02.07.2022

Das Mädchen als Schwester Christi und Luzifers

Zur spirituellen Erkenntnis der urbildlichen Gestalt des Mädchens.


Inhalt
Schublade und Reduktion
Seele
Berührung
Verwandlung
Zwischen Luzifer und Christus
Schönheit
Luzifer oder mehr
Die Liebe
Christliche Mysterien
Die Heilung Luzifers


Schublade und Reduktion

Das Mädchen ist eine Gestalt, die seit Jahrhunderten nicht nur die männliche Seele beschäftigt. Allein schon unzählige Beispiele der Poesie und Literatur legen Zeugnis darüber ab, dass kaum etwas so berührt und so anzieht wie das Mädchen – seine ganze Gestalt, sein Wesen.

Wer hieran nicht zu umfassenderen Fragen erwacht – und das Ganze schnell als Phänomen abhakt oder aber in jene Schubladen einordnet, die er sich geschaffen hat –, könnte möglicherweise auch seine eigene Seele für allerwesentlichste Erkenntnisse vielleicht bereits blind und empfindungslos gemacht haben.

Unsere Welt ist voll von Schubladen. Auch Poesie und Romantik werden schnell in eine solche abgelegt, eingeordnet, rationalisiert. Sie sind aber wiederum nur als Beispiel angeführt worden. Man mag sie abtun, wie man will – aber die eigentliche Frage ist die Gestalt des Mädchens selbst. Und seine Anziehung.

Wer die unzähligen Zeugnisse der Dichter (und Dichterinnen!) leichtfertig abtut, ist schnell mit anderen Erklärungen bei der Hand. Und am naheliegendsten in einer materialistischen Zeit ist natürlich eine materialistische Erklärung. Das Mädchen erweckt einfach durch unmittelbar verständliche, evolutiv angelegte Faktoren das Begehren männlicher Individuen. Jugendlichkeit und Ebenmäßigkeit signalisieren Gesundheit und Fruchtbarkeit – und der Prozess der Evolution hat hier unausweichliche Schlüsselreize geschaffen...

Das Problem jeder reduktionistischen Erklärung ist, dass sie stets mehr verdeckt als sie erklärt. Denn sie suggeriert mit einer großen Macht, etwas sei nunmehr ,erklärt’. Dass es so etwas wie das Phänomen der Anziehung schon auf basalster Stufe und dann auch so etwas wie Begehren gibt, macht allzu leicht blind für alles, was es noch gibt – und was vielleicht viel wesentlicher ist.

Seele

Was auch immer das jeweilige Weltbild ist – es mag so reduktionistisch sein, wie es will –, so weiß doch jeder Mensch, dass er mehr ist als ein Reiz-Reaktions-Automat und ein instinktgebundenes Tier. Wer jedoch nicht bereit ist, den Begriff der Seele zu fassen, wird nie verstehen, was er dennoch gleichwohl als eine Realität und Tatsache erlebt.

Aber allein schon, dass so ein Phänomen wie Anziehung verschiedenste Qualitäten haben kann, macht offenbar, dass es hier nicht einmal im Ansatz um bloße ,Reiz-Reaktion-Automatismen’ gehen kann – was vollends daran deutlich wird, dass der Mensch sich zu dem, was geschieht, gerade stellen muss. Sofern die Anziehung ein Faktum ist – was folgt daraus? Man kann sie verdrängen, man kann sie wahrnehmen, man kann ihr folgen und noch viele andere Dinge – und all dies auf unzählige verschiedene Weisen. Allein dies zeigt, was für ein Kosmos der Mensch ist – und allein schon die Seele.

Das Mädchen hat nun aber auch eine Seele. Und es ist möglich, dass Menschen zum ersten Mal erleben, dass es so etwas wie eine Seele gibt, wenn sie einem Mädchen begegnen... In jedem Fall aber sind wir nun bereits auf einer ganz anderen Ebene als der reduktionistischen. Wir haben diese Ebene sogar im Moment völlig verlassen, obwohl sie noch immer hineinspielen mag.

