04.02.2020

Über die Heiligkeit der menschlichen Seele

Filmbesprechung: Ein verborgenes Leben. Terrence Malick (Regie). D/USA 2019, 174 min. | Trailer.


Inhalt
Einleitung
Franz Jägerstätter (1907-1943)
Terrence Malick – auch ein Verborgener
Die Tiefe der Stille
Die langsame Eroberung
Eine Apotheose der Liebe
Der Herr ist mein Hirte...
Vom Segen der Erde
Vom Fluch des Dorfes
Das Neue Jerusalem


Einleitung

Es gibt unzählige Filme über die NS-Zeit, aber wenig Filme über die stillen Helden, noch weniger Filme über jene ganz stillen Helden, die wissen, dass sie in den Tod gehen werden – und sogar wissen, dass sie damit im Großen vielleicht nichts, rein gar nichts ändern werden. Und es gibt extrem wenig Filme, in denen das Ausmaß dieser Gewissensentscheidung so drängend, so existenziell spürbar wird wie in Terrence Malicks Film ,Ein verborgenes Leben’ – gerade durch das Gegenteil jeder künstlichen Dramatisierung. Und der Film hält noch weit mehr für den Zuschauer bereit. Und auch weit mehr für unsere heutige Zeit.

Aber langsam und der Reihe nach – wie bei Malick selbst.

Franz Jägerstätter (1907-1943)

Wenden wir uns zunächst dem echten, historischen Franz Jägerstätter zu, der die eine der beiden Hauptpersonen dieses Filmes ist.[1] Geboren 1907 in St. Radegund in Oberösterreich, heiratet er 1936 seine sechs Jahre jüngere Frau Franziska (,Fani’). Statt einer Hochzeitsfeier machen beide eine Wallfahrt nach Rom. Franz selbst hatte in dreijähriger Arbeit als Eisenerz-Bergarbeiter seinen Glauben fast verloren, aber angeregt von seiner frommen Frau besuchte er wieder häufiger die Gottesdienste, las täglich in der Bibel und auch Heiligenbeschreibungen. Im Januar 1938 sieht er im Traum einen Zug, den immer mehr Menschen besteigen, und hört eine Stimme, dieser Zug fahre in die Hölle. Er deutet ihn auf den Nationalsozialismus.

Nach dem ,Anschluss’ Österreichs lehnt er im April 1938 bei einer Volksabstimmung über die ,Wiedervereinigung’ mit dem Deutschen Reich diese als Einziger seines Ortes ab – und selbst seine einzelne Stimme wird von der Wahlbehörde unterschlagen. Später spricht er vom ,Gründonnerstag Österreichs’, weil sich an diesem Tag die Kirche gefangen nehmen ließ (wie Christus in der Nacht vor dem Karfreitag). Franz nahm Vergünstigungen der NSDAP nicht in Anspruch und folgte keinen Spendenaufrufen für die Partei.

Im Juni 1940 wurde er zur Wehrmacht nach Braunau/Inn einberufen, und weil er es damals (,gebet dem Cäsar…’ und auch in Anlehnung an Worte von Paulus) noch als Sünde ansah, staatlichen Befehlen nicht zu gehorchen, leistete er hier auch noch den Fahneneid auf Hitler. Auf Intervention des Bürgermeisters durfte er wenige Tage später auf den Hof zurückkehren. Im Oktober 1940 folgte die Einberufung zur Grundausbildung als Kraftfahrer nach Enns (wo er zugleich in den Dritten Orden des hl. Franziskus eintrat), auf Ersuchen seiner Heimatgemeinde wurde er jedoch im April 1941 erneut als ,unabkömmlich’ eingestuft und konnte zurückkehren. Er feierte nun täglich die heilige Messe mit und war ab Sommer 1941 Mesner in der Pfarrkirche. Die negativen Militärerfahrungen, das Euthanasieprogramm der Nazis und die Verfolgung der Kirche festigten seinen Entschluss, jeden Militärdienst völlig zu verweigern – was er auch öffentlich erklärte, während seine ganze Umgebung und sogar der Bischof von Linz ihn umzustimmen versuchten.

Im Februar 1943 erhielt er die Einberufung zur Wehrmacht nach Enns, am 2. März kam er ins Gefängnis nach Linz, am 4. Mai wurde er nach Berlin-Tegel verlegt. Er verweigerte einen Widerruf, und am 6. Juli wurde er vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Am 9. August wurde er im Zuchthaus Brandenburg/Havel durch das Fallbeil hingerichtet.

1997 hob das Landgericht Berlin das Urteil auf. 2007, im Jahr seines 100. Geburtstages, wurde Franz Jägerstätter seliggesprochen.

