31.03.2022

Wo das Niveau inzwischen gelandet ist

Lafontaine, Röttgen und die Manipulation der Seele


Inhalt
Gestern bei Anne Will
Kampfbegriffe und Blindmacherei
Fazit des Wahnsinns


Gestern bei Anne Will

Oskar Lafontaine ist zurückgetreten, weil seine Partei nicht mehr eine Partei des Friedens und der ärmsten sozialen Schichten ist – und bei der Wahl im Saarland verschwand die LINKE in der Bedeutungslosigkeit. Warum sollten sich Menschen ohne eine kämpferische, klare, entschiedene Position wahrhaftiger, wirklich wiedererkennbarer Politiker auch noch vertreten fühlen?

Gestern nun trafen bei Anne Will Norbert Röttgen (CDU) und Lafontaine aufeinander, und in einem Rückblick auf Web.de heißt es:[1]

Als es um die erwähnten Fehler deutscher Politik geht, nimmt der Schlagabtausch erstmals richtig Fahrt auf. Lafontaine bestreitet, dass es Fehler gegeben habe, verweist aber nicht auf Putin, sondern auf die Entspannungs- und Ostpolitik. Nach Widerspruch von Röttgen holt Lafontaine die Nato-Osterweiterung hervor, die eine Provokation gewesen sei, es gebe aber eine noch größere: "Das sind Kurzstreckenraketen an der Grenze einer Atommacht. Das ist ein solches Risiko, ein solcher Wahnsinn, dass man das nicht machen darf. (…) Das ist die große Sorge der Russen und da haben sie völlig Recht." Auch hier widerspricht Röttgen, denn es sei keine Provokation gewesen, sondern der Freiheits- und Sicherheitswunsch neuer, freier Staaten.
Nun stolpert Lafotaine durch die Weltgeschichte und wirft mit Nebelkerzen um sich: Kuba würde man dieses Recht nicht zugestehen, frei zu entscheiden, die Nato habe schon andere Staaten bedroht, weil die USA Mitglied der Nato ist, Putin sei ein Kriegsverbrecher, Biden aber auch. Röttgen widerspricht, versucht aber gleichzeitig Lafontaines Ablenkungsmanöver zu umgehen und wieder auf das eigentliche Thema, nämlich Putins Krieg zu kommen. Als Lafontaine einen Energieboykott ablehnt und mit Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen gerade für Menschen mit niedrigeren Einkommen begründet, platzt Röttgen die Hutschnur.
Lafontaine liege falsch, weil man bei einem Sieg Putins einen gespaltenen Kontinent und eine ständige atomare Bedrohung habe. Außerdem seien Lafontaines Worte empörend, weil "den Mitbürgern mit geringerem Einkommen zu unterstellen, dass sie nicht bereit wären, selbst mit ihrem geringeren Einkommen einen Beitrag zu leisten, dass nicht mehr die Babys sterben, weil sie erfrieren oder verdursten und nicht die Kinder sterben und anderen die Arme abgeschossen werden. Das ist unglaublich. (…) Das denken Deutsche nicht und das unterstellen Sie ihnen."

Kampfbegriffe und Blindmacherei

Wer hier noch nicht begreift, wo das Niveau inzwischen angekommen ist, dem ist kaum noch zu helfen.

Es ist erschütternd, wie angesichts des Ukraine-Krieges die ,Schotten dicht’ und die ,Klappen zu’ gemacht werden – wie man blind und taub das Szepter triefender Selbstgerechtigkeit schwingt und jeden besonneneren Blick als Idiotie tituliert. Der Habitus des angeblichen ,Gutmenschentums‘ ist erbärmlich.

Offenbar ist es diesen selbsternannten Gutmenschen nur recht, dass durch den ,Putin-Krieg’ von allem anderen abgelenkt werden kann. Doch das eigene Niveau zeigt sich immer da, wo man einen bestimmten Standpunkt mit Kampfbegriffen attackiert, weil man keine anderen Argumente mehr hat. Im Grunde ist jeder dieser Kampfbegriffe ein ganz klares Signal: Propaganda! Der Autor will auf den Gefühlen der Menschen spielen, ihre Emotionen manipulieren, und dies auf primitivste, billigste Weise. Das sind unsere öffentlichen Medien! Es tobt eine Meinungsschlacht, in der einer bestimmten Seite jedes Mittel recht ist, den Anderen mit unredlichen Mitteln zu diffamieren.

Im Einzelnen:

• Raketen können stets mit zwei Sichtweisen betrachtet werden: als Verteidigung oder als Bedrohung. Dass eine Großmacht Raketen an ihrer Grenze als Provokation ansehen wird, ist offensichtlich – Lafontaine hat also Recht.

• Lafontaine (der an einer Stelle nicht einmal richtig geschrieben wird!) ,stolpert’ auch nicht durch die Weltgeschichte und wirft auch keine ,Nebelkerzen’, sondern wendet den Blick einfach in Richtung USA, wo genau die gleiche Handlungsweise zu beobachten ist. Raketen auf Kuba würden als massive Provokation erlebt werden. Es wird alles versucht, um missliebige Regierungen zu destabilisieren, und bei Bedarf werden einfach Angriffskriege geführt – mit Millionen Toten, darunter auch unzählige Kinder. Auch mitten in Europa – der Kosovo-Krieg 1999 war der Beginn vom Ende des Völkerrechts.