So kann ein Mädchen zum Beispiel auch gerade deshalb anziehen, weil es noch eine sehr reine Seele hat. Und wenn wir dies nochmals erweitern und das Wörtchen ,noch’ streichen, kommen wir auf die Ebene des Wesens. Es könnte sein, dass ein Mädchen gerade deshalb anzieht, weil es überhaupt eine sehr reine Seele hat – gerade dieses eine, bestimmte Mädchen. So kommen wir selbst über die Sphäre der Seele noch hinaus zu etwas sehr Heiligem, was der reduktionistische Blick durch seine absolute Blindheit regelrecht schändet.

Spätestens die Anziehung der Unschuld geschieht nicht mehr auf der reduktionistischen Ebene möglicher evolutiver Reiz-Reaktions-Mechanismen und Automatismen, sondern ihr Reich ist das der Seele, ihre Offenbarung ist die Berührung. Eine Seele ist von dem, was sich ihr offenbart, berührt. Diese Berührung muss in keiner Weise bloß sentimental sein, sie kann existenziell sein – und damit etwas tief Objektives. Seelen, die diese nicht wahrnähmen, würden also zum Beispiel etwas verdrängen oder eine tiefere Empfindungsfähigkeit bereits verloren haben.

Berührung

Das heilige Phänomen des Berührtwerdens ist etwas Umfassendes. Es kann ein einziger Aspekt sein, wie etwa die Freigebigkeit eines Menschen, aber die Unschuld oder auch Reinheit einer Seele ist bereits selbst etwas Umfassendes. Sie kann sich nur offenbaren, wenn eine Seele noch frei geblieben ist – oder sich frei gehalten hat – von niederziehenden, profanisierenden, verflachenden, verhärtenden Wirkungen. Und es ist selbst wiederum ein Rätsel, ein Mysterium, warum dies dann so berührt. Warum Unschuld etwas so Berührendes ist.

Wenn die Seele beginnt, solche Fragen zu haben und ihnen nachzugehen, innerlich, in einer tiefen, aufrichtigen Erkenntnissuche, führt dies ebenfalls zu existenziellen Erkenntnissen. Auf diese Weise wird das Berührende und das Geschehen der Berührung selbst zu einem Wahrnehmungsorgan ... es öffnen sich Wahrnehmungsorgane der Seele ... die Seele selbst beginnt zu schauen und zu begreifen, zu empfinden und zu erleben, aber immer mehr begreifend zu erleben... Immer tiefer versteht sie, dass etwas nur berühren kann, wenn es mit dem eigenen tiefsten Wesen irgendwie zu tun hat ... vielleicht sogar mit einer Bestimmung...

Unschuld berührt nur deshalb die Seele, weil sie tief auch mit der eigenen Seele zu tun hat. Als ein heiliges, verdrängtes Wissen um das Verlorene, und zwar auch menschheitlich, und als ein noch heiligeres Wissen um das Wiederzufindende. Unschuld berührt nur deshalb so tief, weil im Mädchen der Seele die eigene Menschheitszukunft entgegenkommt.

Würde man statt ,Mädchen’ ,Christus’ setzen, so würden mit der Anthroposophie vertraute Menschen sofort in tieferer Weise begreifen, was damit gesagt ist. Das Mädchen mit einer unschuldigen Seele ist aber mit dem Christuswesen zutiefst verbunden – auch dies sollte offensichtlich sein, und, wo es dies nicht wäre, zumindest empfunden werden können. Die Unschuld des Mädchens offenbart ein essenzielles Element der heiligen Zukunftsseele schlechthin. Sie ist damit tiefe Prophezeiung.

