15.04.2022

Macht und Ent-Macht-ung

Karfreitag und die Vision des Menschen.


Karfreitag... Einst bedeutete dieser Tag der gesamten christlichen Menschheit ein Unendliches. Blickt man heute in die Welt, schon in die allernächste Umgebung, sieht man ... einen erschütterndsten Verlust alles Christlichen. Für viele, sehr viele, die allermeisten Menschen ist eine lebendige Beziehung zum Wesen des Christus bedeutungslos geworden. Das traditionelle Christentum wiederum vegetiert noch vor sich hin – aber es ist zum Untergang verurteilt. Die Geschichte wird über es hinweggehen – und tut es ja schon längst.

Was aber bedeutete dieser Tag der Seele (!) in vergangenen Jahrhunderten – welche Unendlichkeit lag in diesem Tag! In einer Zeit, die noch nicht jeden Tag als eine Wiederkehr des Ewig-Gleichen behandelte und also nichts empfand, sondern die, ganz im Gegenteil, an einen ganz bestimmten Tag noch unendliche Empfindungen knüpfen konnte, weil sie mit diesem Tag verbunden waren. Weil die Seele noch verbunden war mit ... ja, eben ... mit was? Das eben ist es. Die heutige Seele weiß nicht einmal mehr, was sie verloren hat. Diese Tragik ist unbeschreiblich. Die heutige Seele lebt in einem regelrechten Vakuum. Aber ein Vakuum existiert nicht – es wird sofort bevölkert mit anderen Kräften. Mit Anti-Kräften. Kräften, denen es sehr, sehr recht ist, was die Seele verloren hat – und die sich an dessen Stelle setzen. Kräfte, die zum Beispiel genau damit zu tun haben: mit Gleichgültigkeit. Mit Zusammenhanglosigkeit. Mit Bezuglosigkeit. Beliebigkeit. Indifferenz. Passivität. Falschen Vorstellungen. Nebel. Und wieder: Gleichgültigkeit.

Gegenüber einer Seele, die in der heutigen Zeit das Christentum verloren hat bzw. sogar nie eine Beziehung dazu hatte, ist es gleichsam unmöglich, die Essenz des Christlichen zu beschreiben, weil diese Essenz damit zu tun hätte, dass es ein Wesen gibt – und die Beziehung der Seele zu diesem Wesen wiederzufinden wäre. Genau diese Beziehung wird einer Seele unmöglich, ganz unmöglich, die – wie es Seelen heute durchweg tun – zwischen Fernsehkanälen hin und her zappt, den täglichen Krimi konsumiert, zwischendurch einige Facebook- oder WhatsApp-Nachrichten ,absetzt’, den Instagram-Account ,checkt’ und anderes mehr – oder auch nur einiges davon. Und ja, zwischendurch auch noch ein paar Ukraine-Nachrichten konsumiert, hier eine gewisse Betroffenheit kultiviert, ansonsten aber immer mehr einen Zuschauerstandpunkt zementiert, ob sie dies weiß oder nicht. Dieser wird allen Seelen in der heutigen Zeit mehr oder weniger sogar aufgezwungen. Aber die Seelen kultivieren ihn auch selber. Allein schon durch die Individualisierung, die heute von einer Egoisierung gar nicht mehr zu trennen ist.

Gemeint ist damit nicht die plumpe Bedeutung von ,Ego’ und ,Egoismus’, die natürlich fast jeder sofort von sich weisen würde – aber es geht um einen Prozess, der so flächendeckend ist, so allumfassend, dass man ihn allein schon dadurch überhaupt nicht mehr bemerken kann. Es geht nicht darum, dass ,mein Nachbar ein Egoist ist und ich nicht’ – sondern es geht darum, dass wir in einem Zeitalter der Egoisierung leben. So, wie der Frosch, der langsam gekocht wird, dies überhaupt nicht bemerkt – erst, wenn es absolut zu spät ist –, so ist es auch mit der Egoisierung. Mit der Erkaltung der Seele. Mit ihrem absoluten Oberflächlich-Werden. Mit einem schleichenden, aber allumfassenden Narzissmus. Mit einer schleichenden, aber immer umfassenderen Gleichgültigkeit. Einem Unpolitischwerden – das sich ausgezeichnet mit diversesten Verschwörungstheorien und anderem verträgt. Und so weiter. Die postmoderne Seele hat auch das Christus-Mysterium längst völlig verloren – und es noch nicht einmal gemerkt. Es ging sozusagen völlig schmerzbefreit vor sich. Wie unter einem Morphin-Mantel. Weil es flächendeckend war. Eben nicht: ,Mein Nachbar hat es verloren und ich nicht.’ Sondern jeder. Und die meisten sind sogar noch stolz darauf. ,Christentum? Was soll denn der Schrott? Mach dich vom Acker, Mann!’

