25.06.2022

Die unglaubliche Arroganz des WELT-Chefredakteurs

Und der erschütternde Rückfall eines Anderen.


Inhalt
Poschardts Kritik an Kirche und Evangelium
Bitte einmal Wohlfühl-Christentum
Von Mao zu Maria
Wandlungen zum Schlechteren
Wie ist es möglich?


Poschardts Kritik an Kirche und Evangelium

Ulf Poschardt, der Chefredakteur der WELT und überzeugter Radikalkapitalist, hatte vor viereinhalb Jahren großspurig verkündet, dass die Kirche ihn ,verloren’ habe.

Heiligabend 2017 hatte er gewittert:[1]

Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den #Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?

Es ist interessant, dass die Botschaft der Kirche nicht das ist, was offenbar der stramme CDU-Wähler Poschardt bevorzugen würde. Aber anstatt dass ihn dies zum Nachdenken bringen würde – trägt doch die gerade die CDU das verlogene ,C’ im Namen –, fühlt er sich berufen, die Kirche und ihre PredigerInnen zu kritisieren. Ein gesundes Selbstbewusstsein hat der Mann! Um nicht zu sagen, einen krankhaften Größenwahn.

Aus dem zitierten Artikel erfährt man weiter, dass die Entfremdung von der Kirche schon nach dem Studium geschehen sei. Und man empfinde einmal tief folgendes Zitat:[1]

Bei jeder Taufe oder Hochzeit habe er sich über das geärgert, was dort "serviert" worden sei: "Klischees, ranzige Vorurteile, Dämonisierung von Macht und Erfolg, Verklärung des Opfers und Leids, Lustfeindlichkeit", sagte Poschardt:" Da wurde ich wütender und wütender."

Eine Art Judas, der begreift, dass es nicht um das Reich dieser Welt geht. Einer der mit einem gigantischen Hochmut sogar der Kirche erklären zu können meint, was sie zu vertreten habe – notfalls auch ganz klar gegen die Worte Christi. Weder die Worte vom Himmelreich noch die Botschaft an den reichen Jüngling noch überhaupt irgendetwas von dem, was Christus gesprochen und getan hat, scheint Poschardt auch nur zu interessieren. Und dennoch weiß er, was die Kirche verkünden sollte!

Wahnwitziger wäre auch jemand, der sich für den Kaiser von China hielte, nicht. Das neue Evangelium wäre demnach die Verherrlichung von Macht und Erfolg! Da würde Poschardt sich wohlfühlen, das wäre seine Kirche...

Bitte einmal Wohlfühl-Christentum

Der Artikel endet:[1]

Dennoch würde er sich wünschen, wenn ihn die Kirche wiedergewinnt. "Jeder Mensch, der christlich geprägt aufgewachsen ist und das freudvoll erlebt hat, hat eine Sehnsucht, in gewissen Momenten in die Kirche zu gehen", sagte der Journalist. Er sei dankbar für die von ihm angestoßene Debatte.

Der arme Poschardt! Da hat ihm jemand das Wohlfühl-Christentum der Heuchler vergällt. Er hätte gerne seinen Raubtierkapitalismus gepredigt – und wäre trotzdem manchmal gern in die Kirche gegangen ... wenn, ja wenn man dort auch das Gefühl haben könnte, dass Gott den Erfolg und den Egoismus segnen würde... Oder zumindest seine irdischen Vertreter.

Die Kirche sollte wohl um Poschardt betteln. Wie wäre es mit einer Abbitte der obersten Regionalkirchenleitung, dass man sich zu weit vom Poschardt-Evangelium entfernt habe?

Bereits im Januar 2018 hatte er sich dann noch zitieren lassen:[2]

„Im Gotteshaus muss das Theologische dominieren“, sagt Poschardt. Hier erwarte er eine „existenziell erschütternde Begegnung mit dem Glauben“. Trotzdem dürften sich die Menschen zu ihren Überzeugungen bekennen – „aber als Predigt, nicht als verhinderte Wahlkampfrede vor dem Biomarkt“, findet Poschardt.

Es ist interessant, dass jemand von der ,existenziell erschütternden Begegnung mit dem Glauben’ spricht, der sonst nicht müde wird, knallharten Kapitalismus zu predigen. Kann es sein, dass da jemand versucht, das Wahre und das Falsche unter einen Hut zu bringen – und noch erwartet, dass ihm die Kirche dabei hilft?

Natürlich soll eine Predigt nicht klingen wie ein Parteitag mit Robert Habeck. Aber dass sie einen Poschardt zufriedenstellen soll, wird erst recht niemand erwarten können, der die Botschaft Christi noch halbwegs ernst nimmt.