Terrence Malick – auch ein Verborgener

Kein berühmter Regisseur führt ein so verborgenes Leben wie Malick. Sein letztes veröffentlichtes Interview ist über vierzig Jahre her – es stammt von 1979.[2]  

In diesen über vier Jahrzehnten hat er nur sieben Filme gedreht, doch ,wenn Terrence Malick ruft, wollen alle mitmachen – von Brad Pitt bis Christian Bale.’[3] Malick war schon immer ein Denker, er studierte Philosophie in Harvard und Oxford, unterrichtete dies danach sogar ein Jahr am MIT, arbeitete danach ab 1968 als Journalist für den ,New Yorker’ und andere Zeitschriften und schloss 1969 sein Regie-Studium ab.[3] Sein erster Film ,Badlands’ (1973) wurde unmittelbar eine Sensation, und die ,New York Times’ bescheinigte dem 29-Jährigen ,immenses Talent’.[2] Nach seinem nächsten Film ,In der Glut des Südens’ (Days of Heaven, 1978), einer tragischen Liebesgeschichte mit Richard Gere, folgte jedoch eine zwanzigjährige Pause, nachdem die Crew aufgrund von Malicks unorthodoxer Arbeitsweise nahezu gemeutert hatte.[2] In der Folgezeit arbeitete Malick zwar dennoch kontinuierlich an weiteren Projekten, die aber nie zu einem fertigen Film wurden. Bekannt wurde Malick dann durch seinen Antikriegsfilm ,der schmale Grat’ (The Thin Red Line, 1998).[3]

Malick ist ein tiefsinniger Mensch, der mit Aufrichtigkeit und ohne jeden Hochmut das Oberflächliche meidet – und der auch mit seiner eigenen Arbeit nie zufrieden ist:[2]

Malick’s friends describe him as a generous and humble man with a capacious intellect and a child’s insatiable curiosity. [...] He enjoys discussing the fundamental questions that drive religious and philosophical inquiry and has a deep knowledge of the Bible. [...]
[...] He politely shrugs off compliments about his films [...]. [...]
“[...] he’s restless because he’ll still be editing one of his own movies, or he’ll think about all the things he did that he regrets and wants to go back and change.”

In sehr besonderen Passagen einer anderen Besprechung erfährt man:[4]

Der Regisseur hat den Film bereits 2016 gedreht und danach mal wieder Jahre im Schneideraum verbracht, um den richtigen Rhythmus für diese Geschichte zu finden, sich an das Material, das er gedreht hatte, heranzutasten, um jenes Gefühl der Unschuld und des ersten Kennenlernens herzustellen, mit dem er sich seinen Protagonisten am liebsten nähert. [...]
[...] berührend, wie Malick sich mit 76 Jahren in seinen Bildern immer noch ohne Zynismus durch die Welt mit ihren Wundern und Monstrositäten tastet, als würde er all das Gute und Böse, die Liebe und den Hass zum ersten Mal erblicken.

Die Tiefe der Stille

Was aber ist nun Malicks ,unorthodoxe Arbeitsweise’? Dieser Regisseur ist auf der Suche nach dem Wesentlichen, nach dem Echten. Er sucht die Innensicht von allem, man kann sagen: das innere Tönen. Die Dreharbeiten zu einem Malick-Film sind daher das Gegenteil der sonst üblichen Arbeit ,am Set’. Es gibt keine Hektik, keine Hunderte von Takes pro Tag – bei der Arbeit zu ,Ein verborgenes Leben’ ließ Malick die Schauspieler gleichsam einfach ,machen’. Jägerstätter war Bauer – also mussten die Schauspieler auch Bauern sein. August Diehl berichtet:[5]

Beim Dreh denkt man nicht mehr darüber nach, was das für ein Film wird. Tagelang war es so, dass wir eher zur Arbeit als zum Set gefahren sind; da ging es um Kühe und das Heu. Wir führten ein Leben als Bauern, und er war mit der Kamera dabei. Alle Aufnahmen dauerten im Durchschnitt 28 Minuten.
Als Schauspieler versucht man etwa zehn Minuten lang, etwas planvoll zu tun. Irgendwann setzt man sich auf eine Bank, blickt ins Tal – und das ist unter Umständen genau der Moment, den Malick wollte.

Zuvor aber hatten die Schauspieler vielleicht stundenlang gearbeitet, körperlich, als Bauern – und das sieht man dann auch, selbst wenn es nicht gezeigt wird.

Gleichzeitig kann Diehl die ,Meuterei’ von 1978, oder dass Malick als ,schwieriger Regisseur’ gelte, nicht bestätigen:[5]

Die Arbeit mit Malick ist nicht schwierig, aber eigenwillig. Er lädt einen ein. Man lernt ihn kennen; daraus entsteht eine Wärme, die Dinge entstehen lässt, die ohne diese Wärme nicht möglich geworden wären. Das ist eine unglaubliche Qualität von ihm.

Genial ist Malicks Arbeitsweise auch darin, wie er es erreicht, dass in bloßen Blicke unendlich viel liegen kann:[6]

Diehl: Die [Dialoge] sind für Terry nicht entscheidend. Wir haben die zwar am Band geprobt, sobald eine Einstellung vorbei war, wurde sie sofort wiederholt. Und dann noch mal und dann noch mal. Irgendwann kam dann die Anweisung: Spielt die Szene bitte genauso wie eben – aber denkt die Dialoge nur.