Damit aber ist die umfassende Anziehung des Mädchens, insofern sie gerade auch diese Ebene zutiefst umfasst, alles andere als beliebig oder sogar suspekt. Sie wäre regelrecht notwendig. Notwendig einer Menschheit, die radikal ihre Unschuld verliert – und sich nicht nur immer tiefer in Schuld verstrickt, sondern vor allem auch in Untergang. Einen Untergang, an dem sogar scheinbar immer weniger irgendwem die Schuld gegeben werden kann, weil die Probleme so komplex werden, dass sie nur noch auf einem Wege gelöst werden können: Auf dem Wege einer neuen Unschuld schlechthin. Alles wird nicht retten, was nicht auf eine sehr bewusste Weise wieder die Unschuldskräfte in der Welt vermehrt.

Das Mysterium der Unschuld ist mit dem des guten Willens tief verbunden. Unschuld ist die Abwesenheit von Egoismus und gewöhnlichem Selbstbezug. Aber ist sie auch die Anwesenheit von etwas? Sie ist immer da innig mit dem Geheimnis des guten Willens, einer tiefen Sehnsucht nach dem Guten, verbunden, wo sie nicht bloß platte Naivität ist. Für den ,guten Willen’ haben wir kein einfaches Wort – aber wo ein Wesen in unserer Zeit auch da noch in berührender Weise unschuldig ist, wo es alle anderen Seelen bereits in demselben Alter nicht mehr sind, kann auch das Mysterium des guten Willens in ebenso tiefer Intensität regelrecht vorausgesetzt werden – und berührt die Seele dann fortwährend ebenfalls. Zusätzlich geht es aber um jene heilige Qualität, die all dies gerade dadurch annimmt, dass es sich in einem Mädchen offenbart, etwas, was selbst so ein wunderbares Wort wie Anmut nur umschreiben kann, was aber von den meisten Seelen überhaupt nicht mehr verstanden wird.

Verwandlung

Jede Berührung ist essenziell und in tiefster Hinsicht eine Erinnerung. Dasjenige, was so sehr berührt, das berührt ganz real im eigenen Inneren die tiefsten Saiten des eigenen Wesens. Man muss absolut ernst nehmen, was hier geschieht. Nichts anderes ist so essenziell wie das Phänomen der Berührung. Und nichts ist heute so verkannt und so verdrängt. Wir leben in einer Welt, die die Berührung geradezu abschafft – oder aber auf ihre sentimentalen Surrogate reduziert und erniedrigt. Das Mysterium der Berührung ist aber so existenziell wie Geburt und Tod, wie Vermählung und Kommunion – es ist all diesem zutiefst verwandt und innig verbunden. In der Berührung wird die Seele buchstäblich mit ,letzten Fragen’ konfrontiert – und begreift es fast nie, was eigentlich geschieht.

Wenn jedoch die Berührung so intensiv und so tief geht, dass sie zugleich mit dem Wort ,Erschütterung’ umschrieben werden kann, kann die Seele der Erkenntnis nicht mehr ausweichen, dass Berührung immer auch etwas Verwandelndes ist – auch hier wird wieder der Bezug zum Christus-Geheimnis sehr deutlich. Das Berührende verwandelt das, was berührt wurde oder sich berühren ließ, stets leise in das eigene Wesen. Mit jeder Berührung durch Unschuld wird die Seele selbst unschuldiger – und dies umso tiefer, je tiefer die Berührung ging oder geht. Damit ist Berührung unmittelbar mit dem Mysterium des Heilenden verbunden – und die Beziehung zum Christus-Geheimnis wird immer inniger.

Berührung ist nur da möglich, wo die Seele empfänglich ist. In der Berührung ist die Seele gleichsam das Empfangende – und das Berührende ist das Beschenkende. Es ist dabei ein weiteres Mysterium, dass dieses Beschenkende davon überhaupt nichts wissen muss – was gerade in dem Reich der Unschuld ganz besonders der Fall ist. Wenn also ein Mädchen durch sein ganzes Wesen berührt, muss es davon nicht das Geringste wissen oder verstehen ... es tut es trotzdem und ist geheimnisvoll die Handelnde, während die Seele, die berührt wird, geheimnisvoll die ,Erleidende’ (griech. pathein = passiv) ist, der etwas geschenkt wird. Die Berührung kann dabei so tief sein, dass sie absolute Kontinuität gewinnt – sie hält so lange an, vielleicht sogar in tiefster Weise, wie das Berührende überhaupt nur anwesend ist ... und sogar noch danach, sogar noch die Erinnerung kann grenzenlos berühren...

