19.06.2021

Beuys – Ausnahmekünstler und noch immer absolut unverstanden

Gedanken zur Ausstellung im Hamburger Bahnhof.


Inhalt
Beuys – oder: was ist Eurythmie?
Steiner und die Ignoranten-Keule
Zwei Schweigen und das Leben der Sprache
Begriffsleichen und lebendiges Denken
Eine neue Kunstgattung?
Beuys’ Geheimnis – verschüttet
Wie Orwells Neusprech
,Lass die Toten...’
Die ,ewige’ deutsche Schuld
Beuys


Beuys – oder: was ist Eurythmie?

Beuys wurde vor einem Jahrhundert geboren – und in diesem Jahr gibt es viele Ausstellungen rund um diesen Ausnahmekünstler, ebenso wie Kritik.

Es macht tief betroffen, wie wenig Beuys oft verstanden wird – von vielen im Grunde gar nicht. Und es ist traurig, wie ebenso vielfach nicht einmal Kunstwissenschaftler irgendeinen echten Zugang zu Beuys, seinen Impulsen und seinem Denken finden.

Der Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst in Berlin zeigt die Ausstellung ,Von der Sprache aus’. Ich möchte in diesem Aufsatz einen Blick auf den Katalog-Aufsatz der Ausstellungskuratorin Nina Schallenberg (,Von der plastischen Kraft der Sprache und ihren Grenzen’, S. 8-18) und dann auf Beuys’ 1985 gehaltenen Vortrag ,Reden über das eigene Land: Deutschland’ (S. 20-29) werfen.[1]

Sie beginnt mit dem Zitat von Beuys in dessen Vortrag, dass sein Weg ,durch die Sprache’ ging und ,nicht von der sogenannten bildnerischen Begabung aus[ging]’. Dass Beuys Sprache selbst als einen plastischen Prozess begreift, führt schnell zu Rudolf Steiner, mit dem ,sich Beuys spätestens seit den frühen 1950er-Jahren beschäftigte’ (S. 8).

Steiner selbst begründete ja die Eurythmie, die Sprache in Bewegung sichtbar macht, und er bezeichnete insbesondere die deutsche Sprache als eine plastische: ,Der Genius der deutschen Sprache ist eigentlich ein Bildhauer’ (S. 9). Wenn auch Beuys in seiner Rede die Genialität der deutschen Sprache hervorhebt, so schließt dies für Schallenberg in seiner ,Wortbedeutung – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Implikationen von Steiners teilweise rassistischen Theorien – Vorstellungen von natürlicher Überlegenheit und Ausgrenzung ein’, und ,diese politische Dimension seiner Münchner Rede’ werde in der Literatur ,häufig ausgeklammert’.

Schon hier beginnt erneut etwas sehr Trauriges. Unglaublich rasch werden hier Linien gezogen von Beuys’ Verwendung des Wortes ,Genialität’ zu Steiners ,Genius der Sprache’ zu angeblich ,teilweise rassistischen Theorien’ zu ,Vorstellungen von natürlicher Überlegenheit und Ausgrenzung’. Ein einziges Wort wird über drei Ecken völlig in den Sumpf gezogen – und der, der es verwendete, gleich mit. Wie ist so etwas möglich? Wie kann das eigene Gewissen hier mitmachen? Wer gibt einem das Recht, gleichsam in völliger Sorglosigkeit schwerste Urteile zu fällen? – Es gibt Gesellschaftsspiele, wo die Aufgabe ist, durch drei Assoziationsschritte bei irgendeinem vorher festgelegten beliebigen Begriff zu landen. Es ist schlichtweg immer möglich. Man kann in drei Schritten stets noch von dem Leuchtendsten zu dem Finstersten kommen. Damit aber ist der völligen Beliebigkeit das Feld eröffnet – ja sogar der Böswilligkeit. Wenn man es will, kann man einem Menschen immer das Schlimme unterstellen. Immer. Das ist keine Kunst – und hat leider sehr, sehr viel mit dem Wesen der Fake-News gemeinsam.

Steiner und die Ignoranten-Keule

Und wenn wir auf Steiner blicken, so ist es beschämend, wie leichtfertig auch hier Urteile gefällt werden – über einen Menschen, den man gar nicht kennt. Es ist ja bekannt, dass inzwischen unzählige selbsternannte Steiner-Gegner, aber dann eben auch Epigonen und Nachplapperer immer wieder die ,Rassismus-Keule’ herausholen – und zwar, das ist leider an ganz vielen Punkten immer wieder offensichtlich, allein schon aus einer bodenlosen Faulheit heraus, weil sie Steiner nie selbst im Original gelesen haben. Wenn man aber von seinem Hunderttausend-Seiten-Werk (über dreihundert Bände Gesamtausgabe) nicht einmal, sagen wir: eintausend Seiten selbst gelesen hat – was gerade einem einzigen Prozent (!) entsprechen würde –, wie kann man dann glauben oder sogar behaupten, man würde Steiner ,kennen’? Aber man spricht von ,teilweise rassistischen Theorien’, weil sich das heute immer gut macht. Shame on you, menschliches Gewissen, wo auch immer du dies mit dir machen lässt!