Allein an solchen Antworten – die nicht den unbedingten Wortlaut, sondern eine gewisse, postmoderne Seelenhaltung als solche erlebbar machen sollen –, könnte unendlich viel erlebt werden. Aber wie – wenn diese Qualität des Erlebens gerade abgestorben ist? Weil sie ... schon vor langer Zeit in und von der eigenen Seele ... gekreuzigt wurde? Lebt nicht gerade die Seele in einem Karfreitags-Zustand? Weil sie eigentlich schon tot ist – so wie der Frosch, noch nicht ganz, aber es ist längst schon zu spät, und sie merkt es immer noch nicht...?

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Szenenwechsel. Von der Seele zur äußeren Welt. Vom Seeleninneren zum Außen. Hier ist es das Gleiche. Das Äußere ist immer das Ergebnis des Inneren. Wir leben in einer Welt, die so ist wie die postmoderne Seele selbst. Das wollen wir nicht wahrhaben, aber es ist so. Man will das nicht glauben, weil es schmerzt. An der äußeren Welt kann man leiden – warum sollte sie das Ergebnis des eigenen Inneren sein? Ganz einfach – weil wir verlernt haben, an diesem Inneren zu leiden. Weil wir gar nicht mehr begreifen, wie sehr wir an dem, was dort vor sich geht, längst hätten leiden müssen! Hätten wir dies getan und nicht verlernt; hätten wir es wirklich getan – am Inneren zu leiden –, so wäre es nie zu diesem Äußeren gekommen. Aber die Welt ist, wie sie ist. Und auch die Blindheit gegenüber dem Inneren ist, wie sie ist: nahezu vollständig.

Eine Seele, die an ihrem eigenen langsamen inneren Ersterben gelitten hätte, hätte Auswege gefunden. Auswege aus dem Sterben. Oder sie hätte zumindest eine Sehnsucht gehabt – eine Sehnsucht nach Umkehr. Irgendetwas hätte das Sterben beendet – und sei es nur das Lebendigwerden dieser lebendigen Sehnsucht. Zumindest etwas Lebendiges inmitten von allem Ersterbenden. Und vielleicht hätte dieses Lebendige gereicht ... auch die übrige Seele ihrem Sterben zu entreißen. Man wird es nie wissen – denn selbst diese Sehnsucht hat man nie gehabt... Wie auch, wo man alles in Ordnung findet außer die äußere Welt? Das eigene Innere immer perfekt und nur außen ,alles Scheiße’ – welch ein Hochmut! Welch eine Ignoranz, welch eine Konsumhaltung, welch eine Blindheit! Die postmoderne Seele sieht innerlich genauso aus wie die äußere Welt – und ihre Unfähigkeit (mehr noch: ihr Un-Wille), dies zu begreifen, ist geradezu der Beweis.

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Aber gehen wir nun endgültig zur äußeren Welt über – vorläufig. Was sehen wir dort? Wir sehen Macht. Macht und Machtstreben. Alles strebt nach Macht. Und schon im ,Faust’ heißt es: ,Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles!’ Dieser absolute Grundsatz ließe sich in ungezählten Variationen wiederfinden: ,Hast du was, dann bist du was.’ – ,Wissen ist Macht.’ – Und so weiter. Zugleich geht es um Leistung. Um Ausbeutung und Selbstausbeutung, getarnt als ,Selbstoptimierung’. Schon in den Krippen und Kindergärten findet heute sogenannte ,Frühförderung’ statt – inzwischen natürlich immer mehr vom Säuglingsalter an mit Bildschirmen, Displays, angeblich ,kindgerechter’ Software, mit Algorithmen, die schon das Kleinkind zu Höchstleistungen treiben sollen. Denn wir alle wissen: Wer nicht ordentlich ,performt’, fällt durchs Raster. Wer kein ,Abi’ hat, den bestraft das Leben. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, ist selbst schuld. Und niemand begreift den dahinterstehenden Wahnsinn. Und noch weniger konfrontieren die Welt damit – denn sie würden zunächst ein absoluter Paria werden. Denn das Rad rollt weiter und die anderen machen mit, denn sie wollen kein Paria werden...

