04.07.2022

Das Mädchen als Meisterin der Begegnung

Lebendige Perlen zur Erkenntnis der Mädchengöttin.


Novalis – schon mit seinem Namen deutete er auf das vollkommen Neue ... und darauf, dass innerlich alles neu geworden sei und neu werden müsse, um das Neue überhaupt erkennen zu können. Und Novalis wusste, dass bis in die Sprache hinein alles neu werden müsse, um die Wirklichkeit zu erkennen. Oder von ihr zeugen zu können.

In der Erkenntnis des Mädchens bewegen wir uns in einer Lebenssphäre. Alles wird lebendig. Und bevor dies nicht geschieht, sind wir, ist die einzelne Seele noch überhaupt nicht in jener Sphäre, in der das Wesen des Mädchens erkannt werden kann. Da, wo die Erkenntnis lebendig wird – und wo sie Leben wird, da nähert sie sich auch dem Mädchen. Und schon dies aussprechend, wird unendlich deutlich, dass sowohl das Mädchen als auch die Erkenntnis des Mädchens tief zusammenhängen mit der Christus-Sphäre, mit jenem Wesen, das die Lebenskräfte hütet, ja von sich sagen konnte: ,ICH BIN der Weg, die Wahrheit und das Leben.’

Je tiefer das Urbildliche des Mädchens erkannt wird, desto weniger kann man meinen, das Mädchen wäre nur ein ,Durchgangsstadium’, etwas ,Unvollständiges’, ,Unreifes’, noch ,nicht Individuelles’ – und anderes, was in seiner Defektorientiertheit geradezu erschüttert. Novalis war derjenige, der zusammen mit den anderen höchsten Geistern des Deutschen Idealismus geradezu offenbarte, dass das Wesen des Menschen ein jugendliches ist – das Jugendliche schlechthin! Nicht als Körperkult, sondern als seelisch-geistige, aber im Zusammenhang mit dem Christus-Mysterium irgendwann auch leibliche Tatsache. Und jegliches Altern, sei es innerlich, sei es äußerlich, ist ein (vorläufiges) Verfehlen dieses heiligsten Mysteriums.

Dass das Mädchen das Geheimnis der Individualität in heiliger Weise noch nicht voll entfaltet hat, ist das Eine. Dass die moderne Seele dieses Geheimnis fast immer weit verfehlt, wie auch immer sie ihm im Übrigen näherkommt, ist das Andere. Zumeist ertrinkt die heutige ,Individualisierung’ in Äußerlichkeiten – in bloß individuellen Geschmäckern, in individuellen Piercings und Tattoos, in individuellen Lieblingsurteilen und Lieblingsansichten. Ist damit für das Geheimnis der Individualität irgendetwas gewonnen? Absolut nicht... Das Christuswesen selbst hütet das Geheimnis – und offenbart, wie sehr dies gleichzeitig mit etwas zutiefst Menschheitlichem zusammenhängt. Da, wo dieses gespürt wird, diese Menschheitliche, ist man dem wahren Geheimnis der Individualität also viel näher. Und damit sind wir schon wieder bei dem Mädchen. Vielleicht ist es viel individueller als jeder andere... Vielleicht macht es das heilige Geheimnis wahrer als jeder andere.

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Solange nicht die ganze Seele tief lebendig wird – in ihren Gedanken, in ihren Willensregungen und in ihrem heiligen Mittelpunktsreich der Empfindungen –, kann sie dem Wesen des Mädchens nicht näherkommen.

Immer wieder kann man sich für ein Finden – ein Ahnen, ein Sich-Annähern und immer mehr dann ein Finden – dieses Wesens an den Bildern der Märchen orientieren, die selbst schon Urbilder sind. Das Mädchen mit dem reinen guten Herzen... In der Welt der Urbilder gibt es keine Handys, keine Tattoos, keine Fangroups oder Fernsehsender. Dort zählt nur die Essenz, die tiefste Essenz der Seele, ihr wahres Sein. Wir flüchten heute vor diesen Urbildern, weil wir vor uns selbst flüchten – oder sogar meinen, sie hätten sich durch Materialismus, Postmoderne und Emanzipation erübrigt.

