10.02.2020

Das Mädchen, das die Sonne berührte

Filmbesprechung: Weathering With You – Das Mädchen, das die Sonne berührte. Makoto Shinkai (Regie). J 2019, 113 min. | Trailer.


Inhalt
Einleitung
Die Handlung: Eine zauberhafte…
…Katastrophen- und Liebesgeschichte
Warum ein großartiger Film?
Wetter, Klima und Magie
Leichtigkeit und Tiefe
Was ist wichtiger – die Welt oder eine einzige große Liebe?
Die falsche und die richtige Frage


Einleitung

Erneut möchte ich hier einen wunderbaren japanischen Anime-Film besprechen, der letztlich sehr, sehr viel mit unserer heutigen Gegenwart und der Zukunft zu tun hat.

Der Film kommt unscheinbar daher. Der Titel ist seltsam, der Trailer ist auch nicht wirklich besonders ansprechend. Aber es gibt sie, diese Filme – die weit besser sind als ihre Trailer, sogar ungeahnt besser. Filme, die einen nicht nur unerwartet überraschen, sondern unerwartet überwältigen.

Bleiben wir zunächst bei dem Titel: Der englische Titel bedeutet ,Wettermachen mit Dir’, und das deutet bereits auf dieses sehr Persönliche, was gerade japanische Animes oft zum Thema haben. Der japanische Titel ,Tenki no Ko’ bedeutet wörtlich ,Kind des Wetters’.

Die Handlung: Eine zauberhafte…

Der sechzehnjährige Oberschüler Hodaka kommt als Ausreißer von einer Insel nach Tokio, wo ihn die Millionenstadt verschluckt und er über das Handy vergeblich nach Jobs sucht. Bald ist er obdachlos. Als er eines Morgens, in einem Bareingang eingeschlafen, verjagt wird, findet er eine Pistole, die er für eine Attrappe hält. Eines Tages, als er auch in einem Burger-Laden (McDonalds) einschläft, schenkt ihm ein dort arbeitendes Mädchen heimlich einen Burger, weil er die Tage davor immer nur Suppe geschlürft hat. Er ist von dieser lieben Geste berührt – und erlebt dies als schönstes Mittagessen seines Lebens.

Schließlich findet er ein Unterkommen bei Keisuke Suga, der in einem heruntergekommenen, kleinen Souterrain-Büro eine ebenso bedeutungslose Zeitschrift mit obskuren Artikeln über Horoskope und jedes beliebige andere Thema herausgibt. Hodaka darf dort ,wohnen’, bekommt Essen und ein kleines Taschengeld. Zuerst trifft er in dem Büro nur ein gerade erst erwachsenes, attraktives Mädchen an, Natsumi, offenbar die junge Geliebte von Suga.

So geht es dann zunächst auch weiter. Bei den Recherchen für den ersten Artikel wird er in der Menschenmasse auf der Straße für einen Sekundenbruchteil von einem viel zu jungen Mädchen angesprochen (,mein Herr’), das sich offenbar prostituiert, doch der Menschenstrom reißt ihn sogleich weiter. Dann begegnet er dem Mädchen aus dem Burger-Laden wieder, das offenbar auf der Suche nach einem neuen Job soeben in die Fänge von zwei Zuhältern geraten ist, die sie an ihren neuen Bestimmungsort bringen wollen. Bestürzt und mutig stört er die beiden, geht dabei jedoch zu Boden und kann sich nur mit der Pistole retten, aus der sich tatsächlich ein Schuss löst. Er und das Mädchen, Hina, fliehen auf ein altes Hochhaus.