Und weil Malick nicht eine Fülle von Handlungssträngen und äußerer Dramatik anstrebt, treffen Formulierungen wie die Folgende durchaus zu:[3]

Einen Malick-Film nach seinem Story-Potenzial zu beurteilen, wäre ungefähr so schlau, wie ein Gedicht auf mathematische Genauigkeit abzuklopfen. Am besten ist es, sich zurückzulehnen und die Gedanken um die großen Fragen des Lebens kreisen zu lassen." ("Los Angeles Times")

In einer anderen Besprechung heißt es:[4]

Der Film dauert knapp drei Stunden, und natürlich hätte man diese Geschichte auch in der Hälfte der Zeit erzählen können. Denn nach den dramaturgischen Standards des Serienzeitalters würden die Ereignisse dieses Films maximal für eine Viertelfolge Netflix-Brimborium reichen.

Die langsame Eroberung

Malicks Film ,Ein verborgenes Leben’ gewinnt auch die Seele des Betrachters langsam – dann aber unentrinnbar, bis in schmerzliche Tiefen.

Am Anfang muss man sich nicht nur an die Langsamkeit gewöhnen, auch an die spezielle Regie. Speziell im ersten Teil des Films, der das dörflich-bäuerliche Leben und auch Glück der beiden schlicht aber tief einander Liebenden erlebbar macht, wechseln Szenen einander ab, die bisweilen nur wie ein Nebeneinander wirken, willkürlich, als ginge es um ein künstlich gewolltes ,L’art pour l’art’ oder um einen ebenso gewollten Hinweis auf eine metaphysische Metaebene. Diejenigen, die Malick nicht schätzen, werden ihm sicherlich genau dies zum Vorwurf machen.

Wer sich aber auf diesen Beginn einlässt, der auch kleine Überblendungen, kurze, nicht immer beendete Dialoge etc. einschließt, begreift allmählich die andere Wirkung dessen. Lässt man sich darauf ein, führt dieses stellenweise fast Impressionistische tatsächlich nach innen. Denn sie hat gewisse Ähnlichkeit mit Träumen. Die klare Abfolge rein äußerlicher Handlungen wird gebrochen – und dies gibt sehr bald eine mehr meditative Stimmung, damit auch ein mehr meditatives Zuschauen, ein tieferes Sich-Einlassen. Immer wieder wechselt Malick auch zwischen menschlichen Szenen und Naturszenen – die deutlich machen, dass Jägerstätter und seine Frau mit dieser Natur noch innig verbunden sind, dass hier noch eine mächtige, alles umhüllende Natur das menschliche Leben (mit) trägt. Irgendwann ist dies nicht mehr nur Szenen-Folge, sondern wird zum Erlebnis.

Zum Erlebnis wird auch die Liebe zwischen Franz und seiner Frau Fani. Diese beiden sind glücklich – eine junge Liebe inmitten einer harten, schlichten Welt, die viel körperliche Arbeit bedeutet, aber zugleich auch eine tiefe Erfüllung, was sich gerade in der unmittelbaren Arbeit an und mit der Natur buchstäblich be-gründet. Teilweise muss man sich dies hinzudenken, denn es überwiegen die Szenen, wo beide friedlich im Gras liegen und nur ihre innige Liebe spürbar ist, oder wo sie später mit ihren kleinen Töchtern Blindekuh spielen. Wie gesagt – dass die Härte des schlichten, bäuerlichen Lebens überwiegt, muss man sich dazudenken. Es sind Pausen, Atempausen, jene Augenblicke, die das Leben mit Momenten der Feier krönen. So eindeutig herausgestellt, wirken sie in gewisser Weise besonders eindrücklich. Und man darf nicht vergessen, dass der ruhige Film ohnehin bereits eine Länge von drei Stunden hat.

Zu diesem Zeitpunkt hat einen der Film mit seiner ganz eigenen Intensität aber bereits längst erobert.

Doch die Vorboten der Tragik lassen nicht lange auf sich warten. Eines Tages hört Fani in der Luft die ersten Flugzeuge – und es ist klar: Der Krieg erreicht die Heimat. Die abgelegenen Dörfer in den Bergen. Das heile Leben ist nicht mehr heil. Jetzt gilt nur noch: ,Heil Hitler’.

Franz jedoch macht dies nicht mit. Als Genossen des Dorfes ihn mit diesem Gruß begrüßen, erwidert er mit echtem Abscheu: ,Pfui Hitler!’ Damit sind die Weichen gestellt. Und die Haupttragik besteht zunächst darin, dass sich das eigene Dorf gegen ihn und Fani stellt. Subtil und ganz offen versucht man ihn zunächst auf die ,richtige Seite’ zu bringen – den ,Verräter’ und den, der das ganze Dorf bedroht. Denn natürlich sind sich auch andere der ,richtigen Sache’ keineswegs sicher, aber auch sie sind Mitläufer. Die Angst regiert mit. Und so werden alle negativen Gefühle auf Franz projiziert – er ist der Sündenbock. Er wird sozial ausgestoßen. Seine Frau auch, seine Kinder auch.

Eindrücklich auch, wie Franz mit seiner Gewissenentscheidung rat beim Priester und sogar beim Bischof, bei dem der Priester ihm eine Audienz verschafft hat. Doch die Kirche spricht sich ihr eigenes Urteil – sie verkauft sich an die Macht. Der Bischof sagt: ,Du hast eine Pflicht gegenüber deinem Vaterland. Die Kirche mahnt dich dazu.’ Es ist die Kapitulation vor Hitler – und die Gewissensfreiheit des einzelnen Christen wird auf dem Götzenaltar geopfert.