Das Berührende ist das Sich-Schenkende. Ein Mädchen, dessen Wesen berührend ist, schenkt sich in jedem Moment – ob es will oder nicht. Die Unschuld ist das Sich-Schenkende schlechthin – denn sie verströmt wie eine Sonne Licht, Leben, Heilung. Und erneut sollte man die Nähe zum Christus-Mysterium spüren. Die Seele, die von der Unschuld berührt wird, tief berührt, gibt sich hin – sich selbst ebenso tief öffnend, vielleicht in grenzenloser Verehrung, jedenfalls in heiliger Seelen-Hingabe. Und so hat das Berührende das Berührte in sich selbst verwandelt: in Hingabe. Das Mädchen gibt sein Wesen immer hin – weil es ohne jedes Hindernis ausstrahlt ... und die Seele, die davon berührt ist, gibt sich diesem grenzenlos heilenden Erleben hin ... und ist in gewisser Weise in diesem Moment selbst Mädchen geworden.

Wer diese Mysterien nicht tief genug erlebt, kann das Gesagte schlicht nicht verstehen, allenfalls erahnen.

Zwischen Luzifer und Christus

Die Berührung kann aber auch unerkannt bleiben – und die Seele kann das eigentlich so tief Berührende auch in subtilem Eigensinn für sich ,verwenden’.

Dann ist die berührende Unschuld eines Mädchens nichts weiter als die Projektionsfläche für die eigene Selbstbestätigung. Indem gerade das Mädchen mit dem guten Willen und der tiefen Unschuld noch nichts Eigenes will – denn es kennt den Selbstbezug gerade nicht –, ,eignet’ es sich hervorragend zur absoluten Selbst-Bestätigung.

Dies sind dann zugleich die Standardvorwürfe gegenüber Männern, die sich in Mädchen verlieben, anstatt ,erwachsene’ Beziehungen zu führen, mit einem ,echten’ Gegenüber – wozu sie offenbar gar nicht fähig sind, weil sie keine Partnerschaft suchen, sondern Bestätigung. Selbstbestätigung.

Dies mag vielen Konstellationen zugrunde liegen, wo ein Mann eine Beziehung zu einem Mädchen sucht. Diese Deutung aber absolut zu setzen, wie es etwa der dominante Missbrauchsdiskurs tut, verkennt vollkommen die gesamte heiligere Realität, die im Vorangegangenen entwickelt wurde. Und es könnten gerade die ,Christussucher’ unter den männlichen Seelen ebenfalls diejenigen sein, die von einem Mädchen besonders berührt werden – weil ein Mädchen nicht nur ,perfekte Projektionsfläche’ sein kann, sondern auch eine wahre Meisterin der Begegnung ist – und zwar auch dies wieder durch seine Unschuld.

Hier wird sehr deutlich, wie der Mann ganz offensichtlich zwischen Luzifer und Christus gestellt ist – und was von beidem tatsächlich der Fall ist, entscheidet sich in der Seele des Mannes, nirgendwo anders. Das Mädchen aber steht auf der Seite von Christus, weil es in tiefster Hinsicht notwendig die reinsten Seelenregungen aufrufen würde.