Aber wir leben in einem Wahnsinn – und er ist nur getarnt hinter so (angeblich) positiven Wendungen wie ,Wettbewerb’, Konkurrenz, Frühförderung, Kompetenzförderung, Karriere. Das Dogma ist, dass durch diesen ganzen Wettbewerb am Ende das Billigste und Beste für alle herauskomme – die Wirklichkeit aber ist, dass es gar nicht das Beste sein kann, wenn es auf Kosten eines ruinösen Ausbeutungs- und Selbstausbeutungs-Wettbewerbs zustande kommt. O ja, der Mensch produziert möglicherweise mehr, wenn er fortwährend gepeitscht wird, vorangepeitscht – aber geht es ihm dann besser? Das ist unsere Wirklichkeit. Die schöne neue (sehr alte) Welt des ... Kapitalismus, inzwischen Turbokapitalismus genannt, und auch dies schon seit mindestens zwei Jahrzehnten.

Und oben drüber diejenigen, die gar nicht arbeiten müssen – weil sie andere für sich arbeiten lassen. Auch das kennen wir schon. Es nennt sich Neofeudalismus. Und das Dogma lautet: Auch diese haben lange genug geschuftet, um jetzt ganz oben zu stehen. Die Wahrheit ist: Ja, wenn man unter ,Schuften’ – zum Beispiel – versteht, Unternehmen aufzukaufen, totzusparen und gewinnbringend ,weiterzuveräußern’ (selbst die Sprache vermeidet schon jede Formulierung des Profitmachens). Wer mit solchen Geschäften Profit macht, um am Ende Millionen oder gar Milliarden zu erzielen, der macht Profit auf dem Rücken von Tausenden und Millionen Menschen. Er zieht ihnen aus der Tasche, was am Ende er besitzt. Er hält sie alle unten, um am Ende selbst ganz oben zu sein. Er beutet andere aus, um am Ende einer der Mächtigsten zu sein. Warum? Weil er ungeheuren Reichtum besitzt. Nicht Wissen ist Macht – sondern Geld ist Macht, und das Wissen, wie man es macht: wie man Geld macht. Durch Ausbeutung. Durch das Ausnutzen der Dummheit anderer. Und durch schiere bereits vorhandene Macht. Macht gebiert Macht, vermehrt sich im Sinne der Konzentration.

Und die großen Machtkonzentrationen – von Oligarchen oder von Pensionsfonds und anderen Fonds und ihren anonymen, gesichtslosen, charakterlosen Leitern, etwa Blackrock, aber noch viele andere – all diese Machtkonzentrationen sind das, was man früher obszön nannte. Heute dagegen unterwirft sich zunehmend alles diesen neuen Cäsaren, blickt neidisch auf ihre Schläue und ihre Steuerparadiese in Panama, auf den Cayman-Inseln und wie sie alle heißen mögen – und ist selbst der kleine Arbeiter in einer Konzernkette, die vielleicht längst mehrheitlich Blackrock gehört, ohne dass man es auch nur mitgekriegt hat. Inzwischen schleichen sich diese neuen Cäsaren auch schon in Gebiete hinein, die man nie für möglich hielt. Kürzlich wurde öffentlich, dass eine ungeheure Zahl von Augenarztpraxen bereits großen anonymen Ketten gehört – die sich natürlich wie auch Kliniken auf gewinnbringende Dinge konzentrieren und anderes schleifen lassen. Wie ja auch die Bahn, die gewinnbringende Hauptstrecken fördert und die kleinen Strecken mehr und mehr verkommen lässt. Konzentration überall. Konzentration, Macht und Entmenschlichung.

Und was die Konzerne tun, geht auf Staatenebene weiter – auch dort geht es um nichts anderes als Macht und Einflusssphären. Allen voran die USA, die noch immer ein Imperium sein wollen – getarnt als ,Weltpolizist’, der angeblich dafür sorgt, dass noch nicht die Anarchie ausbricht, natürlich ganz selbstlos, es hat nichts damit zu tun, dass man ein Imperium sein will, das mächtigste Land der Welt... Und auch die Millionen von Toten in Vietnam, im Irak, in Libyen, in Afghanistan, die von Geheimdiensten gestürzten Präsidenten anderer Länder, der mörderische Druck auf andere Staaten bei Abstimmungen der Vereinten Nationen, die Drohnenmorde weltweit – mit der Hauptdrehscheibe Ramstein Air Base auf deutschem Boden –, das alles ist natürlich nur zum Besten der ganzen Welt. Ebenso die jährliche Rüstung im Umfang von unzähligen Milliarden, auf die jetzt auch Deutschland verpflichtet wurde.