Hodaka hatte für eine obskure Story eines ,Sonnenscheinmädchens’ recherchiert, an dessen Existenz manche Menschen glauben, insbesondere weil es in letzter Zeit fortwährend außergewöhnliche Regenfälle in Tokio gibt. Nun stellt sich heraus, dass es dieses Mädchen tatsächlich gibt – und dass es Hina ist. Auf dem Dach dieses alten Hochhauses gibt es einen kleinen Hain mit einer Art Glückstor, unter dem offenbar bisweilen Wünsche in Erfüllung gehen, wenn man beim Durchgang fest genug daran glaubt. Hina nun hatte sich vor einem Jahr für ihre sterbende Mutter Sonnenschein gewünscht, war daraufhin ohnmächtig geworden und hatte danach die Fähigkeit, um Sonnenschein beten zu können.

Hina lebt mit ihrem jüngeren Bruder Nagisa in einem einfachen Appartement. Angesichts ihrer prekären Lage schlägt Hodaka vor, mit ihrer Fähigkeit Geld zu verdienen, was ihr zuvor nie in den Sinn gekommen wäre. Ihre Aufträge sind dann auch eher unschuldig: Schönes Wetter bei einem Flohmarkt, bei einer Hochzeit... Und jedes Mal reißt tatsächlich für Momente genau an dem Ort der Himmel auf. Hodaka ist beeindruckt, wie sehr ,die Herzen der Menschen’ mit dem Himmel verbunden sind, und wie sehr die Sonne auch die Seelen aufhellt.

Hodakas ,Arbeitgeber’ Keisuke und Natsumi erfahren jedoch von einem sehr alten Priester, dass es in früheren Zeiten sogenannte ,Wetter-Mikos’ vielerorts gegeben habe. Sie seien einen Bund mit dem Himmel eingegangen und hätten sich aber schließlich selbst opfern müssen. Als Natsumi Hina von der Gefahr berichtet, hat diese mit Hodaka längst selbst beschlossen, aufzuhören, obwohl sie andererseits ihr Tun sehr geliebt und sogar als ihre Bestimmung empfunden hat. Dann spitzen sich die Ereignisse zu und laufen immer mehr ihrem Höhepunkt entgegen.

…Katastrophen- und Liebesgeschichte

Hodaka ist tief verliebt in Hina, aber extrem schüchtern – ganz anders als Hinas jüngerer Bruder Nagisa, der mit seinen etwa dreizehn Jahren völlig unbefangen mit Mädchen umgeht, die ihn mögen, so dass Hodaka (ein Anklang an die alten asiatischen Meistertraditionen) ihn sogar als seinen ,Lehrmeister’ verehrt. Von ihm beraten, kauft er für Hinas mutmaßlich bevorstehenden achtzehnten Geburtstag (später stellt sich heraus, dass sie jünger ist als er, erst fünfzehn) einen schönen Ring. Zugleich wird das Wetter fortwährend schlechter. Zudem müssen die drei nun auch noch fliehen, weil die Polizei seinem Waffenbesitz auf die Spur gekommen ist und das Jugendamt nun auch die beiden allein lebenden Waisenkinder im Auge hat. Während sie ziellos durch die Straßen irren, verwandelt sich der Sturmregen in Tokios Häuserschluchten auf einmal sogar in Schneefall – mitten im August, ein apokalyptisches Bild...

Schließlich kommen die drei Flüchtlinge in einem Hotel unter, wo Nagisa eine große Badewanne entdeckt und vorschlägt, gemeinsam zu baden, was Hodaka und Hina natürlich unisono empört zurückweisen, Hodaka heftig errötend. Als zuletzt Hina allein aus dem Bad kommt, in weißem Bademantel, ist Hodaka geradezu berückt vor Liebe. Die drei verleben einen wunderbar friedlichen und glücklichen Abend. Zu dritt im Doppelbett schenkt Hodaka Hina schließlich den Ring, über den sie sich sehr freut. Dann gesteht sie, dass sie sich bei jedem Sonnengebet ein wenig mehr auflöst und dass sie beschlossen hat, sich ganz zu opfern, damit das Wetter endlich wieder normal wird. Hodaka versucht verzweifelt, sie daran zu hindern, doch am nächsten Morgen ist sie tatsächlich verschwunden – und die Sonne scheint, es ist echter japanischer Sommer. Hodaka selbst wird noch im Hotelzimmer von der Polizei festgenommen.

