24.08.2021

Bemerkung zum verlogenen Klima

Oder: das bestgehütete Geheimnis.


Inhalt
,Hart aber Fair’ und die CSU-Betonfraktion
Das pendelnde Normal-Ehepaar
Ein entlarvender Dialog
Der tote Winkel schlechthin


,Hart aber Fair’ und die CSU-Betonfraktion

Heute las ich einen interessanten Bericht zur gestrigen Sendung ,Hart aber Fair’. Dort heißt es, Fridays-for-Future-Aktivistin Pauline Brünger habe ,die selbstzufriedene Runde’ ordentlich aufgemischt, indem sie deutlich gemacht habe, dass keine einzige Partei einen echten Plan zur Erreichung der Pariser Klimaziele habe.

Das Übereinkommen der UN-Klimakonferenz in Paris Ende 2015 hatte die Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 °C gegenüber vorindustriellen Werten vorgesehen.

Mittlerweile sind demgegenüber bereits wieder fünf Jahre vergangen, die Klimaveränderung wird inzwischen bereits handfest spürbar – und noch immer hat keine Partei einen echten Plan.

Geradezu aggressiv starrsinnig zeigt sich die CSU. Markus Blume poltert: ,Klimaschutz soll auch Spaß machen’ – als wenn die Rettung der Welt eine Angelegenheit von ,Fun’ und ,Laune’ wäre! Deutlicher kann man nicht zeigen, auf welcher Seite man steht – es geht nur um Blockade, nichts weiter. Den Plan der Grünen, den Kauf von Lastenrädern mit bis zu 1000 Euro zu subventionieren, bezeichnet er als ,nur ein nettes Programm für die grüne Bohème.’ Dass seine Klientel aus den Benz-Fahrern besteht, für die ein Lastenrad geradezu eine Beleidigung ihres Rufes wäre, verschweigt er geflissentlich. Erbärmlich!

Selbst Klimaschutz zum Nulltarif ist mit CSU-Blume nicht zu haben: Beim Thema Tempolimit, wo es darüber hinaus sogar um die Zahl der jährlichen Unfalltoten geht, sagt er: ,Da fällt uns hoffentlich was Klügeres ein.’ Die CSU – Partei der Raser, Spekulanten und Kapitalbonzen. Bartlau kommentiert: ,Sollte man vielleicht genau so auf ein Wahlplakat drucken. Ehrlich wär's.’

Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SDP) stellt fest, Klimaschutz sei ,mit CDU/CSU nur in Trippelschritten möglich’. Cem Özdemir (Grüne) wiederum verweist darauf, dass Umweltminister bisher sowieso immer von Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Verkehrsministerium ausgebremst worden seien.

Das pendelnde Normal-Ehepaar

Dann ging es um eine Bemerkung eines ganz normalen Ehepaares. Die berufstätig pendelnde Frau fahre jede Woche 400 Kilometer – und bei einem Benzinpreis von zwei Euro wäre das gar nicht mehr machbar. Ökonom Michael Hüther kommentierte: ,Das ist genau der Punkt. Wenn die Politik darauf keine Antwort findet, verlieren wir die Menschen.’

Und wer schon 100 Euro Mehrkosten im Monat nicht habe, könne auch nicht auf ein E-Auto umsteigen. Svenja Schulze schwärmt von ihrem Lastenrad, aber auch sie hat dieses von einem Gönner zur Verfügung gestellt bekommen. Bartlau kommentiert:[1]

Da ist sie, die Lösung für die soziale Schieflage beim Klimaschutz: Reiche Freunde für alle.

Und hier sind wir mitten in der Heuchelei der ganzen Diskussion – die auch von Bartlaus Kommentar bzw. Artikel nicht aufgelöst, sondern voll mitgemacht wird.

Niemand hinterfragt die Vermögensverteilung. Niemand hinterfragt die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich. Niemand hinterfragt die Mechanismen des Kapitalismus, die durch den seit mittlerweile vierzig Jahren herrschenden Neoliberalismus nochmals galoppierend wirksam sind. Die Armen werden ärmer – die Reichen reicher und keinen stört’s, keiner redet darüber, jeder verschweigt’s! Das ist doch der Hauptpunkt überhaupt – dieses obszöne Verschweigen des eigentlichen Skandals.

