gerade bei Herstellung und Ernte.
Dumping-Preise in Supermärkten beruhten schließlich auf niedrigen Einkaufpreisen der Händler – so fördere man als Konsument indirekt eine moderne Sklavenarbeit. Der Sohn eines Bauern fordert faire Löhne und Einkaufspreise, die Schutzkleidung oder andere Maßnahmen finanzieren – ansonsten müsse man sich vor Augen führen, dass Niedrigpreise die afrikanischen Kinder auf die Plantagen treibe. Weniger als ein Euro pro Kilo Bananen? „Meine Damen und Herren, das ist Ausbeutung von Mensch und Natur“, sagt der Bundesminister.

Und ein anderer Artikel formuliert es noch schärfer – und mit ironischem Einstieg:[4]

Wenn nicht alles täuscht, wurde das Publikum von "Maischberger" Zeuge der Gründung des sozialrevolutionären Flügels der CSU. Einziges Mitglied: Gerd Müller.
[...] Derart ungeschönt, unnachgiebig und selbstkritisch hat man wohl selten einen konservativen Politiker über die himmelschreiende Ungerechtigkeit im Welthandel reden hören.
Unser Fleischkonsum? "Dafür brennt in Brasilien der Regenwald." Ein halbes Kilo Avocados für 1,49 Euro? "Ein absoluter Skandal." Bananen unter einem Euro das Kilo? "Das führt zu Versklavung auf den Plantagen. Wie sollen die Menschen davon leben?"
All das "müssen die Menschen wissen", sagte Müller immer wieder. "Sie bestimmen beim Einkaufen über die Zukunft afrikanischer Kinder." Nur: Warum steht das nicht auf allen Verpackungen? Warum werden Produkte nicht mit einem Warnhinweis versehen, wie: "Dieser Preis garantiert kein würdiges Leben für die Arbeiter und provoziert Kinderarbeit“? Rhetorische Fragen, schon klar. Müller hat es mit freiwilligen Verpflichtungen probiert: Lidl stimmte zu, das Kilo Bananen nicht unter einem Euro anzubieten. Kurz danach drückte Aldi den Preis auf 88 Cent, Lidl knickte ein. "Diese Preise sind super dreist und super unmoralisch", befand der CSU-Politiker.
Nun plant Müller ein Lieferkettengesetz, das unter anderem Kinderarbeit ausschließen soll. "Da gibt es aber enormen Widerstand." Aus der Wirtschaft. Im Studio gab es für seine kämpferische Lehrstunde viel Applaus.

Hier nun kommen wir mitten in das Zentrum der Logik kapitalistischer Systeme. Und deswegen ist die Überschrift dieses Web.de-Artikels völlig irreführend: ,Gerd Müller attackiert Käufer von Discounter-Produkten’. Zwar mag er die Konsumenten auf ihre Verantwortung hingewiesen haben – doch in Wirklichkeit führte Müller einen Angriff auf die Händler. Sie sind diejenigen, die den Erzeugern die letzten Cents abpressen und dafür sorgen, dass nicht die geringsten Sozial- und Umweltstandards auch nur möglich wären.

Diese Blutsauger – denn das Ganze geschieht wirklich auf Kosten von Kindern und Erwachsenen in der Dritten Welt, die bis aufs Blut ausgebeutet werden – können sich dann wieder dahinter verstecken, dass ,andere es genauso machen’ und der ,Konkurrenzkampf sie dazu zwingt’. Ebenso wie Hitler die Bombe erfunden hätte, wenn man ihm nicht zuvorgekommen wäre. Nur mit dem Unterschied, dass man sie nicht hätte auf Hiroshima abwerfen müssen. Und mit dem weiteren Unterschied, dass die Frage, wie die Wirtschaftsstrukturen eines Landes und auch unserer Welt funktionieren sollen, kein fertiges Faktum sind, kein ,Sachzwang’, sondern etwas, was jederzeit diskutiert werden kann und muss.

Was Wirtschaft ,darf’ und was nicht

Hier hört die Freiheit der Wirtschaft auf. Wo Kinder- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden, hat der Staat eine Verantwortung – und nicht nur eine, sondern die: Es ist der originäre Verantwortungsbereich des Staates, die Rechte von Mensch und Umwelt zu schützen. Dass die Wirtschaft das meist nicht freiwillig macht, ist seit den Frühzeiten der Industrialisierung und letztlich schon seit der Sklavenwirtschaft bekannt. Wenn der Staat es auch nicht macht, versäumt er seine ureigene Pflicht. Denn letztlich hat er nur diese – die Sicherung der Rechtssphäre.