Schönheit

Nun kommt aber auch noch die Schönheit hinzu. Schönheit ist ein absolutes Mysterium. Egal, wo sie in wahrhaftiger, unschuldiger Weise auftritt – ob in der Natur, in menschlicher Gestaltung von Dingen –, wirkt sie heilend. Der Mensch braucht Schönheit wie die Luft zum Atmen. Ohne Schönheit verkümmert die Seele zu bloßen Rudimenten. Das bloß Effiziente, Sachgerechte, das nur noch Funktionen erfüllt, ist überhaupt nicht mehr menschlich – es ist abstrakter Tod, nichts weiter.

Nur weil dies so ist – dass Schönheit sowieso immer und überall tief anzieht, tief notwendig ist –, kann auch die Schönheit eines Mädchens so tief berühren, dass es wiederum erschüttert. Und verbunden mit der inneren Schönheit des Wesens eines Mädchens kann dieser Eindruck – als absolute Entsprechung und gegenseitige Steigerung – so tief werden, in einer dafür empfänglichen Seele, dass sie sich rettungslos verlieben muss – sich dagegen gar nicht wehren kann, selbst wenn sie es wollte.

Auf der anderen Seite aber kann Schönheit seelisch natürlich auch immer einfach nur ,genossen’ werden. Statt sich von ihr ebenfalls heilen und verwandeln zu lassen, behält die Seele ihr Eigenwesen und konsumiert die Schönheit genießerisch, vielleicht sogar schwelgend. Es ist essenziell wichtig, diese Seelenbewegungen zu unterscheiden – sie stehen einander fast diametral gegenüber. ,Fast’, weil auch der selbstbezogen genießende luziferische Höhenflug der Schönheit natürlich eine Befreiung aus der Seelenkälte und Öde einer immer seelenloseren Welt ist. Man kann also sagen: Selbst wer die Schönheit eines Mädchens nur genießt, wird leise in einem Teil seiner Seele geheilt – er merkt es aber nicht einmal und bleibt im Übrigen dennoch weitgehend, wie er ist.

Die Schönheit an sich, als äußere, hat zunächst viel mit dem Reich Luzifers zu tun. Es ist das Reich des Schönheitsglanzes, des schönen Scheins – eines Scheins, der noch nichts Moralisches hat, sondern einfach nur schön ist. Das ist nichts Schlimmes, im Gegenteil – es ist und bleibt heilend. Die gesamte Schönheit der Schöpfung ist göttlich. Luzifer ist ursprünglich der strahlende Bruder Christi – Bruder! Was nun Luzifer aber tut, ist, die Seele dazu zu verführen, sich in diesem Schönheitsreich zu verlieren. In bloßem Genuss – oder in bloßen Träumereien, in immer wesenloseren Phantasien, unendlich angenehm, aber wesenlos...

Vor diesem Hintergrund ist deutlich, dass mit der Schönheit eines Mädchens, vielleicht sogar einer tiefen Lieblichkeit, das Reich Luzifers nicht weit ist. Es ist aber auch in der Romantik nicht weit. Alle Träume, Phantasien, Sehnsüchte sind so gesehen Luzifers Reich.

Luzifer oder mehr

Luziferische Träume und Phantasien verändern den Menschen aber nicht – allenfalls machen sie ihn dem Reich Luzifers immer geneigter.

Es gibt aber auch eine Sehnsucht, die etwas Reales ist – weil sie fortwährend real an der Seele arbeitet, diese in dem Maße läuternd, wie sich die Sehnsucht vertieft. Es ist keine sich verlierende Sehnsucht – es ist eine das eigene Wesen gewinnende Sehnsucht. Jede Sehnsucht, die nicht unmittelbar einem konkreten Menschen oder Gegenstand gilt, richtet sich auf ein Ideal. Es gibt wesenlose Ideale – oder solche, die geheimnisvoll fortwährend in die Seele hineinarbeiten, sich eingraben, verstanden in einer heiligen Bedeutung. Ideale, die sich heilig ein-prägen. Bis in das Wort hinein haben wir hier die innige Verbindung mit der Er-inner-ung.