Nicht das Geringste hat sich erübrigt. Die Menschheit befindet sich mehr und mehr in einem fast freien Fall in ein nicht einmal zu erahnendes Chaos. Postmoderne, Beliebigkeit, vollkommen ungelöste, brennendste ökologische Fragen, voranschreitende Vernichtung, Ungerechtigkeit, schon in nächster Zukunft drohende weitere Verarmung, Kämpfe um Ressourcen, Elend und Hass, dazu Unwahrhaftigkeit, Scheuklappendenken, Geopolitik – und schon die bloße Aufzählung ließe sich noch immer weiter verlängern. Wer meint, angesichts dieser Katastrophe einer heiligen Wiederbesinnung auf das Wesentliche nicht zu bedürfen, ist geradezu wahnsinnig.

Die Märchen offenbaren heilige Seelenwahrheiten. Niemand ist gezwungen, diese aufzunehmen. Alle aber, die ganze Menschheit, wird mit den Konsequenzen leben müssen, was getan wird und was nicht. Das Rettende lebt in dem heiligen Kosmos der Seele. Und wenn wir uns jetzt wieder dem Urbild des Mädchens zuwenden, so offenbart sich, wie sehr hier das Rettende zu suchen ist. Das Mädchen mit dem reinen guten Herzen... Wer hier, in der Begegnung mit diesem Urbild, keine Empfindungen, keine Erkenntnisse mehr hat, der offenbart eine tiefe Tragik. Und es besteht kein Zweifel, dass ebenso die Urbilder für das männliche Geschlecht wiedergefunden werden müssen. Aber davon sollten Andere zeugen, vielleicht gerade die Mädchen... Jetzt aber geht es um sie, um ihr eigenes leuchtendes Wesen. Um ein Wesen, das zu der heutigen Realität der Katastrophen so sehr im Gegensatz steht wie kein anderes.

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Das Wesen des Mädchens besteht in tiefer Unschuld. Es ist eine Wahrheit, dass ein Mädchen bis in sein tiefstes Wesen hinein immer viel unschuldiger ist als ein Junge. Wer sich auf diese Fragen, Erkenntnisse wirklich einließe, statt sie sofort mit irgendwelchen Schubladen-Vorurteilen in der Luft zu zerreißen, könnte dies unmittelbar empfinden – und dann auch immer mehr erkennen. Es geht hier nicht um ein Klammern an Rollenbildern, im Gegenteil. Es geht um ein Auflösen aller Rollenbilder, um zum Wesen vorzudringen – und selbst dies ist falsch gesagt. Um sich von dem Wesen berühren zu lassen, das sich selbst offenbart, in jener zarten Weise, wie es nur ein Mädchen kann.

Wir sprechen von Urbildern – und jeder konkrete Mensch kann davon so sehr abweichen, wie er will ... wobei auch die Frage des Willens oft sehr, sehr zweifelhaft ist, wenn man den jeweils kollektiven Druck betrachtet, der heute ebenso geradezu wie ein Diktator herrscht. Auch jedes Mädchen kann von dem lebendigen Urbild abweichen, was heute ja geradezu bereits verpflichtend erscheint. Wie ja auch das männliche Geschlecht seit jeher von seinem heiligen Urbild in stärkstem Maße abgewichen ist.

Und schon der ganze neuzeitliche Begriff des ,Individuums’ in seinem heroischen Auf-sich-gestellt-Sein ist ein durch und durch männlich geprägter. Würde man sich in das christliche Mysterium vertiefen, würde man von neuem erkennen, wie das Weibliche das wahre Geheimnis der Individualität über Jahrhunderte hinweg viel tiefer offenbart hat als der prometheisch strebende und luziferisch doch stets eigenstolze Mann. Und von neuem würde man empfinden können, wie gerade das Mädchen das Geheimnis der Individualität in seinen sanften Händen trägt.