Und in den letzten dreißig Jahren hieß es bei einem anderen Thema – sexueller Missbrauch – immer wieder: ,das bestgehütete Geheimnis’. Mittlerweile wird fast jeder Missbrauchsfall eine Schlagzeile. Aber der Missbrauch, der darin liegt, dass eine sehr kleine Elite fast automatisch immer reicher wird, während die große Mehrheit immer ärmer wird (oder immer mehr arbeiten muss, immer verdichteter, immer prekärer, immer entfernter etc. etc.) – das ist noch immer das ,bestgehütete Geheimnis’: verschwiegen, gedeckelt, unterschlagen, verharmlost.

Das Problem beginnt übrigens schon damit, dass unsere reiche Industriegesellschaft und moderne Zivilisation es nicht schafft, Wohnen und Arbeiten so menschengemäß zu integrieren, dass man eben nicht jeden Tag fünfzig Kilometer irgendwohin und wieder zurückfahren muss, was ökologisch bereits ein Wahnsinn ohnegleichen ist. Wenn dies aber so ist und die Benzinkosten sich auf 160 Euro im Monat belaufen – spricht dies nicht dafür, dass das Fünf- oder Vier-Liter-Auto eben doch kommen muss? Und was spricht dagegen, dass die Unternehmen die Anreisekosten ihrer Pendler bezahlen, zumindest hälftig?

Aber wie gesagt – die größte Heuchelei liegt in der Leugnung des Grundproblems: Der Tatsache, dass ein großer Teil der Gesellschaft so wenig Einkommen hat, dass bereits Mehrkosten von 200 Euro im Monat ein Problem sind! Während bei einer gerechteren Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Einkommens jeder Haushalt ein Vielfaches davon haben könnte, ohne alle Probleme.

Aber steigende Benzinkosten sollen ja nicht zu steigenden Kosten führen, sondern zu einer Vermeidung dieser Kosten – also eben zu Solarautos, einer neuen Nähe von Wohnen und Arbeit, einer Abschaffung sinnloser Arbeit etc. etc. Dass auch dies ständig totgeschwiegen wird und man sich an ,die arme Familie klammert, die sich teureren Sprit nicht leisten kann’, zeigt erneut die erbärmliche Heuchelei in dieser ganzen Frage.

Alles muss sich ändern, wenn jahrzehntelang die Dinge unverantwortlich und falsch gelaufen sind.

Ein entlarvender Dialog

Heuchlerisch ist es auch, die neunzehnjährige Pauline Brünger in die Politik drängen zu wollen – denn ihre Aufgabe ist es gerade, die Dinge zu benennen. Man lasse den folgenden Dialog einmal auf sich wirken:

Weil Michael Hüther nicht gewählt werden will, kann er sich als einziger in der Runde einen Schlagabtausch mit Brünger erlauben. "Sie müssen doch Mehrheiten haben“, wirft er der Aktivistin entgegen, "die Menschen wollen Klimaschutz, aber gut gemacht, und nicht auf dem Weg ihr Einkommen und ihre Arbeit verlieren.“
Statt auf die Parteien zu schimpfen, hätte "Fridays for Future" ja eine eigene Partei gründen können, sagt der Ökonom: "So wie Sie reden, müssten Sie ja 80 Prozent Zustimmung haben.[" Das sei n]icht ihre Aufgabe, entgegnet Brünger.
Sie setzt auf "Wandel durch Protest"- auch, weil viele ihrer Mitdemonstranten im September noch gar nicht wählen dürfen. Und überhaupt: "Ich frage mich, was Sie bezwecken, mir das vorzuwerfen."
Hüther, nicht unfreundlich, aber bestimmt: "Ich frage mich, warum Sie nicht mehr Mut haben." Brüngers Antwort: "Ich frage mich, warum all diese anderen Menschen in dieser Runde nicht mehr Mut haben.“