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Macht ist ein einziges Gift. Blackrock vernichtet Leben – lebendige Struktur vielfältiger Unternehmen und kleiner Firmen, weil all dies mit der eigenen Macht erdrückt, wegkonkurriert und aufgekauft werden kann. Macht ist und wird ein Strudel, der sich alles andere einverleibt – wie ein Schwarzes Loch. Wie ein Felsen, an dem alles andere zerschellt. Blackrock! Das Anti-Christliche ist gleichsam mit Händen zu greifen.

Macht vernichtet aber überall Leben. Wo es um Profit geht, wird das Menschliche erstickt, ausgerottet, abgeschafft – wie etwa im Pflegebereich, einem zutiefst menschlichen Bereich, der inzwischen aber nur noch aus Minuten und Algorithmen besteht, die jedes menschliche Verhältnis zur gepflegten Person aussichtslos machen. Menschen werden heute abgefertigt (es geht nicht mehr anders), weil am Ende der Profit der Krankenhauskette und der Aktionäre stimmen muss. Macht vernichtet Leben, wo es mit den Arbeitnehmerrechten nicht so genau genommen wird, wo allenfalls Mindestlohn gezahlt wird – oder nicht einmal das –, wo Gewerkschaften verboten bleiben oder sabotiert werden ... und es gibt noch tausend andere Mittel und Wege, die alle täglich angewandt werden. Macht...

,Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles!’ Dies beginnt schon mit der heutigen Jugend, die möglichst über Nacht und natürlich mühelos Star, Influencer oder ,Trader’ werden will – aus dem dunklen Gefühl heraus, dass die kapitalistische Ausbeutungsmaschinerie Bankrott gemacht hat und sie sich diesem Sklaventum nicht unterwerfen wollen, aber auch aus dem gleichen Impuls heraus: möglichst ohne Anstrengung reich und mächtig zu werden... Warum soll ich einen verantwortungsvollen Job ausüben, jeden Tag neun Stunden (mit Fahrzeit, vielleicht sogar länger), wenn ich mit ein paar Stunden am Tag dieselbe ,Kohle machen’ kann – und wenn ich meine Seele für coole Markenprodukte verkaufe, wen stört’s? Welche Seele denn überhaupt? Zum Sklaven mache ich mich doch nur, wenn ich neun statt fünf Stunden arbeite – und trotzdem noch weniger verdiene...

Hier sieht man, wie die Logik von Macht und Geld absolut gesiegt hat. Totalitär. Sie hat die totale Macht über unzählige Seelen gewonnen. Es geht nur noch darum. Die Welt ist ein Haifischbecken geworden, in der jeder nur noch so schnell wie möglich reich werden will, um sorglos glücklich zu sein. Die nächste Stufe der Egoisierung hat längst begonnen. Und außen? Auch hier die nächste Phase der Geopolitik, immer rauhere Töne, rauhere Fakten, Konfrontation, damit auch Aufrüstung, Milliardengewinne für die Rüstungskonzerne – im ,Gesundheitswesen’, bei den Kitas und im ,Sozialen’ insgesamt wird noch weiter gespart werden... Die immer mehr nur noch in einer ,Mindestversorgung’ lebende Menschheit wird in der nächsten Generation noch egoistischer nur an ihr eigenes Fortkommen und ihren innerhalb weniger Jahre zu erzielenden Reichtum denken ... und so weiter.

Das ist die Realität. Es geht um Macht – und die Macht konzentriert sich immer weiter, einige Wenige werden sehr reich, die Vielen aber werden immer ärmer, und sei es nur über fehlenden Inflationsausgleich, über steigende Preise, über stagnierende Löhne, über schwindende Chancen, über härteren Wettbewerb – und die Summe alles dessen und noch vieler weiterer Faktoren.