Eine Apotheose der Liebe

Nun ist also Jägerstätter ganz allein – mit seiner Frau, die zu ihm hält. Er weiß nicht, wann und ob er einberufen wird, aber es ist zu vermuten. Und er weiß, was dann folgen wird, auch wenn er fortwährend mit der Entscheidung ringt. Auch wenn selbst geliebte Menschen ihn davon abbringen wollen – etwa Fanis Schwester, etwa seine eigene Mutter. In Wirklichkeit hat auch Fani selbst es versucht, aber dies wird im Film anders gezeigt. Und das macht den Film erst wirklich groß.

Denn in Wirklichkeit ist Jägerstätters Frau Fani die zweite große Hauptperson dieses Filmes. Es geht nicht nur um die Entscheidung von Franz, für seine Gewissensentscheidung den Tod in Kauf zu nehmen. Es geht auch um alle Folgen, die Fani damit tragen wird, allein, ohne Hilfe, nur noch mit ihrer Schwester. Und schon vor seiner Einberufung: Sie wird im Dorf geschnitten, man spuckt ihr vor die Füße, niemand hilft ihr mehr. Vor der ,Verklärung’ von Franz ereignet sich bereits die ,Verklärung’ von Fani. Mit einer unglaublichen Stärke, Liebe und Demut, mit einer unglaublichen Reinheit des Herzens erträgt sie, was die Folgen der Gewissensentscheidung ihres Geliebten sind.

Es ist die Liebe, die in diesem Film eine heilige Apotheose feiert, die in grandioser Tiefe aufersteht in den Seelen jener Zuschauer, die wirklich erfassen können, was jeder sehen kann. Meisterhaft ist es gespielt von Valerie Pachner, einer wirklichen Oberösterreicherin. Fani und Franz lieben sich so unverbrüchlich, dass es kaum noch irgendwelcher Worte bedarf, wenn sie mit ihren Blicken zeigen, was ihnen bevorsteht und was sie doch nicht trennen kann. Franz muss fortwährend mit seiner Gewissensentscheidung kämpfen, es ist klar, dass er mehr bei sich ist, denn er geht dem Tod entgegen. Fani aber ist auch bei ihm – sie ist ganz bei ihm, sie geht mit ihm, sie trägt seine Last mit, sie hilft ihm mit ihrer Liebe, sie ist in Wirklichkeit, so sehr es ihr Herz zerreißt und auch für sie alles fast unaushaltbar ist, sein tragender Engel.

Auch sie will man überreden, ihn umzustimmen. Und in einer Szene, wo das Unausweichliche der Zukunft deutlich wird, stehen beide nah beieinander, aber Fani steht allein, existenziell spürend, was nun auf sie zukommt, mit sich ringend, es auch nicht tragen könnend – und neben ihr steht Franz, auch allein, in diesem Moment nicht einmal mehr wagend, sie zu berühren, nicht wissend wie, da er ihr all dies antun wird. Und von diesem Moment an könnte Fani sich abwenden, könnte sich verhärten, könnte ihn unter Tränen mit Vorwürfen überhäufen, was er ihr und ihren gemeinsamen Kindern antue – nur wegen seines ,Stolzes’, den die Dörfler ihm vorwerfen. Aber sie als Einzige versteht natürlich tiefer, worauf seine Entscheidung beruht, denn sie ist es ja, die ihn liebt. Und so antwortet sie einmal, als man sie überreden will, auf Franz einzuwirken, mit jenen schlicht-grandiosen Worten, obwohl ihr selbst ein Schwert durch die Seele geht: ,Wenn ich nicht bei ihm bin, wer ist es denn dann?’

Und darum ist dieses Werk nicht nur ein Film über das Gewissen, sondern auch über die Liebe – und dies vielleicht sogar noch mehr.

Als Franz eingezogen wird, begleitet Fani ihn in ihrem wunderschönen blauen Verlobungskleid. Als sie nicht mehr weiß, wie es ihm geht, lässt sie Hof und Kinder allein mit ihrer Schwester und fährt ebenso gut gekleidet bis nach Salzburg. Hilflos. Und vergeblich – sie erhält keine Informationen. Als sie am Ende von seinem Todesurteil erfährt, reist sie bis nach Berlin. Dort sehen die Geliebten einander ein letztes Mal wieder. Ein junger Anwalt will Franz bis zuletzt zu einer Unterschrift bewegen, die ihm sicherlich noch immer das Leben retten würde (denn sogar der Richter, Bruno Ganz in seiner letzten Rolle, ist von Franz beeindruckt) – die aber dennoch seine seelische Kapitulation und den völligen inneren Verrat bedeuten würde. Die Blicke der Liebenden ruhen verzweifelt ineinander. Franz fragt Fani, ob sie ihn verstehe. Und Fani nickt unmerklich, eigentlich nur mit ihren Augen. Es ist eine unglaubliche, eine übermenschliche Treue. Eine Treue, die in Himmelshöhen besiegelt ist, nicht von dieser Welt. Und sie sagt: ,Egal, was passiert – ich bin immer bei dir...’

Dies erweist sich als wahr. Kurz bevor Franz in den dunklen, schäbigen Raum mit dem Fallbeil geführt wird, taucht seine Seele ein in die Bilder der Heimat...