Rudolf Steiner hat auf diese einfache Tatsache schon vor einhundert Jahren hingewiesen. Mit der von ihm impulsierten Bewegung für soziale Dreigliederung wollte er darauf hinweisen, dass es nie zu einer menschlichen Gesellschaft kommen wird, wenn in der Wirtschaft unter dem Deckmantel der ,Freiheit’ das Recht des Stärkeren regiert, die Staatssphäre ihrerseits dort reguliert, wo sie gar nichts zu suchen hat, und das Geistesleben der Menschheit (einschließlich Bildung und Lehre) nicht volle Freiheit genießt – auch sie nur eingeschränkt durch die Menschenrechte, aber nicht durch zeitgebundene Auffassung davon, was wann gelehrt oder gelernt werden müsse. Hier zählen nicht Staatserlasse, sondern pädagogische Intuition.

Im Grunde ist all dies längst bekannt – auch hier weiß der gesunde Menschenverstand längst, dass unsere Schulen von Vorschriften der ,Kultusverwaltungen’ erstickt werden, dass Menschenrechte schlicht und einfach oft genau zahnlose Tiger sind und dass in der Wirtschaftssphäre ein Kampf um Leben und Tod tobt.

Wir alle wissen das – aber keiner zieht daraus radikalere Konsequenzen. Auch hier wird uns die heute junge Generation einmal fragen (und künftige werden ihnen folgen), wie dumm und ignorant wir dieser fatalen Überzeugung so lange folgen konnten. Welcher Überzeugung? Dass wir nur dann der Diktatur des Geistes (real existierender Sozialismus) entgehen, wenn wir uns der Diktatur des Marktes  unterwerfen! Die jungen Menschen werden fragen: Wie fatalistisch muss man sein, wie verbohrt, wie blind!?

Müller hat also völlig Recht mit seinen Plänen zu einem Lieferkettengesetz – und ein solches müsste wahrhaftig und lückenlos zur Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards verpflichten. Und hier dürfte es keinen Etikettenschwindel geben, sondern nur strikte Einhaltung. Wir sprechen von Mindeststandards – selbst diese sind kein Zuckerschlecken. Weder für die Umwelt, die Natur, noch für betroffene Kinder und Erwachsene, die auf diese Weise einzig und allein davor bewahrt werden, sich völliger Versklavung und Ausbeutung zu unterwerfen. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

,Freiwillige Selbstbeschränkungen’ und andere Spielchen sind in unserer Zeit längst kontraproduktiv – denn mit ihrer Hilfe geht das Spiel ,Der macht’s aber auch’ und ,Es sind aber doch Sachzwänge der bösen, bösen Welt, in der auch ich überleben muss’ immer weiter. Auf Kosten und auf dem Rücken der Schwächsten. Menschenrechte und ökologische Mindeststandards sind aber kein Spiel und auch keine freiwillige Frage – sondern sie sind nicht verhandelbar. Wenn ein Produkt nicht mit der Wahrung der Menschenwürde herstellbar ist, dann darf es gar nicht hergestellt werden! Dann wird es auch nicht benötigt. Weg damit! Und weg mit jenen Firmen, die bereit wären, Kinder und andere Menschen auszubeuten, um damit dennoch Geld zu verdienen!

Überall, wo um Menschenrechte auch nur diskutiert wird, wächst und wuchert bereits die Relativierung – und auch diese kennen wir sehr gut: aus der Hitler-Zeit. Bestimmte Menschen waren eben ,nicht so richtig Mensch’. Man hat ihnen erst das eine und andere versagt, was ihnen ein wenig die Würde nahm – und schließlich hat man sie ganz entsorgt. Heute kräht den ausgebeuteten Kindern auch kein Hahn nach – wenn aber der DAX-Index signifikant fällt, dann ist das Geschrei groß! Mit dieser völligen Korrumpierung menschlicher Moral muss endlich Schluss sein! Das Stichwort ,Freiheit’ gehört nicht in die Wirtschaftssphäre. Wenn sie alle sozialen und ökologischen Mindeststandards eingehalten hat – dann mag sie machen, was sie will. Vorher aber nicht.

Weltweite Verantwortung – hier und jetzt

Und das gilt weltweit. Deswegen Lieferkettengesetz. Es geht bis zum Ursprung eines Produktes. Es geht uns sehr wohl etwas an, ob für Produkte, die letztlich in Deutschland genutzt werden, Kindern in Indien ihre Menschenwürde geraubt wird, weil sie schlicht ,verheizt’ werden, damit das Produkt hierzulande für 3,99 zu haben ist. Dasselbe gilt für Tiere. Es ist zu einer Ideologie geworden, dass Lebensmittel billig sein müssen. Auch hier werden uns unsere Kinder einmal fragen: Wie konntet ihr so wahnsinnig sein?