Wessen Seele ist fähig, sich allein schon in ein solches berührendes Bild zu vertiefen? Es ist unendlich wahr und unendlich tief. Es trägt dieses heilige Geheimnis in seinen sanften Händen – es gleichzeitig bewahrend und zugleich geradezu anbietend, jedenfalls aber in unendlicher Weise offenbarend. Vielleicht könnte man also gerade am Mädchen wieder erschütternd lernen, was Individualität eigentlich heißt.

Heute wird Unschuld gleichgesetzt mit Naivität und fehlender Individualität – sie ist aber das Fehlen von Selbstbezug, und das ist etwas sehr, sehr anderes. Ein Mädchen ist überhaupt nicht naiv. Vieles weiß es noch nicht – und kann es in so jungen Jahren, so kurzer Zeit, noch gar nicht wissen –, aber in Wirklichkeit weiß es viel mehr, als man denkt, und vor allem: viel mehr als jeder andere. Denn es gibt totes und lebendiges Wissen. Das Mädchen ist in seiner Seele noch unglaublich reich – und der gute Wille lässt das Mädchen zu der eigentlich Wissenden werden. Das ,erwachsene’ Denken weiß letztendlich voll bewusst – aber der reine Wille und das reine Fühlen wissen viel mehr. Und das Mädchen hat beides in heiliger Fülle.

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Die Unschuld ist der Schlüssel zur der heiligen Begegnungsfähigkeit des Mädchens. Gemeint sind also nicht beliebige, heute existierende Mädchen einer Postmoderne – aber selbst sie! –, gemeint in tiefstem Sinne ist das Wesen des Mädchens, sein lebendiges Urbild.

Unschuld... Unschuld nicht als Fehlen jeglicher eigener Willensregungen überhaupt – aber sehr wohl als Fehlen jeglicher selbstbezogener Willensregungen. Sehr wohl kann auch dieses wesenhaft vorgestellte urbildliche Mädchen vielleicht einmal ,keine Zeit’ haben oder auch bestimmte Sympathien und Antipathien empfinden und noch vieles andere mehr, was sehr wohl auch mit seinem Selbst zu tun hat – zugleich aber ist dies gerade in der Zartheit aller Empfindungen, in einem zarten fast Sich-Entschuldigen für diese Empfindungen und Tatsachen, in einem tiefsten Sinne selbstlos. Man muss durch all diese Versuche, etwas zu beschreiben, selbst in ein inneres Erleben hineinkommen, sonst wird man das Wesen des Mädchens immer wieder verfehlen ... und stets nur denken, hier sei von abstrakten Vorstellungen oder gar Schubladen die Rede. Nichts ist weniger wahr.

Wir vergöttern den Selbstbezug. Wir denken, er muss notwendig vorhanden sein. Wir halten ihn für das Nonplusultra. Wir haben uns so häuslich in ihm eingerichtet, dass wir geradezu breitbeinig darin verharren – maskulin, selbstbewusst, hochmütig, ohne den Hauch eines Zweifels. – Aber das Mädchen offenbart in einer geradezu erschütternden Anmut, dass auch etwas vollkommen anderes möglich ist. Etwas vollkommen anderes. Es offenbart Unschuld. Und nicht aus Zwang oder Naturnotwendigkeit, nicht, weil es noch nicht ,entwickelt’ wäre, noch ,unvollständig’ oder irgendetwas – sondern aus freiem Willen. Notfalls (und oft gezwungenermaßen) sogar gegen seine gesamte Umwelt. Ein Mädchen ist ein Mysterium.

Die Unschuld aber ist sein heiliger Schlüssel. Durch sie wird es eine Meisterin der Begegnung. Denn es kann sich jedem zuwenden – völlig ungehindert. Völlig ungehindert durch mangelndes Interesse, mangelnde Offenheit, mangelnde Liebe, mangelnde Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Ein Mädchen besitzt dies alles – und jede andere moderne Seele hat es durch ihre ganze ,Individualität’ längst verlernt. Und an jedem einzelnen dieser Punkte sieht man wieder, dass das Mädchen zutiefst mit dem Christuswesen verbunden ist, die moderne Seele jedoch nicht – sondern nur da, wo sie dem Mädchen wieder ähnlich wird...