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Und Christus starb am Kreuz ... und niemanden interessiert’s, es lockt nicht einmal mehr einen Hund hinter dem Ofen hervor. Während in den berührenden Legenden von Selma Lagerlöf das kleine Rotkehlchen noch mit tiefer Hingabe zum Erlöser flog, um mit seinem kleinen Schnabel zumindest einen Dorn aus der Dornenkrone zu ziehen – und damit alles zu tun, was es nur vermochte...

Was aber ist dieser Karfreitag? Er ist ebenfalls ein Symbol der Macht – hier der Macht der Pharisäer und Schriftgelehrten, aber auch der Cäsaren und ihres Vertreters Pilatus, den Menschensohn ans Kreuz zu bringen. Christus aber hatte ihm gesagt: Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht gegeben worden wäre. Christus selbst hat sich kreuzigen lassen. Der Gottessohn war Mensch geworden ... und wusste von Anfang an, dass am Ende dies geschehen wird. Und damit ist Karfreitag vor allem eines: ein unendliches Zeichen für den absoluten Verzicht auf jede Macht.

Und damit beginnt schon hier, nicht erst am Ostermorgen, sondern bereits hier die absolute Essenz des Christentums. Die göttliche Welt selbst verzichtet auf alle Macht – bis in den Tod hinein. Das ist Christus. Das ist das völlige Gegenteil zur heutigen Welt. Christus ist der lebendige Widerspruch dieser ganzen Welt. Diese Welt strebt nach Macht, akkumuliert Macht, spielt sie aus, benutzt sie, verwendet sie, um diese selbst noch zu vergrößern, um sich selbst zu verewigen, den Mächtigen, den Einflussreichen, den, der es ,geschafft hat’ und nun die Dinge steuern, regeln, manipulieren, in seinem Sinne lenken und bestimmen, dominieren und regieren kann. Und Christus ... tut das völlige Gegenteil. Das genaue Gegenteil. Er verzichtet auf Macht. Und er tut etwas, was der absolute Gegensatz ist. Er handelt aus Liebe. Rudolf Steiner hat die Folgen dieser Liebes-Tat bis ins Einzelne beschrieben. Das muss hier nicht vertieft werden. Tatsache ist, dass das Christuswesen tatsächlich das Leben bringt.

Aber die übrige Welt bewegt sich noch immer in der Todessphäre – und in diese hinein. Sie hat nichts begriffen – und alles, was sie vielleicht einmal begriffen hatte, wieder verlernt.

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Macht führt in den Untergang. Das ist nicht erst dann so, wenn ein Krieg ausbricht und damit die Eskalationsspirale unermesslich beschleunigt wird, sondern immer. Macht führt in den Untergang. Macht erstickt, verarmt, beutet aus, unterdrückt, hält unten, belügt, beschönigt und beherrscht. Macht herrscht. Sie ist das Gegenteil von Liebe.

Es ist interessant, dass in Bezug auf Beziehungen zwischen Mann und Mädchen, konditioniert vom Missbrauchsdiskurs, immer sofort das Standardargument vom ,Machtungleichgewicht’ aufgeworfen wird – unabhängig davon (denn das interessiert einen schon gar nicht mehr), ob die Beziehung von Liebe geprägt ist oder von Missbrauch. Während genau diese Frage, nämlich das Macht-Ungleichgewicht und ganz konkret der Macht-Missbrauch in der großen weiten Welt sonst fast nie thematisiert wird! Dabei ist genau dies der tägliche Alltag! Blackrock verkörpert tagtäglich das eklatanteste Machtungleichgewicht und den eklatantesten Machtmissbrauch – und ist selbst nur die Spitze des Eisberges. Und an irgendeinem, sehr schnell erreichten Punkt wird Macht allein schon dadurch zum Missbrauch, dass sie existiert.

Denn ebenso wenig, wie jemand Milliarden (!) besitzen kann, ohne sie vielen anderen weggenommen zu haben, kann jemand ungeheure Macht besitzen, ohne dass diese anderen irgendwann entzogen wurde, die sie ebenfalls besitzen sollten – mit der Folge, dass es nicht mehr um Macht ginge, sondern um ein echtes Miteinander, in dem zuletzt auch wieder ... die Liebe wachsen und gedeihen könnte.

Die gesamte Zukunft der Menschheit wird immer wieder vor Einer großen Frage stehen: vor dem Gegensatz zwischen Macht und Liebe. Vor dem Gegensatz zwischen Reichtum und Liebe. Vor dem Gegensatz zwischen Egoisierung und Liebe. Selbstbezug und Liebe. Ignoranz, Gleichgültigkeit, Konsumhaltung, Genuss-Modus ... und Liebe. Dies alles wird die eine große Frage der Zukunft sein.