Rudolf Steiner sagte einmal, dass selbst Ideale so intensiv und individuell in der Seele lebendig werden müssen, wie man es sich kaum vorstellen kann, bevor sie im wahrsten Sinne ,menschlich’ heißen können. Bloß relativ abstrakt bleibende Ideale sind also immer noch luziferisch-ahrimanisch tingiert, und erst diese allertiefsten Ideale sind durchchristet.

Ein solches Ideal kann aber auch das Mädchen selbst werden – denn sein lebendiges Urbild umfasst gerade so tief menschliche Ideale, dass sie wirklich das Menschheitsziel vor Augen stellen: Unschuld, tiefe Hingabekräfte, tiefe Beziehungsfähigkeit, reiner guter Wille, Zartheit der Empfindungen.

Und nun ist es tief deutlich, dass man sich sowohl sehr luziferisch als auch in tiefster Aufrichtigkeit und eigener Hingabe in ein Mädchen verlieben kann – oder in die Gestalt des Mädchens schlechthin. Und dass in letzterem Fall – dem der tiefsten Aufrichtigkeit – diese Hingabe und das Mädchen selbst fortwährend die eigene Seele verwandeln, immer tiefer.

Dass auch die gesamte Anziehung des Mädchens, einschließlich der Lieblichkeit seiner äußeren Gestalt, hier eine notwendige, eine heilende Bedeutung hat, sollte nun immer tiefer verstanden werden können. Die Kraft der Anziehung ist das heilige Eros-Geheimnis des Mädchens. Ohne dieses gäbe es keine Anziehung, gäbe es auch keine Romantik, gäbe es nichts als bloße Körper – oder aber sogar bloße Geistwesen. Wir leben aber (aus heilig-notwendigem Grund) in einer Sinneswelt, und die Anziehung eines Mädchens ist so zart, dass sie selbst wieder ein Mysterium ist. Sie entspricht völlig dem übrigen Wesen des Mädchens, das im Grunde fortwährend an der Grenze zwischen Sinneswelt und Übersinnlichem lebt, zart ätherisch... Und wieder spüren wir die Christus-Nähe, wenn wir aufrichtig genug sind.

Die Liebe

Das heiligste Geheimnis des Mädchens ist es, dass es eine Liebe erweckt. Und es tut dies, weil es anzieht. Es erweckt die Liebe gerade durch seine Anziehung. Es ist, wie wenn es anziehen wollte, damit die Liebe in die Welt kommen könne... So ist es unmittelbare Heilerin, denn es erweckt die Liebe ... selbst da, wo schon lange alles tot schien. Auch dies ist immer wieder Motiv von Literatur und Dichtungen gewesen.

In Wirklichkeit vermag die Gestalt des Mädchens beides: Sie vermag, das niederste Begehren zu erwecken – und die allertiefste Liebe. Beides durch seine Unschuld. Das erstere richtet sich auf das geradezu ,perfekte Opfer’ – die letztere auf ein Wesen, das so tief berührt wie nichts anderes. Das Mädchen aber steht auf der Seite von Christus...

Wenn aber das Mädchen tiefste Liebe erwecken kann – und dies möglicherweise sogar seine ,ewige Mission’ ist –, dann erweist sich die Verengung der Betrachtung auf einen ausschließlichen Missbrauchsdiskurs geradezu als eine ihrerseits fast grenzenlose Tragik. Denn es gibt eine Liebe zu der Gestalt des Mädchens, die der Menschheitsentwicklung geradezu notwendig ist – die aber geradezu ausgerottet wird, wenn die Gestalt des Mädchens nur noch als ,Missbrauchsopfer’ inszeniert wird.

Das Mädchen ist eine absolut heilende Gestalt – einschließlich seiner zarten Eros-Kräfte. Man kann dahin kommen, zu empfinden, dass sie von einer höchsten Welt geradezu als heilige Flamme in die Welt hineingeschenkt wurden, zusammen mit dem Mädchen, damit die Menschenwesen ihren heiligsten Ursprung nicht ganz vergessen. Das Mädchen hütet das Mysterium des Zärtlichen – auch in seiner zarten Anziehung. Im Mädchen ist Luzifer tatsächlich noch der innige Bruder Christi, denn das Mädchen ist gleichsam unmittelbar Christi Schwester.