Die Wahrheit über Rudolf Steiner ist eine durchaus andere. Ja, Steiner sah keine Zufälle. Er sah keinen Zufall darin, dass der Deutsche Idealismus und solche Geister wie Goethe, Schiller, Fichte, Novalis, Schelling, Hegel sich eben gerade in der deutschen Kultur verkörperten. Und dass die Kultur etwa der amerikanischen Ureinwohner unterging, weil die Zeit der Naturspiritualität vorbei war und die Zeit der Verstandeskultur anbrach. So, wie Indien eine ungeheure geistig-spirituelle Kultur hervorbrachte, als die Zeit seiner Epen war, dann der persische Raum mit seiner Zarathustra-Religion, die noch bis hin zum Manichäismus inspirierend wirkte, schließlich die griechisch-lateinische Kulturepoche – überall sah Steiner Kräfte am Wirken, in denen eine tiefe Notwendigkeit und auch gesetzmäßige Abfolge lag, weder Zufall noch Beliebigkeit.

Das hat aber mit Rassismus nicht das Geringste zu tun! Es sind objektive Kräfte, die gegenwärtig zu einer Kultur geführt haben, die an Verstand, man kann sagen, geradezu ,erstickt’. Die ,Indianer’ sind nicht ,minderwertig’, erst recht nicht für Steiner, sie hatten nur, weltgeschichtlich gesprochen, ,keine Chance’. Denn es setzte sich eine Kultur, eine Denk- und Bewusstseinsart durch, die anderes vernichtete: die Verstandeskultur. Das Bewusstsein müsste heute sogar längst weiter sein, ist auch weiter, doch die meisten Menschen wollen dies nicht begreifen und anerkennen.

Rudolf Steiner hatte für die heutige Kultur gleichzeitig schärfste Kritik, aber auch dies will man nicht sehen. Lieber spricht man also von ,teilweise rassistischen Theorien’. Doch die Stellen, die man ,heute als rassistisch verstehen könnte’ (!), wie es die kritischen Studien formulierten, belaufen sich ja im Kern auf vielleicht zwei Dutzend! Zwei Dutzend von hunderttausend Seiten! Das sind 0,03 Prozent. Es ist im Grunde jenes Haar in der Suppe, auf das sich Steiner-Gegner immer wieder berufen, weil die 99,97 anderen Prozent sie zu sehr daran hindern würden, ihr bisheriges Leben einfach weiter zu führen. Lieber die Keule für Steiner als eigene Veränderung und innere Entwicklung im wirklich geistigen Sinne. Man leugnet, dass Steiner die Vernichtung der Indianer niemals gutgeheißen hat – und man selbst akzeptiert ja ebenfalls müde den Status Quo! Die Urteile über Rudolf Steiner sind moralisches Falschgeld, man stellt sich über einen Menschen mit Methoden der ,Bild’-Zeitung. Es kostet ja nichts – es ist billig, und man kann sich profilieren.

Zwei Schweigen und das Leben der Sprache

Im Abschnitt ,Schweigen’ schreibt Schallenberg: ,Für Beuys kann das Schweigen innerhalb einer Gesellschaft eine zersetzende Wirkung haben, die im Fall nicht angesprochener Probleme und offener Fragen ihren Gang nimmt.’ Das ist eine unmittelbare Wahrheit. Für Beuys war die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht längst Todesprozessen verfallen – genau wie für Steiner. Erstarrend in etwas, was längst aufgebrochen werden müsste in Richtung des Neuen.

Etwas später schreibt sie: ,Wenn Beuys in seinen Aktionen das Mittel des Schweigens selbst einsetzte [...] dann häufig, um den Gedanken einer Einheit von Körper und Geist zum Ausdruck zu bringen.’ Das allerdings ist noch die Frage. Mit Sicherheit aber arbeitete Beuys mit dem Schweigen, um im miterlebenden ,Betrachter’ die eigene innere Tätigkeit in Gang zu setzen. In einer Aktionskunst das Element des Schweigens einzubinden, hat etwas von größter Intensität – es ist gerade nicht lähmend und gelähmt, sondern zutiefst aktiv und aktivierend. Es ist kein Todes- und Tot-Schweigen, sondern ein Ins-Leben-Schweigen, mehr noch: der Punkt des Schöpferischen selbst, das Nichts, in dem das All liegt, der Ur-Sprung. Wie kann man diesen wesentlichen Punkt nicht spüren?

