06.06.2022

Ist der Begriff einer göttlichen Welt zu retten?

Vom Ende der bisherigen Vorstellungen.


Pfingsten ist das Fest der Erkenntnis, geschenkt von dem Heiligen Geist, der zugleich der Geist der Liebe und der Brüderlichkeit ist.

Was aber, wenn die heilige Erkenntnis bedeutet, eine ungeheuerliche Einseitigkeit zu begreifen, die den ganzen, zweitausendjährigen christlichen Glauben durchzieht – geradezu unentrinnbar?

Dies beginnt schon bei der Frage, ob der Heilige Geist männlich gedacht wird. Natürlich wird man sofort abwehren – ,Geist’ sei weder männlich noch weiblich. Aber wie ist es mit Sophia? Wurde der Geist nicht oftmals, gerade durch die besten menschlichen Geister, sehr wohl weiblich gedacht? Aber dies waren stets esoterische Strömungen – man denke einmal an die ,Christosophia’ von Jakob Böhme.

Die gewöhnliche Überzeugung der Christenheit beließ die Vorstellung vom Heiligen Geist zutiefst männlich – nicht nur der Heilige Geist, sondern auch der Paraklet, der Tröster. Dies setzt sich fort in der Vorstellung einer allgemeinen Verbrüderung der Menschheit. Der weibliche Teil wurde stets vergessen – zumindest bis in die Begriffe hinein.

Aber wie soll der Heilige Geist auch etwas anderes sein als männlich? Sind doch die beiden anderen Aspekte der miteinander wesenseinen Dreieinigkeit ebenso männlich – der Vatergott und der Sohnesgott. Die Dreieinigkeit ist ein rein männliches ,Gebilde’! So zumindest seit zweitausend Jahren christlicher Vorstellung.

Sich fortwährend darauf zu berufen, dass ,die göttliche Welt’ doch kein Geschlecht habe, gibt keinerlei Ausweg. Das Männliche durchzieht die Vorstellungen, die Worte, die Artikel unwiderruflich – es prägt alles.

Es beginnt bei dem Vaterunser. Warum Vater? Weil der männliche Mensch Jesus von seinem Vater sprach? Jedenfalls wurde dies zementiert. Seitdem heißt es ,Vater unser’. Seitdem heißt es ,Vatergott’, ,väterlicher Urgrund’ und so weiter und so fort. Allein das Credo der Christengemeinschaft beginnt zumindest absolut umfassend mit den Worten: ,Ein allmächtiges geistig-physisches Gotteswesen ist der Daseinsgrund...’ – aber auch dann heißt es, dieses Wesen gehe ,väterlich seinen Geschöpfen voran’.

Christus ist auch hier dann ,zu diesem Gotteswesen wie der in Ewigkeit geborene Sohn’.

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Vielleicht blieb dem mit dem Christus-Liebes-Geist einsgewordenen Mann Jesus, vielleicht blieb sogar dem Liebewesen selbst gar nichts anderes übrig, als damals, in einer zutiefst männlich dominierten Welt, von einem liebenden ,Vater’ zu sprechen – war doch selbst dies schon fast an der Grenze des Verstehbaren. Ging es doch gerade um die Liebe und um einen zutiefst persönliche Beziehung zu diesem göttlichen Urgrund. Dafür gab es überhaupt nur den Vergleich mit der Liebe zwischen Eltern und Kind.

Aber um dies zu verstehen, hätten zweitausend Jahre mehr als ausgereicht – und man hätte längst zu einer unendlichen Vertiefung der Auffassung von dem höchsten Gotteswesen kommen müssen.

Diese Vertiefung nahm man natürlich stets in Anspruch – aber nichts änderte sich auch nur an dem Artikel, nichts änderte sich an dem fortwährend Wiederkehrenden des Väterlichen.

Ein weiteres, was die ganze Kirchengeschichte durchzieht, ist der Sünden-Begriff. Es ist tief männliches Denken, diese Kategorien von Sünde und Strafe – und das Strafende ist der männliche Macht-Begriff schlechthin. Auch eine Mutter kann strafen, möglicherweise, aber sie täte es viel liebevoller – und bei ihr würde sich der ganze Begriff unversehens in etwas völlig anderes verwandeln. Zweitausend Jahre männlicher Kirchengeschichte haben auch dies versäumt.

Die Vorstellungen gehen bis in die Einzelheiten. Nicht genug mit dem Paradies-Mythos, nach dem Eva aus einer bloßen Rippe Adams stammen sollte und dann die erste, die Hauptsünderin gewesen sein soll. Nicht genug damit, dass das Weibliche bis in die Fortpflanzung hinein als bloßes ,Gefäß’ verstanden wurde, während einzig und allein der Mann ,zeugte’, er allein der Potenzträger, das Geistige schlechthin, während die Frau demgegenüber die bloße Materie war. Es setzte sich überall bis ins Kleinste fort. Man sprach Frauen geistige Leistungen ab. Der Mann allein galt als zu schöpferischen Leistungen fähig – war eine Frau dennoch einmal hervorgetreten, witterte man sogleich einen Mann im Hintergrund. Und all dies aufgrund falscher Mythen und eines falschen Gottesbegriffes.