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In meinen Romanen entfalte ich immer wieder ein Erleben dieses Mysteriums. Das Mädchen als heilige Meisterin der Begegnung. Die verschiedenen Mädchen meiner Romane stimmen keineswegs allem zu, haben keineswegs zu nichts eine eigene Meinung, Ansicht, Empfindung, sie haben das vielmehr oft berührend deutlich; auch sind sie keineswegs in einem unmittelbaren Sinn ,offen’, viel eher oft ,verschlossen’, zurückhaltend, abwehrend – und all dies allein schon deshalb, weil sie zu oft die Erfahrung gemacht haben, dass sie auch nirgendwo anschließen können. Dass die schnelle Postmoderne ihr Wesen überrennt. Und auch deshalb, weil sie um ihre eigene Verletzlichkeit wissen – und oft genug enttäuscht wurden, in Begegnungen, die keine waren. Immer wieder nicht...

Selbst mit diesen Mädchen ist die Begegnung also keinesfalls einfach. Aber – in tiefster Hinsicht liegt dies gerade daran, dass Begegnung niemals einfach ist. Das Gegenteil ist wahr. Begegnung ist ein Mysterium. Vielleicht passen das Mädchen und die Begegnung schon deshalb so unendlich zusammen – das Mädchen ist ja auch ein Mysterium...

Ohne eine tiefe Seele, ohne ein heiliges Reich von Seele, ist Begegnung überhaupt nicht möglich. Man kann alles ,Begegnung’ nennen. Aber unsere Zeit ist eine Wüste. Was heute als ,Begegnung’ erscheint, wird ganz vielfach immer oberflächlicher. Und wer Begegnung noch nicht als Mysterium wahrnehmen kann, kennt sie noch überhaupt nicht, hat ihr tiefstes Heiligtum noch nie erfahren. Und nicht zufällig sind die Männer, die in meinen Romanen Mädchen begegnen, selbst Menschen mit einer tief entwickelten Seele und Empfindsamkeit – oder sie werden von der Begegnung mit dem Mädchen zutiefst verwandelt, meist aber beides. Warum? Allein schon deshalb, weil das Mysterium der Unschuld das der Tiefe immer einschließt. Unschuld ist noch ein Zugang zu heiligen Tiefen ... Tiefen, die durch die Postmoderne restlos zerstört werden.

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Wenn dann die Begegnung mit einem solchen unschuldigen Mädchen wirklich zustande kommt, weil jene – gemeinsame – Tiefe geschaffen ist, wo sich dieses Mysterium eben ereignen kann, aber schon der ganze zarte Weg zu dieser Tiefe ist Teil des Mysteriums ... dann offenbart sich ein Wunder.

Das Mädchen beschenkt den Anderen (in diesen Fällen den Mann, in meinem Roman ,Unerwartet’ ist es aber auch eine Frau, in anderen Romanen sind es Jungen) dann – und schon vorher – fortwährend, durch sein ganzes Wesen. Durch seine Offenheit, durch sein Vertrauen, durch die Zartheit seines Wesens, seiner Handlungen, seiner Worte, seiner Gedanken. Und all dies ist Unschuld. Und all dies ist gleichzeitig: Christus-Sphäre.

Warum tut das Mädchen das? Zum einen, was das heilige Schenken seines Wesens gar nicht nach dem Warum fragt. Zum anderen, weil es gar nicht anders kann – schon seine bloße Anwesenheit ist eine schenkende. Zum dritten aber, weil es sich selbst auch beschenkt fühlt – und beschenkt wird. Das gerade ist das Mysterium der Begegnung. Einerseits schenkt das Mädchen immer, wirklich immer. Andererseits aber nur dort, wo es selbst glücklich ist und sich verstanden fühlt – vielleicht sogar zum ersten Mal überhaupt...