Der Herr ist mein Hirte...

Die Frage nach Gott steht natürlich mit im Zentrum dieser zweiten Hälfte. Aber je mehr Franz an Gott verzweifeln könnte – denn Fani hatte frühzeitig noch darauf vertraut, Gott werde ihnen helfen, den Guten geschehen nichts –, desto mehr geschieht das Gegenteil.

Franz verzweifelt nicht, er stützt sich geradezu auf Gott – und erträgt mit der Hilfe dieses Glaubens, dieser Treue, auch das Schwerste. Die Entbehrungen, den Hunger, die Demütigungen, die Tritte der Wärter. Und er wird selbst zu einem Engel, der jeden Moment christlich lebt, ohne Nachdenken zu müssen. Im Zug hilft er mit geketteten Händen einer Frau, den Koffer aus dem Gepäcknetz zu nehmen. Einmal stellt er einen umgefallenen Schirm wieder auf. Heilige Demut, obwohl er bereits dem Tod entgegengeht. Einem hungrigen Mitgefangenen gibt er in einem unbeachteten Moment sein eigenes Brötchen auf dessen Teller.

,Wenn man einmal aufgehört hat, am Leben zu hängen’, so stellt er fest, ,dringt ein ganz neues Licht ein.’

Es ist das Licht Gottes – in einer Situation, wo die Abwesenheit Gottes festzustehen scheint. Franz geht nicht dem Tod entgegen – sondern Gott.

In den letzten Szenen des Films ist Fani mit ihrer Schwester allein. Ein trauriger Friede, der zugleich Leid ist, liegt in ihren Zügen. Eine Art heilige Resignation. Sie sagt zu ihrer Schwester: Irgendwann werden wir wissen, wozu das alles gut war. – Man kann diese Momente so erleben, als habe Franz sie eben doch alleingelassen und als hätte sie ihn an seinem Tun hindern müssen, als wäre alles andere besser gewesen. Und doch täuscht der äußere Eindruck auch hier. Denn es ist sicher, dass so, wie sie in dessen dunkelsten Momenten bei Franz war, er auch jetzt bei ihr ist, wenn auch nicht im Leibe, und dass sie seine Nähe in jedem Moment spürt. Dass sie dennoch allein ist, leiblich, und dass die Arbeit dadurch noch härter geworden ist – was man auch sieht –, hält die Tragik ja aufrecht.

Aber dass die beiden nicht wirklich getrennt sind, kann jeder spüren, der das christliche Mysterium erfasst hat: Die Liebe ist stärker als der Tod. Es gibt wenige Filme, die diese Wahrheit offensichtlicher machen als Malicks ,Ein verborgenes Leben’.

Und erschütternd ist, wenn im Abspann dann die letzten Worte aus Eliots ,Middlemarch’ eingeblendet werden, die im Nachhinein das innere Wesen des Filmes in menschliche Worte bringen:

[...] for the growing good of the world is partly dependent on unhistoric acts; and that things are not so ill with you and me as they might have been, is half owing to the number who lived faithfully a hidden life, and rest in unvisited tombs.
[...] denn die Besserung der Welt ist teilweise von ganz unhistorischen Taten abhängig; und dass es um dich und mich nicht so schlimm steht, wie es hätte stehen können, verdankt sich zur Hälfte der Zahl jener, die ein gläubiges, verstecktes Leben gelebt haben und in unbesuchten Gräbern ruhen.

Vom Segen der Erde

Hier könnte diese Filmbesprechung zu Ende sein – und sollte es auch, wenn man nur den Film auf sich wirken lassen wollte. Aber leider hat der Film mit auch heute hochaktuellen Fragen zu tun.

In einer anderen Filmbesprechung, der die tiefere Essenz dieses Filmes ganz offensichtlich nicht zum Erleben geworden ist, heißt es:[7]

Ob er denn das Recht habe, sich zu weigern, fragt der Richter. Worauf Jägerstätter zurückfragt, ob er denn das Recht habe, sich nicht zu weigern?
Es ist die Kernfrage des ganzen drei Stunden langen Filmes, und jene, die eigentlich schon in den Filmen über die „Weisse Rose“ knapper und brennender verhandelt wurde.
Dass es Malick, mit seinem philosophisch durchgekämmten Weltverständnis, nun auch noch unternimmt, ist nicht wirklich erstaunlich. [...]
Aber warum muss das in bildliche Tableaus von Wiesen, Wassern, Kühen und Bergen gegossen werden, welche jedem FPÖ-Nazi das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen? Warum wartet man dauernd darauf, dass vor dem Bergpanorama auf der satten grünen Wiese mit den braven senseschwingenden Bauersleuten der Kaiser Franz mit seiner Sissi einreitet? [...]
Die Natur-Apotheose ist Teil von Malicks Bilderwelt. Und das Argument, man dürfe diese Bilder nicht den Blut-und-Boden-Nazis überlassen, man müsse sie von ihrem Ballast befreien und wieder dem Glauben an die Menschheit zuführen, kommt regelmässig von den Malick-Fans.
Vielleicht hat das ja auch was. Aber wer diesen Film gesehen hat, weiss, dass neben Franz und seiner Familie in ganz Sankt Radegund nur noch zwei drei gute Österreicher gelebt haben. Der von Johannes Krisch gespielte Müller, die alte Witwe, und – schon nicht mehr ganz so gut – der Dorfpfarrer. Alle anderen haben sich von dem „Verräter“ an der Sache des Volkes abgewendet und seine Familie gepiesakt, kaum war er im Gefängnis. [...]
Franz Jägerstätter, es hat ihn gegeben, die katholische Kirche zählt ihn zu den Seligen, gebührt ein Angedenken. Sein Hidden Life, sein verstecktes Leben und Leiden, dürfen und sollen ans Tageslicht geholt werden und sicher auch auf die Leinwände dieser Welt.
Aber ein einfacher, bescheidener Film hätte vielleicht weniger von diesem versteckten Leben abgelenkt.