Die Globalisierung ist keine Entschuldigung, sie ist Verpflichtung. Jetzt oder nie hat die Menschheit die Chance und die Pflicht, mit der Würde jedes einzelnen Menschen und mit dem Schutz unser aller Lebensgrundlagen und der gesamten Schöpfung, dem Wunder jeder Lebensform, ernst zu machen. Die Würde des Menschen und die Vernichtung der Natur machen nicht an Grenzen halt. Wir verurteilen inzwischen Menschen, die mit Kindern sexuell werden – egal, wo auf der Welt dies geschieht (Stichwort: Bekämpfung der Kinderprostitution und Kinderpornografie). Dass ein Deutscher dies nicht in Deutschland tut, ist keine Entschuldigung mehr. Ebenso darf es keine Entschuldigung sein, wenn deutsche Konzerne oder Konzerne, die in Deutschland verkaufen, Dinge von Zulieferern beziehen und meinen, sagen zu können: ,Da nimmt man’s noch nicht so genau...’ Das darf und wird künftig keine Entschuldigung mehr sein! Jeder Produzent hat die Verpflichtung, seine Profitinteressen über die nicht verhandelbaren Mindeststandards sozialer und ökologischer Art zu stellen.

Hier beginnt die Wahrhaftigkeit. Es geht nicht um Hochglanz-PR-Broschüren, sondern um die Wirklichkeit entsprechender Bemühungen – und die moralische Wahrhaftigkeit der gesamten Lieferkette.

Und zur Wahrhaftigkeit gehört auch, dass wir uns eingestehen: Der bisherige Weg war eindeutig falsch. Der Laissez-faire-Kapitalismus richtet diesen Planeten zugrunde – er kann gar nicht anders. Er muss notwendigerweise Bananen für wenige Cent auf den Markt werden – die in ihm herrschenden Gesetze können zu überhaupt nichts anderem führen. Von zahnlosen Papiertigern wird dies auch nicht besser. Die Menschenrechte existieren längst – aber sie werden überhaupt nicht eingehalten, und es fühlt sich auch niemand dafür verantwortlich. Es gibt aber einen Verantwortlichen. Und das ist die Staatssphäre – hier entsteht Recht und hier muss es gesichert, muss über seine Einhaltung gewacht werden. Ob in den Regalen Bananen für 88 Cent liegen, ist also nicht Sache der Wirtschaft. Die wird es immer wieder so machen – unter blutiger Ausbeutung an anderen Stellen der Welt. Sondern es ist Sache der Staatssphäre. Wenn ein Staat, der Bananen produziert, die Menschenwürde seiner eigenen Bürger nicht einhalten kann, müssen die importierenden Staaten seine Aufgabe übernehmen, denn die Menschenrechte sind unteilbar.

Und es erzähle jetzt niemand, wenn die Bananen das Drei- oder Vierfache kosten, würde niemand mehr Bananen essen und würde es den Menschen im Süden noch schlechter gehen. Auch diese verlogene Argumentation und Dogmatik werden unsere Kinder eines Tages nicht mehr hören können. Das angeführte ,Argument’ zeigt nichts anderes als die Aufgabe: Hier beginnt die eigentliche Kreativität erst. Wie wird unser Planet wahrhaft menschenwürdig? Überall? Lösungen dafür können nur an Egoismus und an jahrhundertelang einkonditioniertem Profitdenken scheitern – nicht aber daran, dass es sie nicht gäbe.

Jemand wie Trump würde einfach lügen: ,Es gibt keine Ausbeutung’. Oder: ,Wir haben das geplante Lieferkettengesetz schon vor zwanzig Jahren umgesetzt.’ Oder aber er würde das Thema völlig verfehlen: ,America is great again.’ Oder er würde sagen: ,Es gibt keine Alternative, und mit Träumern geben wir uns nicht ab.’ Er würde in jedem Fall seine Milliarden ins Trockene bringen. Habeck hat Recht: Trump steht ,für all die Probleme, die wir haben’. Und mit ihm viele andere. All jene, von denen jetzt auch Müller ,viel Widerstand’ entgegenschlägt.

Weil wir noch immer nicht wahrhaftig sind. Weil wir noch immer nicht begreifen, dass wir die Zukunft von unseren Kindern nur geborgt haben. Weil wir noch immer nicht bereit sind, wahrhaft menschlich zu handeln – und zu werden. Andernfalls könnten wir schon heute damit beginnen: Lasst uns mit der Wahrhaftigkeit anfangen.

Quellen:

[1] Torsten Krauel: Habecks lose Zunge wird langsam zum Problem. Welt.de, 22.1.2020.
[2] Daniel Brössler: Habeck darf das. Süddeutsche.de, 22.1.2020.
[3] Britt-Marie Lakämper: „Maischberger“. Welt.de, 23.1.2020.
[4] Maischberger: Gerd Müller attackiert Käufer von Discounter-Produkten. Web.de, 23.1.2020