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Eine psychologische Auffassung deutet die Begegnung mit einem so unschuldigen Mädchen als narzisstisches Nonplusultra. Sie argumentiert, dass ein solches Mädchen gerade dadurch, dass es noch kaum eigene Willensregungen hat, das Gegenüber vollkommen bestätigt – dessen narzisstische Sehnsucht und Bedürfnis nach Bestätigung also vollumfänglich erfüllt. Nichts ist so bestätigend wie ein Mädchen, dessen klare, reine Augen einem hingebungsvoll zuhören, einen vielleicht sogar bewundern! Das ist unmittelbar nachvollziehbar – und insofern sind wir auch unmittelbar in der Sphäre Luzifers: Die Seele sehnt sich nach einem Mädchen, weil sie nichts anderes ersehnt als die totale Bestätigung.

Und erneut muss gesagt werden (wie schon in meinem vorherigen Aufsatz), dass in vielen Konstellationen und Fällen daran sehr viel Wahres sein kann. Es gibt aber zugleich viele Abers – die in ihrer Summe zeigen, wie einseitig, ja letztlich armselig und reduktionistisch diese Auffassung ist, wenn sie verabsolutiert wird. Und dieses Verabsolutieren ist in der Postmoderne ja teilweise sogar häufiger geworden als je zuvor. Mit einem – luziferischen, selbst narzisstischen! – Hochmut ohnegleichen, werden psychologische und andere Deutungen umhergeworfen und fortwährend meint man, Wirklichkeit vor sich zu haben. Nicht selten aber ist man von dieser so weit entfernt wie jener Mensch, der noch meinte, die Welt wäre flach. Viele Deutungen sind es aber ebenso, und zwar wirklich...

Ja, klare, reine Mädchenaugen können narzisstische Bedürfnisse hervorragend bestätigen. Sie können die Seele aber auch etwas völlig anderes lehren, nämlich das absolute Gegenteil. Und schon an diesem Umstand scheitern all jene ,Kochbuch-Erklärungen’, die meinen, etwas erklären zu können, ohne auch nur genauer hinschauen zu müssen. Die klaren, reinen Mädchenaugen schauen da wesentlich tiefer. Einem offensichtlichen Narzissten würden sie sich gar nicht erst hingeben – und auch alles Subtilere durchschauen sie sehr schnell.

Die Wahrheit ist, dass die reinen Augen eines Mädchens zwei Dinge tun können: eine Seele bestätigen – und eine Seele berühren. Beides in tiefstem Maße. Was sie wirklich tun, entzieht sich dem äußeren Blick völlig. Jeder äußere Blick sollte die Wahrhaftigkeit besitzen, zuzugeben, dass er allenfalls eine psychologische Theorie zur Hand, mehr aber nicht. Und er täte gut daran, die andere Wirklichkeit einzubeziehen – dass eine Seele nämlich nicht nur bestätigt werden kann, sondern auch unendlich verwandelt. Damit aber wären wir bereits wieder im Reich des Christus – und es ist sehr fraglich, ob eine narzisstische, luziferische Psychologie dies überhaupt noch als Realität erkennt, geschweige denn anerkennt.

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Zu den vielen ,Abers’ gehört des Weiteren, dass die Sehnsucht nach Bestätigung zunächst überhaupt nichts Schlimmes ist. Ja, man kann noch viel weiter gehen – sie ist eine Conditio humana, eine allertiefste menschliche Regung. Jede Liebe besteht in der Bestätigung des Anderen – und nur der brutale Kapitalismus besteht in der erbarmungslosen Missachtung des Anderen. Was also ist menschlicher, was also ist erst wahrhaft menschlich? Wahrhaft menschlich ist die Bestätigung des Anderen. Nicht in seinen narzisstischen Bedürfnissen, sondern in seinem tiefen, heiligen Sein – wie es schon das Wort wahr-nehmen liegt... Und niemand kann so sehr wahr-nehmen wie die klaren, reinen Augen eines Mädchens...

Bestätigung ist nicht narzisstisch – nur Selbstbestätigung ist es, aber das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Es ist gezeigt worden, dass Säuglinge, die keine Liebe und Bestätigung erfahren, schlicht zugrunde gehen. Und man kann mit großem, großem Recht behaupten, dass in der Postmoderne inmitten des nach wie vor grassierenden Kapitalismus die Seele fortwährend zugrunde geht – und dies trotz all der millionenfachen Pseudo- und Surrogat-Bestätigungen.