Der Film ist bescheiden. Bescheidener als von Malick hätte er gar nicht gedreht werden können. Und dennoch macht er die große innere Wahrheit von Franz Jägerstätter und seiner Frau Fani erlebbar. Das können heutige Seelen weder erkennen noch, wenn sie es unbewusst erkennen ... ertragen.

Sie sind allergisch gegen jede ,Natur-Apotheose’ und assoziieren damit sogleich die ,hereinreitende Sissi’ (ich wäre nie auch nur auf diesen Gedanken gekommen) und im nächsten Atemzug sabbernde FPÖ-Nazis, die am liebsten wieder ,Blut und Boden’ propagieren würden.

Ja, es gab außer Franz nur zwei, drei echte Christen in seinem Dorf. Aber diese zeichnete es eben gerade aus, dass sie in tiefster Dankbarkeit mit der Erde lebten und arbeiteten – dass diese Arbeit ihnen trotz aller Härte auch ein heiliges, lichtes Glück schenkte, jeden Tag, jedes Jahr. Das ist das Mysterium christlicher Erdenliebe. Sie hat nichts zu tun mit ,Blut und Boden’, sondern mit jenem heiligen Gottesgrund, den die Schöpfung jeder Seele in jedem Moment schenkt, in dem sie offen dafür ist.

Wer wie so viele heutige Seelen eine Allergie gegen Naturbilder hat, da, wo die Natur verherrlicht, verklärt wird – das heißt aber in diesem Fall: wo ihr Gottesgrund erlebbar gemacht wird –, der schneidet sich selbst von dem Ast ab, der ihn trägt. Denn die Milch kommt nicht aus der Packung, sondern von der Kuh. Das Wasser nicht aus dem Hahn, sondern tief unten aus der Erde. Wer gleich an FPÖ denkt, ist ein tragischer Ignorant, der mit dazu beiträgt, dass es gar keine Alternativversion gibt, wann immer es um die Natur geht.

Das Handeln von Franz und Fani Jägerstätter sind ohne die tiefe Verbundenheit zu der Natur ihrer Heimat letztlich gar nicht zu denken. Es wurde erwähnt, dass Franz als Bergarbeiter, abgetrennt von der lebenden Natur, seinen Glauben gerade zu verlieren drohte. Fani hatte ihn jedoch sehr lebendig – und Franz fand ihn auch wieder. Auch ihre tiefe Liebe ist ohne die Wiesen ihrer Heimat, in denen sie in den Pausen der Arbeit vertraute Blicke tauschen, kaum zu denken. Und es ist kein Wunder, dass in einer naturfernen Zeit die Partnerschaften nur ,Lebensabschnitts-Events’ werden. Die Untreue gegenüber der Erde zieht jene gegenüber den Menschen nach sich. Auch Heidis geliebter Alm-Öhi zog sich von der Welt nur deshalb zurück, weil er die Untreue der Menschen erlebte.

Was heißt das im Umkehrschluss? Es heißt, dass alle anderen Dörfler in Radegund und auch alle heutigen FPÖ-ler und ,Blut-und-Boden’-Fanatiker mit der Liebe zur Erde nicht aufrichtig ernst machen. Christliche Erdenliebe kann nie zu unchristlichem Fremdenhass führen – und wer ,Blut und Boden’ im Munde führt, ist kein Christ und liebt auch die Erde nicht wirklich. Er missbraucht sie für seine übrigen unchristlichen Zwecke. Das ist die ganze Wahrheit.

Die FPÖ-Fraktion fühlt sich der ,Heimat’ so verbunden, wie man früher (und in der FPÖ vielleicht auch heute noch) seine Frau als Besitz betrachtete. Der Heimatbegriff der reaktionären Politiker und Dörfler ist patriarchalisch, aber nicht christlich. Dass auch das Christentum seine wahre Essenz vielfach schlicht verleugnete, steht auf einem anderen Blatt. Aber gerade darum ist es umso wichtiger, das Leben und die Innenwelt eines Franz und einer Fani Jägerstätter erlebbar zu machen. Die Tragik besteht darin, dass die heutige Seele bereits die Fähigkeit verloren hat, die Unterschiede zu erleben – aber auf sie kommt alles an. Denn, was Franz und Fani verwirklicht haben, wäre das Rettende – auch und gerade auch heute.