Christus starb am Kreuz. Als Gottessohn hatte er alle Macht – hätte sie haben können. Als Menschensohn hat er zuletzt alle Macht aufgeben. Sämtlich. Vollständig. Bis auf eine einzige Macht: Die Macht der Liebe... Sie behielt er ... sogar bis in den Tod hinein... Trug sie mit sich. Sogar ins Todesreich...

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Es kann nur eine einzige Zukunft der Menschheit geben. Alles andere wird in ein Ende führen, eine schleichende Katastrophe – wie bei dem Frosch, und das Ende kann sehr, sehr schnell kommen, bis kurz davor war es noch sehr angenehm...

Die einzige Zukunft aber wird aus der Karfreitags-Offenbarung bestehen: Macht-Verzicht. Das Kreuz ist die wahre Mitte der Zukunft – die Horizontale der Gleichheit, die Vertikale des Spirituellen, nicht mehr der Hierarchie, und erst recht nicht mehr der Machtausübung. Das Kreuz ist die neue Mitte – aber dafür muss bis in die Tiefen der Seele verstanden werden, wie Christus dorthin gekommen ist, ans Kreuz... Es führt nur ein Weg dorthin: Der der Liebe.

Die christliche Spiritualität weiß, dass Christus am Kreuz erhöht wurde. Die tiefe Bedeutung dieser Bezeichnung liegt darin, dass hier die Essenz der Menschheitszukunft selbst zu finden ist. Es gibt nur ein Menschliches – und dieses ist mit dem Mysterium des Liebes-Impulses zu finden. Gerade dieser Impuls ist mit dem Kreuz verbunden. Die Liebe ist bereit, alles hinzugeben: ,Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.’ (Joh 10,11).

Und das ist absolute Selbst- und Gewaltlosigkeit. Deswegen ist es auch tiefste Heuchelei, wenn Putin wie vor einem Monat bei seiner Stadion-Inszenierung ebenfalls zitierte: ,Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.’ (Joh 15,13). Soldaten in den Tod schicken kann er, aber er selbst lässt sich absolut bewachen und strebt nach Macht – auch er das absolute Gegenteil von Christus, und, indem er ein Christus-Wort missbraucht, sogar eine Sünde gegen den Heiligen Geist begehend, was wirklich an schwarze Magie grenzt. Denn auf diese Weise hetzt er Seelen auf, die sich auf der Seite von Christus wähnen und doch der absoluten Dunkelheit anhängen.

Es kann nur eine einzige Zukunft der Menschheit geben. Und sie beginnt mit dem Karfreitags-Mysterium. Bei Wagner findet sich schon am Karfreitag ein unendlicher Zauber, bis in die Natur hinein – der Karfreitagszauber. Aber was ist seine Bedingung? Die Reue der tief gesunkenen menschlichen Seele, in diesem Fall Kundry. Parsifal begreift den Zusammenhang nicht – und Gurnemanz muss ihn zu dessen Erkenntnis führen. Den Erlöser selbst am Kreuz vermag die Schöpfung nicht zu schauen, aber den in seinem innersten durch Reue und Umkehr erlösten Menschen erkennt sie – und erlebt auch, dass des Menschen Fuß ,mit sanftem Schritt’ heute selbst das kleinste Pflänzchen schont – was wieder tiefes Bild für die unendliche Liebe des Erlösers selbst ist, den auch die Natur auf diese Weise dann ahnen kann. Und für diese Gnade wiederum (des Nicht-Zertreten-Werdens durch den Fuß des Menschen) dankt die Natur durch unsägliches, liebliches Blühen... [o]

Ist dies nicht ein unendlich tiefes Bild? Dass das Geheimnis der Sanftheit zu einem Blühen führen würde – erst dies? Wird hier nicht unmittelbar sichtbar, dass sich Macht und Liebe unvereinbar gegenüberstehen – und dass Liebe nur da bestehen kann, wo es keine Macht gibt, wo alle Macht sich auflöst und selbst ... Liebe wird? Aber wie wenig haben wir bis heute von dem verstanden, was sogar noch die einfachste Kreatur versteht?