Und wo das Mädchen eine tiefe Liebe erweckt, tut es nichts anderes, als Christus zu helfen, Seelen zu gewinnen. Die Liebe zu einem Mädchen kann so tief werden, dass die Seele überhaupt erst erlebt, wie tief die Liebe werden kann. Es sind Mysterien mit dem Mädchen verbunden, die so heilig sind, dass vielleicht überhaupt eine neue Sprache gefunden werden muss. Und ein neues Begreifen, in einer neuen, tiefen Aufrichtigkeit ... und Unschuld.

Christliche Mysterien

Das Mädchen ist das schönste Geschöpf auf Erden. Es gibt nichts, was der (männlichen) Seele das Urteil ,schöner’ abringen könnte. Zusammen mit seiner Verletzlichkeit löst es eine grenzenlose Berührung aus, Sehnsucht. Diese Verletzlichkeit ist aber bereits Teil seiner Schönheit. Dasselbe gilt für die zarte Ausstrahlung des Mädchens. Dies gerade ist es, was auch das Empfinden ,Schönheit’ wirklich grenzenlos werden lässt.

Dasselbe aber führt jedes ,Besitzenwollen’ in eine Regung eigener Hilflosigkeit hinein. Man besitzt sich selbst nicht mehr, sondern ist längst berührt worden, dauerhaft – und die Seele lebt längst in einer Hingabe an diese Schönheit, an dieses Berührende. Diese Schönheit könnte ,genossen’ werden, aber die Seele ist längst so selbstlos wie nie zuvor, so hingegeben, dass man von ehrfürchtiger Sehnsucht sprechen könnte. Von einer hilflosen Sehnsucht – denn das Mädchen ist sowohl unerreichbar als auch in seiner Schönheit so vollkommen, dass man seiner nie würdig wäre.

Auf diese Weise wird die Sehnsucht grenzenlos – in ihrer Hilflosigkeit, in ihrem Berührtsein, in ihrer zarten Intensität. Die zarte Ausstrahlung des Mädchens lässt einen grenzenlos glauben, idealisieren: Dieses Mädchen wäre grenzenlos sanft, verständnisvoll, es ist hingebungsvoll. All dies wird durch das Leuchten der Anmut eines Mädchens zu einem geradezu sicheren Wissen.

Aber dasselbe Mädchen hat ja längst die eigene Seele grenzenlos hilflos gemacht – sie ist ja längst selbst in einer Absolutheit hingegeben, die sie niemals gekannt hatte, würde längst selbst grenzenlos sanft und verständnisvoll sein ... und die einzige Sehnsucht ist, dass das Mädchen ein Bedürfnis danach haben könnte... Aber nicht einmal das wird man je erfahren... Man würde diesem Mädchen alles schenken... Aber man kann es nicht...

Was man hier erlebt, ist das mit einer erschütternden Intensität erlebte (vorgestellte, ersehnte) Ideal tiefster Begegnung überhaupt. Es ist das, was in der christlichen Esoterik ,Kommunion’ genannt wird – Vereinigung. Die tiefste, innigste nur denkbare Vereinigung – nicht einmal mehr denkbar, nur noch erahnbar, durch die Sehnsucht erahnbar...