Vom Fluch des Dorfes

Ein Aufsatz im ,Tagesspiegel’ von heute thematisiert diese Frage weiter. Er greift die Initiative ,#Dorfkinder’ des Landwirtschaftsministeriums auf und schreibt:[8]  

[...] es geht um das, wofür „das Dorf“ steht. Es geht um eine bestimmte dörfliche Mentalität, eine antimoderne Lebenseinstellung, die kritisiert werden muss. [...]
Anschaulich dargeboten in besagtem Song der Antilopen Gang: „Ich bin selber viele Jahre auf dem Dorf gewesen / doch war nie so glücklich wie, als wir beschlossen, fortzugehen / Sie haben uns zum Abschied noch vors Haus gerotzt / denn wer ins Scheißkaff nicht reinpasst, wird rausgemobbt.“ [...]
Die Stadt ist das Versprechen der Moderne: Individuum und Subjekt sein zu können – das Versprechen auf Freiheit und Glück. Auch wenn sich das bis heute nicht eingelöst hat. Entscheidend ist aber, für dieses Versprechen zu kämpfen.
Urbanität steht für die Freiheit, das Dorf für die Unfreiheit. Das Raunen auf dem Dorfplatz [...] symbolisiert die Gegenaufklärung, den Kampf gegen die Freiheit des Individuums durch Überwachung und Kontrolle, wie ein Blick in die Ideengeschichte zeigt.
Das Dorf ist das Idealbild und Inbegriff der Reaktion, nicht nur der faschistischen und nationalsozialistischen [...]. [...]
[...] Ein erster Schritt der Emanzipation wäre bereits unternommen, würde die Kritik am Dorf auch von denen formuliert, die in einem leben (müssen) – bis dahin scheint es aber noch ein weiter Weg.
Und solange dieser nicht beschritten ist, werden sich die Alltagserfahrungen von Rassismus, Sexismus und Homophobie weiter tradieren – nicht nur auf dem Dorf, aber besonders dort.

In diesen Zeilen liegt Wahrheit und Tragik zugleich. Die Tragik liegt nicht am Dorf an sich – sondern an der Tendenz des Menschen, sich allem feindlich gegenüberzustellen, ,was er nicht kennt’, sprichwörtlich geworden in dem bekannten ,Was der Bauer nicht kennt...’

Aber: Heute haben wir fast überall ,Dorf’. Die sich radikalisierenden Jugendlichen in den Außenbezirken der Großstädte oder sogar schon in den Städten sind nicht weniger Symptom des Problems ,Dorf’ wie der noch in echten Dörfern lebende Teil der Bevölkerung. ,Dorf’ steht hier für die Unfähigkeit, über den Tellerrand zu schauen und das, was man dann sieht, mit Toleranz, ja Interesse und Gastfreundschaft zu begrüßen.

Da, wo die Supermächte ,Kalten Krieg’ spielen, sind eben auch sie ,Dorf’. Vielfach aber hat die Haltung der Abwehr auch gute Gründe – die man nicht akzeptieren muss, aber verstehen. Denn die Stadt war schon immer privilegiert und eine Elite. Schon wer in den Außenbezirken wohnt, ist in Wahrheit ,abgehängt’, für den ist der ,Zug abgefahren’, der ist ,vom Leben betrogen’ worden. Die Problematik der ,antimodernen Lebenseinstellung’ liegt ganz real auch darin, dass die Moderne nicht nur Freiheit, sondern auch neue Ausbeutung gebracht hat. Sie hat das Versprechen eines gerechten Wohlstandes für alle gebracht – es aber nicht eingelöst. Die reaktionäre Haltung des ,Dorfes’ ist eine direkte Folge dessen, dass die ,Stadt’ es nicht geschafft hat, das ,Dorf’ aus seiner Benachteiligung zu erlösen. Denn dafür waren der Stadt ihre Privilegien zu wichtig. So kann und so muss man es auch sehen.

Die nicht nur ökonomische, sondern auch intellektuelle und seelische Depravierung der Dörfer, Außen- und Vorbezirke ist eine grenzenlos tragische Tatsache. Aber sie wirft nur ein helles Licht auf die Tatsache, dass der in der Stadt geborene (Turbo-)Kapitalismus nicht nur unbegrenzten Wohlstand, sondern auch neue Armut und vor allem unbegrenzte Wohlstandsunterschiede gebracht hat, die sich nur immer weiter vergrößern, weil dies in der Logik des Systems liegt.

Das Dorf hat eine Tendenz zur Antimodernität – die Ausbeuterlogik unseres mit der Stadt gleichsam identischen gegenwärtigen Wirtschaftssystems aber heizt diese Polarität geradezu an.

Heilend ist auch hier nur die innere Haltung eines Franz und einer Fani Jägerstätter – heilend für Dorf und Stadt.

Das Neue Jerusalem

Die Stadt mit ihrer ganzen Freiheit ist zum Untergang verurteilt – sie bringt Untergang über die ganze Welt, sie sät Zerstörung, denn bei ihr hat sich die Verbundenheit mit den Lebensgrundlagen völlig aufgelöst. Und die Stadt mit ihrem Gedanken der Profitmaximierung hat die Zerstörung auch in die Dörfer getragen – zum Bauernsterben geführt, an die Stelle von Feldern riesige Ackerwüsten geschaffen, aus den wenig übriggebliebenen Bauern Großfabrikanten gemacht. Selbstverständlich haben auch dies nun keine echte Verbindung zur Erde mehr – wie auch?