• Wenn Röttgen ,die Hutschnur platzt’, ist dies kein Beleg für eine überschrittene moralische rote Linie, sondern nur für einen unausgeglichenen Politiker. Bei so viel verbaler Manipulation könnten einem selbst auch Hunderte von Hutschnüren platzen. Es kommt darauf an, all diese Manipulation immer tiefer zu durchschauen.

• Der Artikel arbeitet darauf hin, dass politische Argumente immer wertloser werden – weil sie ja schon durch eine ,platzende Hutschnur’ entwertet und entkräftet werden können. Welch erbärmliches Verfahren! Es ist eine ,Emotionalisierung’ von Politik, aber auf manipulativem Niveau, und damit eine Infantilisierung der Bürger, die man versucht, mit wirklichen Nebelkerzen gedanklich gefügig zu machen.

• Lafontaine vertritt ganz klar die Interessen der Niedrigverdiener – in deren Situation sich Röttgen wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise hineinversetzen kann und die für ihn nur Verschiebemasse sind, Bauernopfer, die ihn nicht weiter scheren.

• Energieboykotte und andere Maßnahmen sind jeweils nur ein Baustein im Ganzen. Ob Putin den ,Krieg gewinnt’, hängt an ganz vielem. Und er könnte ihn definitiv sogar trotz eines möglichen Energieboykotts gewinnen. All dies wird weder bei Röttgen noch in dem Artikel auch nur ansatzweise thematisiert.

• Röttgen vereinnahmt die Menschen, weil er vorgibt, genau zu wissen, was diese denken, fühlen und wollen – wahrscheinlich will er damit vorgeben, was sie denken, fühlen und wollen sollen.

• Ich frage mich, welchen Beitrag Menschen mit geringem Einkommen leisten sollen – den Röttgen aber fordert. Jedes Kind könnte vorrechnen, dass bei Menschen, deren Einkommen gerade so reicht, dann, wenn die Kosten weiter steigen, echte Not eintritt. Röttgen aber interessiert das nicht. Er fabuliert etwas von ,selbst mit ihrem geringeren Einkommen…’

• Und natürlich müssen unbedingt immer Babys und Kinder herhalten, sie müssen erfrieren und verdursten, anderen müssen die Arme abgeschossen werden – stets geht es um das Maximum. Dass laut UN überhaupt erst 1.075 Zivilisten getötet wurden, darunter 104 Kinder, muss am besten verschwiegen werden. Dass bei unkontrolliert steigenden Preisen in Deutschland Millionen Familien von Not bedroht sind, wird tunlichst ebenfalls verschwiegen – und ja, selbstverständlich ist all dieses Stimmvieh liebend gern bereit, seinen Beitrag zu leisten, ,dass nicht mehr die Babys sterben’. Liebend gern geht man selbst in Armut und Elend, um möglicherweise (!) ein paar Babys zu retten.

Fazit des Wahnsinns

Während also Röttgen seinerseits – und der Artikelschreiber ganz ebenso – mit lauter Nebelkerzen um sich wirft, ist Lafontaine einer jener wirklichen Realpolitiker (nun im besten Sinne), die im Blick behalten, was wirklich geschehen wird, wenn man auf Energie und Strom mal eben verzichten soll – oder diese nur zu extrem viel größeren Preisen bekommen kann, was sich auf alles auswirken wird, auf sämtliche Preise. Die geringen Einkommen werden in völlige Not stürzen, und die ,geringeren Einkommen’ werden wegschmelzen wie Nichts. Aber selbstverständlich werden alle dazu bereit sein, denn es ist ja ,ihr Beitrag’…

Welch ein Wahnsinn! Da ist es sogar noch ehrlicher, sich wie Habeck darum zu bemühen, die Energie bei anderen Autokraten zu bekommen, die andere Kriege führen… Kriege, bei denen das Gutmenschen-Herz nicht mehr so empört schlägt, weil sie ja nun wirklich zu weit weg sind. Und überhaupt – wo liegt der Jemen eigentlich? Es ist nur noch erbärmlich…

Jetzt genau wäre der Punkt, einmal über die extreme Ungleichverteilung der Vermögen und Einkommen zu sprechen, über Kinderarmut mitten in Deutschland, über die Diktatur von Profit und Machtansammlung – und bis zu welchen Extremen man dies noch fortführen will, diesen Wahnsinn des Kapitalismus. Zu befürchten ist allerdings, dass diese die gesamte Zukunft entscheidenden Fragen jetzt nur noch weiter unter den Tisch fallen, während Rüstungskonzerne und Blackrock und Konsorten weitermarschieren.

Krieg den Despoten – und alle leisten ihren Beitrag! (Außer die, die ihre Konten sowieso auf Zypern oder sonstwo haben und genau wissen, wo die Ausbeutung am perfektesten funktioniert; die jede Lücke im System ausnutzen und die vor allem das System selbst perfekt benutzen). Das blindwütige moralische Gutmenschentum ist im Grunde ihre perfekte Tarnkappe, es kann gar nichts Besseres passieren, als dass sie noch mehr aus dem Blick geraten als ohnehin schon. Unten in den Niederungen bemühen sich alle, ,ihren Beitrag’ zu leisten – und oben in den Konzernetagen geht der Krieg weiter – der Angriffskrieg gegen alle, denn wo einer Reichtümer und Vermögen anhäuft, geht allen anderen der gemeinsame Reichtum verloren.

Quellen:

[1] Ukraine-Krieg bei "maischberger. die woche": Norbert Röttgen platzt der Kragen - und er ist der Grund. Web.de, 31.3.2022.