Auf der Polizeistation glaubt man ihm kein Wort, als er behauptet, das Mädchen sei einfach verschwunden, und er müsse sie suchen und ihr helfen. Da bäumt sich seine ganze Verzweiflung auf – dieses Mädchen, das er liebt, ist ihm wichtiger als jedes Wetter. Es gelingt ihm, zu fliehen – in letzter Sekunde dann auch mit Natsumi, die ihn auf dem Motorrad mitnimmt (und die sich inzwischen schlicht als Nichte von Keisuke erwiesen hat, der außerdem eine kleine Tochter hat, die er sehr liebt). In einem dramatischen Kraftakt gelingt es Hodaka, die letzte lange Strecke zu Fuß bis zu dem Hochhaus zu laufen, wo Hina einst ihre Fähigkeit bekommen hatte. Dort stoppt ihn zunächst Keisuke, der ihn hindern will, sein Leben zu ruinieren, weil er selbst kein bisschen daran glaubt, dass Hina wirklich ,zaubern’ konnte oder einfach so verschwunden sei. Hodaka muss ihn schließlich mit der Pistole bedrohen – dann aber kommt die Polizei hinzu, und jeder richtet die Waffen auf den anderen. In dieser Situation hilft ihm Keisuke ein letztes Mal, seinen Plan zu vollenden, und Hodaka rennt die letzten Treppen bis auf das Dach.

Hier springt er mit der innigen Bitte durch das Tor, Hina zurückzuholen. Er wird tatsächlich ins Wolkenreich geschleudert, wo er sie findet, und beide stürzen, sich aneinander festklammernd, wieder zur Erde und finden sich auf dem Dach wieder.

Hodaka erhielt drei Jahre auf Bewährung und musste auf seiner Heimatinsel die Schule beenden, dann kehrt er nach Tokio zurück – das, weil die Regenfälle unmittelbar wieder eingesetzt hatten, inzwischen halb in den Fluten versunken ist. Doch die Menschen richten sich irgendwie ein, und eine alte Frau sagt, ein großer Teil der Stadt habe ganz früher sowieso unter dem Meeresspiegel gelegen. Hodaka aber erblickt auf einer abgelegenen Straße Hina wieder – und sie eilen glücklich aufeinander zu...

Warum ein großartiger Film?

Der Film ist allein schon aufgrund seiner Bildgewalt ein Ausnahme-Kunstwerk. Nicht nur die Bilder von Tokio sind beeindruckend – und extrem wirklichkeitsgetreu –, sondern auch die Bilder des Regens, der Sonne, des Lichts. So erklärt die Japanologin Dinah Zank:[2]

„Der Film ist ein einziges, riesengroßes Kunstwerk.“ [...] Er gelte als der beste jemals produzierte Animationsfilm. [...] Regisseur Makoto Shinkai habe sehr großen Wert darauf gelegt, dass die Zuschauer das Tokio, in dem sie leben, wiedererkennen – „und zwar in jedem kleinen Detail“, so die Manga- und Anime-Expertin. In jedem Moment wisse man „exakt, in welcher Straße man ist – absolut phantastisch“.

Auch die ,Süddeutsche’ preist ,überwältigend schöne Bilder mit wunderbaren Lichtstimmungen’ und schreibt:[3]

Seit seinem Überraschungserfolg "Your Name" von 2016 gilt Makoto Shinkai als neuer Star des japanischen Animationsfilms und möglicher Nachfolger von Großmeister Hayao Miyazaki, der mit Filmen wie "Prinzessin Mononoke" oder "Chihiros Reise ins Zauberland" die künstlerischen Möglichkeiten von Anime neu definierte, Themen wie Umweltverschmutzung oder Kapitalismus in fantastischen Welten verhandelte.