Von Mao zu Maria

Alan Posener, ein weiterer langjähriger WELT-Redakteur, der erst vorgestern die documenta ,reaktionär’ und den Globalen Süden sinngemäß einen rassistischen elitären Club nannte, die ,Lumbung’-Vision des Kuratorenteams Ruangrupa für ,Humbug’ erklärte und sogar Marx und Engels die Worte im Munde vergewaltigte (siehe alles hier), ist ein weiterer dieser seltsam pathologischen Fälle, die die WELT unter ihrem reaktionären Dach vereint.

Posener ist ein ganz besonderer Fall. Ein Interview mit ihm aus dem Jahre 2000 zeigt, dass er in der Studentenzeit zunächst autoritätsgläubiger Maoist war, später dann Studiendirektor wurde und für den Rowohlt-Verlag Monografien über John Lennon, John Kennedy, Shakespeare und die Gottesmutter Maria verfasst hat. Von Maria wurde er durch seine Arbeit über Shakespeare fasziniert. Und er sagt, dass er inzwischen wieder eine echte Beziehung zum Religiösen und auch zu Maria habe:[3]

Es gibt von Bob Dylan, den ich sehr verehre, eine grundsätzliche Aussage zum Thema Glauben: Wer nicht an Wunder und an Gott glaubt, hat seine Augen nicht aufgetan. Und das stimmt. Die Welt, wie sie um uns ist, ist einfach ein Wunder. [...] Und die Beschäftigung mit der Figur Maria, die ursprünglich nur aus Interesse geschah, führte in der Tat dazu, dass ich immer zärtlichere Gefühle für sie hegte. Ich habe so etwas wie eine Liebesbeziehung zu ihr. Je länger ich an diesem Buch schrieb, desto klarer wurde mir, warum die Menschen des Mittelalters so an ihr hingen.

Und er gesteht schließlich sogar:[3]

[...] indem ich diese Frau verehre, zärtliche Gefühle für sie habe, färbt das sozusagen auf alle Frauen ab und ich erkenne bestimmte weibliche Anteile in mir selber wieder.

Und dann folgt die Aussage:[3]

Modern würde man sagen: zu den wichtigsten Personen des Neuen Testaments muss für die Kirche eine weibliche Leitfigur gehören. Und das ist Maria, deren Antwort an den Engel lautete: Mir geschehe, wie du gesagt hast. Das ist der Gehorsam, der von allen Christen verlangt wird – und diese große Frau macht es vor.

Abgesehen davon, dass Maria bei der Empfängnis ein Mädchen war, ist hier der entscheidende Gedanke ausgesprochen: Es geht um die Hingabe als Gegensatz zu Selbstherrlichkeit und Hochmut.

Und dann wird es sogar sehr politisch-christlich, wo es konkret um die Nächstenliebe geht:[3]

Bei den rechten Ausschreitungen würde ich mir stärkere Worte der Kirche wünschen. [...] Und sie hätten sich dabei auf Maria beziehen können. Sie hätten sagen können, dass mütterliche Fürsorge für unsere Mitmenschen das ist, was uns in der Bundesrepublik gut ansteht. Das was einem gegeben wird, das was kommt, ob es nun ein Kind ist oder eben ein Einwanderer, das mütterlich aufnehmen, da ist Maria das große Vorbild.

Wandlungen zum Schlechteren

Heute, zwanzig Jahre später, hat sich Posener von Maria offenbar wieder sehr entfernt. Anders ist es nicht zu erklären, dass er eine regelrechte Feindschaft zum ,Globalen Süden’ aufmacht und den Gedanken einer tiefen Solidarität füreinander, wie sie im Gedanken und Symbol des ,Lumbung’ liegt, als ,Humbug’ bezeichnet, von dem selbst der Süden angeblich nichts wissen wolle (obwohl Ruangrupa ihn ja gerade mitgebracht hat nach Kassel).

Wahrscheinlich hat die Arbeit bei der WELT, die 1999 begann, extrem schädlich auf ihn eingewirkt.

Und er scheint in den zwei Jahrzehnten, die seit seiner Liebe zu der jungen Frau oder dem jungen Mädchen Maria zurückliegen, nur immer mehr mit dem Kapitalismus zusammengewachsen zu sein. In einer merkwürdigen Inkonsequenz, die bis in die Gedanken hineingeht. Vor zwei Jahren schrieb er in einem kleinen Meinungsartikel:[4]

Nachdem die [...] unsäglichen Arbeitsbedingungen in den Tönnies-Fleischfabriken [...] einer größeren Öffentlichkeit plötzlich als skandalös auffielen, fehlte es bei den Medienkommentaren selten am Hinweis, auch wir Konsumenten seien mit schuld an der Misere. Schließlich wollten wir nicht auf Billigfleisch verzichten. Diese Schuldzuweisung irritiert mich. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr.
Da ist zunächst die Tatsache, dass die Schreibenden nicht zur Klasse gehören, die beim Einkauf jeden Cent umdrehen muss. Sie bestätigen also nur ihre persönlichen Konsumentscheidungen und verleihen ihnen auch noch die Weihe des Moralischen.