Hüther erkennt, dass Klimaschutz ohne Mehrheit in einer Demokratie nicht möglich ist. Brünger aber erkennt, dass es diese Mehrheiten nie geben wird, wenn es keine unbequeme Stimmen gibt, die immer wieder auf die Notwendigkeiten hinweisen. Ohne Greta stünden wir heute noch sonstwo – und wir stehen noch immer tief in der Komfortzone. Die CSU will weiterhin ,Spaß’ beim ,Klimaschutz’, und auch woanders hat man den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen. Bei Corona wird um jede Maske und Impfdosis gekämpft – nur in Bezug auf die globale Zukunft meint man noch immer, Sandkastenspiele würden reichen.

Hüther will Brünger wieder ,auf den Boden bringen’ – aber sie entgegnet zu Recht, das sei gar nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist es, unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass wir uns aus unserem bequemen Sofa erheben müssen. Hüther behauptet, sie rede, als hätte sie die große Mehrheit schon hinter sich – und sie fragt sich mit Recht, mit welchem Motiv er ihr das vorwirft. Hüther fragt sich darauf, warum sie nicht mehr Mut habe (in die Politik zu gehen) – und sie entgegnet, sie frage sich, warum all die anwesenden erwachsenen, gestandenen Politiker nicht mehr Mut haben.

Und dies entlarvt die Wirklichkeit tatsächlich schonungslos. Es ist nicht die Aufgabe eines neunzehnjährigen Mädchens all das wieder richtigzustellen, was jahrzehntelang falsch gelaufen ist. Aber es wäre die Aufgabe all der anwesenden Volksvertreter, zuzugeben, wieviel man in diesen letzten Generationen falsch gemacht hat – blauäugig, arrogant, bewusst Scheuklappen aufsetzend.

Der tote Winkel schlechthin

Grüne und SPD geben es im Grunde auch zu – nur die CSU zeigt, dass sie längst die Partei von vorgestern ist. Allerdings vertritt sie genau jene Klientel, die das Problem ist: Weil sie das Geld hat, das sie nicht bereit ist zu teilen – für eine gerechtere Gesellschaft, eine ökologischere Gesellschaft, eine menschlichere Gesellschaft.

Und weil dieses ,bestgehütete Geheimnis’ weiter verschleiert werden muss, macht man die ,Probleme’ weiter an der ,Durchschnittsfamilie’ fest, die sich ,Veränderung’ nicht leisten kann. Und niemand fragt, warum sie das nicht kann. Es liegt daran, dass sich der gesamtgesellschaftliche Reichtum bei einer kleinen Schicht konzentriert. Er wird von allen erarbeitet – aber er landet bei ganz wenigen. Und diese Perversion unseres Systems ist es, die nie hinterfragt werden darf, die der ,tote Winkel’ schlechthin ist. Jeder muss dazu schweigen, denn würde er thematisiert werden, gälte man (und führend wären hier sicherlich die CSU-Demagogen) ganz schnell als ,Kommunist’ oder wahlweise auch ,Utopist’, ,Träumer’ etc. etc.

Ob sich durch ein Ende dieser Perversion eine menschliche Gesellschaft schaffen ließe, eine ökologische, eine Bewahrung der Welt – das interessiert alles nicht. Wichtig ist einzig und allein der Status Quo. ,Klimaschutz muss Spaß machen’, und wenn er das nicht tut – dann lassen wir es einfach.

Zum Glück gibt es dann so neunzehnjährige Mädchen, die nicht in die Politik gehen, sondern der Politik den Spiegel vorhalten. Denn nur so ist für manche Selbsterkenntnis möglich. Wir brauchen noch viel mehr Mädchen – und sie werden eines Tages auch das bestgehütete Geheimnis so konsequent ansprechen, wie Greta es mit dem Klima begonnen hat.

Quelle:

[1] Christian Bartlau: "Fridays for Future"-Aktivistin mischt "Hart aber Fair" auf. Web.de, 24.8.2021.