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Die Welt ist nur eingetaucht in das Mysterium der Liebe denkbar – alles andere wird keine menschliche Zukunft haben, sondern überhaupt keine, weil es in Abgründe führen wird, entweder schleichend oder auch ganz plötzlich. Das Wesen des Menschen ist so sehr mit dem Geheimnis der Liebe verbunden, dass seine Zukunft völlig verfehlt wird, wenn dieses Geheimnis verfehlt wird – oder gar abgelehnt, verachtet, ignoriert, belächelt, links liegengelassen.

Es können nur immer größere Katastrophen kommen, wenn das Mysterium der Liebe nicht begriffen und ... ergriffen wird. Wenn sich die Seele nicht von diesem Mysterium ergreifen lässt, wird sie von anderen Mächten ergriffen werden – und dies wird immer mehr das Ende werden.

Dies aber beginnt nicht erst bei Geopolitik und Kriegen – es beginnt bereits beim Kapitalismus, der längst auch Geopolitik geworden ist (und letztlich schon seit Jahrhunderten war), nur diesmal eine Geopolitik der Konzerne, die den ,Kuchen’ unter sich aufteilen und selbst dann noch darum kämpfen, die wenigen Mitkonkurrenten auch noch zu verdrängen.

Schon der Kapitalismus ist ein tiefstschmutziges Geschäft. Siehe Blackrock. Solche und unzählige andere Machtkonglomerate gehen über Leichen – und sei es nur im übertragenen Sinne. Wo es darum geht, ob die Profitraten ein- oder zweistellig sind, wird bei allem anderen nicht so genau hingesehen, es ist vielmehr egal, es sei denn, die öffentliche Meinung wird wach, dann wird für ein paar Monate eine Medienkampagne in Gang geworfen – bis man erneut zum ,Business as usual’ übergehen kann. Solange es um Macht geht, ist jede Moral geheuchelt. Teilweise oder zeitweise kann man sie sogar meinen – aber am Ende und unter dem Strich zählen die Profite. Sie sind das wichtigste. Also ist es alles noch immer antichristlich. Kundry ist noch immer nicht umgekehrt – und Klingsor erst recht nicht.

Der Kapitalismus muss enden – oder die Menschheit wird enden. Ob die Markt- und Staatsmacht nun durch direkte Staatsideologie (Osten) erreicht wird oder durch Kapitalkonzentration der oberen Zehntausend (Westen), ist völlig gleichgültig. Unter dem Strich bleibt das gleiche finstere Geheimnis: die Macht als solche.

Kapitalismus kann nur in zunehmende Entmenschlichung führen – dass heute kranke, hilflose Menschen und alte Leute im Minutentakt ,gepflegt’ und abgefertigt werden, ist die Bankrotterklärung des Kapitalismus – und noch immer hat es der fast kochende Frosch nicht begriffen... Dabei ist die Situation des ,Gesundheitswesens’ ebenfalls nur eine Spitze des gigantischen Eisberges. Es ließen sich unzählige andere nennen: Klimakatastrophe, Artensterben, Monokulturen, Tierquälerei (,Fleischproduktion’), Verschwinden des unersetzlichen Regenwaldes, Plastikmüll in der Arktis (ähnlich viel wie überall sonst!) – die Liste ist nicht nur unendlich, sondern sie hinterlässt die Seelen auch nur immer gleichgültiger. Wir leben bereits mitten in der Katastrophe.

Rettung ist nur möglich, wenn sich alles ändert. Macht darf keine Zukunft mehr haben. Damit aber auch Geldmacht nicht mehr. Damit aber muss an die Stelle des Kapitalismus etwas völlig anderes treten.

Menschliches Zusammenleben ist nur im Zeichen echter Gemeinnützigkeit möglich. Profite im Sinne von Konzentration müssen immer unmöglicher werden. Gemeinnützigkeit und Stiftungsmodelle sind längst weit entwickelt – es sind fertige Konzepte. Sie könnten jederzeit das globale Zusammenleben prägen – und zwar vollständig. Keine Profite mehr, keine Geopolitik, kein nationales Wettrennen Staat gegen Staat. Nur noch Gemeinsamkeit. Die Reichen helfen den Armen – bis es keine Armut mehr gibt. Privateigentum an Grund und Boden existiert nicht – allenfalls für jeden. Nie wieder sind Krankenhäuser Profitunternehmen. Auch alles andere nur in dem Maße, um wieder andere Dinge zu ermöglichen – die allen zugute kommen. Gemeinsam wird die Armut bekämpft, der Hunger. Gemeinsam wird der Regenwald gerettet. Gemeinsam werden die letzten Naturparadiese erhalten. Gemeinsam wird die Landwirtschaft wieder vereinbar mit echtem Naturschutz. Gemeinsam wird der Massentierhaltung ein Ende bereitet. Gemeinsam wird einer menschlichen, lebenswerten Zukunft der Weg bereitet. Einer Zukunft ohne Macht. Einer Zukunft ohne Profit.