Die erschütternde Begegnung mit einem solchen Mädchen – wie sie nur in der Seele des Mannes stattfindet, weil er nichts tun kann – gleicht vollkommen den heiligen vier Mysterienschritten des Gottesdienst-Geschehens. Der erste Schritt: Das Evangelium. Das Mädchen spricht zur männlichen Seele: Siehe, ich bin deine vollkommene Heilerin... Der zweite Schritt: Opferung. Die Seele des Mannes ist vollkommen hingegeben, noch bevor sie es weiß. Der dritte Schritt: Wandlung. Diese ist bereits vollzogen, denn nie zuvor hatte die Seele eine solche Hingabe gekannt. Der vierte Schritt: Kommunion. Dieser ist gleichsam identisch mit dem ersten, denn die Berührung des Mädchens war der absolute Ursprung. Das ganze Wesen des Mädchens drang so tief in die eigene Seele ein, dass diese Einswerdung die hilflose Sehnsucht und Hingabe erst ausgelöst haben...

Und im Grunde wird dieser erschütterndste Eindruck, den die Seele je gehabt hat, auch nie wieder gehen. Das Mädchen wird für immer in der Seele des Mannes sein... ,Siehe, ich bin bei dir bis in das Ende aller Tage.’

Die Heilung Luzifers

Wer all dies als luziferischen Wahn, als wesenlose Phantastereien, abtäte, hätte noch immer nichts verstanden. Ja, ganz offensichtlich kann man es auch so interpretieren, als würde das Mädchen gerade von Christus wegführen – denn sind nicht sämtliche Regungen, die sich auf das Mädchen erstrecken, solche, die sich Christus zuwenden müssten? Sind nicht sämtliche ,Eigenschaften’, die man in das Mädchen hineininterpretiert, solche, die man in höchstem Sinne nur Christus zuschreiben kann und in Ihm sehen sollte?

Die Sehnsucht, die das Mädchen auslöst, bindet darüber hinaus geradezu an das Sinnliche. So gesehen erringt Luzifer im Mädchen und durch das Mädchen seinen größten Sieg – denn er ringt die (männliche) Seele Christus ab und vereinnahmt sie für sich... Für den wesenlosen Schein, für ein Schein-Reich, für die Phantastik...

Aber es geht eben nicht um wesenlose Träumereien, es geht um reale Erlebnisse der männlichen Seele, die diese so nie zuvor gekannt hat – und von denen sie tiefer verwandelt wird als jemals zuvor. Wer dies geringschätzt, erweist seine eigene Kaltherzigkeit im Urteil ... und seine Christusferne. Und selbst das Reich des (auch) Sinnlichen: Die Seele soll über sehr lange Erdenzeiträume im Sinnlichen lernen, die höchste Liebe zu finden – gerade auch durch Schmerz, Verlust, Entbehrung, Sehnsucht. Die heiligste Mission des Erdenlebens als einer Tatsache ist, die Liebe immer tiefer zu machen – wie wir es uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Wer immer gleich mit ,Christus’ kommt, erweist sich erneut als kurzsichtig, verständnislos und liebe-arm, denn er fordert einen Weg, der für die meisten, für nahezu alle Seelen überhaupt niemals gangbar sein wird, bevor sie nicht andere Wege gegangen sind, die auf heilige Weisen überhaupt erst einmal immer mehr zu dem christlichen Mysterium hinführen. Und vielleicht immer schon ebenfalls Christi Wege sind – auch wenn man sie völlig verkennt, weil sie nicht ,geistig’ genug sind.

Viele Wege führen zu Christus. Wer dies nicht anerkennen will, gleicht den Essenern, die nur ihren eigenen Weg als den ,reinen, wahren’ gelten ließen. Das Mädchen führt nicht von Christus weg, es führt erst wahrhaft zu Ihm hin. Alles, was mit dem Mädchen verbunden ist, hat mit Christus zu tun – das Geheimnis der Schwäche, des Sanften, der Hingabe, der Unschuld. Und wenn das Mädchen nicht nur mit all diesem anzieht, sondern auch noch mit einer erschütternden Schönheit des Leiblichen, fortwährend angrenzend an das Ätherische, so mag dies auch Luzifer sein, aber es ist im Mädchen immer schon seine Niederlage, seine Heilung.

Luzifer möchte verführen. Aber das Mädchen berührt. Wie Christus. Und so ist es Erlöserin.