Das lebendige Interesse an Anime-Filmen wurde in Shinkai übrigens gerade durch Miyazaki geweckt, und zwar durch dessen Film ,Das Schloss im Himmel’.[5]

Aber das Künstlerische ist nicht alles. Denn der Film ist vor allem auch eine verborgene und doch ganz offene Hymne an die Liebe – und an die Kraft der Liebe.

Die Gegenwart mit ihren allgegenwärtigen Bildschirmen ist fortwährend anwesend. Ebenso die anonyme Kulisse der Millionenstadt – eine Masse aus Stahlbeton und aus Menschen, in der man schlicht untergeht. Und doch hat jeder dieser Menschen sein individuelles Leben. Großartig, wie die Charaktere individualisiert sind: Keisuke als desillusionierter, alkohol-affiner Vierziger, der sich irgendwie durchschlägt. Seine Nichte Natsumi als selbstbewusstes Mädchen bzw. junge Frau, die einfach sagt, was sie denkt, manchmal ein bisschen oberflächlich wirkt (,krass’), aber ihr Herz auf dem rechten Fleck hat. Der junge Nagisa, für den der Umgang mit Mädchen wie erwähnt völlig normal ist.

Und mittendrin Hina, das freundlich-herzensgute Mädchen, das im Grunde doch nur sich und ihren kleinen Bruder ,durchbringen’ will, und Hodaka, der sich in dieses eine Mädchen unsterblich und unwiderruflich verliebt hat – mit seinem unglaublich unsicheren, schüchternen Wesen ihr gegenüber.

Gerade im Kontrast mit Nagisa wirkt dies heute geradezu ,lachhaft’, erst recht, wenn er den Jüngeren sogar noch als ,Lehrmeister’ verehrt. Doch dieser etwas humoristische Zusatz mag und darf sein – die Empfindungen Hodakas sind dennoch absolut authentisch. Lächerlich erscheint dies nur jenen, die die Tiefe und Zartheit solcher Empfindungen nicht mehr kennen und daher auch nicht verstehen. Für Hodaka ist diese eine Mädchen wie ein Heiligtum. Nur die Schüchternheit kennt die Kraft der Verehrung – und nur hier erreicht die Liebe ihre größte Tiefe. Wo die Begegnung der Geschlechter eine ,unverkrampfte Normalität’ gewinnt, wird auch die Liebe letztlich etwas ... Normales. Hodaka ist nicht ,verkrampft’, er ist in schüchterner Weise verliebt. Wer diese heilige Scheu vor dem geliebten Wesen nicht kennt, dem entgeht für immer etwas sehr Heiliges, Zartes und Tiefes, etwas Einzigartiges und Unwiederbringliches. Es ist die Essenz der Liebe.

Wetter, Klima und Magie

Mit seinem offensichtlichen Umweltthema hat der Film natürlich deutliche Bezüge zur unmittelbaren Gegenwart – und auch Shinkai selbst äußerte in einem Interview:[5]

There’s a few things that inspired us. I think the biggest thing was climate change. [...] Climate change really became a huge part of our lives and we see it here. Because every summer in Japan, we always have a lot of rain and water-related disasters because of it. [...] And then how do we live in this crazy world that we have created? And how do especially the young people live in this crazy world? That’s what I started thinking about when I started working on Weathering With You.

In einem anderen Interview erwähnt er, dass er nicht primär eine politische oder eine Umwelt-Botschaft vermitteln wollte, fügt aber gleichwohl beides zusammen, indem er andeutet, dass der Film durchaus auch ein Gegengewicht zu den immer egoistischer werdenden politischen Verhältnissen sein sollte:[4]

The first is that in Japan recently, there has been a lot more rain and disasters caused by rain, so looking at that I thought the time was right to make a film about the weather. And then when I started thinking about this film, it was around the end of 2016. So we had President Trump, we had the impeachment of the Korean president, and all these political things started happening. And looking at all these political events, I started thinking I wanted to make something with a theme of sacrifice. So one person taking on the desires of the whole population, shouldering these and then having to be a sacrifice in order for the world to regain its harmony.