In Bezug auf die Eurythmie schreibt Schallenberg: ,Für Steiner war die Sprache der westlichen Welt entseelt und auf materielle Aspekte fokussiert. In der Bewegung des Körpers, insbesondere der Hände und Arme, lag für ihn die Möglichkeit einer Sprache, die der menschlichen Seele unvermittelt Ausdruck verleihen konnte.’ Das ist leider erneut mindestens zur Hälfte völlig falsch, denn die Eurythmie sollte gerade etwas von allem Subjektivem und Individuellem Befreites sichtbar machen – das plastisch-gestaltende Element der Sprache selbst, gleichsam ihren Ätherleib. Das, was an Sprache objektiv ist, bevor sie individuell oder auch seelisch wird.

Dass die Sprache der Verstandeskultur wie diese selbst entseelt ist, ist etwas ganz anderes. Seele aber kann ihr überhaupt erst wieder verliehen werden, wenn die reale Seele des Menschen sich selbst ergreifen lernt, um wahrhaft an-wesend zu sein, voll und ganz. Rudolf Steiner verglich diesen Prozess teilweise mit dem ,Erwachen eines zweiten Menschen in einem’ oder mit einer ,zweiten Geburt’. Wird man aber der objektiven Bildeprozesse der Sprache, ihrer Laute, des unterschiedlichen Wesens dieser Laute und so weiter gewahr, so konzentriert sich in der inneren denkend-wahrnehmenden Eigentätigkeit so viel Kraft (oder auch: Wille), dass diese ,Geburt’ im Grunde bereits begonnen hat.

Die Eurythmie hat also mit der Seele des Menschen zunächst überhaupt nichts zu tun – sondern gerade mit der Seele und dem Leben der Sprache. Und erst auf dem Wege, dieses zu erleben, gewinnt auch die menschliche Seele selbst wieder echtes Leben und kann zu einem Erwachen kommen: einem Erwachen zu ihrem eigenen Wesen. Das ist der Zusammenhang. Bei Schallenberg wird dieses, wie so vieles, geradezu völlig zugedeckt und verschüttet, weil nicht einmal im Ansatz begriffen. Und das ist das Traurige: Es wird über Dinge geschrieben, die nicht verstanden wurden, aber es entsteht das Schein-Kleid des ,Verstandenen’ – und unzählige Menschen werden diese Irrtümer gläubig, da sie ja von einer offiziellen Wissenschaftlerin kommen, übernehmen. Das Verbreiten unwahrer Dinge lädt einem eine ungeheure Verantwortung auf. Man ist nun Teil des Gespinstes von Unwahrheiten, die sich über einen bestimmten Menschen legen, ohne dass er sich noch wehren kann.

Begriffsleichen und lebendiges Denken

Im Abschnitt ,Begriffe’ zitiert Schallenberg Beuys: ,[...] Begriffe werden nach einem halben Jahr absolute Leichen sein, wenn sie nicht ernährt werden durch die Imagination [...].’ Konsequenzen ergeben sich ihr hieraus nicht – und auch das ist leider wieder schmerzlich symptomatisch: Ein solcher Satz wird überhaupt nicht weiter erklärt, weil sie es auch gar nicht könnte. Sätze wie dieser sind aber Zentralsätze, die verstanden werden müssen, wenn man Beuys verstehen will – vielleicht will man es ja gar nicht.

Heute weiß man weder, was ein Begriff ist, noch was eine Begriffsleiche ist, noch was Imagination ist – oder ,Ernährung’ eines Begriffes. Das aber kennzeichnet die Leichenhaftigkeit unseres Denkens selbst. Wir denken nämlich gar nicht – wir haben nur noch Gedanken, und meistens sind dies eben Gedankenleichen, nein immer. Lebendige Gedanken können nur von einem lebendigen Denken hervorgebracht werden. Ein lebendiges Denken aber muss von einem lebendigen, seiner selbst bewussten Bewusstsein aktiv-tätig gegenwärtig hervorgebracht werden. Das ist Auferstehung. Hier erst beginnt das wahrhaft menschliche Leben. Das ist der Punkt, an den Rudolf Steiner den Menschen fortwährend führen wollte. Und bei Beuys ist es im Grunde genauso, hier spezifisch mehr auf das Mysterium der ,sozialen Plastik’ bezogen.

Echtes Denken wird so intensiv, dass es lernt, die Kräfte zu erleben – die in allem wirksam sind. In Todesprozessen. In schöpferischen Prozessen. In der Natur und ihrem Wachsen. In Machtprozessen, in repressiven, lähmenden, kontrollierenden Prozessen. In freilassenden, in zum Schöpfertum anregenden, in liebevoll begleitenden, in tragenden, in unendlich vielen Prozessen. Echtes Denken wird zugleich fühlend – und auch damit wiederum überhaupt erst wahrhaft menschlich, im Sinne dessen, was der Mensch an diesem Punkt seiner Entwicklung (als Menschheit) erringen muss, wenn er nicht in einer Nicht-Entwicklung erstarren will. Und vieles in unserer Kultur ist auf diese Erstarrung gerichtet. Auf Prozesse, die mit innerem Aufwachen und innerer Schöpferkraft nicht mehr das Geringste zu tun haben, im Gegenteil.