Nicht umsonst ist in der Literatur auch immer wieder so viel vom ,inneren Kind’ die Rede – dies ist der Fall, weil die grundlegende, die tiefste, heilig-heilende Bestätigung noch immer so unglaublich selten ist. Würde man dies aber als ,Narzissmus’ abqualifizieren, so würde man erst recht den zentralen Kern des Christentums als reinsten Narzissmus erkennen müssen: Denn es ist gerade das Christuswesen, das jede Seele so unendlich annimmt, wie es überhaupt nicht mehr vorstellbar ist. Dieses Wesen befeuert den Narzissmus aber nicht – es heilt ihn, vollständig...

Und so hat auch das Mädchen nichts mit dem Narzissmus zu tun. Sehr wohl kann eine Seele, die dem Mädchen begegnet, dessen heilige Gabe – Hin-Gabe – missbrauchen, indem sie an den reinen, klaren Augen des Mädchens nur ihr narzisstisches Selbst nährt. Eine Seele jedoch, die durch die Berührung des Mädchens in dieselbe heilige Sphäre ,gestoßen’ oder vielmehr auf zarteste Weise geführt wird, in der das Mädchen bereits lebt, wird radikal von jeglichem Narzissmus geheilt. Und dies nicht etwa, weil ihre narzisstischen Bedürfnisse nun restlos erfüllt wären – dies wäre eine Unlogik in sich, denn der Narzissmus ist seinem Wesen nach unersättlich –, sondern weil eine völlig andere Wirklichkeit an die Stelle der alten tritt. Allenfalls kann man sagen: Hier wird Luzifer selbst geheilt.

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Das Mädchen ist eine Meisterin der Begegnung. Und gleichzeitig damit lehrt es auch ihr Geheimnis. Es lehrt durch Berührung. Allerdings hat seine Lehre eine Voraussetzung: Man muss sich berühren lassen. Auch dies hat es mit dem Christuswesen gemeinsam.

Ein Mädchen ist offen, unbefangen, voller Empathie, es lebt mit dem Herzen, nicht mit dem bloßen Kopf, wie es alle anderen viel stärker tun. Aber es lehrt dies auch. Und es lehrt damit tiefste Menschlichkeit, wie auch nur dasjenige berühren kann, was einen tiefsten Kern berührt. Es ist also offensichtlich, dass das Mädchen nicht deshalb so begegnungsfähig ist, weil es noch so ,ich-los’ wäre, sondern weil es gerade etwas besitzt, als Gabe, das mit dem Allermenschlichsten überhaupt zu tun hat – und allen anderen mangelt. Die moderne Seele ist ein Mangelwesen – nicht das Mädchen.

Die Unschuld des Mädchens besteht in seiner tiefen Hingabe – an alles. Nur deshalb liebt es die Natur, die Welt, alles Einzelne. Das Mädchen lässt sich selbst berühren – und steht in berührendem Einklang mit allem, was nur irgendwie gut und schön ist, aber auch mit allem, was selbst Hilfe braucht, Not leidet. Das Mädchen ist geradezu ein Harmonie-Wesen – nicht, weil es selbst Harmonie braucht, sondern weil es Harmonie schenkt. Man könnte das Mädchen auch als zärtliches Vertrauens-Wesen bezeichnen. Und mit all diesen Versuchen, etwas erlebbar zu machen, sollte erlebbar werden, was der postmodernen Seele und Welt radikal verlorengeht – und warum damit auch die Begegnungsfähigkeit selbst verlorengeht.

Vertrauen! Beim Mädchen ist es sogar mehr als das. Was ist eigentlich Vertrauen? Bei dem Mädchen ist es immer bereits zarte Offenheit, eigene Hingabe, weil nur Hingabe selbst wiederum empfänglich ist. Hingabe und Empfänglichkeit sind im Grunde eins. Und das Mädchen berührt so unendlich, weil es selbst unendlich berührbar ist. Und indem es berührt, lehrt es die Berührbarkeit, die Empfänglichkeit und die eigene Hingabe. Im Berührtwerden ist auch die eigene Seele längst hingegeben ... an das Mädchen.