Ein Opfer – echte Selbstlosigkeit. An dieser Stelle würde ich wiederum fragen wollen: Warum wohl ein Mädchen... Und natürlich habe ich, als zum ersten Mal der Name ,Sonnenscheinmädchen’ erklang, an meinen Roman ,Sonnenmädchen’ gedacht, wo ein Mädchen allein mit seiner inneren Sonnenkraft versucht, die Welt zu verändern und zu retten. Und in mehreren meiner Bücher habe ich geschrieben: Das Mädchen trägt den Himmel im Herzen.

Es ist also deutlich, dass reine Herzenskräfte und die Kräfte einer geistigen Welt miteinander tief verbunden sind. Da nun aber das Geistige auch in der Natur wirkt, ist es naheliegend, auch hier einen Einfluss der menschlichen Innenwelt auf die Natur zu erahnen. So liegt dann der Gedanke nahe, dass reine Herzenskräfte den Verlauf der ganzen Natur verändern können – spätestens dann, wenn das Gebet eines solchen Herzens von den Mächten des Himmels erhört wird. An diesem Punkt begegnen sich Mythos, Esoterik und Geisteswissenschaft.

Die frühere Menschheit erlebte die Naturkräfte noch als wesenhaft – wir haben heute jegliches Erleben dieser Art verloren und halten die Natur für rein kausal bedingt und den Menschen völlig abgetrennt davon, aber wir wissen auch nicht mehr, was der Mensch ist...

Dass die ,Natur verrückt spielt’, wenn die Innenwelt des Menschen immer ver-rückter wird, nämlich immer selbstbezogener und abkühlender (,cooler’, empfindungsloser, beziehungsloser), ist ein nicht allzu fern liegender Gedanke. Es wäre dann nicht nur das von einer hochgezüchteten Energieschleuder ,Zivilisation’ massenhaft produzierte CO2, das den Planeten wie ein Treibhaus umhüllt und die erkaltende und zugleich hitzig sich bekämpfende Menschheit materialistisch aufwärmt. Und auch das Hitzige der Gemüter auf Erden wäre nicht unabhängig von dem immer extremer und unvorhersagbarer werdenden Witterungsgeschehen.

Leichtigkeit und Tiefe

Was für ein Film ist ,Weathering With You’ nun? Zunächst einmal stellt Regisseur Shinkai fest, dass er durchaus einen Unterhaltungsfilm, einen sogar ephemeren ,Film für einen Sommer’ insbesondere für die heutige Jugend machen wollte:

With Weathering With You, I really made for it the 2019 young people living in Japan who watched it and I really felt like if they could enjoy for that one summer, that’s fine. If they forget about the movie the next year, that’s fine.

Hier hört man regelrecht ein Fehlen von Berühmtheitsstreben heraus. Und in der Tat ist es dieses künstlerische Element, das im japanischen Anime-Film (noch) lebt. Die japanischen Anime-Künstler schielen eben nicht nach dem großen Erfolg – ihnen geht es in erster Linie wirklich um den Film selbst. Auch von ,Anime-Meisterregisseur’ Miyazaki wird gesagt, er ,prefers to be more Japanese-centric. He doesn’t care about the global market’.[5] Dennoch zieht gerade diese Qualität auch Menschen aus dem hochkommerziellen Hollywood-Heimatland USA an, denn, so Shinkai:[5]

[...] USA fans like Japanese animation because it’s so director-centric [and not profit-centric, H.N.] and creatively more free. We do have the goal to be more like Hollywood and have this massive feel and make lots of money, too. But I think Japanese animation has always been made in this closed, very specific environment and then that style has become our strength now.