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Selbst die Idealisten sprachen von ,Brüderlichkeit’. Die Sonne, das Christus-Symbol schlechthin, war gerade in der tief geistigen deutschen Sprache männlich – und der Mond mit seinem bloß geborgten, nicht eigenen Licht, weiblich! Während dies in vielen anderen Sprachen anders ist, legten hierfür bereits die zutiefst patriarchalen Römer die Grundlage: Sol männlich – Luna weiblich. Und so kann auch Goethe – auch er ein tief männlicher Vertreter der deutschen Geschichte – in einem seiner berühmten Gedichte schreiben: ,Die Sonne tönt nach alter Weise / In Brudersphären Wettgesang’.

Die gesamte geistige Welt wurde männlich verstanden, vorgestellt, konnotiert, gedacht. Nicht genug mit der Dreieinigkeit – auch alle Engel. Wer verkündete Maria die Empfängnis? Gabriel. Wer wurde das große Wesen, das gegen die Drachenmacht des Bösen kämpfte? Michael. Wer vertrat selbst das Heilende, in einer Welt, in der Frauen nicht einmal Ärztinnen werden durften? Raphael. Und die ganzen ,Erzengel’, die ,Mächte’, die ,Gewalten’, die ,Fürsten’, die ,Herrschaften’, die ,Throne’, die ,Cherubim’ und die ,Seraphim’ – wurden auch nur Einzelne von ihnen weiblich gedacht? Selbstverständlich nicht! Sie waren alle durchweg männlich. Die geistige Welt bestand nur aus männlich vorgestellten und männlich dargestellten Wesen.

Die darstellende Kunst zementierte die männliche Vorstellung immer wieder von neuem. Nichts änderte sich – außer dass die Engel irgendwann überhaupt immer mehr verschwanden. Das änderte aber nichts an der absolut männlichen Dreieinigkeit.

Und neben die Stelle des Gottesglaubens trat mehr und mehr der Siegeszug der Wissenschaft, schließlich der offene Materialismus. Auch dies ein nahezu rein männliches Projekt.

Der Mann war dahin gekommen, dass er sich wie ein Gott gebärdete – nun wollte er auch gar nichts mehr über sich haben, nicht einmal mehr einen allmächtigen Gott. Er wollte nicht mehr nach dessen ,Ebenbild’ geschaffen sein. Er wollte das Original sein...

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Seit jeher wurde der Schöpfer-Gott mit einem maskulinen Geist vorgestellt. Er schuf seine Geschöpfe, betätigte sich selbstherrlich und allmächtig als Schöpfer – und gab seinen Geschöpfen dann Gebote und Gesetze. Männlich kontrollierte er deren Einhaltung und strafte bei Bedarf unerbittlich. Ein rächender, ein eifernder Gott.

Es ging um den Gedanken der Allmacht, des Allbeherrschers (Pantokrator). Das männliche Denken kam von all diesen Gedanken nicht los – und malte sich den (!) Gott entsprechend aus.

Der Mann hat einen ihnen völlig beherrschenden Herrscherdrang – und aus seiner eigenen Beschränktheit konnte er das Göttliche auch niemals anders vorstellen. Der Mann hat ein ungeheures Problem. Schon Schiller erkannte dies in seinem ungeheuer berührenden Gedicht ,Würde der Frauen’. Ich zitiere daraus nur eine der acht Strophe über das tief innerlich zerrissene Wesen des Mannes:

          Feindlich ist des Mannes Streben,
          Mit zermalmender Gewalt
          Geht der Wilde durch das Leben,
          Ohne Rast und Aufenthalt.
          Was er schuf, zerstört er wieder,
          Nimmer ruht der Wünsche Streit,
          Nimmer, wie das Haupt der Hyder  
          Ewig fällt und sich erneut.

Der Mann lebt nicht im Einklang – er lebt aus dem Intellekt und einem rastlosen Willen und will beherrschen. Und sei es zunächst nur die ,Fakten’ – auch dies ist Herrschaft. Der Mann kennt nicht die Mitte des Herzens, er kennt Kontrolle. Er kennt nicht die sanfte Liebe, er muss besitzen. Er muss planen, er muss lenken, er muss die Führung haben, die Oberhand. Und all dies floss zweitausend Jahre lang in ein Gottesbild ein, das fortwährend zementierte, was rein männliches Wesen war.

Und selbst wenn er die ,göttliche Weltenlenkung’ weiser vorstellte als sich selbst, so geschah es doch immer nach seinem Maßstab. Möglicherweise ließ er einige seiner Schwächen weg – aber das Mächtige, das Planvolle, das Weisheitsvolle, das unendlich Führende und alles andere, was die göttliche Welt überhaupt ausmachte, wurde stets männlich gedacht, niemals weiblich. Selbst da, wo er behauptete, er stelle doch überhaupt nicht geschlechtlich vor, vergaß er, dass er bereits wie und als ein Mann dachte.

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Die Frau schenkt das Leben – der Mann führt Kriege und geht über Leichen. Jahrhunderte redete man(n) von ,auserwählten Völkern’, tötete Andersdenkende und hielt dies alles für ,gottgefällig’.