Auch das meiste wissenschaftliche Denken ist heute tot. Die meisten Kunstwissenschaftler töten Künstler, anstatt sie wirklich erlebbarer zu machen. Sie deuten, stellen Querbezüge her, kategorisieren, interpretieren – aber oft kratzen sie so sehr an der Oberfläche, dass all ihr Schreiben von dem Künstler zutiefst entfernt. Beuys würde man verstehen, wenn man das Sprechen vom toten Denken verstehen würde – tut man es nicht, bleibt einem auch Beuys verschlossen. Die Frage ist: Wieviel Willen bringt man auf, um einen Künstler wirklich zu verstehen? Andernfalls macht man sich nur mitschuldig am Weben seines Leichentuches – das sich über ihn legt wie ein Sargdeckel. Und alles scheinbar erhellende Geschreibe sind nur die Sargnägel, so wenig man dies wahrhaben will.

Eine neue Kunstgattung?

Schallenberg schreibt: ,Ein Ergebnis seiner begrifflichen Arbeit [...] war die Erweiterung von Begriffen. Zu den bekanntesten zählen Formulierungen wie erweiterter Kunstbegriff und Soziale Plastik.’ Aber selbst diese Kleinigkeiten stimmen einfach nicht! Eine ,Formulierung’ ist nun einmal kein Begriff! Es wird eben nicht verstanden, was wirklich ein Begriff ist. Schallenberg: ,Während erstere [Formulierung] über die Kunst hinaus jede bewusst ausgeführte menschliche Tätigkeit umfasst, definierte Beuys komplementär dazu mit letzterer eine neue Kunstgattung.’

Hier geht leider alles heillos durcheinander. Beuys definierte gar nichts – die echte Erweiterung von Begriffen ist überhaupt erst da möglich, wo das linear-tote Denken in ,Definitionen’ verlassen wird. Definitionen umreißen Totes. Das lebendige Denken braucht keine Definitionen mehr, denn es erfasst die Wirklichkeit. Rudolf Steiner wehrte sich gegen Definitionen, weil sie das Lebendige niemals erfassen können. Was es braucht, sind ,Wegweiser’, Umschreibungen, die das Denken in Bewegung zu setzen in der Lage sind – damit auch der Andere die gleiche innere Reise macht, die das Wirkliche findet.

Beuys erweiterte nicht den Kunstbegriff (durch eine neue Definition), sondern er schuf ein Verständnis und ein Bewusstsein dafür, dass der Kunstbegriff erweitert werden muss, um zu der Erkenntnis zu kommen, dass der Kunstbegriff bisher viel zu eng, zu schematisch gefasst war, weil im schöpferischen menschlichen Handeln selbst der Ursprung dessen liegt, was Künstlertum eigentlich bedeutet – denn es bedeutet Schöpfertum. Jeder Mensch ist dazu fähig, schöpferisch zu werden – deswegen ist jeder Mensch ein Künstler. Der Begriff ,Künstler’ im engeren Sinne dagegen ist eine völlig unzulässige Verkürzung des Begriffes, damit ein Un-Begriff, der die Wirklichkeit gerade verdeckt und vernebelt. So gesehen hat Beuys überhaupt nichts erweitert – sondern nur etwas freigelegt. So, wie es geheimnisvoll jeder Plastiker tut, der enthüllt, was sich aus dem Material heraus offenbaren will.

Indem Schallenberg behauptet, Beuys habe mit der sozialen Plastik ,eine neue Kunstgattung’ geschaffen, verfällt sie doch wieder völlig in den alten Kunstbegriff, den Beuys gerade überwunden hat. Die ,soziale Plastik’ ist keine neue Kunstgattung, sie ist das Ende aller Gattungen, denn sie ist die wahre Erfüllung des Begriffes ,Kunst’, weil erst in ihr sichtbar wird, dass jeder Mensch ein Künstler ist – also die Wahrheit. Das Mysterium der ,sozialen Plastik’ gab es schon immer – es wurde nur nicht erkannt. Beuys definierte keine neue Kunstgattung, er enthüllte eine immer gegenwärtige Wirklichkeit. ,Soziale Plastik’ ist immer da, ,wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind’. Und sie müssen nicht einmal wissen, dass es so ist. Sie müssen nur Teil dieser Wirklichkeit sein. Das Mysterium des Sozialen wahr-machen. Das Geheimnis des guten Willens, in seiner Realität.

Beuys’ Geheimnis – verschüttet

Im Abschnitt ,Geheimnis’ schreibt Schallenberg:

Im Februar 1985 stellte Beuys in einem Gespräch mit Michael Ende fest, dass Bedeutungsoffenheit ein größeres Verstehen bewirken kann als Eindeutigkeit: ,„Kunst ist nicht zum Verstehen da. […] Aber in der Sozialen Kunst muß man etwas verstehen, das heißt, da müssen die Begriffe gefaßt werden. [...]“ [...] Mit dem Schriftzug „Make the secrets productive“ [...] fordert er wiederum dazu auf, den Umgang mit Geheimnissen in einen schöpferischen Akt münden zu lassen.’