Dies zeigt doch eine Sehnsucht der Menschen nach echtem Charakter, nach etwas anderem als globalisiertem Einerlei. Dennoch hat das Anime-Genre außerhalb Japans noch immer nur einen begrenzten Interessentenkreis. In Japan wurde der Film innerhalb von drei Tagen von über einer Million Menschen gesehen und spielte letztlich über 120 Millionen Dollar ein[5] – in Deutschland sahen den Film dagegen gerade einmal rund 60.000 Besucher. Allerdings, ich habe dies schon bei früheren Besprechungen bemängelt, werden Anime-Filme hierzulande immer nur an ein, zwei isolierten Tagen gezeigt. Das Reden von der ,mangelnden Zielgruppe’ wird so zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die Meisterwerke der Filmkunst gelten auf diese Weise noch immer als Exotikum und werden kaum wahrgenommen.

Trotz aller ,Leichtigkeit’ sagt Regisseur Shinkai aber auch noch andere, sehr denkwürdige Sätze:[5]

I really do believe that animation should be for young people. The anxiety the young people feel, the fear, the admiration, everything, I really feel like animation enforces or enhances that emotion. So, my advice would be, “Keep the young heart that you have. [...]”

Auch wenn man es nicht wahrhaben will, ist dies doch entscheidender als unendlich viel anderes. Denn erst auf der Ebene der vertieften Empfindungen liegt die Lösung für die großen, drängenden Fragen der Gegenwart – denn dieser Weg führt langsam und allmählich wieder zum Herzen und zu etwas, was wir sehr, sehr verloren haben.

,Keep the young heart that you have.’

Das meint gerade nicht ,oberflächlich’ – es meint den Weg in die Tiefe.

Was ist wichtiger – die Welt oder eine einzige große Liebe?

Der Erfolg des Vorgänger-Filmes ,Your Name’ (2018) gestattete es Shinkai, diesmal eine ambivalente Story zu zeigen, ohne dass der Film ein völliger Flop wird. Denn würde es wohl den Japanern gefallen, ihre Hauptstadt in den Fluten untergehen zu sehen? Tatsächlich gefiel dies vielen Erwachsenen nicht. Doch die Jugend hatte damit weniger Probleme. Aber selbst in Deutschland wurde die Frage diskutiert – so heißt es in der schon zitierten Besprechung in der ,Süddeutschen’:[3]  

Leider kann die Story mit der Zeichenkunst nicht mithalten, sie ist immer wieder recht löchrig und schlicht. Dem noch größeren Thema des Films aber, dem Klimawandel, für den Shinkai mit dem Dauerregen und der im Meer versinkenden Stadt Tokio eindrucksvolle apokalyptische Bilder findet, ist er als Autor nicht gewachsen. Klar müsste der Einzelne Opfer bringen, wenn die Welt gerettet werden soll, das sagen auch seine Teenager. Dass Tokio untergeht, ist am Ende aber doch ziemlich wurscht. Es ist einzig die Liebe, die zählt. Nicht nur jugendliche Fridays-for-Future-Aktivisten dürften das befremdlich finden.

Diese Bemerkung ist heuchlerisch. Ein Künstler ist völlig frei darin, wie er das Innenleben seiner Figuren und die Story gestaltet – er braucht keine direktive inhaltliche Vorgabe, um einem Thema ,gewachsen’ zu sein oder nicht. Im Grunde ist Shinkais Version sogar schlichtweg genial – denn sie eröffnet überhaupt erst diese schmerzliche Frage.

Was also ist wichtig? Und ich stelle die Frage bewusst in dieser Form und nicht: Was ist wichtiger? Denn vielleicht ist schon dieses ewige, westlich-konkurrenzmäßige Vergleichen der Ur-Sündenfall, an dem alles zugrunde geht: die Liebe und die Natur, also tatsächlich alles, denn was bleibt außer diesen beiden noch?

Der Gedanke der Verpflichtung zum Opfer, den die Autorin der ,Süddeutschen’ hier suggeriert, führt direkt in heikle Gewässer hinein. Es ist abstrakte Philosophie, die sich Gedanken macht, was mehr wert sei – der Einzelne oder das Wohl des Ganzen. Und wenn das Ganze – hat der Einzelne dann nicht die Pflicht, sich zu opfern? Ja, er hat sie – so ist dann die unausweichliche Antwort. Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu dem berüchtigten: ,Du bist nichts, dein Volk ist alles!’ (Siehe dazu auch meine letzte Filmbesprechung über den Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstätter).