Wie unendlich anders das weibliche Wesen wäre und dementsprechend auch eine göttliche Welt unendlich anders vorzustellen wäre, wenn der Mann sich nicht zum Maßstab aller Dinge erklärt hätte, zeigt erneut Schillers Gedicht – nun eine einzige Strophe über die Frauen:

          Aber auf treuerem Pfad der Gefühle
          Wandelt die Frau zu dem göttlichen Ziele,
          Das sie still, doch gewisser erringt,
          Strebt, auf der Schönheit geflügeltem Wagen
          Zu den Sternen die Menschheit zu tragen,
          Die der Mann nur ertödtend bezwingt.

Wenn es aber gerade die weibliche Sanftheit ist, eine zarte Herzenstreue, die mitten aus der weiblichen Seele fließt, ohne sich darauf irgendetwas einbilden zu müssen – wie der Mann, der stets meint, etwas leisten zu müssen ... wenn es also gerade dieser sanfte weibliche Weg ist, der den tiefsten Zielen des Menschlichen und damit der göttlichen Welt gewiss und sicher heilig entgegengeht ... was sagt dies dann über das wahre Wesen dieser göttlichen Welt? Es entspricht diesem weiblichen Wesen und nicht dem zerrissenen männlichen!

Das weibliche Wesen steht sozusagen im innersten Zentrum der göttlichen Welt – und das männliche bewegt sich zerrissen an deren Rand, stets voller Sehnsucht nach einem heilenden Zentrum, aber nie fähig, ihm näherzukommen, weil er, der Mann, viel zu wenig auf seine Selbstherrlichkeit verzichten kann, die immer ,streben’, immer ,ringen’ muss. Es ist die prometheische Krankheit.

Fortwährend muss der Mann gegen etwas antreten – und sei es, gegen sich selbst. Nie zufrieden, immer weiter, ein wahrer Sisyphos.

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Der Mann schuf das Phänomen der Staatsreligion – Religion als Macht. Er schuf die irdischen Hierarchien, vom Diakon bis zum Papst. Er schuf die absolute Dekadenz, in der selbst die Papsthöfe versanken. Er schuf den Ablasshandel. Er schuf den Sündenbegriff – und versank selbst darin.

Irgendwann setzte der Mann Gott einfach ab. Er schuf den Materialismus. Prometheisch immer weiter: Neue Produkte, neue Profite, neue Erfindungen, neue Machbarkeiten – Neues, immer Neues. Jede Version morgen schon veraltet.

          Ehret die Frauen! Sie flechten und weben
          Himmlische Rosen ins irdische Leben,
          Flechten der Liebe beglückendes Band.
          Sicher in ihren bewahrenden Händen
          Ruht, was die Männer mit Leichtsinn verschwenden,
          Ruhet der Menschheit geheiligtes Pfand.

Wenn man diese tiefen Gegensätze auf sich wirken lässt – könnte man je glauben, dass die göttliche Welt auch nur entfernte Ähnlichkeit mit dem Wesen des Mannes hat? Nicht im Geringsten.

Und wenn man dann sieht, was das Mädchen verkörpert – und man erlebe hier einmal tief mein Gedicht ,Das Pfingsten des Mädchens’ –, so wird deutlich, dass das Mädchen der wahren göttlichen Welt näher ist als jeder andere. Das aber lässt tiefe, tiefe Rückschlüsse auf diese göttliche Welt selbst zu.

Die göttliche Welt offenbart sich dem, der ihr ähnlich wird. Das Christuswesen sagte aber, ein Kind herbeirufend und in die Mitte stellend: ,Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.’ (Mt 18,2). Und so wenig, wie man etwas anderes als ,Vater’ damals verstanden hätte, so wenig hätte man es damals verstanden, wenn das Liebe-Wesen statt ,Kinder’ gesagt hätte: ,Wenn ihr nicht werdet wie die Mädchen...’

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,Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.’ (Mt 5,5-8).

Das alles kann jeder Mensch – aber wer könnte es so berührend, so leicht, so geradezu himmlisch begabt wie die Mädchen?

,Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin! Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel! Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm! Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab!’ (Mt 5,39-42).

Wer wäre dazu fähiger als ein Mädchen? Wenn dies aber auf das Wesen der göttlichen Welt verweist, ist unendlich deutlich, wer dieser Welt am allernächsten ist...

Entweder Christus als Wesen der Liebe hat absolut keinerlei Zusammenhang mit irgendeinem der beiden Geschlechter – oder dieses Wesen hat eine Schwester. Das Gleiche gilt für die göttliche Dreieinigkeit überhaupt. Kein Gott mehr, wenn es nicht auch eine Göttin gibt! Keine männlichen Engel mehr, wenn es nicht auch weibliche Engel gibt – die möglicherweise ganz anders gegen die Finsternis kämpfen. Vielleicht muss man sogar den Begriff des Kampfes hier völlig fallenlassen...

Das wahrhaft christliche Bild einer göttlichen Welt hat möglicherweise noch nicht einmal begonnen, gedacht, gefühlt und gewollt zu werden...