Leider nur ist dieser Akt bei Schallenberg nicht zu finden. Er bestünde schon darin, das Denken eines anderen Menschen wirklich zu verstehen, indem man es gleichsam kongenial und in ebensolcher innerer Aktivität ebenfalls verwirklicht, mit ihm verstehend eins wird. Aber Schallenberg bleibt Beuys ganz, ganz fern. Schmerzlich wäre dies in jeglichem Text. Schmerzlicher ist es in einem Katalog, der unzählige Menschen erreichen und über Beuys ,informieren’ soll. Zutiefst schmerzlich ist es in einem Buch, das Beuys gewidmet sein soll. Als Jubiläums-Gabe. Es ist ein Danaer-Geschenk – ein Messer in den Rücken.

Schallenbergs Aufsatz endet mit dem Abschnitt ,...und ihre Grenzen’, in dem sie all das Vorherige (Schweigen, Laute, Begriffe, Geheimnis etc.) wieder relativiert, aber erneut nur traurigerweise die Grenzen ihres eigenen Verstehens offenbart. Ich zitiere längere Passagen (S. 16-18):

Die gleich zu Beginn seiner Rede getroffene Feststellung einer „Wunde“, der er im weiteren Verlauf Bilder von Krankheit und Sünde hinzufügte, seine Besinnung auf das plastische Potenzial der Sprache, die er als Chance für „Auferstehung“ und „Heilung“ sah: All dies lief, so Beuys, darauf hinaus, mithilfe eines auf seinen Ursprung zurückgeführten sprachlichen Ausdrucks die „im Rassistischen treibenden Umtriebe, schrecklichen Sünden, nicht zu beschreibenden schwarzen Male“ der Vergangenheit und Gegenwart zu überwinden – und zwar mithilfe der Kunst. Einer „Kunst, die mich zu einem Begriff des Plastischen geführt hat, der im Sprechen und Denken beginnt, der im Sprechen erlernt Begriffe zu bilden, die das Fühlen und Wollen in die Form bringen können und bringen werden [...].“
[...] Wie der Gang durch die Ausstellung zeigte, liegt Beuys’ Sprachbegriff der von Steiner inspirierte Versuch zugrunde, die Sprache dem Logos, der Rationalität und der Genauigkeit zu entziehen und sie stattdessen dem Körper, dem Gefühl und dem Unsagbaren zuzuschlagen. Seine stummen oder lautlichen Aktionen, seine metaphorischen [...] Formulierungen, seine kreisenden, von Kettensätzen bestimmten Diskussionsbeiträge veranschaulichen, dass das Ziel seiner Sprache und seines Sprechens nicht in der klaren und eindeutigen Definition von Inhalten liegt. [...]
[...] Dies sollte eine Sprache sein, die mit neuen Begriffen ein reines Gefühl zum Ausdruck brachte. Ein solches Bild erinnert an die Rede von der „Stunde Null“ [...]. [...] Die Münchner Rede zeugt davon, dass er bis Mitte der 1980er-Jahre an einem unbestimmten Ursprungsgedanken festhielt und der Einsicht fernstand, dass der Kontinuität rassistischer Gesinnungen nicht mit einer vermeintlich neuen, dem Logos und der Klarheit abschwörenden Sprache beizukommen ist. [...]
So wichtig Beuys’ Konzept der plastischen Kraft der Sprache und seine damit verbundene plastische Theorie für die künstlerischen und kulturellen Entwicklungen bis in unsere Gegenwart auch sind, so deutlich zeigen sich doch die Grenzen seines Sprachbegriffs, wenn es um den Umgang mit der deutschen Geschichte geht. Angesichts des Vergangenen kann es keinen von Schuld befreiten Ursprung geben. Unzählige rassistisch motivierte Äußerungen und Taten unserer Gegenwart, die in den letzten Jahren immer lauter vorgetragenen Relativierungen nationalsozialistischer Verbrechen zeigen, dass keinesfalls ein Bruch mit dem Vergangenen vollzogen wurde. Stattdessen gibt es eine Kontinuität antisemitischen und rassistischen Denkens und Handelns, dem unter anderem nur mit klaren Worten begegnet werden kann.

Wie Orwells Neusprech

Hier geht unendlich viel durcheinander – und versinkt in heillosem Unverständnis, während der Eindruck entsteht und gleichsam wie eine Essenz zurückbleiben soll, Beuys leugne die ,ewige deutsche Schuld’. Dies offenbart jedoch zunächst nur eines: die Schuld einer Kuratorin, einen Ausnahmekünstler nicht verstanden, aber mehr noch, für andere Menschen geradezu verschüttet zu haben. Auch dies ist eine Art geistiger Totschlag. Materialisten sind es natürlich gewohnt, dergleichen zu belächeln – weil sie nicht begreifen, um welche Realitäten es hier geht. Aber man kann einen Menschen umbringen, und es bleibt sein Denken. Wenn man aber sein Denken verschüttet, weil man es verzerrt und bis zur Unkenntlichkeit ,wiedergibt’, zerfasert, sich gleichsam in äußere Phänomene verliert, ohne die Essenz zu erfassen – dann bleibt nichts übrig, außer erschütternde Fehlurteile, die sich in unzähligen Menschen fortsetzen werden, die Beuys vorher nicht kannten – und nachher noch weniger kennen, weil sie ihn brutal ver-kennen.