Er verteidigt hier immerhin jene, die ,jeden Cent umdrehen’ müssen – aber er stellt nicht die christliche Frage, warum es diese Menschen überhaupt gibt. Denn offenbar liegt darin doch eine tiefe Ungerechtigkeit?

Die zweite Merkwürdigkeit ist, dass er das ,wir’ so leichtfertig übergeht. Denn auch die meisten derer, die es sich leisten könnten, achten nicht auf die Produktionsbedingungen, sondern sparen im Zweifelsfall lieber Geld – ,man wäre ja auch dumm, wenn nicht’. Ist es doch gerade diese Haltung, die der Kapitalismus immer und immer wieder belohnt. Wer mehr Geld hat, kauft teurere Ware nicht, um tier- oder menschengerecht zu handeln, sondern auch wieder nur aus reinem Geschmacks-Egoismus.

Die Tönnies-Situation ist auch für Posener eine Art Naturtatsache, über die man sich allenfalls aufregen kann (,skandalös’) – aber niemand spricht über die systemimmanenten Zusammenhänge, wie sie der Kapitalismus einfach tagtäglich schafft. Bei diesem brutalen Konkurrenz- und Egoismus-System kann nichts anderes herauskommen. Man sieht es überall.

Wer demgegenüber den Kapitalismus noch immer verteidigt – und sogar als alternativlos suggeriert, der hat von Maria und auch von der göttlichen Welt unglaublich wenig verstanden. Und ist einem Poschardt näher als dem jüdischen Mädchen Mirjam und dessen tiefer Herzensgüte und Herzensfülle...

Wie ist es möglich?

Poschardt würde das Christliche finden können, wenn er von seiner eigenen Selbstherrlichkeit loskäme. Anders geht es nicht – und jedes Wohlfühl-Christentum ist einfach nur heuchlerisch.

Die Beziehung, die Posener für eine gewisse Zeit zur Gestalt Marias hatte, ist immerhin bemerkenswert. Aber auch hier sehen wir einen Mangel an Wahrhaftigkeit. Maria steht letztlich für etwas sehr, sehr Tiefes (,...und bewahrte alle Worte in ihrem Herzen’).

Wer diese Tiefe nicht bereit ist, auch in sich selbst zu entwickeln, sondern wem es trotz allem noch immer um Karriere und anderes geht – oder wer durch ein Umfeld, wo es fortwährend darum geht, korrumpiert wird –, der wird die Sphäre Marias früher oder später wieder verlassen und verlieren, weil er die heilige Tiefe einfach nicht ,halten’ kann, die einmal dagewesen sein mag, als er sich intensiv mit Maria beschäftigt hatte.

Die ganze hektische Oberflächlichkeit unserer Zeit kommt in einem kurzen Video eines Disputs zum Ausdruck, an dem Posener 2011 teilnahm, wo er gegen die Religionen argumentierte [o]. Man kann nur sagen: Wenn man sich für solche ,Events’ hergibt, verliert man fast zwangsläufig den wahren Ernst und die wahre Tiefe der Seele. Vielleicht ist das auch genauso gewollt.

Aber dann muss man sich nicht wundern, wo die eigene Seele schließlich landet, um nicht zu sagen: strandet. Nämlich bei einer fast zynischen Abgeklärtheit, die den technizistischen Kapitalismus predigt – mit Drohnen für Pestizide, Bauern als Cashcrops-Produzenten –, den Globalen Süden einen ,elitären Club’ nennt, jede Vision von Solidarität und Gemeinschaft als Vision auch in größerem Zusammenhang ,Humbug’...

Man fragt sich, was in solchen Seelen geschieht, die einst bekennen konnten, sie hätten für Maria eine zärtliche Verehrung empfunden. Wie sehr kann man dann trotz allem seine Seele und ihre heiligsten Regungen wieder verraten? Regungen, die ein Poschardt nie kannte, aber ein Posener immerhin schon?

Quellen:

[1] "Mich hat die Kirche verloren" Domradio, 27.3.2018.
[2] „Im Gotteshaus muss das Theologische dominieren“. Welt.de, 3.1.2018.
[3] ,Maria hat viele Gesichter’. PUR-Magazin, Dezember 2000, www.kath.net, 23.11.2007.
[4] Alan Posener: Missverstandener Kapitalismus. Welt.de, 24.6.2020.