Stadt und Dorf können sich nur gegenseitig heilen. Das Dorf muss sich von dem Weitblick befruchten lassen (,Stadtluft macht frei’ – auch gedanklich, weitet den Blick), die Stadt aber von der ursprünglichen Demut, die jeder Dorfbewohner, der noch eine echte Verbindung zur Gotteswelt hatte, kannte und noch immer kennt. Diese Verbindung ist tiefer als das moderne Geschwätz vieler Pfarrer, die selbst kaum noch eine Verbindung zu einer realen Gotteswelt haben.

Ohne diese Verbindung wird aber nichts mehr übrigbleiben, was Dorf und Stadt wirklich retten kann. Bloße Vernunft wird diese Erde und das Zusammenleben der Menschen nicht retten – oder wenn, wie durch einen grandiosen Zufall, doch, dann wird das Leben auf der Erde in sinnloser Seichtigkeit dahinfließen, bis die Menschen doch wieder spirituelle Erlebnisse haben werden, entspringend aus einer Sehnsucht, die die selbsterzeugte Leere nicht mehr erträgt.

Dann wird die Zeit anbrechen, in der vielleicht noch nicht der Löwe neben dem Lamm lagert, aber in der Dorf und Stadt gemeinsam in eine Zukunft aufbrechen, die wahrhaft menschlich zu werden beginnt – und sich wieder neu ... in Gottes Hand weiß.

Und dann wird man auch einen Film wie ,Ein verborgenes Leben’ in seiner ganzen Tiefe er-leben...

Der Schauspieler Diehl hat, obwohl nicht gläubig, etwas von dieser Qualität erlebt. Bei den Dreharbeiten spürte er, dass der Glaube bei weitem nicht nur ein gedankliches Konstrukt im Kopf ist:[5]

Es ist eher Musik. Etwas Echtes, Wirkliches. Dass ich das verstehe, hat mit meiner Beschäftigung mit der Rolle zu tun. Es zwingt einem zum Kontemplativen, es zwingt einen in die Stille, das ist wie ein Gebet.
[...] Unser Film spielt aber nicht so sehr um Glauben oder Kirche, er thematisiert etwas einfaches, das wir als Kind alle hatten, das Gefühl, was richtig und was falsch ist. Jedes Kind auf diesem Planeten weiß, dass es falsch ist, Menschen zu töten. Kein Kind würde das diskutieren.
[...] Franz Jägerstätter sagt mit kindlicher Kraft: „Nein, ich mache das nicht mit!“ Das hat etwas Stures und Starkes, wie es auch ein Kind hat. Der Film ist kein Glaubensbekenntnis, auch nicht für Malick – sondern eine Ode an die Naturverbundenheit und an das elementare Gefühl dafür, was richtig und was falsch ist.

Das genau ist der Punkt: Dieses tiefe, reine, aufrichtige, sichere seelische Erleben und Empfinden – und dieses Fühlen ist dann eins mit dem Willen, mit der Tat. Der Weg des realen Christentums führt nicht zurück zur Kindheit der Menschheit in ein ehemaliges Paradies, er führt auch nicht zu einer fortwährenden Verflüchtigung des seelischen Innenlebens, sondern er führt in die Zukunft. Menschen wie Franz und Fani Jägerstätter haben etwas von dieser Zukunft bereits vorgelebt. Ihr Glaube war zum Teil noch von der Vergangenheit getragen, zum Teil aber bereits aus der Zukunft empfangen...

Die Heiligkeit des menschlichen Gewissens. Wenn jeder Mensch einmal ein heiliges Gewissen haben wird – und wenn jeder Mensch das Gewissen jedes anderen wie ein Heiligtum, als etwas Unantastbares, empfinden wird – so wie Fani das Gewissen von Franz als Heiligtum erlebte und liebte –, dann wird die Zeit des Neuen Jerusalem kommen. Die ganze Menschheit eine Stadt, in geistiger Symbolik, mit der ganzen heiligen Gesinnung, die im Dorf ursprünglich einmal gelebt hat.

Quellen:

[1] Wikipedia: Franz Jägerstätter.
[2] Eric Benson: The not so secret life of Terrence Malick. Texas Monthly, 10.3.2017.
[3] Bernd Teichmann: 15 Dinge, die Sie über Terrence Malick wissen müssen. Stern.de, 11.9.2015.
[4] David Steinitz: Mal länger als ein paar Netflix-Minuten. Süddeutsche.de, 28.1.2020.
[5] Diehl: "Ich empfinde das Leben als skandalös kurz". berliner-filmfestivals.de, 31.1.2020.
[6] "Wir sind alle ziemlich große Jasager". August Diehl im Interview. Spiegel.de, 1.2.2020.
[7] Michael Sennhauser: Cannes 19: A HIDDEN LIFE von Terrence Malick. sennhausersfilmblog.ch, 19.5.2019.
[8] Samuel Salzborn: Replik auf die Dorfkinder-Kampagne „Das Zentrum des Bösen ist der Dorfplatz“. Tagesspiegel.de, 2.2.2020.