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Aber nicht einmal Hingabe und Unschuld, als abstrakte Begrifflichkeiten, die letztlich auch irgendwie auf entsprechende Jungenseelen übertragen werden könnten, sind das zentrale Mysterium des Mädchens, sondern die Zartheit dessen.

Sowohl die ganze Seele, das Leben der Seele eines Mädchens als auch ihre ganze Gestalt, ist zart. Und das meint nicht ,zerbrechlich’, es meint geradezu zärtlich. Aber man muss durch die Worte hindurch zum Wesen gelangen. Es geht um etwas Zartes, Ätherisches, Sanftes – um das innerste Geheimnis dessen. Und wieder sind wir zugleich im Reich des Christuswesens.

Erst wenn wir erkennen, dass wir hier die innerste Essenz von Begegnung überhaupt berühren, begreifen wir die unendliche Dimension dessen. Es geht darum, dass das Wesen des Mädchens nicht unendlich verletzlich und berührbar ist, sondern dass es sich dazu macht. Das, was ich hier ,Zartheit’ nenne, ist gleichsam ein fortwährendes Handeln des Mädchens. Es ist, wie wenn es sich fortwährend im Geheimnis der Zartheit beheimaten würde, immer wieder, ununterbrochen – ein fortwährendes sanftes Handeln... Das Mädchen ist nicht unsicher, es macht sich offen und verletzlich – weil alles andere sofort eine Verhärtung der Seele bedeuten würde, und der tiefste Wille des Mädchens will dies nicht. Es ist eine tiefste Wesensoffenbarung.

Das Zarte, das Zärtliche, ist gleichsam das innerste Geheimnis der Kommunion. Und das Mädchen wandelt fortwährend auf den heiligen Wegen dieses Christus-Mysteriums. Es ist Meisterin der Begegnung.

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Unter diesem heiligen Blickwinkel ist es geradezu pervers, einem Mann, der einem Mädchen begegnet und hier ein tiefes Ideal erlebt, vorzuwerfen, er sei zu ,erwachsenen Begegnungen’ offenbar noch nicht ,fähig’. Vor dem hier entfalteten Eintauchen in das Mädchenwesen wird gerade deutlich, dass die meisten Erwachsenen zu wirklichen Begegnungen noch gar nicht fähig sind. ,Erwachsene Begegnungen’ wird so gerade zu einem Unbegriff, zu einer ungeheuren Verschleierung – fast so wie ,schwarzer Schimmel’.

Das scheint eine wahnwitzige Behauptung zu sein. Aber wir bewegen uns auf einer tief wesenhaften Ebene. Und die Welt sähe nicht aus, wie sie aussieht, wenn so etwas wie Begegnung in tiefstem Sinne eine Fähigkeit wäre. Sie ist es nicht. Und nur deshalb ist die Welt nach wie vor beherrscht von Materialismus, Kapitalismus, Seelenarmut, Oberflächlichkeit, Kämpfen, Alkoholismus, Gewalt, Druck, Konkurrenz, Hierarchien und noch vielem anderen. Und weil sie davon beherrscht ist, schwindet umgekehrt die Fähigkeit zur Begegnung immer weiter.

Selbst Interesse und Kollegialität etc. müssen noch wenig mit Begegnung in diesem tiefen Sinne zu tun haben. Ja, selbst so etwas wie ,Freundschaften’ können lebenslang auf Ebenen bleiben, die jede tiefere Begegnung ewig vermissen lassen. Wer die heiligen Entbehrungserlebnisse nicht kennt, die hier möglich sind, weiß sicherlich nicht einmal, wovon überhaupt die Rede ist. Und je mehr man nach ,außen’ lebt, desto weniger kennt man die Sehnsucht, das unendliche Fehlen von etwas...