Schallenbergs Ausführungen in diesem letzten Abschnitt sind nicht nur inhaltslos, sie sind grob verfälschend – wie ein ,Neusprech’ bei Orwell, nur mit dem Unterschied, dass in diesem dystopischen Roman die lügenhafte Sprache bewusst geschaffen wurde, während Schallenberg einfach nur fern von Beuys – sich ermächtigt meinend in dem leichtfertigen Glauben, irgendetwas verstanden, erkannt oder richtig gedeutet zu haben – Unwahrheiten über ihn und erneut auch Rudolf Steiner verbreitet. Das aber schützt nicht vor der objektiven Schuld, die man damit auf sich lädt.

Steiner zu unterstellen, er habe ,die Sprache dem Logos, der Rationalität und der Genauigkeit’ entziehen und sie ,stattdessen dem Körper, dem Gefühl und dem Unsagbaren zu[]schlagen’ wollen, ist ein trauriger Gipfel an Nichtbegreifen – es entzieht die Wahrheit selbst jeder Erkennbarkeit und setzt an ihre Stelle eine völlige Unwahrheit. So macht Schallenberg genau das, was sie Steiner vorwirft. Mit den scheinbaren Mitteln der Rationalität verbreitet sie Nebel und Unwahrheit, völlige Falschheit, nicht einmal nur Irrationalität und Ungenauigkeit, sondern absolut Falsches. In der Eurythmie werden mit Hilfe des Leibes die Mysterien und Gesetze der Sprache sichtbar gemacht – indem man sich mit der Eurythmie beschäftigt, wird ein ungleich erhöhtes Bewusstwerden für die Sprache erreicht. Für die Qualitäten harter und weicher Laute, für die Tatsache, dass gerade das Vokalische Raum für Seelisches eröffnet, für das Wesen jedes einzelnen Lautes. Hier davon zu sprechen, dass Logos und Genauigkeit gleichsam ,abgeschafft’ werden sollen, ist geradezu infam – es ist eine Pervertierung der Wirklichkeit, es ist pervers. Für jeden, der sich ,mit der Materie befasst’ hat, wirklich befasst, ist es pervers, man kann es leider nicht anders sagen.

Die Eurythmie ist eine Reise in die Sphäre des Wirklichen – in ihr begegnet man (dies ist zumindest die reale Möglichkeit für jeden Einzelnen) dem Wesen des Logos. Hier hören die Dinge auf, eine tote Klarheit, Definierbarkeit und ,Schubladenmäßigkeit’ zu haben, aber das bedeutet nicht, dass ihre Rationalität und Genauigkeit verschwindet. Sie wird unendlich größer. Wann erkennt man wohl wirklicher? Wenn man abstrakt umrissen einen Steckbrief über einen Menschen liest – oder wenn man ihn liebt und mit ganzer Seele erkennt? Genauso ist es auch mit einem lebendigen Erleben, das bis in das Wesen der Sprache eintaucht, statt nur tot und abstrakt über sie zu ,räsonieren’. Im wirklichen Eintauchen geht das klare Bewusstsein nicht verloren, denn es wird vorher gestärkt, Steiner hat dies wieder und wieder betont und nichts als scharfe Kritik für jene übrig gehabt, die nur ,schöne Gefühle’ oder dergleichen haben wollten.

,Lass die Toten...’

Und wenn Schallenberg über Beuys schreibt, das Ziel seines Sprechens liege nicht in der klaren und eindeutigen Definition von Inhalten, könnte man fragen, ob sie den Juristen als Ideal des wahrhaft Menschlichen sieht. Es ist verständlich, dass Beuys’ Sprache zunächst verwirren kann. Nicht verständlich aber ist, dass man sich nicht einmal auf den Weg macht, sie begreifen zu wollen. Das Gleiche widerfährt auch Steiner immer wieder. Man ist einfach nicht bereit, sich einzulassen. Dann aber kann auch nichts geschehen – man wird der Gleiche bleiben, der man immer war. Steiner war sich bewusst, dass durch ein totes Denken nichts mehr zu verändern ist. Beuys hat dasselbe auf seine Art in Worte gefasst. Verstehen wollte man weder ihn noch Steiner. Wer heute noch sein Denken verwandeln will, der muss sich auf die Art des Denkens und Sprechens bei Steiner oder auch Beuys einlassen. Wer das nicht will, der soll es sagen – aber nicht behaupten, Steiner oder Beuys sei es nicht um Klarheit gegangen. Um diese ging es ihnen letztlich mehr als jedem anderen!