Erst, wenn man aus dieser Abstraktion, dieser Zwangslogik ausbricht, eröffnet sich wieder der freie Himmel – und die Sonne strömt neu herein. Der Einzelne ist zu nichts verpflichtet. Und nur das freiwillige Opfer hat überhaupt irgendeinen Wert. Jedes freiwillige Opfer aber ist eine Form der Liebe – denn niemand würde sich freiwillig opfern, wenn nicht aus Liebe. Und so schließt sich der Kreis. Es gibt überhaupt nicht die Alternative ,Liebe’ oder ,Opfer’, denn auch Opfer ist Liebe.

Sehr wohl aber gibt es die Frage: Liebe zur ganzen Menschheit oder Liebe zu einem einzigen Menschen? Ist Hodaka also egoistisch, wenn er Hina aus dem Himmel zurückretten will – und ihr Opfer damit rückgängig machen? Nein, denn selbst diese Frage ist hier unzulässig. Hodaka ist ein Liebender. Das ist etwas völlig anderes. Die alten Griechen wussten, dass ein Liebender nicht mehr ,Herr seiner selbst’ ist. Sie hielten einen solchen buchstäblich für verrückt. Heute ist uns viel bewusster, dass die Liebe eine höhere, eine heiligere Qualität als die bloße Ratio des stets seiner selbst gewissen und sich selbst beherrschenden Geistes ist. Goethe sagt: ,Die Liebe herrscht nicht, aber sie bildet, und das ist mehr.’ (Das Märchen).

Ver-rückt ist jener Mensch, der noch nicht die wirkliche Liebe kennt. Denn er ist nicht an dem inneren Ort, den der Mensch kennen sollte: dem Ort der Liebe. Was nützte alle Selbstbeherrschung und Herrschaft über die eigene Seele, wenn sie die Liebe nicht hätte? Es wäre doch nur ein tönernes Erz – so wusste Paulus nach seinem Christus-Erlebnis.
Die Liebe ist der heilige Mittelpunktsort des Universums. Wer sie verfehlt, der verfehlt alles.

Die falsche und die richtige Frage

Man kann den zweiten Schritt in der Liebe nicht vor dem ersten machen. Eine abstrakte ,Liebe zur ganzen Menschheit’ gibt es nicht. Entweder sie ist wirklich empfunden – oder sie ist nicht vorhanden. Niemand kann das Ganze lieben, der nicht zugleich das Einzelne wahrhaft liebt. Von Hodaka also zu verlangen, dass er auf den Versuch, Hina zurückzuholen, verzichten solle, beweist nur, dass man die Liebe noch gar nicht kennt, sondern bloß abstrakte Forderungen aufstellt. Hodaka liebt dieses Mädchen – und seine Liebe ist so groß wie die Überschwemmung Tokios, die folgt. Gegen eine solche Macht kommt man nicht an. Hodaka muss dies tun – oder er würde sein heiligstes Inneres verraten, die Liebe selbst.

Und Hinas Reaktion beweist, dass er Recht hatte – denn sie folgt ihm, voller Sehnsucht nach ihm. Von so viel Liebe ist auch sie überwältigt – ein Mensch folgt einem anderen bis in den Himmel, bis ins Jenseits! Vorher hat sie Hodaka nur gern gehabt, sehr gern sogar, unendlich gern – jetzt aber liebt auch sie.