Kann man angesichts dessen nicht begreifen, was ein Mädchen verkörpert? Regelrecht verkörpert? Eine Offenheit, die noch ganz in seinem Wesen liegt? Eine Zartheit der Zuwendungsfähigkeit? Und auch ebenso der Selbstoffenbarung? Hingabe im Zuhören und Empfangen und ebenso im eigenen Offenbaren? Und kann man daran nicht empfinden, was eigentlich erst Begegnung wäre? Da, wo alle Verhärtungen noch schweigen, nicht vorhanden sind? Da, wo es noch keinen Zeitdruck, kein Desinteresse, keine Gewohnheit gibt? Kein ,ausgewachsenes’ (und geradezu hypertrophiertes) ,Selbst’? Sondern ein zartes, aber zugleich sehr wirkliches Ich, das sowohl sprechen und verkörpern kann: ,Ich höre Dir zu...’ wie auch: ,Ich offenbare mich Dir...’ – und all dies ohne den tiefen Abgrund, der überall sonst zwischen Ich und Ich lebt und bleibt, weil er dennoch nie überbrückt wird?

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Was sich in einem Mädchen noch offenbart, ist so tiefgehend, dass jede defizitäre Sichtweise, die ein Mädchen nur als unmündiges ,Schutzobjekt’ sieht, erschütternd fehlgreift. Ein Mädchen kann so unendlich viel von der Essenz des Menschlichen offenbaren, dass man sich vielmehr fragen müsste, wie unsere Welt aussehen müsste, um das Wesen der Mädchen zur Geltung kommen zu lassen – anstatt es mit einem seelentötenden Schulwesen und später einem noch brutaleren Arbeitsmarkt völlig zu überrollen und zu vernichten.

Nicht die Welt ist menschlich und die Mädchen müssen einfach nur in diese hineinwachsen – sondern die Welt ist unmenschlich und lässt es alle Menschen täglich spüren. Wir alle kennen die zahllosen unmenschlichen Kräfte einer Welt, die die Erwachsenen einfach nicht in der Lage oder mutig genug sind abzuschaffen. Das Mädchen würde dies sofort tun, wenn es in seiner Macht stünde. Dies ist das berühmte Machtungleichgewicht, von dem der Missbrauch ausgeht – an allen Menschen, vor allem aber an den Mädchen, die hier am wehrlosesten sind, weil alle anderen schon gelernt haben, sich abzutöten.

Es ist, wie wenn einzig noch das Mädchen daran erinnern würde, wie abgrundtief anders eine menschliche Welt aussehen müsste. Es ist, wie wenn Mädchen wie eine lebendige Flamme in diese Welt hineingeworfen wären, die das Absterben der Seelen verhindern solle. Wenn man sich wirklich in das Wesen der Mädchen vertieft, spürt man so unendlich viele Zusammenhänge mit dem Christuswesen, dass man dahin kommen kann, dass das Mädchen noch einen eigenen Schutz hat, der mit diesem Wesen innig verbunden ist. Man kommt so zu dem Erleben einer Mädchengöttin, die das Wesen des Mädchens ebenso offenbart wie das Mädchen selbst – das Mädchen damit aber regelrecht überleuchtend. Wer diesen Gedanken unmittelbar abwegig findet, beweist damit nur, dass er nicht bereit ist, auch erkennend zu etwas sehr Heilig-Realem zu kommen.

Die berührendsten Realitäten sind stets Mysterien. Und für Mysterien braucht man genügend Mut. Erst dann werden sie sich offenbaren. Die Zeit ist gekommen, im Wesen des Mädchens mehr zu sehen als etwas sehr ,Unreifes’. Die Menschheit sollte endlich beginnen, sich zu fragen, was das Mädchen ihr voraushat – so lange, bis es auch in immer mehr Mädchen erfolgreich vernichtet wurde. Die Welt muss sich fragen, wieviel ihr am Wesen des Mädchens überhaupt liegt. Der erste Schritt wäre eine echte Ehrfurcht vor dem verschwindenden Wesen der Mädchen – jenem Wesen, das die Welt wahrhaft retten könnte.