Wer dies unrealistisch findet, sollte sich einmal fragen, ob er das Überleben des Planeten unrealistisch oder belanglos findet. Und aus welcher zutiefst kranken Haltung heraus er bereits urteilt...

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Die Seelenkrankheit ist weit fortgeschritten. Die allermeisten Menschen wollen die Macht keineswegs beenden – sie wollen einfach nur an ihr teilhaben. Selbst auch ,das Rennen machen’. Selbst auch verdrängen, dass jeder Reiche auf Kosten der Armen lebt. Dass jeder Reichtum bedeutet, dass Andere es nicht geschafft haben – und man durch geheimnisvolle Bande mit diesen verbunden ist und deren Armut und Elend auf dem Gewissen hat. Dass jeder Reichtum eine Offenbarung von Egoismus ist. Und noch einmal: Dass alle diesem Reichtum hinterher-gieren, offenbart nur das ganze Ausmaß echter, tiefgehender Seelenkrankheit.

Welche Seele wäre heute noch gesund? Welche Seele würde Christus folgen und auf alle Macht verzichten? Welche Seele würde ebenfalls einen Karfreitagszauber heraufrufen, weil auch unter ihrem sanften Fuß die Kreatur erkennen würde, dass sich hier etwas ganz Außerordentliches ereignet? Man kennt diese Seele eigentlich nur noch aus dem Märchen. Es wäre das Mädchen... Das Mädchen mit dem reinen Herzen. Das bis in die Schritte seiner Füße sanfte Mädchen. Eine Illusion? Nein ... eine höchste Realität. Ein heiliges Urbild. Immer und immer wiedergeboren in den Herzen und Seelen der Dichter und als Urbild der Märchen sogar im kollektiven Unter- oder besser Überbewusstsein der Menschheit überhaupt. Das Mädchen mit dem reinen Herzen, mit der sanften Seele ist gleichsam die Schwester Christi.

Sie ist es, weil sie in der Liebe ihres Herzens keine Feinde kennt – nur Brüder und Schwestern. Selbst ihre Feinde würde sie noch lieben – mit einer Liebe, die nicht begreifen kann, wie es so etwas wie Feindschaft überhaupt geben kann. Die Sanftheit als Wesenszug – als unmittelbares Zeugnis tiefster Christusnähe. Und so, wie Pilatus dem versammelten Volk sagte: ,Ecce homo – siehe, der Mensch!’, so würde man sagen: ,Siehe – das Mädchen!’ Das Wesen des Mädchens als das, was der Mensch überhaupt erst werden soll. Und was er als heiligste Bestimmung fühlt, wenn er seine tiefste Sehnsucht ernst nimmt. Jene Sehnsucht, die sich im Karfreitagszauber der Schöpfung selbst widerspiegelt. Selbst die Schöpfung begreift, dass die Liebe der tiefste, der heiligste Sinn ist – und sie blüht auf unter dem sanften Fuß derjenigen Seele, die dieses Mysterium in tiefer Aufrichtigkeit im Herzen trägt.

Die Schöpfung selbst spürt, wo ein Wesen das völlige Gegenteil von aller Macht verkörpert. Verkörpert und zur Offenbarung bringt. Siehe – das Mädchen!

Die Zukunft – mit ihrer weltumfassenden Gemeinnützigkeit, mit sinnerfüllten, hingebungsvollen Tätigkeiten, mit gegenseitiger Hilfe, mit absoluter Abrüstung, mit einem Sich-selbst-wehrlos-Machen und gerade damit den anderen begeistern, dies ebenfalls zu tun; die Zukunft mit ihrem Vertrauen, ihrer einseitigen Vorleistung, ihrem Verzicht auf alle Macht und ihrer tiefen Liebe zu allem, was machtlos und hilfesuchend ist – diese Zukunft wird eine Zukunft der Mädchen sein. Oder es wird sie nicht geben.

Karfreitag...