Hina hatte sich geopfert, weil in ihrem Herzen nur das Gute lebte. Ein solches Herz kann willig von und aus der Welt scheiden, wenn es weiß, dass es allen anderen dann besser geht. Aber sie hat diese Rechnung ohne Hodaka aufgestellt – denn ihm ging es danach nicht nur schlechter, er kann und konnte ohne sie überhaupt nicht leben. Die Rechnung ging also nicht auf. Sie hat falsch gerechnet. Und zwar nicht nur in Bezug auf Hodaka, sondern auch auf alle anderen Menschen. Denn diese hätten erleichtert die Sonne wiederbegrüßt – und dann so weitergemacht wie bisher. Hinas Opfer hätte zwar die Welt gerettet – aber die Menschen hätten es gar nicht bemerkt. Und so wäre ihr einzigartiges Liebes-Opfer nur der Bequemlichkeit und der Ignoranz der Menschen entgegengekommen und hätte nichts bewirkt.

Schon die Hochhausfronten in Tokio, die teilweise übersät sind von Leucht- und Blinkreklamen, offenbaren die völlige Sinnlosigkeit des modernen Lebens. Denn diese Lichter flackern sinnlose Botschaften in Augen, die schon längst nichts mehr davon erblicken. Es ist, wie man inzwischen sagt, ,Lichtverschmutzung’, Neonmüll, nichts weiter. Es ist eine Verschandelung der Welt, die täglich ihren Werbe-Schmutz wie Gift in die Seelen sät. Früher ,warb’ ein Menschen um den Anderen, als es um reine Liebe ging. Heute ist ,Werbung’ degeneriert zum hässlichen Antlitz des Mammon. Ehe wir uns nicht aus dessen Klauen befreien, hat ein einsames Liebes-Opfer gar keinen Wert – das eigentliche Opfer müsste gerade aus diesem Gefängnis befreien. In diesem Sinne habe ich auch meinen Roman ,Sonnenmädchen’ geschrieben.

Es wäre viel gewonnen, wenn Zuschauer und Rezensenten erkennen würden, dass Hodakas Tat nicht egoistisch war, sondern dass seine Liebe jenseits von Egoismus, Altruismus und sämtlichen anderen Kategorien steht. Natürlich erscheint die Tat eines Einzelnen (weil jede Tat die eines Einzelnen ist) selbst-bezogen. Ist sie aber von Liebe bewegt, steht sie außerhalb jedes Kriterienkataloges – denn die Liebe ist selbst Essenz der Welt. Sie kann nicht beurteilt werden – oder aber das Urteil wäre lieb-los. Nicht Hodakas Tat also war lieblos, sondern der Versuch, seine Tat zu beurteilen, wäre es.

Hina war mehr wert als alles Wetter – das war Hodakas sichere, unerschütterliche Erkenntnis. Hinas Urteil war: Ich bin weniger wert als das Glück aller Menschen, also kann ich mich opfern. Hodakas Urteil aber ist: Du bist mehr wert. Die Menschen können sich einrichten. Es ist nicht deine Schuld, dass das Wetter verrücktspielt. Du darfst dich nicht opfern. Es ist sinnlos. Ich ertrage es nicht. Die Menschen können sich einrichten. Ich könnte es niemals...

Und dieses Eine: Du bist mehr wert. Du bist mehr wert als jedes Wetter. Dieses Eine ist das, was schon im Titel lebt – dieses große ,Du’. ,Weathering With You’. In diesem Du liegt die ganze, unvergängliche, unendliche Liebe eines einzelnen Jungen zu einem einzelnen Mädchen. Also wiederum – die Essenz der Welt.

Wenn wir dies einmal in seiner ganzen Tiefe begreifen würden – die ganze Welt würde sich ändern...

Quellen

[1] Wikipedia: Weathering With You – Das Mädchen, das die Sonne berührte.
[2] Fantastische Fabel über den Klimawandel. www.deutschlandfunkkultur.de, 15.1.2020.
[3] Martina Knoben: Und nun zum Wetter. Süddeutsche.de, 15.1.2020.
[4] Interview with Makoto Shinkai, writer & director of ‘Weathering With You’. The Hollywood News, 13.1.2020.
[5] INTERVIEW: Makoto Shinkai, Director, “Weathering With You”. www.animationscoop.com, 5.11.2019.