Christus sagte: ,Lass die Toten ihre Toten begraben.’ (Lk 9,60). Man kann das Denken nicht ändern durch ein ,Mehr vom Gleichen’. Wer nicht bereit ist, Steiner oder Beuys auf dem Weg eines scheinbaren ,Schwammiger-Werdens’ zu folgen, dessen Denken wird nie in Bewegung kommen, und damit wird die größere Klarheit, nämlich das Durchbrechen zu einem Erleben von Realitäten, von echten Wirklichkeiten, immer verborgen bleiben. Man wird das Reden von ,Unklarheit’ und anderem immer und immer wiederkäuen, es ist schon jetzt ein alter Hut – aber man macht sich über den Hut von Beuys lustig! Auch das ist Tragikkomödie. Steiner würde sagen: Weltenhumor. Es ist zugleich der Hochmut der toten Ratio, die es verschmäht, sich auf den Weg des lebendigen Logos zu machen. Die Verstandeskultur hat den Logos gekreuzigt – und im Brustton der Überzeugung behauptet sie, es gibt nichts anderes als dieses Tote, das sie geradezu anbetet. ,Lass die Toten ihre Toten begraben.’

Beuys aber wollte in jedem toten Denken den Menschen erwecken – jenen Menschen, der er sein könnte, wenn er aufhören würde, sich mit dem Toten zufriedenzugeben und nur an diesem festzuhalten, ja zu klammern.

Beuys hat keine ,Kettensätze’, er spricht eigentlich mit einer erstaunlichen Klarheit, jeder Gedanke ist glasklar, wenn man erst einmal begriffen hat, wovon er spricht. Ja, seine Sätze sind lang, aber ,Kettensätze’ ist selbst bereits schon eine Wortwahl, die die eigene Faulheit dokumentiert, gerade hier innerlich zu folgen. Zehn-Wort-Sätze verstehen kann jeder – und es zementiert den toten Verstand, das nicht mehr entwicklungsfähige, tote Denken. Den bloßen Intellekt. Deswegen hat Beuys von diesen Standardsätzen radikal Abschied genommen. Und auch das angeblich ,Kreisende’ bei ihm (erneut eine hier völlig abwertend benutzte Formulierung) ist nur das liebevolle, aber auch konsequente, kompromisslose fortwährende Zurückkehren zu dem, worum es geht.

Beuys hielt nicht ,an einem unbestimmten Ursprungsgedanken fest’ – und es ist bereits völlig unklar und ohne jede Ratio, wenn Schallenberg schreibt, dass Steiners ,Ursprungsvorstellungen eng mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zusammenhängen’ (S. 17) würden – völliger, blanker Unsinn. Die Erkenntnis der Ursprungskräfte ist bei Steiner eins mit dem Ergreifen der ,Anthroposophie’ überhaupt – und zuletzt konkret mit der Christus-Erkenntnis der Anthroposophie, die Steiner etwa von 1907 bis 1911 entfaltete, lange vor und ganz und gar unabhängig vom Ersten Weltkrieg. Und das ist leider symptomatisch für Schallenbergs Aufsatz und dessen unglaublich schmerzlich erlebbare Leere in Bezug auf alles Wesentliche und Wirkliche.

Die ,ewige’ deutsche Schuld

Wo Schallenberg dann den Anschluss zur Gegenwart ,herstellen’ will, gehen bei ihr zwei Dinge völlig durcheinander: Die Frage, ob es eine ,ewige deutsche Schuld’ gibt – und die Wirklichkeit einer ,Kontinuität antisemitischen und rassistischen Denkens und Handelns’, mit der Frage, wie dieser zu begegnen sei.

Es ist höchst erstaunlich, das verschiedenste Menschen bei Steiner ein ,essenzialistisches Denken’ ausmachen, aber bei der Frage nach der ,deutschen Schuld’ selbst essenzialistisch werden. Allein schon dies ist ein tiefes Symptom für die Verwahrlosung des Denkens, das längst in einer ungeheuren Willkürlichkeit gelandet ist, ohne sich dessen auch nur bewusst zu sein. Was ist denn die ,deutsche Schuld’? Eine Definition? Eine Tatsache? Etwas Wesenhaftes? Etwas Empfundenes? Etwas Erkanntes? Was genau? Allein hieran schon könnten wesentliche Erkenntnisse gemacht werden.

Mit Recht fragt die junge Generation heute, was sie damit zu tun haben, dass ihre Urgroßeltern (!) entweder Nazis waren, die Nazi-Ideologie mitgetragen haben oder unter dieser gelitten haben – und möglicherweise selbst Opfer waren. Mit Recht fragt diese junge Generation, warum es seit nunmehr achtzig Jahren um Vergangenheit geht, nicht aber (in ihrem berechtigten Erleben!) um die Frage, mit welcher Gnadenlosigkeit heute Regenwälder abgeholzt werden, Geopolitik betrieben wird, Kinderarbeit weiter stattfindet, Europa sich gegen Armut und Flüchtlinge abschottet, weiter auf ,Wachstum’ setzt und blind für die ungeheure Zukunftsschuld ist, die man heute auf sich lädt, in jedem Moment.

Und das Andere ist das Wiederaufkommen kalten, rechtsradikalen, ausgrenzenden Denkens, dem ,unter anderem nur mit klaren Worten begegnet werden kann’, so Schallenberg. Die Frage ist aber, ob hier nicht allzu schnell nur die eigene Selbstgerechtigkeit genährt wird. Selbstverständlich ist es wichtig, rechtem Gedankengut (besser: Gedankenübel) entgegenzutreten – aber ist man wirklich der Meinung, damit auch nur ein einziges rechtes Denken aus der Welt zu schaffen? Oder denkt man, Beuys habe rechtes Denken begünstigt, indem er nicht dabei stehenblieb, sich ,mit klaren Worten abzugrenzen’, sondern sein Leben in das Bemühen investierte, einer ganz neuen Art zu denken Boden zu bereiten?

In wem auch nur die Keime dieses neuen Denkens wirklich aufgehen, der kann nicht mehr unmenschlich und nicht mehr unchristlich denken, denn sein Denken hat Leben und Wärme gewonnen. Jeder, der Beuys wirklich folgt und begreift, worauf Beuys hinweisen will, auf welche Realitäten, kann nicht mehr rechte Gedanken bilden, denn er hat den völlig anderen Weg eingeschlagen – den Weg des Lebens, des Schöpferischen.

Beuys

Es gibt Imitatoren und Trittbrettfahrer, die das äußere Gewand dessen benutzen, um ihre eigene Agenda zu verfolgen. Solche haben schon das Christentum unchristlich gemacht, die Wissenschaft unwissenschaftlich, die Anthroposophie unanthroposophisch oder Beuys zu einem Nicht-Beuys.

Es gibt heute den Begriff ,rechtsoffen’. Beuys ist nicht rechtsoffen, Steiner auch nicht. Aber es gibt Menschen, die sich wie aus einem Steinbruch das herausbrechen, was sie brauchen. Auf diese Weise wäre selbst Christus ,rechtsoffen’. Die, die dann brüllen ,kein Fußbreit den Nazis’, meinen, sie wären als Einzige nicht rechtsoffen. Indem sie dies aber Steiner, Beuys (und irgendwann sicherlich auch Christus selbst) unterstellen, erweisen sie ihre eigene faschistoide Selbstgerechtigkeit und glauben, durch irgendeinen apokalyptischen Endkampf irgendetwas Fruchtbares zu erreichen.

Nochmals sei es gesagt: Politische Korrektheit macht keinen einzigen Nazi unsichtbar und nicht-existent – vielleicht sogar im Gegenteil. Beuys aber hat sein Leben dafür gegeben, einem anderen Denken den Boden zu bereiten. Einem Denken, das weit größere Ziele hat, als ,sich klar gegen Nazis zu äußern’. Es ging darum, den einzelnen Menschen zu einem inneren Schöpfertum aufzurufen. Es ging um ein Werden des ,sozialen Organismus’. Um einen gesellschaftlichen Zusammenhang und Zusammenklang, in dem nicht mehr Konzerne und Kapital, Macht und Mauscheleien das weitere Schicksal der Menschheit bestimmen, sondern das Schöpfertum jedes Einzelnen – das Wunder der still, aber unaufhaltsam entstehenden, lebendigen sozialen Kunst. Ein von allen Menschen neu gestalteter sozialer Organismus, bis in die Einzelheiten. Eine völlig neue Welt. Eine Utopie, aber so real wie nur irgendetwas.

Das war Beuys. Und das ist Beuys – auch jetzt, hier und heute. Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt. Denn jeder Mensch soll ein Künstler werden.

Danke, Joseph Beuys – Du warst unersetzbar. Du hast auf eine Realität hingewiesen, wie nur Du es konntest. Und Du hast es großartig gemacht. Einzigartig. Einst werden selbst Kunstwissenschaftler verstehen. Noch ist die gesellschaftlich-menschheitliche Sackgasse nicht groß genug, noch überwiegen Selbstgefälligkeit, Bequemlichkeit und Desinteresse. Und sie erzeugen neue Unwahrheit und neuen Nebel. Das ist das Schicksal alles Neuen – Du wusstest das. Und doch hast Du Dich immer mitten hineingesellt. Du warst ein Großer – ein tief verletzlicher Mensch mit einem ungeheuren Mut. Ein wahrer Künstler, in genau Deinem Sinne. Du hast Türen geöffnet. Sie sind offen. Egal, was die schreiben, die sie nicht einmal sehen.

Quellen

[1] Von der Sprache aus. Ausst.-Kat. Hamburger Bahnhof, Berlin, 13.6.-19.9.2021